Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017

KG Berlin: verjährung, verwirkung, erlassvertrag, willenserklärung, versäumnis, verzicht, einziehung, abgabe, eng, unterlassen

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 123/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 133 BGB, § 157 BGB, § 397
BGB, § 286 ZPO
Erlass: Auslegung einer Vereinbarung betreffend eines Verzichts
auf eine für eine Vertragspartei günstige
Finanzierungsvereinbarung; Verteilung der Darlegungslast
Leitsatz
An die Feststellung des Verzichtswillens einer Vertragspartei sind strenge Anforderungen zu
stellen; es ist ein Erfahrungssatz, dass ein Erlass (§ 397 BGB) nicht zu vermuten ist, so dass
im Zweifel die entsprechende Willenserklärung eng auszulegen ist.
Da ein jeder Vertrag die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen voraussetzt, ist zur
substantiierten Darlegung eines streitigen Vertragsschlusses zumindest erforderlich, dass
vorgetragen wird, welche Personen welche Willenserklärungen - ausdrücklich oder konkludent
-
abgegeben haben; wird dies dem Gericht nicht mitgeteilt, so fehlt dem Gericht die Grundlage
für die Prüfung der Frage, ob Tatsachen behauptet werden, die geeignet sind, einen Erlass-
oder Aufhebungsvertrag als abgeschlossen erscheinen zu lassen.
(Berufung zurückgewiesen durch Beschluss vom 28. 12. 2009)
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss
zurückzuweisen.
Gründe
I.
Die Klägerinnen klagen aus zur Einziehung überwiesenem Recht ihrer Streithelferin auf
Kostenerstattung gegen die Beklagte.
Die Streithelferin hatte 18 Verfahren vor dem Landgericht Berlin gegen die Klägerinnen
aus abgetretenem Recht von Stromkunden wegen vermeintlich überhöhter
Stromlieferentgelte geführt.
Zur Finanzierung dieser Prozesse hatte die Streithelferin am 30. 12. 2004 mit der
Beklagten einen “Vertrag über die Finanzierung von Kosten der Rechtsverfolgung gegen
Erfolgsbeteiligung (Finanzierungsvereinbarung)” geschlossen. In § 3 Nr. 2 des Vertrages
nebst Anlage zum Vertrag verpflichtete sich die Beklagte u.a. auch zur Übernahme der
dem Anspruchsgegner in den 18 Verfahren zu erstattenden Kosten und Auslagen.
Mit Urteil vom 12. 02. 2008 - 16 O 587/05 Kart - hat das Landgericht Berlin eine der
Klagen der Streithelferin gegen die Klägerinnen wegen Verwirkung des Klageanspruchs
rechtskräftig abgewiesen und der Streithelferin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt;
die übrigen 17 Klagen hat die Streithelferin in der mündlichen Verhandlung vom 12. 02.
2008 zurückgenommen mit der Folge, dass sie auch insoweit die Kosten der
Rechtsstreite zu tragen hat.
Die Klägerinnen ließen die Ansprüche der Streithelferin gegen die Beklagte auf
Kostenerstattung aus der Finanzierungsvereinbarung vom 30. 12. 2004 pfänden und
sich zur Einziehung überweisen.
Die Beklagte erkannte die Forderungen in Höhe von rund 65.000 EUR nicht als
begründet an und leistete keine Zahlungen.
Sie hat im ersten Rechtszug geltend gemacht, die Finanzierungsvereinbarung vom 30.
12. 2004 sei im Rahmen mehrerer Gespräche gegen Ende der 46. Kalenderwoche 2005
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12. 2004 sei im Rahmen mehrerer Gespräche gegen Ende der 46. Kalenderwoche 2005
zwischen ihrem damaligen Vorstand M H und dem Geschäftsführer der Streithelferin S K
dahin abgeändert worden, dass die vereinbarte Kostenerstattungspflicht der Beklagten
für den Fall ausgeschlossen sei, dass die finanzierten Prozesse aufgrund erhobener
Verjährungseinreden verloren gehen sollten. Diese Vereinbarung habe sie dann mit
Schreiben vom 22. 11. 2005 der Streithelferin schriftlich bestätigt.
