Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017
KG Berlin: unterbringung, faires verfahren, toilette, beendigung, menschenwürde, rechtswidrigkeit, begriff, bekanntgabe, leiter, strafgefangener
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Gericht:
KG Berlin 2.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2/5 Ws 325/05 Vollz
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 18 StVollzG, § 112 Abs 1
StVollzG, § 113 Abs 3 StVollzG, §
115 Abs 3 StVollzG, § 121 Abs 5
StVollzG
Strafvollzug: Fristbeginn mit Beendigung der beanstandeten
Vollzugslage; Rügen der Unterbringungssituation
Leitsatz
Hat sich der Gefangene während des Vollzugs mündlich oder schriftlich gegen die konkrete
Unterbringungssituation gewandt, so beginnt die nach §§ 112 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 3
StVollzG zu berechnende Frist erst mit der Beendigung der beanstandeten Vollzugslage.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Moabit gegen den Beschluß
des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 6. Mai 2005 wird verworfen.
Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Gefangenen in
diesem Rechtszug entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Der Antragsteller verbüßte vom 27. September 2000 bis zum 1. April 2004 eine
Gesamtfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Moabit. Ende des Jahres 2002
zeichnete es sich ab, daß er aus in seiner Person liegenden Gründen nicht im
Wohngruppenvollzug bleiben konnte. Zu der erforderlichen Verlegung äußerte er den
Wunsch, nicht allein, sondern zusammen mit einem Mitgefangenen untergebracht zu
werden, wobei ihm die Zuweisung einer der dafür vorgesehenen und ausreichend
eingerichteten sogenannten Begegnungshafträume vor Augen stand. Auch die
Vollzugsbehörde erkannte die Notwendigkeit einer gemeinsamen Unterbringung.
Nachdem ein zu der Persönlichkeit des Antragstellers passender Gefangener gefunden
war, wurde die Haft in dem von diesem bislang als Einzelhaftraum genutzten Raum H
419 der Justizvollzugsanstalt Moabit vollzogen. Er wies eine Grundfläche von etwa 8 qm
auf; die Toilette war baulich nicht abgetrennt. Für die Zeiträume vom 21. Januar bis zum
15. März 2003 und vom 31. März bis zum 10. Juli 2003 (dazwischen war er kurzfristig
vorübergehend anderweitig untergebracht) hat der Gefangene beantragt festzustellen,
daß die Unterbringung in diesem Haftraum zusammen mit einem Mitgefangenen
rechtswidrig gewesen sei.
Mit dem angefochtenen Beschluß vom 6. Mai 2005 hat die Strafvollstreckungskammer
des Landgerichts Berlin dem Antrag des Gefangenen stattgegeben. Er sei als
Fortsetzungsfeststellungsantrag zulässig (§ 115 Abs. 3 StVollzG). Der Gefangene habe
zu Recht geltend gemacht, menschenrechtswidrig untergebracht gewesen zu sein. Die
Kammer sei „davon ausgegangen“, daß der Antragsteller trotz seines Wunsches,
gemeinsam untergebracht zu werden, der konkreten Haftsituation nicht zugestimmt
habe. Er habe seit seiner Aufnahme in der streitgegenständlichen Gemeinschaftszelle
mehrfach mündlich seine Verlegung entweder zurück in die Wohngemeinschaft oder in
einen nach Größe und Bauart als Begegnungszelle angemessen ausgestatteten
Haftraum verlangt. Dieses Begehren sei von den Stationsbeamten zunächst immer
wieder abgelehnt worden und erst am 10. Juli 2003 erfolgreich gewesen. Die
Justizvollzugsanstalt berufe sich zu Unrecht auf die Zustimmung des Gefangenen zur
gemeinsamen Unterbringung und darauf, daß in der Zentrale kein schriftlicher
Widerspruch vorliege. Der Gefangene habe der konkreten Art und Weise der
gemeinsamen Unterbringung in diesem Haftraum zu keinem Zeitpunkt zugestimmt und
dies wiederholt zum Ausdruck gebracht.
