Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017

KG Berlin: kreuzung, fahrzeug, vollkasko, blaulicht, sonderrecht, versicherer, teilkaskoversicherung, verkehrsunfall, beweislast, beschädigung

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 50/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 67 VVG, § 38 Abs 1 S 2 StVO,
§ 17 Abs 1 StVG, § 287 ZPO
Schadensersatz nach Verkehrsunfall: Unfallverursachung durch
Polizeifahrzeug mit Blaulicht ohne Martinshorn
Leitsatz
Ist das Bestehen einer Vollkasko-Versicherung unstreitig und macht der Beklagte geltend, die
Ansprüche des Klägers wegen Beschädigung seines Pkw seien nach § 67 VVG auf den
Vollkasko-Versicherer übergegangen, so trifft den Beklagten dafür die Beweislast. Fährt der
Führer eines Polizeifahrzeuges allein mit Blaulicht - ohne Einsatzhorn - in eine durch Rotlicht
gesperrte Kreuzung ein, bewirkt dies kein Wegerecht und die Verkehrsteilnehmer aus dem
durch grünes Ampellicht freigegebenen Querverkehr sind rechtlich nicht gehalten, gem. § 38
Abs. 1 Satz 2 StVO freie Bahn zu schaffen. Zwingt der Fahrer des Polizeifahrzeuges durch
eine solche Fahrweise die Verkehrsteilnehmer des Querverkehrs zum Bremsen, haftet sein
Dienstherr für den Frontschaden des dritten Fahrzeugs (Kläger), das auf das zweite Fahrzeug
auffährt, nachdem dieses eine Vollbremsung vollzogen hatte im Hinblick auf das starke
Abbremsen des ersten Fahrzeuges. Diese Haftung kann allerdings gem. § 17 Abs. 1 StVG
wegen Mitverschuldens des auffahrenden Klägers auf 50 % beschränkt sein, wenn dieser den
gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Die allgemeine
Unkostenpauschale kann mit 20 EUR bemessen werden (§ 287 ZPO).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 21.
Januar 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 558/02
- teilweise abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.586,69 € nebst 5 % Zinsen über
dem Basiszinssatz seit dem 16. Juni 2000 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die durch seine Säumnis entstandenen Kosten der ersten Instanz zu
tragen. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger und der Beklagte zu je
½ zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
I. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der Kläger aktivlegitimiert. Der Beklagte hat
nicht dargelegt, dass bzw. in welchem Umfang die streitgegenständlichen Ansprüche
gemäß § 67 VVG auf den Vollkasko-Versicherer übergegangen sind. Ist nämlich das
Bestehen einer Vollkasko-Versicherung unstreitig und macht der Beklagte geltend, die
Ansprüche des Klägers wegen Beschädigung seines Pkw seien nach § 67 VVG auf den
Vollkasko-Versicherer übergegangen, so trifft den Beklagten dafür die Beweislast (vgl.
Kammergericht, KGReport 2005, 151).
II. Der Kläger kann von dem beklagten Land gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 839
BGB, Art. 34 GG, § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 PflVersG seinen unfallbedingten Schaden aus
dem Verkehrsunfall am 11. Dezember 1999 auf der Kreuzung Louis-Lewin-
Straße/Landstraße 33 (Berliner Straße) in H. nach einer Quote von 1/2 verlangen kann,
während die Mithaftung des Klägers aufgrund eigener Unaufmerksamkeit gem. § 7 Abs.
