Urteil des KG Berlin vom 15.12.2004

KG Berlin: vollstreckung der strafe, reststrafe, aussetzung, freiheitsentzug, strafvollzug, heimat, offenkundig, persönlichkeit, ausländer, abschiebung

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 AR 1455/04 - 5 Ws
689/04, 1 AR
1455/04, 5 Ws 689/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 88 Abs 1 JGG, § 57 Abs 1 S 2
StGB
Reststrafenaussetzung: Prognoseentscheidung bei erneuten
schweren Straftaten nach Erstverurteilung und Abschiebung
Leitsatz
Keine günstige Prognose, wenn nach Erstverurteilung und Ausweisung Rückkehr nach
Deutschland, um schwere Bandendiebstähle zu begehen
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bayreuth wird der Beschluß des
Landgerichts Berlin –Strafvollstreckungskammer – vom 15. Dezember 2004 aufgehoben.
Der Antrag des Verurteilten, die Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des
Landgerichts Bayreuth vom 18. September 1996 zur Bewährung auszusetzen, wird
abgelehnt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen.
Gründe
Das Landgericht Bayreuth verurteilte ... - damals noch unter seinem Geburtsnamen ... -
am 18. September 1996 wegen Diebstahls in acht Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei
Jahren und sechs Monaten. ... hatte, wie schon bei der Einreise mit zwei Mittätern nach
Deutschland geplant, acht Kraftfahrzeuge aufgebrochen und daraus Gegenstände
entwendet. Mit Bescheid vom 18. März 1997 sah der Jugendrichter am Amtsgericht
Bamberg gemäß § 456 a Abs. 1 StPO ab dem Tag der Abschiebung des Verurteilten von
der weiteren Vollstreckung der Jugendstrafe ab und ordnete zugleich für den Fall seiner
Rückkehr die Nachholung der Vollstreckung an. Die Abschiebung des Verurteilten nach
Polen erfolgte am 3. Juli 1997.
Am 10. Oktober 2002 wurde ... in Berlin festgenommen. Er hatte sich mit zwei
Landsleuten mit dem Ziel zusammengeschlossen, in Deutschland hochwertige
Kraftfahrzeuge zu entwenden, an ihnen zur Erschwerung der Fahndung Umbauarbeiten
vorzunehmen und sie dann nach Polen zu schaffen, um sie dort zu verwerten. Ein
Fahrzeug im Wert von ca. 80.000 Euro hatten und seine Mittäter bereits am 3. Oktober
2002 gestohlen. Am 13. März 2003 verurteilte ihn das Amtsgericht Tiergarten wegen
schweren Bandendiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten.
Die Strafe mußte er bis zum 17. Oktober 2004 verbüßen. Seither wird gegen ihn die
Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 18. September 1996
vollstreckt. Als ihr Ende ist der 23. Juli 2005 vermerkt.
Mit dem Beschluß vom 15. Dezember 2004 hat die Strafvollstreckungskammer die
weitere Vollstreckung der Strafe nach § 88 Abs. 1 JGG auf vier Jahre zur Bewährung
ausgesetzt. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bayreuth hat Erfolg.
Richtig zu stellen ist zunächst, daß die Entscheidung über eine Aussetzung der
Vollstreckung der Reststrafe nicht nach § 88 Abs. 1 JGG, sondern nach § 57 Abs. 1 StGB
zu treffen ist. Der Jugendrichter am Amtsgericht Bamberg hat als Vollstreckungsleiter
am 18. November 2002 gemäß § 92 Abs. 2 JGG die Vollstreckung der Jugendstrafe im
Erwachsenenvollzug angeordnet und die Vollstreckung nach § 85 Abs. 6 JGG an die
Staatsanwaltschaft Bayreuth als die nach den allgemeinen Vorschriften zuständige
Vollstreckungsbehörde abgegeben. Infolgedessen bestimmt sich die Prüfung einer
Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe nicht mehr nach § 88 JGG, sondern nach §
57 StGB (vgl. OLG Düsseldorf StV 1998, 348; Beschlüsse des Senats vom 6. November
2003 - 5 Ws 529/03 - und 5. April 2002 - 5 Ws 204/02 -, Heinrich, NStZ 2002, 182 ff.).
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2003 - 5 Ws 529/03 - und 5. April 2002 - 5 Ws 204/02 -, Heinrich, NStZ 2002, 182 ff.).
