Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017

KG Berlin: ort der erfüllung, willkür, besonderer gerichtsstand, örtliche zuständigkeit, bindungswirkung, bezirk, erfüllungsort, meinung, link, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 AR 37/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 269 BGB, § 21 Abs 1 ZPO , §
29 Abs 1 ZPO, § 36 Abs 1 Nr 6
ZPO, § 36 Abs 2 ZPO
Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts: Erfüllungsort
eines Mobilfunkdiensteanbieters; Ausnahmefall einer
Bindungswirkung eines willkürlichen Verweisungsbeschlusses
Leitsatz
1. Der Erfüllungsort eines Mobilfunkdiensteanbieters im Sinne von § 269 BGB befindet sich an
jedem Ort im Bereich seines Funknetzes.
2. Bei der Bestimmung des Erfüllungsortes des Kunden eines Mobilfunkdiensteanbieters im
Sinne von § 269 BGB sind die Grundsätze der Rechtsprechung zum "gemeinsamen
Erfüllungsort" nicht anzuwenden.
3.a) Einem Verweisungsbeschluss ist wegen Vorliegens von Willkür ausnahmsweise die
Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO u. a. dann zu versagen, wenn das verweisende
Gericht eine Zuständigkeitsnorm weder in den Gründen seines Verweisungsbeschlusses noch
in dort in Bezug genommenen Teilen der gerichtlichen Verfahrensakte erörtert hat und diese
Norm eindeutig seine Zuständigkeit begründet; ein vorsätzliches Außerachtlassen der Norm
ist in diesen Fällen nicht erforderlich.
b) Ist hiernach Willkür zu bejahen, gilt diese als geheilt, wenn die Verweisung im
Einvernehmen beider Parteien erfolgte und die Zuständigkeitsfrage nicht erstmals durch das
Gericht aufgeworfen wurde.
Tenor
Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I.
Die Klägerin hat ihren Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Tempelhof Kreuzberg. Die
Beklagte betreibt ein Mobilfunknetz. Sie hat ihren Sitz in Düsseldorf und eine - von
deutschlandweit insgesamt acht - sog. Niederlassungen in Berlin; diese befindet sich im
Bezirk des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg (A. Straße). Im Bezirk des Amtsgericht
Neukölln unterhält die Beklagte ein Ladenlokal. Die Klägerin begab sich zu diesem Laden
und schloss mit der Beklagten einen Vertrag über ein Mobilfunkgerät und
Mobilfunkleistungen ab. Weil sie sich allerdings von dem Ladenangestellten schlecht
beraten fühlte, focht sie den Vertrag an. Mit der streitgegenständlichen Klage begehrt
sie Feststellung der Wirksamkeit ihrer Anfechtung.
Das zunächst angerufene Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg forderte die Klägerin
unmittelbar nach Eingang der Klageschrift auf, im Hinblick auf § 21 ZPO zur
Selbständigkeit der Niederlassung in der A. Straße vorzutragen. Hierauf entbrannte ein
Streit zwischen den Parteien über das Eingreifen des § 21 ZPO. Das Amtsgericht
Tempelhof-Kreuzberg teilte daraufhin mit, es sehe sich als örtlich unzuständig an und
ordnete, nachdem die Klägerin an ihrer Auffassung festhielt, Termin zur mündlichen
Verhandlung an. Im weiteren Verlauf beantragte die Klägerin dann aber doch die
Verweisung an das Amtsgericht Düsseldorf und das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg
leistete diesem Antrag Folge. In der Begründung des Verweisungsbeschlusses führte es
lediglich zum Nichteingreifen des § 21 ZPO aus. Das Amtsgericht Düsseldorf hält den
Verweisungsbeschluss für nicht bindend. Die Entscheidung sei willkürlich, weil das
Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg verkannt habe, nach § 29 ZPO örtlich zuständig zu
sein.
II.
1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des
zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das Amtsgericht Tempelhof-
Kreuzberg und sodann das Amtsgericht Düsseldorf mit nicht mehr anfechtbaren
Entscheidungen für unzuständig erklärt haben.
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2. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg ist nach § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig.
