Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: befangenheit, rechtliches gehör, vorbefassung, räumung, untermieter, fehlerhaftigkeit, hauptmieter, kündigung, hauptmietverhältnis, voreingenommenheit

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 164/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 42 Abs 2 ZPO, § 522 Abs 2 S 2
ZPO
Befangenheit des Berufungsgerichts bei beabsichtigter
Rechtsmittelzurückweisung mit einer anderen Begründung;
Ablehnungsrecht im Räumungsprozess gegen den Untermieter
wegen Vorbefassung im Parallelverfahren gegen den
Hauptmieter
Leitsatz
Keine Befangenheit des Berufungsgerichts wegen Anwendung des Verfahrens der
Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs.2 ZPO, wenn das
Berufungsgericht das Ergebnis des Erstgerichts für richtig hält, aber die Begründung des
angefochtenen Urteils auswechselt.
Keine Befangenheit des Berufungsgerichts im Räumungsprozess gegen den Untermieter
wegen Vorbefassung mit dem Räumungsprozess gegen den Hauptmieter, der sich mit den
im Wesentlichen gleichen Argumenten verteidigt hat.
Tenor
Das Ablehnungsgesuch des Beklagten vom 21. Februar 2008 gegen den Vorsitzenden
Richter am Kammergericht ... und die Richter am Kammergericht ... und Dr. ... wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin nahm den Beklagten auf Räumung der von diesem im Hause ... in ... inne
gehaltenen Büroräume in Anspruch, die sie an den Prozessbevollmächtigten des
Beklagten, Rechtsanwalt Dr. ..., vermietet hatte und die der Beklagte nach seinen
Angaben seinerseits von Dr. ... gemietet hatte.
Die Klägerin hat das Hauptmietverhältnis gekündigt und gegen Dr. ... ein
Räumungsverfahren vor dem Landgericht Berlin zum Aktenzeichen 32 O 318/06
betrieben. Das Landgericht hat Dr. ... im dortigen Verfahren zur Räumung verurteilt; die
Berufung von Dr. ... hat der Senat durch einstimmigen Beschluss vom 15. November
2007 - 12 U 7/07 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Die gegen diesen
Beschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde von Dr.... hat der Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin durch Beschluss vom 17. Dezember 2007 einstimmig verworfen -
VerfGH 188/07 und 188 A/07.
Das Landgericht hat den Beklagten durch am 3. August 2007 verkündetes Urteil zur
Räumung verurteilt, gegen das der Beklagte mit Schriftsatz vom 17. August 2007
Berufung eingelegt hat.
Mit Beschluss vom 7. Januar 2008 hat der Senat durch die abgelehnten Richter den
Beklagten darauf hingewiesen, dass er nach Vorberatung beabsichtige, die Berufung des
Beklagten durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie weder nach dem Hauptantrag noch
nach dem Hilfsantrag Aussicht auf Erfolg habe, da die angefochtene Entscheidung
jedenfalls im Ergebnis richtig sei.
Dabei hat der Senat ausgeführt, dass sich der Beklagte nicht darauf stützen könne, dass
das Landgericht entscheidungserhebliche Tatsachen fehlerhaft festgestellt habe, da das
Landgericht den Tatbestand durch Beschluss vom 25. September 2007 wegen
offensichtlicher Unrichtigkeit berichtigt habe. Ebenfalls rechtsfehlerfrei habe das
Landgericht eine Berechtigung von ... angenommen, die Klägerin zu vertreten.
Schließlich könne sich der Beklagte auch nicht darauf berufen, dass das Landgericht
unter Verletzung seines Grundrechts auf rechtliches Gehör eine
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unter Verletzung seines Grundrechts auf rechtliches Gehör eine
Überraschungsentscheidung erlassen habe, indem es den Prozessstoff aus dem
Verfahren gegen den Hauptmieter Dr. ... eingeführt und in seinem Urteil verwertet habe.
Weiterhin ist in dem Beschluss ausgeführt, dass es dem Beklagten oblegen hätte, zum
Fortbestand des Hauptmietverhältnisses vorzutragen, auf dem sein behauptetes
Mietverhältnis beruhen soll.
Weiterhin ist ausgeführt, dass der Senat dem Argument des Beklagten, ihm sei der
Sachvortrag aus dem Parallelverfahren weitgehend unbekannt gewesen, nicht folge. Der
jetzt im Berufungsverfahren mitgeteilte Vortrag des Beklagten hätte seiner
Rechtsverteidigung auch erstinstanzlich nicht zum Erfolg verholfen, da diese Argumente,
die dem Senat bereits aus dem Parallelverfahren 12 U 7/07 bekannt seien, nicht die
Auffassung rechtfertigten, das Hauptmietverhältnis bestehe fort.