Die Klägerinnen und ihre Streithelferin haben die mündliche Änderungsvereinbarung
sowie die Fertigung und Absendung des Schreibens vom 22. 11. 2005 bestritten und
insoweit eine Fälschung behauptet. Darüber hinaus sei eine mündliche
Änderungsvereinbarung mangels vereinbarter Schriftform und mangels
Alleinvertretungsbefugnis des M H im behaupteten Zeitpunkt unwirksam; auch lägen die
Voraussetzungen der behaupteten Vereinbarung nicht vor, da die Prozesse nicht infolge
Verjährung verloren gegangen seien.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Unabhängig von der Frage der Formwirksamkeit der behaupteten
Änderungsvereinbarung sowie der Vertretungsverhältnisse der Beklagten stehe die
behauptete Änderungsvereinbarung dem Klageanspruch nicht entgegen; denn die Klage
zu 16 O 587/05 Kart sei vom Landgericht wegen Verwirkung abgewiesen worden, wobei
die Frage der Verjährung ausdrücklich offen gelassen worden sei; die weiteren 17
Verfahren hätten durch Klagerücknahme geendet. Daher lägen die Voraussetzungen
des behaupteten Anspruchsausschlusses nicht vor; denn Verjährung und Verwirkung
seien zwei voneinander unabhängige Rechtsinstitute mit unterschiedlichen
Voraussetzungen.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie weiterhin die
Abweisung der Klage erstrebt.
Sie macht im Wesentlichen geltend: Das Landgericht habe nicht auf den Wortlaut der
Nachtragsvereinbarung abstellen dürfen sondern nach Sinn und Zweck fragen müssen;
sie - die Beklagte - habe keine Finanzierung von Prozessen übernehmen wollen, bei
denen das Verlustrisiko wegen eines Fehlverhaltens der Klägerseite besonders hoch sei.
Daher hätten mit der Nachtragsvereinbarung alle Einwendungen erfasst werden sollen,
denen ein sog. Zeitmoment immanent sei.
II.
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche
Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz
1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die
angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die
nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
Beides ist nicht der Fall.
1. Der Einwand der Beklagten, das Landgericht habe bei der vorzunehmenden
Auslegung nicht nur auf den konkreten Wortlaut der Nachtragsvereinbarung abstellen
dürfen, sondern hätte auch den erkennbar gewollten Sinn und Zweck der getroffenen
Regelung (Ausschluss aller Einwendungen, welchen ein sog. Zeitmoment immanent sei)
berücksichtigen müssen, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.
a) Nach der Behauptung der Beklagten in der Klageerwiderung vom 12. Januar 2009 und
nach dem Inhalt ihres angeblichen Schreibens vom 22. November 2005 sollte die
Kostenerstattungspflicht der Beklagten gegenüber der Streithelferin aus dem
Prozessfinanzierungsvertrag vom 30. Dezember 2004 nachträglich ausgeschlossen sein,
falls “die finanzierten Prozesse wegen des Einwands der Verjährung verloren” werden.
Zutreffend hat das Landgericht auf S. 5 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass
diese Voraussetzung für die streitgegenständlichen Klageverfahren nicht vorliegen.
Denn 17 Klageverfahren sind von der Streithelferin zurückgenommen worden, ohne dass
die Beklagte im Einzelnen dargelegt hat, dies sei wegen einer Verjährung der Ansprüche
geschehen und das Verfahren vor dem Landgericht Berlin - 16 O 587/05 Kart - ist nicht
wegen Verjährung, sondern wegen Verwirkung des Klageanspruchs abgewiesen worden
und die Einrede der Verjährung und der Einwand der Verwirkung sind zwei voneinander
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und die Einrede der Verjährung und der Einwand der Verwirkung sind zwei voneinander
unabhängige Rechtsinstitute; insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen auf Seite
5 des angefochtenen Urteils verwiesen werden.
Diese enge Auslegung ist auch deshalb zutreffend, weil die Beklagte keine Tatsachen
dafür vorgetragen hat, weshalb die Streithelferin auf eine ihr günstige Rechtsposition
hätte verzichten sollen.
Wenn die Beklagte - wie sie auf S. 2 der Berufungsbegründung geltend macht - “keine
Finanzierung von Prozessen übernehmen” wollte, “bei denen das Verlustrisiko wegen
eines Fehlverhaltens der Klägerseite besonders hoch war”, so hätte sie dies bereits im
ursprünglichen Prozessfinanzierungsvertrag vom 30. Dezember 2004 vereinbaren
können.