Mit seiner Rechtsbeschwerde beantragt der Leiter der Justizvollzugsanstalt Moabit,
diesen Beschluß aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer
zurückzuverweisen. Das Rechtsmittel sei zur Sicherung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung zulässig, weil der 4. Strafsenat des Kammergerichts mit Beschluß vom
25. Mai 2005 – 4 VAs 16/05 – den Antrag eines Untersuchungsgefangenen auf
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25. Mai 2005 – 4 VAs 16/05 – den Antrag eines Untersuchungsgefangenen auf
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Unterbringung verworfen habe, weil dieser sich –
wie (nach Ansicht des Beschwerdeführers) der hiesige Antragsteller – mit der
gemeinsamen Unterbringung einverstanden erklärt habe.
Mit der Verfahrensrüge beanstandet er, die Kammer habe den Sachverhalt nicht
ausreichend aufgeklärt. Gegen das substantiierte Vorbringen der Anstalt, es liege kein
schriftlicher Antrag vor, sei sie „davon ausgegangen“, daß die gemeinschaftliche
Unterbringung gegen den Willen des Antragstellers erfolgt sei. Sie hätte sich durch die
Beiziehung des Verwaltungsvorgangs und der Personalakte von der Richtigkeit der
Darstellung der Anstalt überzeugen müssen. Mit dieser Zustimmung verzichte der
Gefangene „wirksam – da willentlich auf sein durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung
mit § 119 Abs. 1 Satz 1 StPO garantiertes Recht auf Einzelunterbringung“.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
1. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Moabit durfte die Rechtsbeschwerde einlegen und
begründen. Dazu ist nicht nur die Senatsverwaltung für Justiz als die zuständige
Aufsichtsbehörde (§ 111 Abs. 2 StVollzG) berechtigt, sondern auch der Anstaltsleiter,
wenn er im ersten Rechtszug Beteiligter des gerichtlichen Verfahrens gewesen und
durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist (vgl. Thür. OLG Jena NStZ 1999, 448
bei Matzke; OLG Karlsruhe ZfStrVO 1993, 120; Senat NStZ-RR 2005, 281; NStZ 1985,
356 bei Franke; NStZ 1983, 576 mit abl. Anm. Kerner/Streng NStZ 1984, 95; Beschluß
vom 30. September 2005 – 5 Ws 362/05 Vollz -; Arloth/Lückemann, StVollzG Rdn. 3;
Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., Rdn. 3, 4; Schuler in Schwind/Böhm, StVollzG 4.
Aufl., Rdn. 5 – jew. zu § 111, jew. mit weit. Nachw.; Müller-Dietz, Jura 1981, 121 f.).
2. Das Rechtsmittel scheitert auch nicht an den Voraussetzungen des § 116 Abs. 1
StVollzG. Zwar gebieten die Beschlüsse des 4. Strafsenats des Kammergerichts vom 24.
Mai 2006 – 4 VAs 78/05 -; 25. Mai 2005 – 4 VAs 16/05 – und 21. Mai 2003 – 4 VAs 17/03
– nicht die Zulassung zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Denn jene
Entscheidungen ergingen im Verfahren nach § 23 EGGVG, Untersuchungsgefangene
betreffend. Zudem lagen die zu beurteilenden Sachverhalte anders als im Streitfall. In
allen drei Verfahren hatte sich nach den Feststellungen des – im Verfahren nach § 23
EGGVG für die Tatsachenermittlung selbst zuständigen - Senats der Gefangene während
der von ihm nunmehr beanstandeten Unterbringung in keiner Weise beschwerdeführend
und um Abhilfe bittend an Bedienstete der Vollzugsbehörde gewandt. Ebenso lag es in
dem der Entscheidung des OLG Zweibrücken vom 8. September 2004 – 1 Ws 276/04
(Vollz) - zugrundeliegenden Fall eines Strafgefangenen, der ein auf die rechtmäßige
Gestaltung der Haft gerichtetes Alternativangebot der Anstalt ausdrücklich abgelehnt
und es vorgezogen hatte, in dem für eine Doppelbelegung unzureichenden Haftraum zu
verbleiben. Der Beschluß des Kammergerichts vom 25. Mai 2005 – 4 VAs 16/05 -
befaßte sich ferner mit der Geltendmachung eines angeblichen
Schadensersatzanspruchs des früheren Untersuchungsgefangenen, der sich geweigert
hatte, seinen im Verfahren nach § 23 EGGVG unzulässig auf eine Geldleistung
gerichteten Antrag umzustellen. Im Beschluß vom 21. Mai 2003 – 4 VAs 17/03 -
schließlich ist festgestellt, daß es der Gefangene selbst war, der auf die Hinzuverlegung
eines anderen Gefangenen in dem von ihm bislang bewohnten Haftraum angetragen
hatte.