Nach § 29 Abs. 1 ZPO besteht ein besonderer Gerichtsstand für Streitigkeit über das
Bestehen eines Vertragsverhältnisses dort, wo die streitige Verpflichtung zu erfüllen
wäre. Dabei genügt es, dass jedenfalls ein Teil der Vertragspflichten im Bezirk des
angerufenen Gerichtes zu erfüllen wäre ( in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 29
Rdnr. 17).
Nach § 269 BGB sind sowohl die vertraglichen Pflichten der Klägerin als auch diejenige
der Beklagten zumindest auch im Bezirk des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg zu
erfüllen. Für die Pflichten der Beklagten ergibt sich dies aus der Natur des im Streit
stehenden Schuldverhältnisses. Denn dieses ist darauf gerichtet, die Klägerin im
gesamten Bereich ihres deutschen Funknetzes, d.h. jedenfalls auch im Bezirk des
Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg, mit Funksignalen und dazugehörenden
Mobilfunkleistungen zu versorgen (ähnlich , OLGR 2006, 652 [653]).
Der Sitz der Beklagten, auf den nach § 269 Abs. 1 BGB hilfsweise abzustellen wäre, ist
daher nicht von Belang. Für die Pflichten der Klägerin folgt der Kreuzberger Erfüllungsort
aus dem Wohnsitz der Klägerin; insofern ist aus der Natur des streitgegenständlichen
Schuldverhältnisses nicht auf einen bestimmten Leistungsort zu schließen. Zwar folgert
die Rechtsprechung bei einer Reihe von Typen gegenseitiger Verträge aus deren Natur,
dass ein sog. gemeinsamer Erfüllungsort für beide Vertragspflichten dort besteht, wo die
vertragscharakteristische Leistung zu erbringen ist (vgl. in Palandt, 66. Aufl.
2007, § 269 Rdnr. 14). Verträge, deren vertragscharakteristische Leistung nicht die
Anwesenheit des Schuldners am Ort der Erfüllung erfordert und nicht an einem
bestimmten Ort, sondern überall in Deutschland zu erbringen ist, können von der
genannten Rechtsprechung allerdings nicht erfasst sein. Denn Sinn dieser
Rechtsprechung ist die Überlegung, dass es zweckmäßig sein kann, wenn die
Zahlungsleistung an einem Ort erfolgt, an den sich die Parteien zur Erfüllung der
Gegenleistung ohnehin begeben müssen oder in aller Regel begeben. Bei Verträgen, die
im Wesentlichen zur Zusendung von Mobilfunksignalen verpflichten, kann es daher
keinen gemeinsamen Erfüllungsort geben (ebenso , a.a.O.).
Dahinstehen kann danach, ob für die Anwendung des § 29 ZPO im Falle von Klagen, die
auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens nicht einer einzelnen Verpflichtung,
sondern eines gegenseitigen Schuldverhältnisses gerichtet sind, allein auf diejenige
Verpflichtung abzustellen ist, an deren Bestehen bzw. Nichtbestehen der Kläger ein
Interesse hat, oder ob zuständigkeitsbegründend auch die Gegenforderung
herangezogen werden kann.
3. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hat seine örtliche Zuständigkeit nicht nach §
281 Abs. 2 Satz 3 ZPO dadurch verloren, dass es den Rechtsstreit an das Amtsgericht
Düsseldorf verwiesen hat.
a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz
bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des
Gerichtes, an das verwiesen wird. Die Bindungswirkung ist, trotz des einschränkenden
Wortlautes der Vorschrift, auch von demjenigen Gericht zu beachten, das die
Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vornimmt (vgl. nur
in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 36 Rdnr. 28, m.Rspr.N.).
Jedoch ist anerkannt, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die
Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur , NJW 2003, 3201 [3201]; in Zöller,
ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb
anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur
Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in
der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der
fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings
u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht eine Zuständigkeitsnorm in den
Gründen des Verweisungsbeschlusses nicht erörtert und diese Norm eindeutig seine
Zuständigkeit begründet ( vom 5. Januar 2007, 2 AR 62/05; ähnlich:
, KGR 2000, 68 [69] „Weicht das [Gericht] ... von der Gesetzeslage bzw.
