Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017

KG Berlin: fahrzeug, abbiegen, kollision, unfall, blaulicht, grundstück, geschwindigkeit, überholen, gegenverkehr, mithaftung

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 177/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 2 StVO, § 9 Abs 1 StVO,
§ 9 Abs 5 StVO, § 522 Abs 2
ZPO
Leitsatz
Kommt es zwischen einem Verkehrsteilnehmer, der nach links in ein Grundstück einbiegen
will, und einem überholenden Fahrzeug zu einem Unfall, spricht der Beweis des ersten
Anschein dafür, dass nach links in ein Grundstück abbiegende Verkehrsteilnehmer die ihm
nach § 9 Abs. 1, 5 StVO obliegenden gesteigerten Sorgfaltspflichten verletzt hat.
Eine unklare Verkehrslage, die nach § 5 Abs. 2 StVO das Überholen verbietet, liegt vor, wenn
nach allen Umständen mit einem ungefährdeten Überholen nicht gerechnet werden kann; sie
ist jedoch nicht bereits dann gegeben, wenn das vorausfahrende Fahrzeug , das sich bereits
etwas zur Straßenmitte hin eingeordnet hat, verlangsamt, ohne zuvor rechtzeitig die
Abbiegeabsicht durch Blinken angezeigt zu haben.
(Rücknahme der Berufung)
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO durch Beschluss
zurückzuweisen.
Gründe
I.
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfallereignis geltend.
Der Kläger befuhr am 19. August 2008 gegen 10:30 Uhr mit einem Kfz die Grünberger
Straße in Berlin in Richtung Warschauer Straße. Als er nach links abbog, um nach seiner
Behauptung in eine Hofeinfahrt links zu fahren, stieß er mit dem vom Beklagten zu 1)
geführten und von dem Beklagten zu 2) gehaltenen Fahrzeug der Berliner Feuerwehr
zusammen, als dieses versuchte das klägerische Fahrzeug von hinten zu überholen.
Der Kläger behauptet, er habe sich vor dem Abbiegen in der Fahrbahnmitte eingeordnet
und den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Das Feuerwehrfahrzeug habe sich mit
einer Geschwindigkeit von mindestens 80 km/h ohne Blaulicht und Martinshorn
angenähert und diese erst unmittelbar vor der Kollision eingeschaltet.
Die Beklagten behaupten, das Blaulicht sei ununterbrochen eingeschaltet gewesen. Der
Beklagte zu 1) habe im Hinblick auf die Fahrt in den Gegenverkehr das Martinshorn
eingeschaltet und sei auf die Gegenfahrbahn ausgeschert, um den Kläger zu überholen.
Als er fast neben dem Kläger gewesen sei, habe dieser plötzlich zu einem
Wendemanöver angesetzt. Den Blinker habe er erst augenblicklich vor dem Abbiegen
betätigt.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme zum Unfallhergang durch Einvernahme der
Zeugen G., J., S. und B. die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im
Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe selbst vorgetragen, dass er im Begriff gewesen sei, nach links in ein
Grundstück abzubiegen, als sich der Unfall ereignete. Bei diesem Fahrmanöver hätte er
die besonderen Sorgfaltspflichten gemäß § 9 Abs. 5 StVO beachten müssen. Komme es
zu einem Unfall mit einem überholenden Fahrzeug, spreche der Beweis des ersten
Anscheins dafür, dass der nach links abbiegende Kraftfahrzeugführer die ihm nach § 9
Abs. 1 und 5 StVO obliegenden, besonders gesteigerten Sorgfaltspflichten verletzt habe.
Diesen gegen den Kläger sprechenden Anscheinsbeweis habe der Kläger nicht zu
widerlegen vermocht. Spätestens bei der zweiten Rückschau hätte er das
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widerlegen vermocht. Spätestens bei der zweiten Rückschau hätte er das
Beklagtenfahrzeug wahrnehmen und auf die Einleitung des Abbiegevorgangs verzichten
müssen.
Dies gelte umso mehr, als nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung
des Gerichts bewiesen sei, dass sowohl Blaulicht als auch Martinshorn als Dauersignal
vor dem Unfall eingeschaltet gewesen seien. Dementsprechend hätten die anderen
Verkehrsteilnehmer das Gebot nach § 38 Abs. 1 S. 2 StVO, freie Bahn zu schaffen, sofort
befolgen müssen. Der Kläger sei auch für seine Behauptung, sich nach links eingeordnet
und nach links geblinkt zu haben, beweisfällig geblieben.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine
Klageanträge weiter verfolgt: Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus:
Das Landgericht habe übersehen, dass der Beklagte zu 1) unter Verstoß gegen § 5 Abs.
