Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017

KG Berlin: unterversicherung, bäckerei, treu und glauben, zustandekommen des vertrages, entschädigung, versicherungsnehmer, versicherer, versicherungswert, klagefrist, versicherungsschutz

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Gericht:
KG Berlin 6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 191/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 56 VVG, § 241 Abs 2 BGB, §
280 BGB, § 311 Abs 2 BGB, §
311 Abs 3 BGB
Geschäftsinhaltsversicherung: Höhe der Entschädigung nach
einem Brandschaden bei bestehender Unterversicherung und
Schätzung der Geschäftseinrichtung durch Mitarbeiter des
Versicherers vor Vertragsabschluss
Leitsatz
Der Versicherer kann sich auf eine Unterversicherung nicht berufen, wenn er zur
Antragsaufnahme eigene Mitarbeiter entsendet, die die Geschäftseinrichtung in Augenschein
nehmen und ihren Wert einschätzen. Erfährt der Versicherer nachträglich durch seinen
Schadenregulierer von der Unterversicherung, ist er verpflichtet, den Wert der
Geschäftseinrichtung zu überprüfen und den Versicherungsnehmer auf die Unterversicherung
hinzuweisen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. September
2006 unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.419,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Juli 2004 zu zahlen sowie weitere
287,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
seit dem 13. September 2005. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert der Beschwer beträgt für die Beklagte 7.419,41 €.
Gründe
I.
Der Kläger betreibt in den gemieteten Räumen ... in Berlin die Bäckerei und Konditorei
„...“. Gemäß Geschäftskaufvertrag vom 9. April 2002 erwarb er das aus der Anlage 4
des Gutachtens der Sachverständigen ... (Anlage 4 der Klageschrift) ersichtliche Inventar
nebst Vorräten. Der Etagenbackofen sowie weitere dort aufgeführte Gegenstände waren
gebraucht. Am 10. April 2002 beantragte er bei der Beklagten den Abschluss einer
Geschäftsinhaltsversicherung. Das Antragsformular füllten der Versicherungsmakler ...
und der Mitarbeiter der Beklagten ... gemeinsam aus, nachdem der weitere Mitarbeiter
der Beklagten ... die Bäckereiräume und die darin befindlichen Einrichtungsgegenstände
im Beisein des Klägers besichtigt hatte. Als Versicherungssumme wurde der Betrag von
45.000,- € angegeben, der sich zusammensetzte aus 37.000,- € für die technische und
kaufmännische Betriebseinrichtung, 6.000,- € für die Vorräte und 2.000,- € für die
Vorsorge zum Ausgleich einer etwaigen Unterversicherung. Die Herren ... waren an
diesem Tag aus Hamburg angereist, nachdem der Versicherungsmakler ... bei der
Beklagten Spezialisten für die Werteinschätzung von Bäckereieinrichtungen angefordert
hatte. Die Beklagte stellte unter dem 2. Mai 2002 den Versicherungsschein Anlage K 1
der Klageschrift mit einer Versicherungssumme von 45.000,- € aus, auf dessen Inhalt
verwiesen wird. Tatsächlich belief sich der Neuwert der Geschäftseinrichtung auf über
80.000,- €.
Im März 2003 kam es im Keller der Bäckerei zu einem Wasserschaden. Die Beklagte
beauftragte den Zeuge ... mit der Regulierung. Dieser suchte die Bäckerei am 10. März
2003 auf und schätzte den Schaden auf maximal 500,- € ein. Zu einer Regulierung kam
es nicht, weil der Zeuge nach der Besichtigung zunächst klären wollte, welche Sachen
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es nicht, weil der Zeuge nach der Besichtigung zunächst klären wollte, welche Sachen
zum Gebäudeeigentum und damit nicht zum Geschäftsinhalt gehören, und hierfür
angeforderte weitere Unterlagen nicht erhalten hatte. Er fertigte darauf hin den
Regulierungsbericht vom 19. Mai 2003 (Anlage des Sitzungsprotokolls vom 20. April
2007). Der Zeuge wies die Beklagte dort auf eine nach seiner Einschätzung vorliegende
Unterversicherung von 50 - 60% hin und führte unter dem Stichpunkt
„Vertragsfortsetzung“ am Ende des Berichtes, auf den im Übrigen Bezug genommen
wird, aus:
„Auf alle Fälle sollte hier die Versicherungssumme genau geprüft werden. Ggfs.
mit einem Ermittlungsbogen, in dem der Geschäftsinhalt einzeln aufgelistet ist“.