Die Rechtsbeschwerde ist aber zur Fortbildung des Rechts zulässig. Es ist obergerichtlich
nicht in ausreichendem Maße geklärt, unter welchen sachlichen und zeitlichen
Voraussetzungen der Gefangene im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gegen
eine von ihm während ihres Vollzuges als beanstandete, inzwischen beendete
Unterbringung vorgehen kann, namentlich von welchem Zeitpunkt ab die Frist (§§ 112
Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 3 StVollzG) zur Stellung des Antrags auf gerichtliche
Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG) zu laufen beginnt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Der Senat hat von Amts wegen zu überprüfen, ob der Antrag auf gerichtliche
Entscheidung zulässig war (vgl. OLG Celle NStZ 1989, 295; OLG Stuttgart NStZ 1986,
480; Kamann/Volckart in AK-StVollzG 5. Aufl., § 116 Rdn. 4). Denn dies stellt eine
Verfahrensvoraussetzung dar. Fehlte sie, wäre auf die zulässige Rechtsbeschwerde der
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Verfahrensvoraussetzung dar. Fehlte sie, wäre auf die zulässige Rechtsbeschwerde der
Vollzugsbehörde die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Antrag des
Gefangenen ohne weiteres als unzulässig zurückzuweisen (vgl. OLG Stuttgart aaO). Im
Streitfall kommt es allein darauf an, ob der Antrag rechtzeitig gestellt war.
a) Als allgemeiner Feststellungsantrag wäre das Begehren des Gefangenen nicht
zulässig gewesen. Im Hinblick auf die in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte
Rechtsschutzgarantie ist zwar anerkannt, daß ein derartiger Antrag zur Füllung
eventueller Rechtsschutzlücken zulässig sein muß, obwohl das Strafvollzugsgesetz diese
Antragsart nicht regelt (vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2004, 29 = ZfStrVO 2004,
106; NJW 2003, 2843, 2844 jew. mit weit. Nachw.). Ganz überwiegend, so auch vom
beschließenden Senat, wird aber angenommen, daß ein solcher Antrag neben einer
Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage subsidiär ist (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO;
Senat, Beschluß vom 28. Juli 2006 – 5 Ws 426/06 Vollz -; Kamann/Volckart § 109 StVollzG
Rdn. 32; a.A: OLG Karlsruhe ZfStrVO 2005, 299). Bei der Unterbringung in einem für die
konkrete Vollzugssituation unangemessenen Haftraum handelt es sich um eine den
Gefangenen belastende Maßnahme, gegen die er sich mit einer Anfechtungsklage
wehren kann. Lehnt die Vollzugsbehörde sein Begehren auf Verlegung ab, so kann er
dem mit einem Verpflichtungsantrag begegnen (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO).
Im Streitfall hat sich der Gefangene – den rechtsfehlerfrei getroffenen (vgl. unten 2.)
Feststellungen des Landgerichts zufolge – mehrfach gegen den ihm zugewiesenen
Haftraum ausgesprochen und seine Verlegung in einen Begegnungshaftraum verlangt.
Demnach liegt ein Fortsetzungsfeststellungsantrag vor, der gemäß § 115 Abs. 3
StVollzG statthaft und auch dann zulässig ist, wenn sich die im Wege des Anfechtungs-
oder Verpflichtungsantrags zu behandelnde Maßnahme bereits vor Antragstellung
erledigt hatte (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO und NJW 2003, 2843, 2844 mit weit.