1 StVG, § 823 BGB mit 1/2 zu bemessen ist (§ 17 Abs. 1 StVG).
a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht aufgrund der glaubhaften Aussage
des glaubwürdigen Zeugen B. zur Überzeugung des Senats fest, dass der Fahrer des
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des glaubwürdigen Zeugen B. zur Überzeugung des Senats fest, dass der Fahrer des
Einsatzfahrzeuges bei Rotlicht in die Kreuzung bis in den Bereich der vom Kläger
benutzte Fahrbahn eingefahren ist, ohne zuvor das Sondersignal Martinshorn in Betrieb
gesetzt zu haben. Anhaltspunkte, aus denen an der Richtigkeit dieser ausführlichen und
detaillierten Aussage gezweifelt werden könnte, sind nicht ersichtlich. Die Aussagen der
Polizeibeamten H., S. und L. stehen dem nicht entgegen, da diese Zeugen sich an den
Vorfall nicht mehr erinnern können. Die Zeuginnen A. B. und K. B. haben wiederum
übereinstimmend bekundet, vor dem Unfall ein Martinshorn nicht wahrgenommen zu
haben.
Mithin steht fest, dass der Fahrer des Einsatzfahrzeuges gegen die ihm obliegende
Amtspflicht verstoßen hat, wegen der für seine Fahrtrichtung rotes Licht abstrahlenden
Lichtzeichensignalanlage vor der Kreuzung anzuhalten (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO) und dem
Kläger sowie den beiden vor dem Kläger fahrenden Fahrzeugen die Vorfahrt zu
gewähren, die bei grünem Ampellicht in die Kreuzung eingefahren waren. Der Fahrer des
Polizeifahrzeuges war von der Beachtung des Vorrechts anderer Verkehrsteilnehmer
nicht aufgrund eines ihm nach §§ 35, 38 StVO zustehenden Sonderrechts befreit. Denn
das Sonderrecht mit dem Gebot, nach § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO freie Bahn zu schaffen,
darf der Fahrer eines Einsatzfahrzeuges nur in Anspruch nehmen, wenn er beide
Sondersignale, also Blaulicht und Martinshorn in Betrieb gesetzt hatte (BGHZ 63, 327 =
NJW 1975, 648 = VersR 1975, 380 = DAR 1975, 111, KG VerkMitt 1981, 95; VersR 1987,
833; VRS 70, 432). Sind beide Sondersignale ausgelöst, ist das Sonderrecht von den
anderen Verkehrsteilnehmern sofort und unbedingt ohne Prüfung des Wegerechts zu
beachten (Senat, MDR 1997, 1121 = VerkMitt 1998, 14 Nr. 19; VerkMitt 1998, 90 Nr.
111). Das Blaulicht allein begründet indessen keinen Vorrang im Sinne des § 38 Abs. 1
StVO (freie Bahn), sondern darf nur als Warnzeichen an Unfall oder sonstigen
Einsatzstellen, bei Einsatzfahrten (ohne freie Bahn zu schaffen) und in den weiter in § 38
Abs. 2 StVO genannten Fällen verwendet werden (KG VersR 1976, 193; VerkMitt 1982,
37, 38, Urteil vom 1. März 1993 - 12 U 1110/92 -; vom 27. Oktober 1994 - 12 U 897/93 -;
vom 7. November 1994 - 12 U 1843/93 -; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35.
Auflage, § 38 StVO Rdn. 12). Blaulicht allein ohne Martinshorn mahnt die anderen
Verkehrsteilnehmer nur zu gesteigerter Aufmerksamkeit (OLG Frankfurt/Main VerkMitt
1969, 32; Senat, Urteile vom 7. November 1994 - 12 U 1843/93 - und vom 9. Mai 1996 -
12 U 7733/95 -).
Da der Fahrer des Polizeifahrzeuges das Martinshorn nicht eingeschaltet hatte, stand
ihm auch kein Sonderrecht zu. Sein Verhalten ist deshalb unmittelbar nach den
Vorschriften der Straßenverkehrsordnung zu beurteilen. Hiernach hat sich der Fahrer
des Polizeifahrzeuges schon dadurch verkehrswidrig verhalten, dass er während der
Rotphase in die Kreuzung eingefahren ist, als für den herannahenden Kläger die Fahrt in
dessen Richtung freigegeben war (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 und Satz 7 StVO). Er hatte
sich darauf einzurichten, dass jederzeit der Querverkehr wegen des dort grünen
Ampellichts ungebremst in die Kreuzung einfahren würde.