Dessen Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Mit Recht hat die Strafvollstreckungskammer zunächst dargelegt, daß bei der
Entscheidung über eine Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe hier ein besonders
kritischer, strenger Maßstab angelegt werden muß. Dazu zwingen die Schwere und die
sonstigen Umstände der Straftaten, die sich der Verurteilte hat zuschulden kommen
lassen. Mit deren Einbeziehung in die Abwägung verstoßen die Vollstreckungsgerichte
nicht gegen das Gebot, die Entscheidung über die Aussetzung allein von einer günstigen
Täterprognose abhängig zu machen (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Die Tatumstände
sind, da sie wesentliche Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Täters erlauben, in § 57
Abs. 1 Satz 2 StGB als für die Entscheidung bedeutsam ausdrücklich genannt, und die
Schwere der begangenen Taten läßt Folgerungen auf das Gewicht des bei einem Rückfall
bedrohten Rechtsguts zu (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl., § 57 Rdn. 12 m.
Rsprnachw.). Demgegenüber kann sich die Verteidigerin nicht auf die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG NJW 2000, 502 = NStZ 2000, 109; kritisch
hierzu Kröber NStZ 2000, 613) berufen, nach der bei einem lang andauernden Vollzug
von Freiheitsstrafe den Umständen der Tat für die Prognoseentscheidung gemäß § 57
Abs. 1 StGB nur noch eine eingeschränkte Aussagekraft zukommt. Denn mit etwa zwei
Jahren und drei Monaten ist der bisherige Freiheitsentzug jedenfalls nicht so lang, daß
die Tatumstände bereits an Gewicht verloren hätten.
Bei der Würdigung des von dem Verurteilten gezeigten Verhaltens und den daraus für
die Zukunft zu ziehenden Schlüssen muß sich zum einen gegen ihn auswirken, daß er
nicht der Versuchung zu Gelegenheitstaten erlegen ist, sondern geplante Diebestouren
unternommen hat, zum andern zu seinen Lasten die Unbelehrbarkeit ins Gewicht fallen,
die er bei dem Bandendiebstahl im Herbst 2002 an den Tag gelegt hat. Schon das
Landgericht Bayreuth hat in dem Urteil vom 18. September 1996 hervorgehoben, daß
der Verurteilte und seine Mittäter aus Stettin allein zu dem Zweck angereist sind, in
Bayreuth Fahrzeuge aufzubrechen und Diebstähle zu begehen. Es hat zudem auf die
erhebliche kriminelle Energie hingewiesen, die ihre Vorgehensweise belegt habe. Der
Verurteilte mußte alsdann nahezu 18 Monate Jugendstrafe verbüßen. Es mag zutreffen,
daß diese Strafe unter weniger belastenden Umständen als eine Freiheitsstrafe für
Erwachsene vollzogen worden ist. Andererseits handelte es sich dabei für den
Verurteilten um seinen ersten Freiheitsentzug, den er fern von Verwandten und
Freunden über einen langen Zeitraum hinnehmen mußte.
Die gebotenen Lehren aus diesen Erfahrungen zog der Verurteilte gleichwohl nicht.
Bereits im März 1999 versuchte er, nach Deutschland einzureisen, obgleich er darüber
belehrt worden war, daß er bei einer Rückkehr nach Deutschland die Vollstreckung der
Reststrafe zu erwarten hatte. Wie wenig ihn der Vollzug der Jugendstrafe beeindruckt hat,
zeigte sich schließlich bei dem dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 13. März
2003 zugrunde liegenden schweren Bandendiebstahl, der sorgfältig geplant und
ausgeführt wurde und dem gleichartige Verbrechen folgen sollten.
Bei einem Straftäter, der in einer so bedenkenlosen Weise gravierend gegen die
Strafgesetze verstoßen hat, wird durch eine Strafaussetzung das vom Gesetzgeber in §
57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB hervorgehobene Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit
stark berührt. Dementsprechend sind die Vollstreckungsgerichte bei der Entscheidung
zu besonderer Vorsicht und Zurückhaltung verpflichtet. Eine Strafaussetzung ist nur
dann zu verantworten, wenn konkrete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der
Täter die Persönlichkeitsdefizite, die in seinen Straftaten deutlich geworden sind,
behoben und die Fähigkeit erworben hat, Tatanreizen künftig zu widerstehen (st. Rspr.
des Senats, vgl. u. a. in NStZ-RR 2000, 170). Bei K besteht dieses Defizit in seiner in der
Vergangenheit offenkundig gewordenen Bereitschaft, zum Zwecke schnellen
Gelderwerbs bedenkenlos schwerwiegende Straftaten zu planen und auszuführen.
Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer reichen die verfügbaren
Erkenntnisse nicht aus, um hinreichend wahrscheinlich zu machen, daß sich bei dem
Verurteilten in dieser Hinsicht eine grundlegende charakterliche Wandlung vollzogen hat.
Eine Aufarbeitung der Straftaten dürfte sich nicht in der Erkenntnis erschöpfen, daß das
Risiko der Entdeckung und Bestrafung derartiger Taten größer ist, als der Verurteilte
offenkundig geglaubt hat. Sie müßte vielmehr bei ihm zu der nachhaltigen Einsicht in die
Sozialschädlichkeit und Verwerflichkeit strafrechtlicher Delinquenz führen. Ob sich bei
ihm inzwischen eine solche Entwicklung vollzogen hat, ist aber gänzlich ungewiß. Nach
Auffassung der Justizvollzugsanstalt Tegel in ihrer Stellungnahme vom 28. Oktober 2004
fehlt es bislang an einer umfassenden Aufarbeitung der Verfehlungen. Dem
entgegenstehende, für den Verurteilten positive Erkenntnisse gibt es nicht. Ob dies
seinen Grund in Sprachproblemen hat, die sich der Verurteilte im Übrigen durch seine
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seinen Grund in Sprachproblemen hat, die sich der Verurteilte im Übrigen durch seine
mangelnde Bereitschaft zur Teilnahme an Deutschkursen auch selbst zuzuschreiben
hat, ist für die hier zu treffende Entscheidung nicht ausschlaggebend.
Andere Umstände, die eine positive Prognose ausreichend stützen könnten, fehlen
ebenfalls. Welches Gewicht in diesem Zusammenhang einem einwandfreien Verlauf des
Vollzuges zukommt, hängt hauptsächlich von der Persönlichkeit des Straftäters ab. K
hat in seiner Heimat sozial und familiär eingeordnet gelebt, so daß es ihm keine großen
Probleme bereitet haben dürfte, den Anforderungen des Vollzuges gerecht zu werden.
Den Bandendiebstahl hat er begangen, nach dem schon der Jugendstrafvollzug
einwandfrei verlaufen war. Vollzugslockerungen, die Aufschluß darüber geben könnten,
ob er der Versuchung zur Begehung von Eigentumsdelikten inzwischen besser standhält,
sind ihm nicht bewilligt worden. Auch in diesem Punkt beruft sich die Verteidigerin
erfolglos auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage, inwieweit die
Vollstreckungsgerichte bei der Entscheidung über eine Aussetzung der Vollstreckung der
Strafe die Versagung von Lockerungen berücksichtigen können. Nach dieser
Rechtsprechung (vgl. BVerfG StV 2003, 677) dürfen sie eine Aussetzung nicht allein
deshalb ablehnen, weil die Vollzugsbehörde die Gewährung von Lockerungen auf der
Grundlage bloßer pauschaler Wertungen oder mit dem Hinweis auf eine abstrakte Flucht-
oder Mißbrauchsgefahr versagt hat. So liegen die Dinge hier nicht. Nachdem der
Verurteilte in Kenntnis der Gefahr einer Vollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil vom
18. September 1996 zum zweiten Mal nach Deutschland gekommen war, um hier in
größerem Ausmaß Diebstähle zu begehen, mußte die Vollzugsbehörde die Befürchtung,
er werde weitere Straftaten verüben, aber auch die Besorgnis, er werde in die nahe
Heimat flüchten, als so groß einschätzen, daß sie Lockerungen des Vollzuges nicht
verantworten konnte.
Die familiären Sorgen, die der Strafvollzug dem Verurteilten bereitet, rechtfertigen eine
Strafaussetzung ebenfalls nicht. Sie sind für die Prognose nicht von Gewicht. Gleiches
gilt für die Tatsache, daß der Vollzug den Verurteilten als Ausländer stärker als deutsche
Gefangene belastet. Wer als Ausländer nach Deutschland einreist, nicht um hier zu
leben, sondern um hier gegen die Gesetze zu verstoßen, nimmt Erschwernisse im
daraus folgenden Strafvollzug in Kauf.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1
StPO.
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