Die Beschlüsse aus dem Parallelverfahren 12 U 7/07 vom 1. Oktober 2007, 15.
November 2007 und 29. November 2007, die dem Prozessbevollmächtigten des
hiesigen Beklagten als dortiger Prozesspartei bekannt gewesen seien, hat der Senat
dem Beschluss in der Anlage beigefügt.
Der Beklagte lehnt die an dem Beschluss beteiligten Richter wegen der Besorgnis der
Befangenheit ab und trägt hierzu vor:
Es habe schon im Parallelverfahren die Besorgnis bestanden, dass der Senat unter für
den konkreten Fall nicht indizierter Heranziehung der Verfahrensgestaltung des § 522
Abs. 2 ZPO „kurzen Prozess“ machen wolle.
Auch in dem Parallelverfahren habe der Senat die - insoweit zutreffende - Auffassung
vertreten, dass die Begründung des Landgerichts zur Rechtfertigung der
außerordentlichen Kündigung (vermeintliche Nichtzahlung der Mietsicherheit) rechtlich
nicht haltbar sei und statt dessen eine vollkommen andere Begründung (angeblicher
Mietrückstand wegen fehlendem Leistungsverweigerungsrecht) herangezogen.
Auch vorliegend beabsichtige der Senat erkennbar erneut „kurzen Prozess“ zu machen
und die Berufung des Beklagten nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und verweise
ihn hinsichtlich der materiellen Wirksamkeit der Kündigung auf diverse Beschlüsse in
dem Verfahren gegen seinen Prozessbevollmächtigen, an dem er nicht beteiligt war und
von dem er auch keinerlei Aktenkenntnis habe.
Diese Vorgehensweise begründe die Annahme, dass die Mitglieder des Senats
voreingenommen seien und nicht unparteiisch entscheiden würden.
Die abgelehnten Richter haben zu dem Ablehnungsgesuch jeweils eine dienstliche
Äußerung abgegeben. Auf die Erklärungen vom 22. und 25. Februar 2008, Bl. 52-56 Bd. II
der Akten, wird verwiesen.
In seiner Stellungnahme zu dem Hinweisbeschluss des Senats vom 21. Februar 2008
hat der Beklagte mitgeteilt, dass er die streitgegenständlichen Mieträume
zwischenzeitlich geräumt habe.
Die Klägerin hat in ihrer Stellungnahme vom 12. März 2008 zu dem Ablehnungsgesuch
mitgeteilt, dass zwischenzeitlich die Zwangsräumung und Zwangseinweisung in die
Mieträume erfolgt sei.
II.
Das zulässige Ablehnungsgesuch ist unbegründet.
Weder die Prozessführung, noch der Inhalt des Beschlusses des Senats vom 7. Januar
2008 sind geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit
der abgelehnten Richter zu rechtfertigen.
Eine Besorgnis der Befangenheit nach § 42 ZPO setzt objektive Gründe voraus, die vom
Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken
können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht
unparteiisch gegenüber (Zöller-Vollkommer, 26. Aufl., § 42 ZPO, Rn 9 m.w.N.). Solche
Gründe sind von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.
1. Soweit der Beklagte rügt, die abgelehnten Mitglieder des Senats wollten offenbar
„kurzen Prozess“ machen, indem sie in einem dafür nicht geeigneten Fall eine
Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO beabsichtigten, begründet
dies bereits deshalb keine Besorgnis der Befangenheit, weil der Beklagte keine
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dies bereits deshalb keine Besorgnis der Befangenheit, weil der Beklagte keine
ausreichenden Gründe dafür vorträgt, dass eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO nicht ergehen kann.
Soweit er meint, dies sei deshalb der Fall, weil der Senat der Begründung des
Landgerichts nicht folge, sondern die Berufung vielmehr mit einer anderen materiellen
Begründung zurückweisen wolle, ist dies nicht zu beanstanden. Grundsätzlich darf auch
in einem nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu entscheidenden Fall die rechtliche
Begründung ausgewechselt werden (vgl. Zöller-Gummer/Heßler, 26. Aufl., § 522 ZPO, Rn
36; OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Mai 2005 - 14 U 154/04 - NJW 2006, 71; Senat,
Beschluss vom 29. November 2007 - 12 U 20/07 -), ebenso wie dies in jeder
Entscheidung des Berufungsgerichts möglich ist. Die Entscheidung des Erstgerichts
beruht nämlich nur dann auf einem Rechtsfehler (§§ 513, 546 ZPO), wenn bei der
Verletzung des materiellen Rechts die richtige Anwendung zu einem dem
Berufungsführer günstigen Ergebnis führen würde (vgl. Zöller-Gummer/Heßler, 26. Aufl.,
§ 513 ZPO, Rn 5). Dies ist nicht der Fall, wenn die Entscheidung des Erstgerichts im
Ergebnis richtig ist (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 11. März 2003 - 3 U 28/03 - MDR
2003, 1073).