Nachw.). Immer wird indes verlangt, daß die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung auf Anfechtung einer Maßnahme oder
Verpflichtung der Vollzugsbehörde zu einem bestimmten Verhalten gegeben sind (vgl.
OLG Frankfurt am Main aaO; Calliess/Müller-Dietz, § 115 StVollzG Rdn. 14;
Kamann/Volckart aaO). Im Streitfall ist von Bedeutung, ob der Gefangene ihn
fristgerecht gestellt hat. Das ist der Fall.
b) Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG muß der Antrag auf gerichtliche Entscheidung
binnen zwei Wochen nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme
oder ihrer Ablehnung gestellt werden. Die Zuweisung eines Haftraums geschieht in der
Regel – so auch hier – mündlich, so daß diese Frist mangels schriftlicher Bekanntgabe
nicht zu laufen beginnt.
aa) Gleichwohl kann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht unbegrenzt
angebracht werden. Für die Geltendmachung eines Anspruchs auf die Vornahme einer
Maßnahme der Vollzugsbehörde ordnet § 113 Abs. 3 StVollzG ausdrücklich eine
Jahresfrist an. Da die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen nicht unbegrenzt in der Schwebe
bleiben darf, wird diese Vorschrift entsprechend auch auf Anfechtungsbegehren
angewendet (vgl. BVerfG NStZ-RR 2004, 59 = ZfStrVO 2003, 375; OLG Frankfurt am
Main NStZ-RR 2004, 29, 30; OLG Nürnberg, Beschluß vom 2. Juni 1986 – Ws 297/86;
Kamann/Volckart, § 112 StVollzG Rdn. 3; Calliess/Müller-Dietz, § 112 StVollzG Rdn. 1;
Arloth/Lückemann, § 112 Rdn. 2; ebenso für Verfahren nach § 23 EGGVG unter dem
Gesichtspunkt der Verwirkung: BVerfGE 32, 305, 309; OLG Karlsruhe ZfStrVO 2005, 314;
ThürOLG Jena ZfStrVO 2003, 306, 308).
Der Beginn der Jahresfrist wird in der Rechtsprechung für den
Fortsetzungsfeststellungsantrag nach einem Anfechtungsbegehren überwiegend auf den
Tag der Zuweisung des Haftraums gelegt, weil dies der Zeitpunkt sei, von dem an der
Gefangene in zumutbarer Weise von der Rechtslage hätte Kenntnis nehmen können (vgl.
OLG Karlsruhe ZfStrVO 2005, 314, 315; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2004, 29, 30;
Thür OLG Jena ZfStrVO 2003, 306, 308). Das Bundesverfassungsgericht hat indes –
allerdings anläßlich der Verwerfung eines nach vier Jahren (!) gestellten Antrages - auf
die Beendigung der beanstandeten Unterbringung abgestellt (vgl. BVerfG ZfStrVO 2003,
375 = NStZ-RR 2004, 59).
bb) Im vorliegenden Fall beginnt die Frist erst mit der Verlegung des Gefangenen am 10.
Juli 2003, so daß sein Antrag vom 23. Juni 2004 rechtzeitig gestellt ist. Hat die
Vollzugsbehörde nämlich während oder nach Ablauf der Jahresfrist einen Antrag des
Gefangenen auf Aufhebung der konkreten Unterbringung – schriftlich oder mündlich –
abgelehnt, so stellt sich ihre Handlungsweise als der Erlaß eines (auf ein
Verpflichtungsbegehren folgenden) Zweitbescheids dar, so daß dieser wieder erneut
angefochten werden kann (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO; LG Regensburg NStZ 1992,
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angefochten werden kann (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO; LG Regensburg NStZ 1992,
560).