Dies geschah nicht.
Am 20. März 2004 kam es infolge eines kleineren Brandschadens zu Verrußungen in der
Backstube und in dem Ladenbereich. Die Beklagte nahm nach der Ermittlung des
Schadenumfangs durch die von ihr beauftragte Gutachterin ... auf der Grundlage deren
Gutachtens vom 12. Mai 2004 (Anlage K 4 der Klageschrift) und der dort ermittelten
Schadenssumme von rund 15.800,- € in Anbetracht des von der Gutachterin
festgestellten Versicherungswertes von 84.800,- € eine anteilige Kürzung der
Entschädigung wegen Unterversicherung vor. Wegen der Einzelheiten der Abrechnungen
der Beklagten wird auf deren Schreiben jeweils vom 24. Mai 2004 (Anlagen K 3 und K 4)
verwiesen. Diesen Kürzungen widersprach der Kläger mit vorprozessualen anwaltlichen
Schreiben vom 22. und 28. Juni 2004 (Anlagen K 5 und K 6). Die Beklagte kam den
dortigen Zahlungsaufforderungen nicht nach und wies mit Schreiben mit 7. Juli 2004 auf
die Folgen der Versäumung der sechsmonatigen Klagefrist gemäß § 12 Abs. 3 VVG hin.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger nach Einleitung des Rechtsstreites durch
Einreichung eines bei dem Amtsgericht Wedding am 7. Januar 2005 eingegangenen
Mahnantrages die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Kürzungsbeträge in Höhe
von 4.483,46 € hinsichtlich des Sachschadens und 2.935,95 € hinsichtlich des
Betriebsunterbrechungsschadens, insgesamt mithin 7.419,41 € nebst Zinsen und
vorgerichtlichen Kosten.
Der Kläger hat geltend gemacht, auf die Unterversicherung dürfe sich die Beklagte nicht
berufen, weil die Ermittlung der Versicherungssumme bei Vertragsschluss durch die
eigenen Mitarbeiter der Beklagten erfolgte.
Die Beklagte hat sich auf Leistungsfreiheit wegen Nichteinhaltung der Klagefrist berufen
und im Übrigen geltend gemacht, die Herren ... seien keine Spezialisten für
Bäckereibetriebe und Bewertung von Maschinen und hätten sich auch nicht als solche
am 10. April 2002 vorgestellt. Die Wertangaben im Versicherungsantrag stammten allein
vom Kläger. Darauf komme es aber auch nicht an, weil der Schadenregulierer ... den
Kläger anlässlich der Besichtigung des Wasserschadens am 10. März 2003 mündlich auf
die erhebliche Unterversicherung hingewiesen und ihm den Rat erteilt habe, er solle
seine Versicherungssumme den tatsächlichen Gegebenheiten anpassen.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand
des angefochtenen Urteils und die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage wegen Nichteinhaltung der Klagefrist abgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird verwiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit
der er beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin vom 7. September 2006
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.419,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10. Juli 2004 zu zahlen sowie
weitere 333,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit Rechtshängigkeit des klageerweiternden Schriftsatzes vom 1. September 2005 (13.
September 2005) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die dort
gewechselten Schriftsätze der Parteienvertreter nebst Anlagen verwiesen.
Der Senat hat nach Hinweisbeschluss vom 9. Januar 2007 Beweis erhoben durch
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Der Senat hat nach Hinweisbeschluss vom 9. Januar 2007 Beweis erhoben durch
uneidliche Vernehmung des von der Beklagten benannten Zeugen ... und der
gegenbeweislich vom Kläger benannten Zeugin ... zum Inhalt des Gesprächs zwischen
dem Zeugen ... und dem Kläger am 10. März 2003. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20. April 2007 nebst Anlage
verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
1. Die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG ist aus den Gründen des Hinweisbeschlusses vom
9. Januar 2007 nicht versäumt. Auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen.
2. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung
in voller Höhe des von der Privatgutachterin ... festgestellten, unstreitigen Sach- und
Betriebsunterbrechungsschadens zu.
