Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017

KG Berlin: fahrbahn, grundstück, kollision, fahrzeug, ausfahrt, geschwindigkeit, beweislast, mithaftung, quelle, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 181/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 10 StVO
Verkehrsunfallhaftung: Kollision bei Ausfahrt aus einem
Grundstück mit einem Verkehrsteilnehmer des fließenden
Verkehrs; Beendigung des Ausfahrens
Leitsatz
Der Vorgang des Ausfahrens aus einem Grundstück in eine öffentliche Straße ist erst dann
beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat oder
verkehrsgerecht am Fahrbahnrand oder an anderer Stelle abgestellt worden ist.
Das Ausfahren wird nicht schon dadurch beendet, dass das ausfahrende Fahrzeug etwa zwei
bis drei Minuten in der Position gestanden hat, in der sich die Kollision ereignet hat.
Tenor
1. Es wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass der Senat nach
Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine
Aussicht auf Erfolg hat.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu binnen drei Wochen .
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass
die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder
nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den zutreffenden Gründen der
angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet
werden.
Insofern wird auf Folgendes hingewiesen:
1. Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht von einem Anscheinsbeweis gegen den
Kläger wegen Verstoßes gegen Pflichten auch § 10 StVO ausgegangen.
a) Der Beweis des ersten Anscheins spricht für ein Verschulden des
Verkehrsteilnehmers, wenn dieser einen Verkehrsunfall bei der Ausfahrt aus einem
Grundstück verursacht. Denn er hat sich nach § 10 StVO dabei so zu verhalten, dass
eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Damit legt das Gesetz
demjenigen, der aus einem Grundstück ausfährt, die Verantwortung für die
Gefahrlosigkeit seines Verhaltens im Wesentlichen allein auf, so dass der Anschein
gegen ihn spricht, wenn es bei diesem Fahrmanöver zu einer Kollision mit einem
Verkehrsteilnehmer des fließenden Verkehrs kommt (vgl. OLG Köln, VM 2006, 18 Nr. 19).
Der Vorgang des Ausfahrens aus einem Grundstück in eine öffentliche Straße ist erst
dann beendet, wenn sich das Fahrzeug endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet
hat oder verkehrsgerecht am Fahrbahnrand oder an anderer Stelle abgestellt worden ist
(OLG Köln, a.a.O.; OLG Düsseldorf, VRS 60, 420). Der Vorgang des Ausfahrens wird auch
nicht dadurch beendet, dass das ausfahrende Fahrzeug ca. zwei bis drei Minuten in
seiner Position gestanden habe, in der sich die Kollision ereignet hat.
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat sich die Kollision hier beim Ausfahren ereignet
mit der Folge, dass der Anscheinsbeweis gegen den Kläger spricht.
Ein solches Ausfahrmanöver ergibt sich aus den Darlegungen des Klägers selbst. Nach
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Ein solches Ausfahrmanöver ergibt sich aus den Darlegungen des Klägers selbst. Nach
seiner Schilderung wollte er mit dem Fahrzeug das Grundstück verlassen und ist
jedenfalls auf die Fahrbahn bis in den Bereich der „Parkreihe“ gefahren. Er hat bei seiner
persönlichen Anhörung Fotos vorgelegt mit der Erklärung, es handele sich um die
Stellung seines Fahrzeuges nach der Kollision. Seine als Zeugin vernommene
Lebensgefährtin T. W. hat dies ausdrücklich bestätigt.
Danach hat der Kläger in der Absicht, aus dem Grundstück aus- und auf die Fahrbahn
einzufahren, jedenfalls den Bordstein überfahren und ist auf die Fahrbahn bis in den
Bereich dort parkender Fahrzeuge gefahren (im umgekehrten Rechtsstreit vor dem AG
Mitte – 114 C 3532/04 – hat der Kläger diese Position „Frontbereich auf der Fahrbahn“
ausdrücklich eingeräumt). Dies ist ein Ausfahrmanöver i. S. d. § 10 StVO mit der Folge
des entsprechenden Anscheinsbeweises. Dass der Kläger dann auf der Fahrbahn
möglicherweise angehalten hat und ausgestiegen ist, ändert daran nichts; im Gegenteil
könnte man es für erschwerend halten, wenn ein Kraftfahrer während eines
Fahrmanövers, das besondere Vorsicht erfordert, anhält und aussteigt. An der
Einstufung als „Ausfahren“ ändert es nichts, dass sich auf der Fahrbahn am Rand
parkende Fahrzeuge befanden - dadurch verlängert sich der Bereich der
Grundstücksausfahrt im Rechtssinne nicht etwa bis in die Fahrbahn hinein.
Es hat sich auch die typische Gefahr verwirklicht, auf die sich § 10 StVO bezieht – es ist
zu einer Kollision mit einem Fahrzeug auf der Fahrbahn gekommen, in die der Kläger
hineingefahren ist.
Entsprechend haben die Polizisten vor Ort den Kläger als Beschuldigten angesehen, und
gegen ihn ist zunächst ein Bußgeldbescheid ergangen; das AG Tiergarten hat die Sache
nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.
2. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die Darlegungen des Klägers zu einer überhöhten
Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges für die Annahme einer Mithaftung oder das
Einholen eines Unfallrekonstruktionsgutachtens als nicht ausreichend angesehen (UA S.
6). Die Frage, wie das Beklagtenfahrzeug gefahren ist, kann im Rahmen der
Haftungsverteilung nur Bedeutung gewinnen, wenn sich der Fahrer durch eine überhöhte
Geschwindigkeit außer Stand gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren (st. Rspr., vgl.
nur Senat, NZV 2003, 376 = KGR 2003, 20 = VM 2003, Nr. 28). Dafür fehlen hier jeder
Vortrag und Anhaltspunkt, wobei den Kläger insoweit die Darlegungs- und Beweislast
trifft; zu S. 5 der Berufungsbegründung sei noch angemerkt, dass der Anhalteweg aus
30 km/h bei Notbremsung auf feucht/nasser Straße (so polizeiliche Unfallaufnahme)
zwischen 13,3 und 14,6 m beträgt (vgl. Anhaltewegtabelle bei Kuckuk/Werny,
Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl., XIX 2.).
Im Übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung
des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.
Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken.
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