Der Strafvollstreckungskammer ist es allerdings aufgrund der insoweit zeitlich unklaren
Angaben des Antragstellers nicht gelungen zu ermitteln, wann zum letzten Male ein
Stationsbeamter der JVA Moabit das mündlich an ihn herangetragene Ansinnen des
Antragstellers, ihn in einen zur Unterbringung von zwei Gefangenen geeigneten
Begegnungshaftraum zu verlegen, abgelehnt hat. Dieser Mangel kann sich aber nicht zu
Lasten des Gefangenen auswirken. Bei der Auslegung und Anwendung von
Verfahrensvorschriften ist dem verfassungsrechtlich verankerten (Art. 2 Abs. 1 in Verb.
mit Art. 20 Abs. 3 GG) Fairneßgebot (vgl. allgemein dazu Jarass in Jarass/Pieroth, GG 7.
Aufl., Art. 20 Rdn. 94 mit weit. Nachw. insbesondere zur Rspr. des BVerfG) verstärkt
Rechnung zu tragen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren schließt die Verpflichtung der
Gerichte ein, das Verfahrensrecht so anzuwenden, daß die eigentlichen materiellen
Rechtsfragen entschieden werden und ihnen nicht durch übertriebene Anforderungen an
das formelle Recht ausgewichen wird (vgl. BVerfG NJW 2005, 814; Senat NStZ-RR 2005,
356).
cc) Der Gefangene hat die bedrückende Überbelegung der Anstalten des geschlossenen
Vollzugs in Berlin und an anderen Orten der Bundesrepublik Deutschland (vgl. OLG Celle
NStZ-RR 2003, 316; Kretschmer NStZ 2005, 251) nicht zu vertreten. Wenn er seine
durch die beengende Unterbringung ohne baulich abgetrennte Toilette gekennzeichnete
mißliche Lage nicht sogleich nach der Verlegung oder der ersten mündlichen Ablehnung
durch einen Vollzugsbeamten zu einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nutzt, kann
ihm daraus kein Vorwurf erwachsen. Die Gefangenen werden durch die Regelung, daß
auch ihr Hausgeld für die Verfahrenskosten haftet (§ 121 Abs. 5 StVollzG) zu einem
sparsamen, verantwortungsvollen Umgang mit dem Institut des Antrags auf gerichtliche
Entscheidung angehalten. Aus der Sicht des Antragstellers war die Rechtslage nicht so
klar, daß er sich ohne nennenswertes Risiko an das Landgericht wenden konnte, wie es
das OLG Frankfurt am Main unter Berufung auf seinen Beschluß vom 15. August 1985
(StV 1986, 27) und denjenigen des OLG Hamm (NJW 1967, 2024) meint. Abgesehen
davon, daß die Entscheidung des OLG Hamm vor Inkrafttreten des StVollzG ergangen
ist, war die Rechtslage zum maßgeblichen Zeitpunkt zwar der Vollzugsbehörde, nicht
aber den Gefangenen allgemein bekannt. Daß den Gefangenen anläßlich der regelmäßig
gemäß § 5 Abs. 2 StVollzG gegebenen Belehrung über ihre Rechte mitgeteilt wurde,
unter welchen Umständen eine Doppelbelegung rechtswidrig ist, liegt fern. Die der
Vollzugsbehörde bekannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 27.
Fe-bruar und 13. März 2002 (NJW 2002, 2699 und 2002, 2700) und des OLG Dresden
vom 25. Januar 2000 – 2 Ws 565/99 – waren unter den Gefangenen nicht allgemein
verbreitet, das Dresdener Judikat gar nicht und die Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts zunächst nur wenigen. In den Berliner Vollzugsanstalten
erfuhren die Gefangenen von der maßgeblichen Rechtslage zur Doppelbelegung in
Hafträumen mit baulich nicht abgetrennter Toilette erst, als auch der Senat sie in
seinem Beschluß vom 16. Juni 2004 – 5 Ws 212/04 Vollz – (zwangsläufig) erstmals in
einem eine Berliner Vollzugsanstalt betreffende Anstalt aussprach – dann allerdings
äußerst rasch –.
Hat sich der Gefangene während des Vollzugs mündlich oder
schriftlich gegen die konkrete Unterbringungssituation gewandt, so beginnt
die nach §§ 112 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 3 StVollzG zu berechnende Frist
erst mit der Beendigung der beanstandeten Vollzugslage.
