Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017

KG Berlin: entschädigung, sachverständiger, akte, bach, erfahrung, pauschal, ausarbeitung, liquidation, link, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 454/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 3 Abs 2 S 2 ZuSEG
Vergütungsfestsetzung für den gerichtlich bestellten
Sachverständigen: Gerichtliche Nachprüfung angegebener
Stundenzahl
Leitsatz
Anlass für eine Prüfung und eine Korrektur der vom Sachverständigen angegebenen
Stundenzahl für die Erledigung des Gutachtenauftrages besteht dann, wenn der angesetzte
Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung ganz eindeutig ungewöhnlich hoch
erscheint. Der Sachverständige ist gehalten, die Arbeitsschritte so zu differenzieren, dass
sich der berechnete Zeitaufwand den einzelnen Leistungen zuordnen und nachvollziehen
lässt.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen die Festsetzung seiner Entschädigung als
Sachverständiger ist gemäß § 16 Abs. 2 ZSEG zulässig. Der Beteiligte zu 1) ist als
Sachverständiger beschwerdeberechtigt (§ 16 Abs. 2 Satz 2 ZSEG). Er ist durch den
angefochtenen Beschluss auch um mehr als 100 DM (§ 16 Abs. 2 Satz 1 ZSEG a. F.)
beschwert. Ihm wurde statt der beantragten Entschädigung von insgesamt 6.537,34 DM
nur eine Entschädigung von 5.950,84 DM für das Gutachten vom 21. November 1997
und das Schreiben vom 9. Februar 1998 zugesprochen.
Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist
die mit dem angefochtenen Festsetzungsbeschluss vorgenommene Kürzung der
berechneten Sachverständigenentschädigung des Beteiligten zu 1) um 586,50 DM. In
Rahmen dieses Betrages unterliegt die angefochtene Festsetzung der
Sachverständigenentschädigung einer vollen Überprüfung, wobei das Beschwerdegericht
- entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1) - nicht nur die umstrittenen, sondern
sämtliche Rechnungsposten überprüfen und ggf. zum Nachteil des Sachverständigen
herabsetzen kann (Meyer/Höver/Bach, Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und
Sachverständigen, 22. Aufl. 2002, § 16 Rn. 15; OLG Schleswig, MDR 1985, 79; Senat vom
23. 10. 2001 - 1 W 2084/00 - nicht veröffentlicht). Vorliegend erweist sich die Kürzung der
berechneten Entschädigung um 586,50 DM jedoch bereits aus den Gründen der
angefochtenen Entscheidung als zutreffend. Zumindest der Zeitaufwand, den der
Beteiligte zu 1) für das Aktenstudium berechnet hat, kann nicht in vollem Umfang als
erforderlich anerkannt werden.
Die Entschädigung eines Sachverständigen richtet sich nach § 3 Abs. 2 Satz 2 ZSEG u.
a. nach dem erforderlichen Zeitaufwand. Dies ist nach allgemeiner Auffassung der im
konkreten Fall für die Erledigung des Gutachtenauftrages objektiv erforderliche
Zeitaufwand. Entscheidend ist nicht die Zeit, die der Sachverständige tatsächlich für die
Begutachtung aufgewandt hat, sondern der Zeitaufwand, den ein mit der Materie
vertrauter Sachverständiger von durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung benötigt,
um die Beweisfrage sachgemäß zu beantworten (vgl. Senat, JurBüro 1984, 1066; BGH
NJW-RR 1987, 1470 f.). Das Gericht darf und muss daher prüfen, ob der vom
Sachverständigen mitgeteilte Zeitaufwand wirklich erforderlich war. Dabei ist allerdings
zu berücksichtigen, dass dem Sachverständigen ein Ermessensspielraum eingeräumt
ist: Grundsätzlich bleibt ihm im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens die
Entscheidung überlassen, wie viel Zeit für eine ordnungsgemäße Begutachtung
notwendig ist. Deswegen ist zunächst von den Zeitangaben des Sachverständigen
auszugehen. Anlass für eine Prüfung und eine Korrektur der Stundenzahl besteht nur
dann, wenn der angesetzte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung ganz
eindeutig ungewöhnlich hoch erscheint (Senat, JurBüro 1984, 1066; Senat, ZSW 82,228;
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eindeutig ungewöhnlich hoch erscheint (Senat, JurBüro 1984, 1066; Senat, ZSW 82,228;
OLG Düsseldorf JurBüro 1996, 43; OLG Hamm MDR 1987, 419; OLG Köln OLGR 1999,
115, Meyer/Höver/Bach, a.a.O., § 3, Rn. 22).
