Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017

KG Berlin: notwendige streitgenossenschaft, aktiengesellschaft, hauptsache, link, sammlung, quelle, fristverlängerung, entstehung, minderung, anfang

Gericht:
KG Berlin 5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 W 207/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 246 Abs 3 S 3 AktG, Vorbem 3
Abs 2 RVG-VV, § 15 Abs 2 S 2
RVG, § 91 Abs 1 S 1 ZPO
Kostenfestsetzungsverfahren: Gebühren der
Prozessbevollmächtigten einer Aktiengesellschaft bei der
Verbindung mehrerer Anfechtungsprozesse
Leitsatz
Werden mehrere Anfechtungsprozesse nach § 246 Abs. 3 S. 3 AktG später verbunden, so
waren die Prozessbevollmächtigten der beklagten Aktiengesellschaft bis zur Verbindung für
jede anhängig gewordene Klage in jeweils verschiedenen Angelegenheiten tätig. Es handelt
sich bis zur Verbindung um mehrere Prozesse, d. h. um mehrere gebührenrechtliche
Angelegenheiten i.S.v. § 15 Abs. 2 S.2 RVG. Die insoweit angefallenen Verfahrensgebühren
sind, jedenfalls in Höhe von 0,8 Verfahrensgebühren (Abs. 2 der Vorbemerkung 3 VV RVG)
von den jeweiligen (unterlegenen) Klägern gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO als zur
zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Kosten zu tragen (Aufgabe der
Rechtsprechung des Senats - Beschluss vom 23. Januar 2008 - 5 W 206/07, KGR Berlin, 2008,
486, 487).
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin zu 1. vom 23. Juli/29. August 2008, die
sofortige Beschwerde des Klägers zu 2. vom 8./29. August 2008 und die sofortige
Beschwerde der Klägerin zu 3. vom 22./29. August 2008 wird der Beschluss des
Landgerichts Berlin vom 20. Juni 2007 - 90 O 82/06 - teilweise geändert:
Die nach dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Januar 2007 von den
Klägern als Gesamtschuldner an die Beklagte zu erstattenden, in den Anträgen vom 16.
Januar 2007 berechneten Kosten werden auf
8.978,40 EUR
- in Worten: achttausendneunhundertachtundsiebzig, 40/100 EUR -
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar
2007 festgesetzt.
Die Klägerin zu 4. hat der Beklagten darüber hinaus
2.724,00 EUR
- in Worten: zweitausendsiebenhundertvierundzwanzig Euro -
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar
2007 zu erstatten.
2. Die weitergehenden Beschwerden der Kläger zu 1. bis 3. werden zurückgewiesen.
3. Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 24. August 2007 gegen den Beschluss
des Landgerichts Berlin vom 20. Juni 2007 – 90 O 82/06 - wird zurückgewiesen.
4. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen von den Gerichtskosten und
den außergerichtlichen Kosten der Beklagten die Kläger zu 1. bis 3. als Gesamtschuldner
41 % und die Beklagte 59 %; von den außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1. bis 3.
tragen diese 46 % und die Beklagte 54 %; die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu
4. trägt die Beklagte.
5. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 17.099,60 EUR, wobei 10.562,--EUR auf
die sofortigen Beschwerden der Kläger zu 1. bis 3. entfallen, für die Klägerin zu 4. jedoch
- entsprechend dem Wert der sofortigen Beschwerde der Beklagten - 6.537,60 EUR.
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6. Die Rechtsbeschwerde wird für die Kläger zu 1. - 3. zugelassen, soweit Entstehung
und/oder Erstattunsfähigkeit der Verfahrensgebühren im Streit sind.
Gründe
I. Die sofortigen Beschwerden der Kläger zu 1. – 3. und der Beklagten sind gemäß § 11
Abs. 1 RpflG i.V.mit § 104 Abs. 3 S.1 ZPO zulässig. Die sofortigen Beschwerden der
Kläger, die sich gegen die Festsetzung von vier (1,3) Verfahrensgebühren - statt einer
Verfahrensgebühr - für die (vor mündlicher Verhandlung) verbundenen aktienrechtlichen
Anfechtungsverfahren und gegen ihre gesamtschuldnerische Inanspruchnahme richten,
ist teilweise begründet. Die sofortige Beschwerde der Beklagten, mit der die Festsetzung
von vier Terminsgebühren - statt einer - erstrebt wird, ist unbegründet.
1. Soweit sich die Kläger zu 1. bis 3. dagegen wenden, dass die Kosten gegen sie als
Gesamtschuldner festgesetzt worden sind, verbleibt es dabei, dass die Kläger nach dem
Beschluss des Landgerichts vom 8. Januar 2007 die Kosten des Rechtstreits als
Gesamtschuldner zu tragen haben. An diese Kostengrundentscheidung ist das
Kostenfestsetzungsverfahren gebunden (vgl. z.B. Herget in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. § 91
RdNr. 12).
2. Das Landgericht hat die Verfahrensgebühren hinsichtlich der zunächst selbständigen
Verfahren dem Grunde nach zu Recht, jedoch überhöht festgesetzt.
a. Werden zwei Verfahren, die zunächst selbständig waren, zu einem verbunden, so
bleiben einmal entstandene Gebühren aus den getrennten Verfahren bestehen (§ 15
Abs. 4 RVG, § 15 Abs. 2 S 2 RVG, OLG Stuttgart, OLGR 2001, 270, Juris-RdNr. 7).
Gebühren, die ein Anwalt einmal verdient hat, kann dieser nicht mehr verlieren (vgl. z.B.
Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 18. Aufl. 3100 VV,
RdNr. 81 – vgl. auch zum GKG: Hartmann: Kostengesetze, 37. Aufl. § 35 RdNr.12
„Prozeßverbindung“).
Soweit der Senat in einem früheren Beschluss die Auffassung erwogen hat, dass es sich
bei mehreren Anfechtungsprozessen nach § 246 Abs. 3 S.3 AktG für den Anwalt der
beklagten Aktiengesellschaft um eine einzige Angelegenheit handele (KG, Beschluss
vom 23.1.2008 - 5 W 206/07 -, KGR Berlin 2008, 486-487), wird dies nicht aufrecht
erhalten. Vielmehr waren die Prozessbevollmächtigten der Beklagten bis zur Verbindung
in vier verschiedenen Angelegenheiten tätig (Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl. § 15
RVG, RdNr. 37 m.w.N.;, vgl. auch Hansens, Kostenfestsetzung gegen Streitgenossen;
Angelegenheit in nachträglich verbundenen aktienrechtlichen Anfechtungs-und
Nichtigkeitsklagen, RVGreport, 2008, 138, 139; OLG Koblenz, MDR 2005, 1017 zu den
Gerichtsgebühren in aktienrechtlichen Anfechtungsklagen vor der Verbindung). Dies
entspricht auch dem Wortlaut des § 246 Abs. 3 S.3 AktG. Somit handelt es sich bis zur
Verbindung um mehrere Prozesse, d.h. um mehrere gebührenrechtliche
Angelegenheiten i.S.v. § 15 Abs.2 S.2 RVG.
b. Die angefallenen Verfahrensgebühren der Prozessbevollmächtigten der Beklagten
sind von den Klägern gemäß § 91 Abs.1 S.1 ZPO als zur zweckentsprechenden
Rechtsverteidigung notwendige Kosten zu tragen. Soweit der Senat in der o.a.
Entscheidung die Auffassung vertrat, es sei ausreichend, dass der Rechtsanwalt dem
Gericht die weiteren Verfahren mitteilt, hätte diese Vorgehensweise im vorliegenden Fall
nicht zu einer Minderung der Gebührenansprüche geführt.
Regelmäßig wird der Rechtsanwalt von seiner Mandantschaft über anhängige Verfahren
in Kenntnis gesetzt und hierzu beauftragt. Dies löst bereits eine 0,8 Verfahrensgebühr
aus (Abs.2 der Vorbemerkung 3 VV RVG).
Soweit das Kammergericht in MDR 1975, 1028 f. die Auffassung vertrat, bei gegenseitig
eingereichten Scheidungsklagen reiche es zur sachgerechten Wahrnehmung der
eigenen Interessen aus, dass der Prozessbevollmächtigte im Rahmen des bereits
erteilten Klagemandats auf die Erwirkung eines Verbindungsbeschlusses hin wirke und
dass von einer Doppelgebühren auslösenden Mandatserteilung abgesehen werde, ist
dies auf die hiesige Fallkonstellation nicht übertragbar. Dort standen sich von Anfang an
die gleichen Parteien gegenüber, während hier jeweils verschiedene Parteien
nebeneinander Anfechtungsklage erhoben. Hier durfte es die Beklagte als sachdienlich
ansehen, ihre Prozessbevollmächtigten mit der Verteidigung gegenüber jedem
einzelnen Kläger zu mandatieren. Von der Beklagten konnte nicht erwartet werden
selbst zu beurteilen, dass die weiteren Klagen keine gesonderte Rechtsverteidigung
erforderlich machten. Dies gilt hier um so mehr, als die Klagen ursprünglich zahlreiche,
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erforderlich machten. Dies gilt hier um so mehr, als die Klagen ursprünglich zahlreiche,
zum Teil auch unterschiedliche Beschlüsse betrafen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann eine 1,3 Verfahrensgebühr (VV 3.100) nur
für das Verfahren LG Berlin 90 O 82/06 festgesetzt werden, für die hierzu verbundenen
Verfahren dagegen jeweils nur eine 0,8 Verfahrensgebühr, da diese Verfahren i.S. vom
VV 3.101 Nr. 1 frühzeitig endeten. Die Beklagte hat vor Verbindung der Verfahren
schriftsätzlich lediglich um Fristverlängerung nachgesucht.
Insoweit haben die sofortigen Beschwerden der Kläger zu 1. bis 3. teilweise Erfolg.
2. Zur Unbegründetheit der Beschwerde der Beklagten wird auf die Gründe des
Nichtabhilfebeschlusses des Landgerichts vom 9. Oktober 2007 und auf den erwähnten
Beschluss des Senats - 5 W 206/07 - sowie ergänzend auf Müller/Rabe (aaO. RdNr. 92
m.w.N.) Bezug genommen.
3. Von den Klägern gesamtschuldnerisch zu erstatten sind daher nach einem Streitwert
von 200.000 EUR
nebst Zinsen.
Hinsichtlich der Klägerin zu 4., die den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht angefochten
hat, verbleibt es dabei, dass sie der Beklagten den erstinstanzlich festgesetzten Betrag
von 11.702,40 EUR zu erstatten hat. § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG begründet eine
notwendige Streitgenossenschaft im Sinne von § 62 ZPO nur in der Hauptsache, nicht
aber für das Kostenfestsetzungsverfahren.
II. Die Nebenentscheidungen folgen § 97 Abs.1, § 3 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen
grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil die Frage, ob die Rechtsverteidigung
gegenüber Anfechtungsklagen mehrerer Kläger mehrere Verfahrensgebühren auslöst
und ob diese von den Klägern im Unterliegensfall zu erstatten sind, immer wieder auftritt
und nicht in gesicherter Weise obergerichtlich geklärt ist.
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