2. Die Verfahrensrüge, die Strafvollstreckungskammer habe den Sachverhalt nicht
ausreichend aufgeklärt, greift nicht durch.
Zutreffend ist der Ausgangspunkt der Überlegungen der Vollzugsbehörde: Die
Strafvollstreckungskammer darf weder das tatsächliche Vorbringen des Gefangenen
noch dasjenige der Anstaltsmitarbeiter ungeprüft ihrer Entscheidung zugrundelegen.
Vielmehr muß das Gericht alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen
aufklären und alle dazu dienlichen Beweismittel heranziehen und auswerten (vgl. Senat,
Beschluß vom 29. April 2002 – 5 Ws 216/02 Vollz – mit weit. Nachw.). Dabei bemißt sich
der erforderliche Umfang der Aufklärung an dem Vorbringen der streitenden Parteien. Je
eingehender, plausibler und anhand der Umstände nachvollziehbarer eine der Parteien
einen Sachverhalt darstellt, die andere ihm aber nur pauschal oder neben der Sache
liegend entgegentritt, desto eher darf sich der Tatrichter mit dem Vorbringen der
erstgenannten Partei zufriedengeben (vgl. Senat, Beschlüsse vom 9. Februar 2007 - 2/5
Ws 671/06 Vollz – zugunsten der JVA Moabit - und vom 1. Oktober 2002 – 5 Ws 531/02
Vollz – zugunsten eines Gefangenen). Diesen Maßstäben zufolge hat das Landgericht
den Sachverhalt ausreichend aufgeklärt.
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Der Gefangene hatte – zwar in den zeitlichen Abläufen unklar, aber inhaltlich verständlich
und sehr gut nachvollziehbar seine Überraschung dargestellt, - entgegen seiner
Vorstellung, er und der für ihn gesuchte Partner würden einem Begegnungshaftraum
zugewiesen - zu zweit in dessen Einzelhaftraum verlegt zu werden. Seiner Behauptung,
er habe danach immer wieder mündlich bei den Stationsbeamten nachgefragt und
begehrt, in einen für zwei Gefangene geeigneten Raum verlegt zu werden, er habe aber
nur Ablehnung erfahren, so daß er sogar eine psychosomatische Hautkrankheit
entwickelt habe (insoweit hat er einen Vormelder vorgelegt), ist die Vollzugsbehörde nur
damit entgegengetreten, es gebe nichts Schriftliches, und der Gefangene hätte jederzeit
eine Einzelunterbringung beantragen können. Beides wird dem konkreten Vorbringen
des Antragstellers nicht gerecht. Denn daß es etwas Schriftliches gebe, hatte er selbst
nicht behauptet, und um die Einzelunterbringung ging es in diesem Fall überhaupt nicht;
der Gefangene war aus in seiner Person liegenden Gründen im Sinne des § 18 Abs. 1
Satz 2 StVollzG auf eine Unterbringung zu zweit angewiesen. Auch in der Begründung
der Rechtsbeschwerde stellt die Anstalt wiederum mehrfach (am 19. August 2005 sogar
unter Berufung auf den nur für Untersuchungsgefangene geltenden § 119 StPO) darauf
ab, der Wunsch nach Einzelunterbringung sei ausgeblieben. Darum geht es im Streitfall
nicht. Da der Antragsteller Strafgefangener in einem Altbau war, hätte er sich gegen die
Unterbringung in einer gegen seinen Willen angeordneten Doppelbelegung als solcher
nicht mit Erfolg wehren können (§ 18 Abs. 1 Satz 1, 201 Nr. 3 StVollzG). Den
Streitgegenstand bildet vielmehr die mit einem Verstoß gegen die Menschenwürde
verbundene Ungeeignetheit des Haftraums für eine Doppelbelegung.
Schließlich geht auch die Beanstandung fehl, die Strafvollstreckungskammer habe zu
der Frage, ob der Gefangene auf die Änderung seine Unterbringung hingewirkt habe,
keine Feststellungen getroffen, sondern sie sei davon nur „ausgegangen“. Dieser Begriff
kann einerseits bedeuten, daß der Sprechende „annimmt“ oder „vermutet“,
andererseits aber auch „feststellt“ oder „als gesicherte Grundlage betrachtet“. Im
politischen Sprachgebrauch, dem er entstammt, ist diese sprachliche Unklarheit gewollt.