a) Zwar ergibt sich der Anspruch des Klägers auf die volle Entschädigung nicht
unmittelbar aus dem Versicherungsvertrag. Denn ist die Versicherungssumme niedriger
als der Versicherungswert zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls
(Unterversicherung), so haftet der Versicherer für den Schaden nur nach dem Verhältnis
der Versicherungssumme zu diesem Wert, § 56 VVG. Das ist hier der Fall, weil die
Versicherungssumme mit nur 45.000,- € vereinbart wurde, während der von der
Gutachterin ... festgestellte Versicherungswert zum Neupreisansatz netto 84.800,- €
beträgt.
Die Beklagte ist jedoch sowohl aus der gewohnheitsrechtlichen Vertrauenshaftung
(Erfüllungshaftung) als auch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (§§ 241 Abs. 2,
311 Abs. 2 und 3, 280 Abs. 1 BGB n.F.) verpflichtet, den Kläger so zu stellen, als habe er
mit der Beklagten eine ausreichend hohe Versicherungssumme vereinbart. Diese
Haftung kommt dann zum Tragen, wenn der Versicherer bei der Beantragung der
Versicherung einen falschen Rat über die Höhe der zu vereinbarenden
Versicherungssumme erteilt oder die hierbei gebotene Aufklärung unterlässt (vgl. BGH
NJW 1964, 244; Recht und Schaden 1989, 58; OLG Frankfurt VersR 2006, 406; OLG
Saarbrücken VersR 2003, 195; OLG Koblenz VersR 1997, 1226).
Grundsätzlich ist der Versicherungsnehmer für den Inhalt und Umfang eines
Versicherungsantrages allein verantwortlich. Er bestimmt das zu versichernde Risiko, die
zu versichernden Gegenstände und die Versicherungssumme. In seinem eigenen
Interesse muss er dabei eine Unterversicherung vermeiden. Diese Regel erfährt jedoch
Einschränkungen. Nach einem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten
Gewohnheitsrechtssatz darf der Versicherungsnehmer der Beratung und Aufklärung
vertrauen, die ihm vom Versicherungsagenten über den Inhalt und Umfang des
abzuschließenden Vertrages erteilt wird. Für ein fehlerhaftes Verhalten des Agenten
muss der Versicherer einstehen, der ihn mit der Vermittlung oder mit dem Abschluss
von Versicherungsgeschäften betraut hat (BGH NJW 1964 a.a.O. S. 245). Dies gilt in
gleicher Weise, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsantrag nach
vorausgegangener Beratung durch eigene interne Mitarbeiter oder sonstige Beauftragte
des Versicherers stellt und diese einen falschen Rat erteilen oder ihre Aufklärungspflicht
verletzen.
Davon ist hier auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers zum Zustandekommen
des Vertrages, wie von ihm im Einzelnen mit den Schriftsätzen vom 6. Juli 2005 S. 4 und
vom 1. September 2005 S. 3 f. vorgetragen, auszugehen. Der Kläger hat dort
insbesondere vorgetragen, dass der Versicherungsvertreter bzw. Versicherungsmakler
... bei der Beklagten ausdrücklich Spezialisten für die Wertschätzung von
Bäckereieinrichtungen angefordert habe, worauf hin eigens zu diesem Zweck der
Wertbestimmung und Feststellung der Versicherungssumme die von der Beklagten
beauftragten Herren ... aus Hamburg angereist und am 10. April 2002 in seiner Bäckerei
erschienen seien, ... die Bäckerei besichtigt und im Anschluss hieran die Empfehlung
ausgesprochen habe, die Versicherungssumme auf 45.000,- € festzusetzen. Die Herren
... hätten darauf hin den Versicherungsantrag entsprechend ausgefüllt. Soweit die
Beklagte dem gegenüber mit Schriftsatz vom 3. August 2005 behauptet hat, die Herren
... seien weder Spezialisten für Bäckereibetriebe und Maschinen noch hätten sie sich als
solche ausgegeben, ist ihr Vorbringen nicht erheblich. Denn unstreitig wurden sie
jedenfalls zum Zwecke der Ermittlung der zutreffenden Versicherungssumme
hinzugezogen. Die Beklagte behauptet auch nicht, dass die von ihr entsandten
Mitarbeiter hierzu nicht fähig gewesen seien und dies dem Kläger und
Versicherungsmakler ... gegenüber zum Ausdruck gebracht hätten. Abgesehen davon
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Versicherungsmakler ... gegenüber zum Ausdruck gebracht hätten. Abgesehen davon
geht die Beklagte mit ihrer Behauptung an dem Vorbringen des Klägers vorbei, der
vorgetragen hat, die beiden Herren hätten sich als Fachmänner für
Gewerbeversicherungen (so im Schriftsatz vom 6. Juli 2005) bzw. als auf dem Gebiet der
Gewerbeversicherungen für Bäckereibetriebe (Schriftsatz vom 1. September 2005)
ausgegeben.
