Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017
KG Berlin: vorrang, parkplatz, fahrzeugführer, kollision, aufmerksamkeit, geschwindigkeitsüberschreitung, quelle, sammlung, link, sorgfaltspflicht
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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 233/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1 StVO, § 10 StVO
Schadensersatz wegen Verkehrsunfall: Kollision auf einem
Parkplatz
Leitsatz
Fahrspuren auf Parkplätzen dienen grundsätzlich nicht dem fließenden Verkehr, sodass sie -
vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls - keine Vorfahrt gewähren und auch § 10 StVO
nicht gilt, sondern alle Fahrzeugführer zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 StVO
verpflichtet sind.
Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn die angelegten Fahrspuren zwischen den
Parkplätzen eindeutig Straßencharakter haben und sich aus ihrer baulichen Anlage ergibt,
dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der
Fahrzeuge.
Im Falle der Kollision eines Pkw, der aus einer kleinen Durchfahrtsgasse zwischen Parkplätzen
mit ca. 45 km/h auf einen breiten Zufahrtsweg einfährt, mit einem von links kommenden Kfz
kommt die Alleinhaftung des einfahrenden Pkw in Betracht.
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen
Beschluss zurückzuweisen.
Gründe
1. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche
Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz
1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die
angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die
nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
Beides ist nicht der Fall.
Das Landgericht hat die Beklagten mit dem angegriffenen Urteil zu Recht verurteilt, der
Klägerin den ihr auf Grund des Unfalls vom 5. Juni 2005 mit ihrem Fahrzeug Opel Corsa
entstandenen Schaden, soweit er schlüssig dargelegt war, in voller Höhe zu ersetzen.
Die hiergegen von den Beklagten gerichtete Berufung, mit welcher sie das Urteil lediglich
insoweit angreifen, als sie zu einer mehr als 50 %igen Haftung verurteilt worden sind, hat
keine Aussicht auf Erfolg.
a) Die Berufung greift zu Unrecht die Ausführungen des Landgerichts an, soweit dieses
davon ausgegangen ist, dass § 10 StVO hier zu Lasten des Beklagten zu 1. analog
anzuwenden ist, wonach er dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs den Vorrang hätte
lassen müssen.
Grundsätzlich dienen Fahrspuren auf Parkplätzen nicht dem fließenden Verkehr, weshalb
im Regelfall davon auszugehen ist, dass sie keine Vorfahrt gewähren und auch für den
Ausparkenden gegenüber dem eine Fahrspur bereits Befahrenden § 10 StVO nicht gilt
(vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 8 StVO, Rn. 31 a). Die
den Parkplatz befahrenden Fahrzeugführer haben deshalb hohe Sorgfaltspflichten und
sind sich zur gegenseitigen Rücksichtnahme gemäß § 1 StVO verpflichtet (vgl. Senat,
Urteil vom 4. Februar 2002 – 12 U 111/01 – KGR 2002, 364 = VM 2003 Nr. 11 = VRS
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Urteil vom 4. Februar 2002 – 12 U 111/01 – KGR 2002, 364 = VM 2003 Nr. 11 = VRS
104, 24 = NZV 2003, 381; OLG Frankfurt, Urteil vom 9. Juni 2009 – 3 U 211/08 – NJW
2009, 3038).
Etwas anderes kann gelten, wenn die angelegten Fahrspuren zwischen den Parkplätzen
eindeutig Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt,
dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der
Fahrzeuge. Handelt es sich bei einer bzw. mehreren der Zufahrtswege um eine
gegenüber den Durchfahrtsgassen zwischen den Parkplätzen nochmals baulich größer
und breiter ausgestalteten Zufahrtsstraße, so kann § 10 StVO – jedenfalls wie das
Landgericht zutreffend ausgeführt hat analog – zur Anwendung kommen (vgl. hierzu
auch OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28. Juli 2006 – 10 U 28/06 – VerkMitt 2007, Nr. 43).
Entgegen den Ausführungen der Berufung ist die von dem klägerischen Fahrer
befahrene Zufahrtsstraße bereits baulich deutlich gegenüber den Zufahrtsgassen zu
den einzelnen Parkplätzen abgesetzt. Es handelt sich um eine zweispurige Straße mit
gestrichelter Mittellinie, an der sich selbst keine Parkplätze befinden. Sie dient allein als
Zubringer zu den Zufahrtsgassen, an denen sich sodann erst die Parkplätze befinden.
