Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017
KG Berlin: sachliche zuständigkeit, einstweilige verfügung, widerklage, willkür, holding, ehre, stillschweigend, quelle, sammlung, link
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Gericht:
KG Berlin 2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 AR 16/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 36 Abs 1 ZPO, § 36 Abs 1 Nr 6
ZPO, § 281 Abs 2 S 4 ZPO, § 23
Abs 3 S 2 RVG
Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses wegen
sachlicher Unzuständigkeit bei Streitwertangabe des
Antragstellers; sachliche Zuständigkeitsbewertung eines
Anspruchs auf Unterlassung von Negativmitteilungen an die
Schufa
Leitsatz
1. Hat das Gericht zwar die Stellung eines Verweisungsantrages wegen sachlicher
Unzuständigkeit angeregt, vollzieht diese Anregung jedoch eine Streitwertangabe des
Antragstellers nach, welche sich außerhalb der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts
bewegt, und ist der Antragsteller anwaltlich vertreten, so ist der hieraus ergehende
Verweisungsbeschluss nur dann nicht gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend, wenn die
Annahme der Zuständigkeit des Gerichts, an das verwiesen wurde, völlig unvertretbar ist (
Fortführung von: Senat, Beschluss vom 15. September 2008, 2 AR 46/08).
2. Bei der sachlichen Zuständigkeitsbewertung eines Anspruches auf Unterlassung von
Negativmitteilungen an die Schufa Holding AG und andere Wirtschaftsinformationsdienste ist
es nicht völlig unvertretbar auch dann einen Betrag von über 5.000,-- € anzunehmen, wenn
es dem Kläger ledigglich um den Erhalt seiner „Ehre“ als guter Schuldner geht und nicht um
den Schutz irgendwelcher Vermögensnachteile. Die Annahme eines Wertes von 2.500,-- € ist
in aller Regel zu niedrig.
Tenor
Das Landgericht Berlin wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Mitte und das Landgericht Berlin streiten über die sachliche
Zuständigkeit für einen Rechtsstreit, der zunächst beim Amtsgericht Mitte anhängig
gemacht wurde. Während dort die klägerische Telefongesellschaft den Ausgleich offener
Telefonrechnungen vom Beklagten begehrte, verlangt der widerklagende Beklagte
Unterlassung von Negativmitteilungen an die Schufa Holding AG und andere
Wirtschaftsinformationsdienste wegen der offenen Rechnungen. Der Beklagte gab den
Wert der Widerklage mit 15.000 EUR an, woraufhin das Amtsgericht dem Beklagten
mitteilte, dass die Streitwertgrenze des Amtsgericht überschritten sein dürfte; eine
Begründung enthielten das Hinweisschreiben nicht. Der Beklagte beantragte sodann die
Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht, woraufhin sich das Amtsgericht durch
wiederum nicht weiter begründeten Beschluss vom 6. März 2009 für sachlich
unzuständig erklärte und den Rechtsstreit an das Landgericht verwies. Die Klägerin
stimmte der Verweisung zu. Mit Beschluss vom 28. April 2009 erklärte sich auch das
Landgericht für sachlich unzuständig und legte die Sache dem Kammergericht zur
Zuständigkeitsbestimmung vor. Zur Begründung führte das Landgericht aus, der
Streitwert der Widerklage betrage lediglich 2.500 EUR, weil der Beklagte keinerlei
konkrete ihm aus der Mitteilung an die Schufa Holding AG drohende Nachteile benannt
habe und es daher lediglich um die Verhinderung des allgemeinen Makels als säumiger
Schuldner gehe.
II.
1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des
zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das Amtsgericht Mitte und
sodann das Landgericht Berlin mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für
unzuständig erklärt haben.
2. Das Landgericht ist jedenfalls gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO wegen des
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2. Das Landgericht ist jedenfalls gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO wegen des
Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts sachlich zuständig.
a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz
bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des
Gerichtes, an das verwiesen wird. Anerkannt ist jedoch, dass die Bindungswirkung
ausnahmsweise entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur , NJW
2003, 3201 [3201]; in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei
ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht
des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus
Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet
wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung,
und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das
verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel in den Entscheidungsgründen
nicht erörtert und die Zuständigkeit des verweisenden Gerichts mit gewisser
Eindeutigkeit zu bejahen ist oder wenn das verweisende Gericht die maßgebliche
Zuständigkeitsregel zwar in den Entscheidungsgründen erörtert, jedoch zu einem völlig
unvertretbaren Ergebnis gelangt ( , Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 25/08, WM
2008, 1571; Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 20/08, KGR 2008, 749-751). Dabei ist ein
begründungsloser Verweisungsbeschluss einem mit Begründung versehenen
Verweisungsbeschluss gleichzusetzen, wenn jener auf Antrag beider Parteien ergangen
ist und das verweisende Gericht die Antragstellung zuvor nicht angeregt hat (vgl. ,
NJW 2003, 3201 [3202]; , NJW 2002, 3634 [3636]; , FamRZ 1988, 943 [943]).