Soweit die Beklagte behauptet hat, die Wertangaben im Versicherungsantrag stammten
vom Kläger, ist auch dieses Vorbringen nicht erheblich. Denn einem falschen Rat steht
die unterlassene Aufklärung des Versicherungsnehmers über einen offensichtlich
verfehlten Versicherungsantrag gleich (vgl. BGH NJW 1964 a.a.O.). Die Verletzung der
Aufklärungspflicht ergibt sich hier ohne weiteres aus den übrigen, nicht bestrittenen
Umständen des Grundes des Erscheinens der bei- den Herren ..., sowie aus dem
unstreitigen Vorbringen des Klägers über die vorherige Besichtigung der Bäckerei durch
den Mitarbeiter ... und der anschließenden gemeinsamen Ausfüllung des
Antragsformulares durch ... und den Versicherungsmakler ... . Angesichts dieser
Umstände war für die Mitarbeiter der Beklagten offenkundig, dass der Kläger den
Versicherungsantrag gerade auf der Grundlage der vorherigen Einschätzung des
Versicherungswertes durch fachkundige Mitarbeiter der Beklagten stellen wollte, um
einen effektiven Versicherungsschutz für seinen Geschäftsbetrieb zu erhalten. Dieses
Interesse des Klägers ergab sich für den Zeugen ... zudem aus der unstreitigen
Mitteilung des Klägers während des Rundganges in der Bäckerei, den Etagenbackofen
und weitere technische Geräte gebraucht erworben zu haben. Dieses Interesse hat auch
Eingang in den Versicherungsvertrag gefunden, indem dort ausweislich des
Versicherungsscheins vom 2. Mai 2002 als gesonderte Position unter Ziffer I 3 die
„Vorsorge zum Ausgleich einer etwaigen Unterversicherung“ mitversichert wurde. Wäre
unter den gegebenen Umständen die Versicherungssumme von 45.000,- € allein auf der
Grundlage der Wertangabe des Klägers in den von dem Mitarbeiter ... mit
unterzeichneten Versicherungsantrag aufgenommen worden, so hätten die Mitarbeiter
der Beklagten ihre Aufklärungspflichten in eklatanter Weise verletzt. Denn der Mitarbeiter
... hätte auf Grund der Besichtigung der Bäckereieinrichtung, der dabei vorgenommenen
Einschätzung des Wertes und der Mitteilung des Klägers über die gebraucht erworbenen
Geräte ohne weiteres erkennen können und müssen, dass es sich dabei um eine
Einschätzung des Klägers nach dem Zeitwert auf der Grundlage des gezahlten
Kaufpreises für die gebrauchten Sachen handelt, die Versicherungssumme jedoch nach
dem Neuwert und damit den Wiederbeschaffungspreis zu bestimmen ist, damit der
Betrieb im Versicherungsfall mit Hilfe der Entschädigung neu ausgestattet und weiter
geführt werden kann. Tatsächlich ist auch eine Neuwertversicherung und zudem - wie
ausgeführt - eine Vorsorge gegen Unterversicherung beantragt und abgeschlossen
worden. Es kommt mithin nicht darauf an, auf wessen Vorstellungen die Angabe der
Versicherungssumme im Versicherungsantrag zurückgeht.