In einer gerichtlichen Entscheidung ist sie unangebracht, stellt aber einen – leider häufig
anzutreffenden - sprachlichen Fehlgriff dar, der die Aufhebung nicht veranlaßt. Denn daß
die Strafvollstreckungskammer den Begriff in der Bedeutung des Feststellens verwendet
hat, ist angesichts des Sinnzusammenhangs offensichtlich.
3. In der Sache ist die Rechtslage seit geraumer Zeit geklärt.
Berührt das Begehren des Gefangenen, nachträglich festgestellt zu wissen, er sei in
einem ungeeigneten Haftraum untergebracht worden, die Menschenwürde, so hat er ein
rechtlich geschütztes Feststellungsinteresse (vgl. BVerfG NJW 2002, 2699; NJW 2002,
2700; BVerfGK 6, 344; OLG Karlsruhe StV 2006, 706; ZfStrVO 2005, 299; OLG Hamm
StV 2006, 152 = ZfStrVO 2005, 301; OLG Frankfurt am Main NJW 2003, 2843; NStZ-RR
2004, 29).
Die Unterbringung zweier Gefangener in einem Haftraum von etwa 8 qm Grundfläche
ohne baulich abgetrennte Toilette verstößt gegen die Menschenwürde. Diese Beurteilung
haben sowohl der Senat als auch die im vorherigen Absatz bezeichneten Gerichte
ausführlich begründet; einer Wiederholung der Argumente bedarf es nicht (vgl.
ergänzend: OLGR Hamburg 2005, 306; OLGR Naumburg 2006, 973 -LS; OLG Naumburg
NJW 2005, 514, 515; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2005, 1267-1269 < Untersuchungshaft
betreffend und von der Vollzugsbehörde als Urteilsabdruck vom 30. Juni 2005 – 12 U
300/04 – eingereicht, dort S. 6, 8, 13 >).
Da der sich der Gefangene ausweislich der Feststellungen der angefochtenen
Entscheidung mit der konkreten Haftsituation nicht zufriedengegeben hatte, kommt es
auf die vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage nicht mehr an, ob der Bürger auf die
Wahrung seiner Menschenwürde verzichten kann. Der Senat weist indes darauf hin, daß
dies nach der Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des
Bundesverwaltungsgerichts nicht der Fall ist (vgl. BVerfGE 45, 187, 229 = NJW 1977,
1525; BVerwG NJW 1982, 664, 665 – Peep Show – mit weit. Nachw.). Folgt man dieser
Ansicht, wofür angesichts der in der von äußerem Zwang gekennzeichneten Lage eines
Strafhäftlings einiges spricht - hätte der Antragsteller von Anfang an auch dann nicht in
dem Haftraum H 419 gemeinsam mit einem Mitgefangenen untergebracht werden
dürfen, wenn er sich nicht nur – wie hier - mit der der Doppelbelegung an sich, sondern
auch mit deren konkreten Umständen einverstanden erklärt hätte. Die Zustimmung
bzw. das Unterbleiben jedweden Protests führt auf keinen Fall zur Rechtmäßigkeit der
Unterbringung. Ein Gefangener begibt sich durch die schweigende Hinnahme der
Unterbringung nur des Rechts, deren Rechtswidrigkeit nachträglich prozessual geltend
machen zu dürfen.
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Durch diese Entscheidung steht für den bürgerlich-rechtlichen Folgerechtsstreit bindend
die Rechtswidrigkeit der Unterbringung für den beantragten Zeitraum fest, jedoch nicht,
ob eine Geldentschädigung zuerkannt werden muß (vgl. BVerfG NJW 2006, 1580 =
ZfStrVo 2006, 183 = StV 2006, 708; BGHZ 161, 33, 34 = NJW 2005, 58; OLG München
NStZ-RR 2007, 64; OLGR Naumburg 2006, 973; OLG Naumburg NJW 2005, 514).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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