2 StVO die Fahrzeuge auf der rechten Fahrbahn links überholt habe und dass es sich bei
der Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers um eine solche gehandelt habe, die mit
einer Kollision mit einem Fahrzeug des Gegenverkehrs vergleichbar sei.
Die Feststellung des Landgerichts, es sei bewiesen, dass sowohl Blaulicht als auch
Martinshorn als Dauersignal eingeschaltet gewesen seien, entspreche nicht dem Inhalt
des Protokolls. Drei neutrale Zeugen hätten bestätigt, dass das Martinshorn erst
unmittelbar vor der Kollision eingeschaltet gewesen sei.
Das Landgericht habe sich auch nicht mit dem Beweisangebot des Klägers
auseinandergesetzt, ein Sachverständigengutachten zur Auswertung des
Fahrtenschreiberblattes einzuholen. Die Auslesung des Fahrtenschreibers werde
bestätigen, dass das Fahrzeug der Beklagten mindestens 50 m auf der Gegenfahrbahn
gefahren sei, ohne das Signalhorn einzuschalten und dass dieses erst im
Kollisionszeitpunkt eingeschaltet worden sei.
II.
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche
Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 S. 1
ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass
die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder
nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen. Beides ist hier indes nicht der Fall.
Das angefochtene Urteil ist richtig. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen,
weil dem Kläger der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zusteht. Der
Kläger hat nämlich für die Folgen des Unfalls allein einzustehen.
1. Zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats ist das
Landgericht davon ausgegangen, dass gegen den Kläger hier der Beweis des ersten
Anscheins spricht, den Unfall schuldhaft verursacht zu haben.
a) Denn unstreitig hat sich der Unfall im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit
dem Versuch des Klägers, nach links abzubiegen, ereignet. Der Kläger selbst trägt vor,
er habe in ein Grundstück abbiegen wollen. Daher hatte der Kläger nicht nur rechtzeitig
den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen (§ 9 Abs. 1 S. 1 StVO), sondern er musste
sich rechtzeitig möglichst weit nach links zur Straßenmitte einordnen (§ 9 Abs. 1 S. 2
StVO) und vor dem Einordnen einmal und vor dem Abbiegen noch einmal auf den
nachfolgenden Verkehr achten (§ 9 Abs. 1 S. 4 StVO). Darüber hinaus hatte er sich so zu
verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war (§ 9
Abs. 5 StVO). Im Rahmen des § 9 Abs. 1, 5 StVO spricht der Beweis des ersten
Anscheins gegen den nach links in ein Grundstück abbiegenden Kraftfahrer. Kommt es
zwischen ihm und einem überholenden Kfz zu einem Unfall, spricht der Beweis des
ersten Anscheins dafür, dass der nach links abbiegende Kraftfahrzeugführer die ihm
nach § 9 Abs. 1, 5 StVO obliegenden gesteigerten Sorgfaltspflichten verletzt hat (Senat,
NZV 2006, 309, 310; NZV 2005, 413; NZV 2003, 89; OLG Bremen, Beschluss vom 1.
September 2009 – 3 U 36/09, BeckRS 2009, 28874).
b) Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass der Kläger den gegen ihn
sprechenden Anscheinsbeweis nicht hat erschüttern können.
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Dabei kommt es noch nicht einmal darauf an, ob der Kläger nicht hat beweisen können,
nach links geblinkt und sich zur Fahrbahnmitte eingeordnet zu haben. Denn das
Landgericht geht zutreffend davon aus, dass der Kläger bei seiner zweiten Rückschau
das Beklagtenfahrzeug hätte wahrnehmen müssen. Damit steht der
Sorgfaltspflichtverstoß des Klägers fest.
Der Kläger selbst schildert die Kollision nämlich derart, dass es zu dem Anstoß
gekommen sei, „als sich das Beklagtenfahrzeug bereits neben dem Kläger befunden
habe“ (Schriftsatz vom 8. Juli 2009, Hervorhebung nur hier). Dies bestätigen auch die
Lichtbildaufnahmen von den Unfallfahrzeugen. Das klägerische Kfz ist an der linken
vorderen Ecke beschädigt (vgl. Lichtbilder Anlage K 1) und das Beklagtenfahrzeug an der
rechten Seite im vorderen Bereich (vgl. Lichtbilder Anlage B). Die Schadensbilder sind
dementsprechend auch in der polizeilichen Unfallaufnahme wiedergegeben (Anlage B 2).
Demnach ist der Kläger in das neben ihm befindliche Feuerwehrfahrzeug gefahren. Der
Kläger hätte aber vor dem Abbiegen sehen müssen, dass sich dieses neben ihm befand.