Ein Verschulden der Mitarbeiter ... ist für die gewohnheitsrechtliche Vertrauenshaftung
zwar nicht erforderlich, hier aber auch darin zu sehen, dass sie die übernommene
Verpflichtung, den Kläger bei der zutreffenden Einschätzung des Neuwertes der
Einrichtung der Bäckerei zum Zwecke der Vermeidung einer Unterversicherung zu
beraten, entweder gar nicht oder nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erfüllt haben. Ein
Mitverschulden des Klägers ist nicht gegeben. Denn die Beklagte trägt keine Tatsachen
vor, aus denen sich ein überlegenes oder zumindest gleichwertiges Wissen des Klägers
zum Neuwert der technischen und kaufmännischen Betriebseinrichtung der Bäckerei
ergeben könnte.
b) Die Haftung der Beklagten ist nicht durch eine spätere Aufklärung über die
bestehende Unterversicherung unterbrochen worden. Die Beklagte haftet vielmehr
zudem aus positiver Vertragsverletzung gemäß § 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB n.F., weil
sie nach Erhalt des Regulierungsberichtes des Zeugen ... vom 19. Mai 2003 untätig
blieb, anstatt den Versicherungswert zu überprüfen und den Kläger nach zutreffender
Ermittlung des Versicherungswertes auf die Unterversicherung hinzuweisen. Hierzu wäre
die Beklagte schon deshalb verpflichtet gewesen, weil sie - wie ausgeführt - die
bestehende Unterversicherung selbst zu vertreten hatte. Unabhängig davon ergibt sich
aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), dass der Versicherer verpflichtet
ist, den Versicherungsnehmer auf eine bestehende Unterversicherung hinzuweisen,
wenn er davon Kenntnis erhält. Dies gilt insbesondere bei einer Versicherung eines
Gebäudes zum Neuwert oder - wie hier - einer Geschäftsinhaltsversicherung, die
bezwecken soll, dass der Versicherungsnehmer nach dem Versicherungsfall mit Hilfe der
Versicherungsentschädigung seinen Betrieb wieder einrichten und die Zeit bis zur
Fortführung des Betriebs aufgrund der Betriebsunterbrechungsentschädigung
überbrücken kann. Besteht hier eine erhebliche Unterversicherung, ist dieser Zweck
nicht zu erreichen und der Fortbestand des Betriebes nach Eintritt eines größeren
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nicht zu erreichen und der Fortbestand des Betriebes nach Eintritt eines größeren
Versicherungsfalls zumindest erheblich gefährdet.
Die Beklagte erhielt durch den Regulierungsbericht vom 19. Mai 2003 unstreitig Kenntnis
von der Unterversicherung und konnte nach dem Inhalt des Berichtes nicht annehmen,
der Kläger sei von dem Zeugen ... bereits hierüber unterrichtet worden. Denn in dem
Bericht heißt es unter dem Stichpunkt „Entschädigung in Euro“:
Den handschriftlichen Vermerk des Zeugen an dieser Stelle, den Kläger „bei der
Aussage zum Backofen definitiv auf eine bestehende UV hingewiesen“ zu haben, hat der
Zeuge erst nachträglich angebracht. Dafür spricht die Aussage des Zeugen,
wahrscheinlich sei es so gewesen, dass ihm anläßlich des Brandschadens der Bericht
noch einmal vorgelegt wurde mit der Frage, ob er den Versicherungsnehmer auf die
Unterversicherung hingewiesen habe. Angesichts der Handschriftlichkeit des Vermerks
und dem Fehlen des Vermerks in dem vom Zeugen vorgelegten Exemplar hat das
Gericht keine Zweifel, dass es tatsächlich auch so gewesen ist. Insbesondere konnte die
Beklagte nach Erhalt des Regulierungsberichtes auch deshalb nicht von einer erfolgten
Unterrichtung des Klägers über die bestehende Unterversicherung und deren Folgen für
seinen Versicherungsschutz ausgehen und die Akte kommentarlos schließen, wie
geschehen, weil der Zeuge in dem vorletzten Absatz des zu seiner Vernehmung
mitgebrachten Exemplars des Regulierungsberichtes - den die Beklagte in der von ihr
eingereichten Kopie abgedeckt hat (Bl. 33 d. A.) - die Überprüfung der
Versicherungssumme ausdrücklich empfohlen hat. Dies zeigt, dass es der Zeuge ... für
erforderlich hielt, dass die Beklagte tätig wird und dass er etwaige eigene mündliche
Hinweise bei der Abfassung des Berichtes nicht für ausreichend erachtet hatte.