2. Soweit der Beklagte sein Ablehnungsgesuch zudem damit begründen will, dass die
abgelehnten Richter atypisch vorbefasst gewesen seien und dies unter Umständen zu
einer endgültigen Festlegung geführt habe, die einer unvoreingenommenen
Entscheidung der hiesigen Sache entgegen stehe, ist dies ebenfalls nicht geeignet, eine
Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
Die von dem Beklagten geltend gemachte Vorbefassung der abgelehnten Richter
bestand darin, dass sie bezüglich desselben Mietobjektes bereits eine Entscheidung
hinsichtlich des Hauptmietvertrages getroffen hatten. Eine derartige Vorbefassung ist
insbesondere bei Gerichten mit Spezialsenaten für unterschiedliche Rechtsmaterien, wie
vorliegend dem gewerbliche Mietrecht, nicht atypisch, sondern zwangsläufig häufig
gegeben. Derartige Fälle der prozessrechtlich typischen Vorbefassung stellen
grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar (vgl. Zöller/Vollkommer, 26. Aufl., § 42 ZPO,
Rn 15 m.w.N.).
3. Schließlich stellt auch der Hinweis auf das Parallelverfahren und die deshalb bei den
beteiligten Richtern bereits bestehende Kenntnis über die auch dort schon
vorgetragenen rechtlichen Argumente kein Vorgehen dar, welches die Besorgnis der
Befangenheit begründen könnte.
Der Hinweis auf die bereits erfolgte rechtliche Auseinandersetzung mit den im
wesentlichen gleichen rechtlichen Argumenten enthält im Rahmen des rechtlichen
Gehörs den Hinweis an den Beklagten, dass der Senat seine Rechtsauffassung zu dem
gleich gelagerten Themenkomplex im vorliegenden Fall nicht geändert hat, sondern an
der aus den für den Beklagten beigefügten Beschlüssen ersichtlichen Auffassung
festhalten will.
Der Hinweis auf die bereits erfolgte obergerichtliche Entscheidung von Rechtsfragen ist
gängige Praxis und der Hinweis auf frühere Entscheidungen eines Gerichtes gibt den
Parteien die Möglichkeit die Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels einzuschätzen.
Das Ablehnungsverfahren ist kein Instrument der Fehlerkontrolle, weshalb es auf eine
etwaige Fehlerhaftigkeit der im Rahmen des Hinweises mitgeteilten Rechtsauffassung
grundsätzlich nicht ankommt (Zöller-Vollkommer, aaO, Rn 28 m.w.N.). Etwas anderes
könnte nur dann gelten, wenn dargetan ist, dass die Fehlerhaftigkeit auf Willkür oder
einer Voreingenommenheit beruht. Dies ist weder ersichtlich, noch mit dem
Befangenheitsgesuch nachvollziehbar begründet.
4. Die im ergänzenden Schriftsatz des Beklagten vom 5. März 2008 enthaltene Kritik an
dem Inhalt der dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter ist nicht geeignet, eine
Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Soweit der Beklagte meint, die abgelehnten
Richter hätten sich in ihren dienstlichen Äußerungen nicht in ausreichendem Maße mit
seinem Vorbringen in der Sache auseinander gesetzt und seien insbesondere auch nicht
auf die Besonderheiten der Fallkonstellation eingegangen, liegt, wie oben bereits
dargelegt, eine besondere Fallkonstellation nicht ersichtlich vor und haben sich die
abgelehnten Richter im Übrigen in ihren dienstlichen Äußerungen ausdrücklich zur Frage
der Anwendbarkeit des § 522 Abs. 2 ZPO im vorliegenden Fall erklärt und auch zu dem
Vorwurf Stellung genommen, sie würden zu Lasten des Beklagten „kurzen Prozess“
machen wollen. Die dienstlichen Äußerungen entsprechen dem Erfordernis des § 44 Abs.
3 ZPO und lassen ihrerseits keine Gründe erkennen, die für den Beklagten eine
Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter begründen könnten.
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