Ohne dass es darauf noch ankommt, gilt dies umso mehr, als nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme feststeht, dass das Feuerwehrfahrzeug das Blaulicht eingeschaltet
hatte, und zwar schon deutlich vor der Kollision. Das haben nämlich die Zeugen G. und
S. bestätigt. Kein Zeuge hat dem widersprochen. Der Kläger greift diese Feststellung des
Landgerichts auch nicht an, sondern wendet sich nur gegen die Feststellung, das
Feuerwehrfahrzeug sei auch mit dauerhaft eingeschaltetem Martinshorn gefahren.
Abgesehen davon, dass dies noch nicht einmal die Beklagten behauptet haben (vgl.
Klageerwiderung, S. 1), kommt es darauf nicht an. Denn das sich zumindest mit
Blaulicht annähernde Fahrzeug hätte der Kläger bei eine gewissenhaften Rückschau
erkennen müssen.
2. Das Landgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Kammergerichts
davon ausgegangen, dass der Kläger für den Unfallschaden allein haftet.
a) Wegen der besonderen Sorgfaltspflichten beim Abbiegen haftet nach der
Rechtsprechung beider Verkehrssenate des Kammergerichts derjenige, der
verkehrswidrig nach links abbiegt und dabei mit einem ihn ordnungsgemäß
überholenden Kraftfahrzeug zusammenstößt, für den entstandenen Schaden
grundsätzlich allein, ohne dass dem Überholenden die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs
angerechnet wird (Senat, NZV 2003, 89, 90; NJW-RR 1987, 1251, 1252; KG, Urteil vom
31. Oktober 1994 – 22 U 4618/93).
b) Ein die Mithaftung der Beklagten begründendes Mitverschulden kann nicht festgestellt
werden.
aa) Ein Verstoß gegen die Pflichten gemäß § 5 Abs. 2 StVO kommt schon tatbestandlich
nicht in Betracht.
Nach dieser Bestimmung darf nur überholen, wer übersehen kann, dass während des
ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist.
Überholen darf ferner nur, wer mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu
Überholende fährt.
Der Kläger war für den Beklagten zu 1) kein Gegenverkehr, sondern gleich gerichteter
Verkehr. Nach Behauptung des Klägers soll der Beklagte zu 1) zudem mindestens 80
km/h gefahren sei, mithin mit einer weit höheren Geschwindigkeit als der Kläger. Ein
Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StVO scheidet daher aus.
bb) Auch ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO, wonach das Überholen bei unklarer
Verkehrslage unzulässig ist, liegt schon nach dem Vorbringen des Klägers nicht vor.
Eine unklare Verkehrslage liegt dann vor, wenn nach allen Umständen mit
ungefährdetem Überholen nicht gerechnet werden darf. Sie ist nicht bereits dann
gegeben, wenn das vorausfahrende Fahrzeug verlangsamt. Selbst wenn sich das
vorausfahrende Fahrzeug bereits etwas zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet haben sollte,
ergibt sich hieraus bei der erforderlichen objektiven Betrachtung noch nicht der Schluss,
der Vorausfahrende werde alsbald ohne Rücksicht auf den nachfolgenden Verkehr nach
links abbiegen, ohne dies vorher ordnungsgemäß und rechtzeitig anzuzeigen (Senat,
NZV 2003, 89, 90; NJW-RR 1987, 1251, 1252).
Der Kläger hat hier schon nicht ausreichend dargetan, geschweige denn bewiesen,
rechtzeitig nach links geblinkt zu haben.
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Rechtzeitig ist das Zeichen nur, wenn sich der Verkehr auf das Abbiegen einstellen kann.
Dafür ist weniger die Entfernung zum Abbiegepunkt maßgebend, als vielmehr die Zeit
zwischen Abbiegebeginn und Abbiegen unter Berücksichtigung der Fahrtgeschwindigkeit
(Senat, NZV 2006, 309, 310; NZV 2005, 413).
Das alles kann dem Vortrag des Klägers nicht entnommen werden. Er trägt weder vor,
wie viel Zeit vor dem Abbiegen er den Blinker gesetzt hat noch wie schnell er dabei
gefahren ist.
cc) Es ist nicht zu erkennen, dass die von dem Kläger behauptete Geschwindigkeit des
Beklagtenfahrzeugs unfallursächlich geworden ist, weil sich das Feuerwehrfahrzeug bei
der Kollision schon neben dem Klägerfahrzeug befand. Der Kläger hätte das Fahrzeug
auch dann erkennen müssen, wenn es mehr als 50 km/h gefahren wäre.
3. Auf die Frage, ob das Beklagtenfahrzeug vor der Kollision auch dauerhaft das
Martinshorn eingeschaltet hatte und auf die gegen die diesbezügliche Beweiswürdigung
des Landgerichts gerichteten Angriffe der Berufung kommt es nach dem oben
ausgeführten nicht an.
III.
Es wird angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.
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