Zudem ist sie, was das Landgericht ebenfalls richtig ausgeführt hat, jeweils durch
bauliche Anlagen mit kleinen Hecken und Büschen gestaltet, was – wie sich auf der
Luftbildaufnahme deutlich erkennen lässt – den beiden Zufahrtsstraßen einen
eindeutigen Straßencharakter verleiht. Dies ist entgegen den Ausführungen der
Beklagten für die Zufahrtsgassen nicht der Fall. Daran ändert auch die Tatsache nichts,
dass es möglich ist, unter kreuzen der beiden Hauptzufahrtsstraßen von einem Ende
des Parkplatzes zum anderen zu gelangen.
b) Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass der Grundsatz “rechts vor
links” nach § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO im Verhältnis Beklagter zu 1. zum klägerischen
Fahrer nicht galt.
In der Rechtsprechung wird die Frage, ob § 8 StVO (“rechts vor links”) auf Parkplätzen
anwendbar ist, für gleichartige Fahrspuren mit eindeutigem Straßencharakter sowie auch
für sonstige baulich gleich gestaltete Fahrspuren bejaht (vgl. Hentschel, aaO; OLG
Hamm, Urteil vom 15. Februar 2001 – 6 U 202/00 – Schaden-Praxis 2001, 229; LG
Bochum, Urteil vom 15. November 2002 – 5 S 209/02 – Schaden-Praxis 2003, 124).
Im Streitfall kommt jedoch § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO bereits deshalb nicht zur Anwendung,
weil es sich nicht um das Zusammentreffen von zwei gleichberechtigten, dem fließenden
Verkehr dienenden Straßen handelt, von denen die eine in die andere mündet. Wie
bereits ausgeführt, dient allein die vom Beklagten zu 1. befahrende Zufahrtsgasse dem
unmittelbaren Aufsuchen der Parkplätze und dem Ein- und Ausparken, während die vom
klägerischen Fahrer befahrene Straße die Zu- und Abfahrt der Fahrzeug aufnimmt.
Soweit die Ausführungen des Senats in dem von den Beklagten angeführten Urteil vom
4. Februar 2002 – 12 U 111/01 – nahe legen könnten, dass auf Parkplätzen grundsätzlich
der Vorrang “rechts vor links” gelte, gilt dies nur für gleichartig gestaltete Fahrwege.
Entscheidend ist nämlich, ob auf dem Parkplatz als Straßen angelegte Zufahrten
gleichberechtigt aufeinander treffen und deshalb unter diesen der Grundsatz “rechts vor
links” zur Anwendung kommt. Im Übrigen ist stets auf die gesteigerte Sorgfaltspflicht
und die Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 StVO abzustellen.
c) Dem klägerischen Fahrer ist entgegen den Ausführungen der Berufung auch kein
Mitverschulden an dem Unfall anzulasten.
Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch der Vorfahrtberechtigte Rücksicht
auf den Einfahrenden nehmen muss und gerade die Situation auf Großparkplätzen
erhöhte Aufmerksamkeit erfordert, wobei auch mit Vorfahrtsverletzung der
Parkplatzsuchenden ständig zu rechnen ist (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, aaO.).
Vorliegend steht jedoch ausweislich der Ausführungen des erstinstanzlich eingeholten
Sachverständigengutachtens fest, dass der Beklagte zu 1. mit einer den
Verkehrsverhältnissen nicht angepassten, also nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO überhöhten
Geschwindigkeit, nämlich einer Kollisionsgeschwindigkeit von jedenfalls 45 km/h gefahren
ist, die nach den Umständen des Streitfalls zur Alleinhaftung der Beklagten führt.
Dies hat das Landgericht auf S. 5, 6 des angegriffenen Urteils zu Recht im Einzelnen
ausgeführt und richtig betont, dass die leichte Geschwindigkeitsüberschreitung des
klägerischen Fahrers (20 km/h statt Schrittgeschwindigkeit) nicht als unfallursächlich
festgestellt werden kann.
18 2. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen wird anheim gestellt, die weitere
Durchführung der Berufung zu überdenken.
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