b) Entgegen der Auffassung des Klägers führt die vorstehend festgestellte
Sorgfaltspflichtverletzung des Fahrers des Polizeifahrzeugs nicht zur alleinigen Haftung
des Beklagten. Vielmehr folgt die Mithaftung des Klägers daraus, dass er entweder nicht
hinreichend aufmerksam war (§ 1 Abs. 2 StVO) oder er keinen ausreichenden Abstand
zu dem vorausfahrenden Fahrzeug (§ 4 Abs. 1 S. 1 StVO) eingehalten hat.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die beiden vor dem Kläger fahrenden Fahrer
ihre Fahrzeuge noch rechtzeitig vor dem in die Kreuzung einfahrenden Fahrzeug
abbremsen konnten. Dem Kläger dagegen ist dies nicht gelungen ist, er ist vielmehr mit
seinem Fahrzeug auf das Fahrzeug des vor ihm fahrenden Zeugen B. aufgefahren. Wie
das Landgericht auf Seite 6 der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausführt, kann
deshalb die Behauptung des Klägers, er habe einen Abstand von ca. 35 Metern
eingehalten, nicht zutreffend sein.
c) Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG geht der Senat davon aus, dass das
Verschulden der beiden beteiligten Fahrer aufgrund der Besonderheiten des Falles etwa
gleich zu bewerten ist.
III. Auf der Grundlage des Kostenangebotes vom 20. Dezember 1999 (Anlage K 5)
schätzt der Senat den Betrag, der zur Beseitigung der bei dem Unfall an dem
klägerischen Fahrzeug entstandenen Schäden erforderlich ist, gemäß § 287 ZPO auf
3.153,39 €. Die in dem Beschluss vom 7. Februar 2005 angesprochenen Widersprüche
der Anlagen K5, K8 und K9 hat der Kläger nachvollziehbar und in sich schlüssig
ausgeräumt. Der behauptete Schaden entspricht gerichtsbekannt in Art und Umfang
den bei vergleichbaren Auffahrunfällen regelmäßig entstehenden Schäden. Die
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den bei vergleichbaren Auffahrunfällen regelmäßig entstehenden Schäden. Die
Begutachtung des Schadens durch einen Sachverständigen kam aufgrund der
durchgeführten Reparaturen und des erheblichen Zeitablaufs nicht mehr in Betracht, sie
wäre wirtschaftlich auch außer Verhältnis zu dem Schaden gewesen.
Unter Berücksichtigung der Unkostenpauschale von 20,00 € beträgt der Schaden des
Klägers 3.173,39 €, den das beklagte Land zu 50 %, d. h. in Höhe von 1.586,69 € zu
ersetzen hat. Die Leistung der Teilkaskoversicherung in Höhe von 380,62 € ist wegen
des Quotenvorrechts des § 67 Abs. 1 S. 2 VVG (vgl. hierzu BGH, NJW 1982, 827) nicht in
Anzug zu bringen. Der Kläger erhält von seiner Teilkaskoversicherung und der Beklagten
zusammen einen Betrag von 1.967,31 €.
Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001
geltenden Fassung i. V. m. Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB. Das beklagte Land ist durch das
Schreiben vom 02. Mai 2000 30 Tage nach Ablauf der zum 16. Mai 2000 gesetzten
Zahlungsfrist in Verzug geraten. Der Zinssatz beträgt gemäß § 288 Abs. 1 5. 1 BGB in
der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung i. V. m. Art. 229 §§ 1 Abs. 1 S. 3, 5
S. 1, 7 Abs. 1 5. 1 Nr. 1 EGBGB 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz.
Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat,
noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Absatz 1 Nr. 1, Absatz 2 ZPO
n. F.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO. Die weiteren prozessualen
Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
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