Letzteres ist hier der Fall. Auch bei einer großzügigen Beurteilung des vom
Sachverständigen berechneten Zeitaufwandes erscheint die angegebene Zeit von 6
Stunden für das Studium der Akten vor Erstellung des Gutachtens vom 21. November
1997 und von weiteren zwei Stunden für das Schreiben vom 9. Februar 1998 eindeutig
außergewöhnlich hoch. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den
angegebenen Zeitaufwand um 4 Stunden auf die Hälfte der Zeit gekürzt hat.
Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände, insbesondere von Inhalt und Umfang
der Akte sowie der Art des Beweisthemas kann für das Aktenstudium zur Abfassung des
Gutachtens vom 21. November 1997 lediglich ein Zeitaufwand von drei Stunden
anerkannt werden. Der Beteiligte zu 1) weist zwar zu Recht darauf hin, dass bei der
Beurteilung der Höhe des Zeitaufwandes für das Aktenstudium nicht allein auf die reine
Leseleistung abgestellt werden darf. Neben der Lektüre der Akten umfasst das Studium
der Akten auch deren Aufarbeitung und Auswertung im Hinblick auf die zu
beantwortende Beweisfrage (Meyer/Höver/Bach, a.a.O., § 3 Rn. 43.3). Dieser Umstand
wird jedoch entgegen der Auffassung des Sachverständigen nicht vernachlässigt, wenn
das Landgericht auf die in der Sozialgerichtsbarkeit aufgestellten Grundsätze verweist
und sie im vorliegenden Fall übernimmt. Denn die Erfahrungswerte der Sozialgerichte
berücksichtigen die Tatsache, dass ein Sachverständiger die Akten sorgfältig
durchsehen und Notizen bzw. Exzerpte fertigen muss (Meyer/Höver/Bach, ebenda).
Allerdings kann die Annahme des Landgerichts, für die gründliche Durcharbeitung einer
Akte sei ein Zeitaufwand von einer Stunde für ca. 60 Aktenseiten angemessen, nur ein
erster Anhalt sein. Die für das Aktenstudium erforderliche Zeit richtet sich nicht nur nach
dem Umfang der Akte, sondern maßgeblich auch nach ihrem Inhalt und der Art des
Beweisthemas. Im vorliegenden Fall ist mithin zu berücksichtigen, dass der
Sachverständige zur Vorbereitung des Gutachtens bis zur Festlegung des Ortstermins
am 4. Juli 1997 120 Aktenseiten durchzuarbeiten hatte, wobei 69 Seiten (Bl. 44 bis 113
d. A.) auf das Parteigutachten des Dipl. Ingenieurs P... J... vom 2. August 1996 samt
Anlagen (u. a. das Bodengutachten des Dipl. Ing. Y. P... vom 10. November 1993)
entfielen. Dabei waren einerseits die Beweisthemen scharf umrissen und schnell zu
erfassen: Es ging im Rahmen des Beweissicherungsverfahrens um die Feststellung, ob
11 Risse am Haus des Klägers vorhanden sind, ob Maßnahmen der Beklagten zur
Bodenverdichtung (konkret: die Vibrationen infolge dieser Baumaßnahmen) diese
Gebäudeschäden verursacht haben und welche Kosten bei fachgerechter Beseitigung
der Schäden entstehen würden. Andererseits verlangte die Durchsicht der beiden
Fachgutachten besondere Aufmerksamkeit, auch wenn diese Gutachten dem zu
begutachtenden Sachverhalt bereits eine klare Struktur gaben und damit die
Aufarbeitung der Fakten durch den Sachverständigen erheblich erleichterten. Unter
diesen Umständen ist ein Zeitaufwand von ca. 2 Stunden für die Durcharbeitung des
Gutachtens J... und von einer weiteren Stunde für die restliche Akte ausreichend
bemessen.