Ein solcher Beschluss kann daher allenfalls dann willkürlich sein, wenn die Annahme der
Zuständigkeit des Gerichts, an das verweisen wurde, völlig unvertretbar ist ( ,
Beschluss vom 15. September 2008, 2 AR 46/08). Gleiches gilt, wenn das Gericht zwar
die Antragstellung wegen sachlicher Unzuständigkeit angeregt hat, die Anregung aber
eine Streitwertangabe des Antragstellers nachvollzieht, welche sich außerhalb der
Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bewegt, und der Antragsteller anwaltlich
vertreten ist. Denn jedenfalls der anwaltlich vertretenen Partei ist bei der Angabe des
Streitwertes bewusst, dass die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes - von
bestimmten Ausnahmen abgesehen - durch die Höhe des Streitwertes bestimmt wird;
zugleich ist ihr die Streitwertgrenze zwischen amts- und landgerichtlicher Zuständigkeit
(5.000 EUR) bekannt. Daher gibt der Antragsteller in derartigen Fällen nicht lediglich dem
gerichtlichen Druck nach, sondern strebt die Verweisung eigeninitiativ an.
b) Demgemäß ist vorliegend Willkür nicht zu bejahen. Denn zum einen hat der
Widerkläger den Streitwert der Widerklage schon in der Widerklageschrift mit einem
Betrag (15.000 EUR) angegeben, der unzweifelhaft nicht mehr in die Zuständigkeit des
Amtsgerichts fällt. Zum anderen ist es jedenfalls nicht völlig unvertretbar, den Streitwert
der Widerklage auf zumindest 5.001 EUR festzusetzen und folglich die Streitwertgrenze
als überschritten anzusehen. Dies belegt die Entscheidungen des vom
11. Mai 2005, NJW 2005, 2401, das in einer ähnlichen Fallkonstellation (Unterlassung von
Negativmeldungen einer Telefongesellschaft an die Schufa zu Lasten des Telefonkunden
sowie Widerruf bereits erfolgter, derartiger Meldungen) einen Streitwert von insgesamt
immerhin 10.000 EUR festgesetzt hat. Ferner belegt dies die Entscheidung des
vom 2. Juni 2005, NJW 2005, 2404, das in einer noch ähnlicheren
Fallkonstellation (Unterlassen von Negativmeldungen einer Telefongesellschaft an die
Schufa zu Lasten des Telefonkunden) einen Streitwert von 2.000 EUR für einen Antrag
im einstweiligen Verfügungsverfahren festgesetzt hat; bei Zugrundelegung des in der
Rechtsprechung zumeist angenommenen Verhältnisses des Wert eines einstweiligen
Verfügungsverfahrens zum Wert des diesbezüglichen Hauptsacheverfahrens von 1:3
(vgl. in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 3 Rdnr. 16 „Einstweilige Verfügung“)
entsprächen den genannten 2.000 EUR ein Hauptsachestreitwert von 6.000 EUR.
III.
Vorsorglich weist der Senat daraufhin, dass das Landgericht bei der Festsetzung des
Gebührenstreitwertes nicht gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO an die Streitwertüberlegung
gebunden, die der amtsgerichtlichen Verweisungsentscheidung stillschweigend zu
Grunde liegt. Daher könnte letztlich durchaus ein Streitwert von unter 5.000 EUR
festzusetzen sein. Allerdings deutet § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG - wonach in Ermangelung
anderweitiger Anhaltspunkte der (Anwaltsgebühren-Streitwert bei
nichtvermögensrechtlichen Gegenständen mit 4.000 EUR zu bewerten ist - darauf hin,
dass selbst dann, wenn es dem Widerkläger lediglich um den Erhalt seiner „Ehre“ als
guter Schuldner geht und nicht um den Schutz vor irgendwelchen Vermögensnachteilen,
der vom Landgericht angesetzte Wert von 2.500 EUR zu niedrig liegen dürfte (vgl. auch
, Beschluss vom 2. April 2009 - 2 AR 8/09, wo in einer ähnlich gelagerten
Angelegenheit die Wertfestsetzung des Landgerichts von unter 5.000 EUR nicht zu
Angelegenheit die Wertfestsetzung des Landgerichts von unter 5.000 EUR nicht zu
beanstanden war).
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