der ganz einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ab, ... muss es dies
wenigstens ... begründet haben“; in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17
„Bindungswirkung kann ... fehlen, wenn [der] Beschluss ... nicht erkennen lässt, dass
sich das Gericht mit einer einhellig gegenteiligen Rechtsansicht auseinander gesetzt
hat“). Dabei steht es der Erörterung der Norm in den Beschlussgründen gleich, wenn
sich aus sonstigen Teilen der gerichtlichen Verfahrensakte ergibt, dass das verweisende
Gericht die Norm in Betracht gezogen und sich mit ihr auseinandergesetzt hat (
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Gericht die Norm in Betracht gezogen und sich mit ihr auseinandergesetzt hat (
, a.a.O., , MDR 1993, 176 [176]; in Zöller, a.a.O.). Nicht von
Belang ist allerdings, ob das verweisende Gericht eine maßgebliche Zuständigkeitsnorm
vorsätzlich außer Acht gelassen hat ( , MDR 2002, 905 [905]; in
Zöller, a.a.O.). Denn die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 ZPO bezweckt die zügige
Erledigung des Zuständigkeitsstreits in einer dem verfassungsrechtlichen Gebot des
gesetzlichen Richters genügenden Weise, nicht aber den etwaigen Schuldvorwurf
gegenüber dem verweisenden Gericht.
Ist nach diesen Regeln Willkür anzunehmen, gilt diese allerdings u.a. dann als geheilt,
wenn die Verweisung im Einvernehmen beider Parteien erfolgte ( , NJW 2003, 3201
[3202]). Ein Einvernehmen der Parteien in diesem Sinne ist nicht schon dann
anzunehmen, wenn der Kläger einen Verweisungsantrag stellt und der Beklagte der
Verweisung zustimmt. Erforderlich ist vielmehr zusätzlich, dass die Zuständigkeitsfrage
nicht erstmals von dem verweisenden Gericht aufgeworfen wurde und daher die
Annahme fernliegt, dass die Haltung der Parteien durch das Gericht veranlasst wurde
(so für die Heilung von Willkür wegen Abweichens von einer eindeutigen gesetzlichen
Regelung: , NJW 2002, 3634 [3636]; , NJW-RR 2001, 646 [646]).
b) Die genannten Voraussetzung für die Annahme von Willkür sind vorliegend gegeben.
Wie aus den Ausführung unter Ziff. 2 ersichtlich ist, begründet § 29 Abs. 1 ZPO
unzweifelhaft die Zuständigkeit des Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg. Das Amtsgericht
hat diese Vorschrift weder in seinem Verweisungsbeschluss noch an anderer Stelle des
Verfahrens ersichtlich in Betracht gezogen.
Der Umstand, dass die Klägerin die Verweisung beantragt und die Beklagte die
Verweisung gewünscht hat, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Denn die Frage
der örtlichen Zuständigkeit wurde erstmals vom Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg
aufgeworfen und im weiteren Verlauf der sich anschließenden Diskussion von diesem
sogar ausdrücklich verneint. Das Verweisungsverlangen der Parteien beruhte daher nicht
auf ihrer autarken, einvernehmlichen Entscheidung, sondern wurde offenbar von dem
Gericht veranlasst.
4. Der Senat hatte die Sache nicht nach § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH zur Entscheidung
vorzulegen, obwohl das OLG Karlsruhe - leicht abweichend von der o.g. Ansicht des
Senats - meint, es sei unerheblich, ob das verweisende Gericht seine etwaige
Zuständigkeit nach § 29 ZPO in Betracht gezogen habe, weil für die Frage der
Bindungswirkung allein entscheidend sei, ob die Verweisung bei objektiver Betrachtung
vertretbar erscheine (OLGR 2005, 139 [140]).
Denn Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO ist, dass die
Rechtsfrage, in der das vorlegende Oberlandesgericht von der Entscheidung eines
anderen Oberlandesgerichtes abweichen will, aus Sicht des vorlegenden Gerichts
entscheidungserheblich ist (BGH, NJW 2003, 3201 [3201]). Eine
Entscheidungserheblichkeit der o.g. Rechtsfrage ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
Nach dem oben Dargelegten (Ziff. 2) ist die Annahme der Unzuständigkeit des
Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg nämlich nicht mehr vertretbar, weshalb auch bei
Zugrundelegung der Auffassung des OLG Karlsruhe Willkür zu bejahen und die
Bindungswirkung des Beschlusses zu verneinen wäre.
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