Zu Recht hat das Landgericht auch den Zeitaufwand beanstandet, den der Gutachter für
das Aktenstudium anlässlich seiner ergänzenden Stellungnahme vom 9. Februar 1998
angesetzt hat. Die Schriftsätze der Parteien zum Gutachten des Sachverständigen
umfassten lediglich 11 Seiten, wobei die Parteien zum einen Verständnisfragen stellten
und zum anderen aus der Sicht von Laien Widersprüche innerhalb des Gutachtens
aufzeigten. Selbst wenn der Beteiligte zu 1) im Februar 1998 sein zwei Monate zuvor
verfasstes Gutachten von 11 Seiten nochmals lesen musste, erscheint der insgesamt
berechnete Zeitaufwand von 2 Stunden für das Studium der Akten eindeutig zu hoch. Es
ist davon auszugehen, dass der Beteiligte zu 1) spätestens nach einer Stunde mit der
Vorbereitung seiner klarstellenden schriftlichen Äußerung hätte beginnen können.
Umstände, die für das Aktenstudium einen größeren Zeitaufwand erforderlich machten,
hat der Beteiligte zu 1) nicht aufgezeigt. Er weist lediglich in pauschaler Form darauf hin,
dass zum Studium der Akten auch handschriftlichen Auszüge, Zuordnung und
Heraussuchen von Bestimmungen des technischen Regelwerks, konzeptionelle Ordnung
und Strukturierung gehören, bis er schließlich zum Ortstermin einladen könne. Weshalb
diese Umstände hier besonders zeitraubend waren, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist
dem Gutachten vom 21. November 1997 nicht zu entnehmen, dass der Beteiligte zu 1)
im Vorfeld dieses Gutachtens oder bei seiner Abfassung Bestimmungen des
technischen Regelwerks herangezogen hat. Vielmehr basieren seine Ausführungen auf
der tatsächlichen Untersuchung des Gebäudes sowie auf seiner Erfahrung als
Sachverständiger, wonach die vorgefundenen Risse zwar zum Teil durch den Einsatz von
Maschinen zur Bodenverdichtung hervorgerufen bzw. erweitert wurden, diese Schäden
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Maschinen zur Bodenverdichtung hervorgerufen bzw. erweitert wurden, diese Schäden
bei einem normal-widerstandsfähigen Hochbau aber nicht zu erwarten gewesen wären.
Erst in der zusätzlichen schriftlichen Stellungnahme vom 8. Februar verweist der
Sachverständige auf DIN 4150 Teil 3, bestimmt die Rüttelenergie einer B. -Walze und
überreicht einen Auszug aus der geologischen Karte von M... - eine Arbeit, die sich in 7
weiteren, für die Ausarbeitung der ergänzenden Äußerung angesetzten Stunden
niederschlägt.
Zu keinem anderen Ergebnis führt der im Grundsatz zutreffende Hinweis der
Bezirksrevisorin, zur Vorbereitung eines Gutachtens gehörten neben dem Studium der
erforderlichen Unterlagen auch weitere Tätigkeiten, wie ein das Verfahren begleitender
Schriftwechsel mit dem Gericht und/oder den Parteien, Ladungen bzw. Abstimmungen
hierzu, Einholen von Auskünften u. ä. Der Beteiligte zu 1) hat nach seiner in der
Beschwerdebegründung gegebenen Erläuterung unter der Rechnungsposition
„Aktenstudium“ pauschal die zeitlichen Aufwendungen bis zur Festlegung des
Ortstermins zusammengefasst. Es wäre im Hinblick auf die gegen diese
Rechnungsposition erhobenen Einwendungen nunmehr erforderlich gewesen, die
erbrachten Leistungen so zu differenzieren, dass sich der berechnete Zeitaufwand den
in der Liquidation des Sachverständigen zu Pos. 1 bis 3 aufgeführten Leistungen im
Einzelnen nachvollziehbar zuordnen und nachvollziehen ließe (Meyer, a.a.O., § 3 Rn 22;
OLG Köln, JurBüro 91,1396; OLG Köln, OLGR 99,115). Das ist nicht geschehen.
Es lässt sich auch nicht feststellen, dass der für das Studium der Akten angesetzte
überhöhte Bearbeitungsaufwand durch den Ansatz einer zu kurzen Bearbeitungszeit für
die Abfassung des Gutachtens aufgewogen wird. Der hierfür insgesamt geltend
gemachte Zeitaufwand von insgesamt 24 Stunden liegt keineswegs unter dem
Zeitaufwand, der erfahrungsgemäß einem Sachverständigen für die gleiche Leistung
zugebilligt werden müsste.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden
nicht erstattet (§ 16 Abs. 5 ZSEG).
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