Weil dies nicht geschehen ist, stellt sich die behauptete Nachtragsvereinbarung als ein
angeblicher Verzicht der Streithelferin oder ein Erlassvertrag zu Gunsten der Beklagten
dar.
An die Feststellung des Verzichtswillens einer Vertragspartei sind strenge Anforderungen
zu stellen; es ist ein Erfahrungssatz, dass ein Erlass (§ 397 BGB) nicht zu vermuten ist,
so dass im Zweifel die entsprechende Willenserklärung eng auszulegen ist (BGH NJW
1996, 588; NJW 2006, 1511; NJW 2008, 2842; Senat, Beschluss vom 31. Januar 2008 - 12
U 171/07 - ).
Die Beklagte hat keinerlei Tatsachen mitgeteilt, die den Schluss auf einen Verzicht der
Streithelferin auf eine ihr günstigen Finanzierungsvereinbarung und auf einen Erlass zu
Gunsten der Beklagten erlauben.
b) Die auf S. 2 der Berufungsbegründung aufgestellte Behauptung, die
Nachtragsvereinbarung sei getroffen worden, um ein “Versäumnis” der Streithelferin zu
kompensieren (unterlassener Hinweis an die Beklagte bei Abschluss des
Finanzierungsvertrages vom 30. Dezember 2004 darauf, dass die Kläger der finanzierten
Prozesse verjährungshemmenden Maßnahmen unterlassen oder den Anspruchs über
einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht hätten) kann nach § 531 Abs. 2 Nr. 3
ZPO nicht zugelassen werden. Denn es sind keine Gründe dafür vorgetragen oder
erkennbar, weshalb dies nicht schon in erster Instanz hätte vorgetragen werden können.
Im übrigen ist auch nicht erkennbar, dass insoweit ein schuldhaftes “Versäumnis” der
Streithelferin vorliegt.
c) Aber auch unabhängig von § 531 Abs. 2 ZPO ist das Vorbringen der Beklagten
insgesamt nicht erfolgreich:
Denn der Inhalt der Klageerwiderung - auch in Verbindung mit dem Inhalt der
Berufungsbegründung - trägt die von der Beklagten behauptete Vereinbarung nicht.
So hat die Beklagte auch nicht ansatzweise Tatsachen mitgeteilt, die überhaupt den
rechtlichen Schluss auf die behauptete Nachtragsvereinbarung erlauben.
Da jeder Vertrag die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen voraussetzt, ist zur
substantiierten Darlegung eines bestrittenen Vertragsschlusses zumindest erforderlich,
dass vorgetragen wird, welche Person welche Willenserklärung - ausdrücklich oder
konkludent - abgegeben hat; wird dies dem Gericht nicht mitgeteilt, so fehlt dem Gericht
jede Grundlage für die Prüfung, ob behauptet werden, die geeignet sind, den
behaupteten Erlassvertrag als abgeschlossen erscheinen zu lassen (Senat, Urteil vom
18. Dezember 2003 - 12 U 54/02 - KGR 2005, 29 - Nichtzulassungsbeschwerde
zurückgewiesen durch Beschluss des BGH vom 19. Oktober 2004 - XI ZR 23/04 -).
Es kommt hinzu, dass schon das Landgericht Berlin in dem Parallelverfahren 31.O
230/08 auf S. 9 seines Urteils vom 15. Januar 2009 zutreffend darauf hingewiesen hat,
dass die Beklagte die angebliche Ergänzungsvereinbarung nicht hinreichend dargelegt
hat im Hinblick darauf, dass sie am 11. Mai 2007 und am 27. September 2007
gleichwohl drei Zahlungen in Höhe von über 112.000 EUR auf
Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Landgerichts Dortmund erbracht hat, obwohl die
Streithelferin diese Verfahren wegen Verjährung verloren hatte.
d) Im Übrigen kann Ende der 46. Kalenderwoche 2005 der behauptete Erlassvertrag
auch deshalb nicht rechtswirksam geschlossen worden sein, weil nach dem
unwidersprochenen Vorbringen der Klägerinnen der seinerzeit für die Beklagte angeblich
am Vertragsschluss beteiligte M H die Beklagte nicht allein vertreten konnte.
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III.
Es wird angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.
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