Soweit die Beklagte demgegenüber behauptet hat, der Zeuge ... habe den Kläger
anlässlich der Besichtigung des Wasserschadens am 10. März 2003 auf die erhebliche
Unterversicherung hingewiesen und den Rat erteilt, er solle seine Versicherungssumme
den Gegebenheiten anpassen, hat der Zeuge zwar bei seiner Vernehmung die
Behauptung der Beklagten teilweise bestätigt, indem er auf Nachfrage des
Beklagtenvertreters angegeben hat, den Kläger auf die Bedeutung der
Unterversicherung, also auf eine anteilige Kürzung der Entschädigung, hingewiesen zu
haben. Eingangs seiner Vernehmung bei der zusammenhängenden Schilderung seines
Besuchs in der Bäckerei hat er sich jedoch vorsichtiger ausgedrückt und lediglich
angegeben, versucht zu haben, dem Kläger deutlich zu machen, dass die
Versicherungssumme von 45.000,- € nicht ausreichen könne, wenn allein schon ein
neuer Backofen 40.000,- € kosten würde, und dass dann im Falle einer Ersatzpflicht die
Unterversicherung angerechnet würde. Mit der mehrfach verwendeten Formulierung,
„versucht“ zu haben, „dem Kläger deutlich zu machen“, hat der Zeuge erkennbar zum
Ausdruck gebracht, dass er selbst nicht davon überzeugt ist, die Frage der
Unterversicherung mit dem Kläger ausreichend besprochen und geklärt zu haben,
weshalb er der Beklagten in seinem Bericht ja auch empfohlen hatte, dieser Frage
nachzugehen. Es kommt hinzu, dass dem Zeugen aufgrund seiner Tätigkeit als
hauptberuflichem Schadenregulierer Fragen der Unterversicherung geläufig sind und
einfach erscheinen, so dass aus der subjektiven Sicht des Zeugen in dem Gespräch
über den Versicherungswert auch Hinweise auf die Unterversicherung enthalten
gewesen sein mögen, diese auf Seiten des Klägers jedoch nicht entsprechend
aufgenommen und verstanden worden sein müssen. Gegen eine ausreichende
Aufklärung sprechen auch die Umstände des Gesprächs. Anlass des Besuchs des
Zeugen bei dem Kläger war nicht etwa die Klärung von
Versicherungsvertragsangelegenheiten in einer ruhigen Atmosphäre in einem Büro,
sondern die Feststellung des Umfangs und der Ursache eines kleineren Wasserschadens
in den Betriebsräumen. Zu Regulierungsverhandlungen ist es bei diesem Besuch nicht
gekommen, weil der Zeuge zunächst klären musste, in wessen Eigentum die durch den
Wasserausbruch aus dem Abflussrohr beschädigte Einrichtung stand. Die Zeugin ... hat
demzufolge aus ihrer Sicht und Erinnerung heraus den Besuch des Zeugen ... so
geschildert, dass der Zeuge mit dem Kläger im Kellerbereich zunächst nur darüber
sprach, was passiert ist und wie es passiert sei. Nach dem sie wieder hoch in den Laden
gekommen seien, sei da „nicht groß was von Unterversicherung oder so“ gewesen, es
habe nur ein kurzes Gespräch an einem der Stehtische im Laden gegeben. Bei der
Würdigung der Aussage beider Zeugen ist ferner zu berücksichtigen, dass das Gespräch
schon über vier Jahre zurückliegt und die Erinnerung an Details in dieser langen Zeit
nicht nur zwangsläufig verblassen muss, sondern auch durch die eigene subjektive
Wahrnehmung und Bewertung der Zeugen verändert und überlagert wird. Unter diesen
Umständen kann mit dem für einen Beweis erforderlichen Grad an Gewissheit nur als
bewiesen angesehen werden, dass der Zeuge ... zwar mit dem Kläger über den
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bewiesen angesehen werden, dass der Zeuge ... zwar mit dem Kläger über den
Kaufpreis für einen neuen Backofen sprach, weil ihm angesichts der vorgefundenen
Ausstattung der Bäckerei, insbesondere des großen Backofens, bei dem es sich nach
seinem Eindruck um ein „Riesengerät“ handelte, die Diskrepanz zwischen dem von ihm
eingeschätzten Versicherungswert und der ihm von der Beklagten mit dem
Regulierungsauftrag mitgeteilten Versicherungssumme von 45.000,- € ins Auge sprang.
Damit stimmt das eigene Vorbringen des Klägers insoweit überein, als er vorgetragen
hat, der Zeuge ... habe ihn nach dem Wert des Inventars befragt und er habe
geantwortet, dieses sei auf ca. 40.000,- € geschätzt worden, wobei der Backofen wohl
den wesentlichen Teil ausgemacht habe. Ob und inwieweit aber der Zeuge ... mit dem
Kläger im Anschluss daran sogleich die hierin liegende Problematik für den
Versicherungsschutz besprach, bleibt angesichts der Flüchtigkeit des gesprochenen
Wortes und der Umstände des lange zurückliegenden Gespräches letztlich offen. Auch
wenn der Zeuge aufgrund der Angabe des Klägers und seiner eigenen überschlägigen
Einschätzung des Wertes der technischen Betriebseinrichtung gegenüber dem Kläger die
Besorgnis der Unterversicherung erwähnt haben sollte, würde eine solche mündliche
Äußerung anlässlich der Schadensbesichtigung und der nicht abgeschlossenen
Regulierung aufgrund der Umstände des Zustandekommens des
Versicherungsantrages nicht ausreichen, um die hierdurch von der Beklagten
übernommene Verantwortung für die Vereinbarung einer ausreichenden
Versicherungssumme auf den Kläger zurück zu verlagern.
c) Die Beklagte muss den Kläger daher im Ergebnis so stellen, wie er bei zutreffender
Einschätzung der Versicherungssumme durch ihre Mitarbeiter stehen würde. Es ist der
von der Gutachterin K. ermittelte Neuwert von 84.800,- € zugrundezulegen, da seit
Abschluss des Versicherungsvertrages unstreitig keine relevanten Wertveränderungen
eingetreten sind. Nach dem nicht bestrittenen Vorbringen des Klägers entsprach das
Inventar der Bäckerei im Zeitpunkt des Brandes mit geringfügigen Abweichungen im
Lagerbestand jenem Zustand, in welchem die Mitarbeiter der Beklagten die Bäckerei am
10. April 2002 besichtigten. Wesentlich für die Wertermittlung waren hierbei die vom
Kläger gebraucht übernommenen technischen Geräte (Etagenbackofen, Teigmaschinen,
Anschlag- und Teigziehmaschine sowie ein Kühlschrank). Die Anrechnung eines
Mehrbetrages für eine höhere Prämie im Falle der Vereinbarung einer höheren
Versicherungssumme im Wege des Vorteilsausgleichs scheidet aus, weil die Beklagte
nach Hinweis nicht vorgetragen hat, wie hoch die Prämie bei zutreffender
Versicherungssumme gewesen wäre. Das Gericht ist allein nicht in der Lage, anhand der
unterschiedlichen Versicherungssummen einerseits und der vom Kläger geschuldeten
Prämie von 150,02 € jährlich einen Mehrbetrag zu errechnen.
3. Die zugesprochenen Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten schuldet die
Beklagte aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§§ 280, 286, 288 BGB n.F.). Gegen die
Angemessenheit der geltend gemachten hälftigen Geschäftsgebühr in Höhe eines
Gebührensatzes von 0,65 gemäß §§ 13, 14 RVG i.V.m. Nr. 2300, Vorbemerkung 3 Abs. 4
VVG bestehen keine Bedenken. Allerdings kann der Kläger die auf die Geschäftsgebühr
berechnete Umsatzsteuer von der Beklagten nicht erstattet verlangen, weil er
vorsteuerabzugsberechtigt ist.
4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1,
708 Nr. 10 und 543 Abs. 2 ZPO.
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