Urteil des KG Berlin vom 05.08.2005

KG Berlin: untersuchungshaft, kontrolle, verfügung, gefährdung, einfluss, schwager, brandstiftung, sammlung, sicherheit, beschränkung

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Gericht:
KG Berlin 4.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 AR 1147/05 - 4 Ws
133/05, 1 AR
1147/05, 4 Ws 133/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 119 Abs 3 StPO, § 304 StPO,
Art 1 GG, Art 2 GG
Untersuchungshaft: Gesprächsüberwachung von
Untersuchungsgefangenen und deren Angehörigen
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen einer akustischen Überwachung von Gesprächen zwischen einer
Untersuchungsgefangenen und Familienangehörigen
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Angeklagten wird die Verfügung des Vorsitzenden der
Strafkammer 22 vom 5. August 2005 aufgehoben.
Es wird angeordnet, dass die Telefon- und Besuchergespräche der Angeklagten mit Ma.,
Ru. und Mi. keiner akustischen Überwachung unterliegen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
Die Angeklagte befindet sich seit dem 9. Oktober 2003 in Untersuchungshaft. Das
Landgericht hat sie am 26. Januar 2005 wegen Mordes in Tateinheit mit besonders
schwerer Brandstiftung, mit Brandstiftung mit Todesfolge, mit Versicherungsmissbrauch
und mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt
und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die Angeklagte hat gegen dieses
Urteil Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Der Vorsitzende der
Strafkammer 22 hat mit Verfügung vom 5. August 2005 ihren Antrag, die Anordnung der
akustischen Überwachung ihrer Besucher- und Telefongespräche mit ihrer Schwester,
Ma., ihrem Schwager, Ru., und ihrem Sohn, Mi., aufzuheben. Die dagegen gerichtete
Beschwerde der Angeklagten hat Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 19. September 2005 zu
dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:
„Die Beschwerde ist nach § 304 StPO zulässig. Sie sollte m. E. auch Erfolg haben.
Einem Untersuchungsgefangenen dürfen nach § 119 Abs. 3 StPO nur solche
Freiheitsbeschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder
die Ordnung in der Haftanstalt erfordern und unvermeidlich sind (vgl. BVerfG NStZ 1994,
52). Dieser Grundsatz gilt auch für die akustische Überwachung von
Besuchergesprächen oder Telefonaten des Untersuchungsgefangenen (vgl. BVerfG
NStZ 1996, 613). Denn diese Form der Kontrolle stellt einen ganz erheblichen Eingriff in
den durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten persönlichen
Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch der Gesprächspartner dar. Der Richter
muss daher stets prüfen, ob konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein nicht
akustisch überwachtes Gespräch eine Gefährdung des Haftzweckes oder der
Anstaltsordnung mit sich brächte.
Die Prüfung der Notwendigkeit einer Gesprächsüberwachung hat sich auf alle Umstände
des Einzelfalles zu erstrecken und neben der Person des Verhafteten, seinem sozialen
Umfeld, der Art der ihm vorgeworfenen Straftaten, dem jeweiligen Verfahrensstand und
dem Ausmaß der Fluchtgefahr auch die Person des Besuchers in Betracht zu ziehen
(vgl. KG, Beschluss vom 14. Dezember 1998 - 4 Ws 277-279/98 -). Bei Gesprächen mit
Familienangehörigen bedarf es, um der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen Wert
entscheidenden Norm Rechnung zu tragen, einer besonders ernstlichen und
eingehenden, auch die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft einbeziehenden und am
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eingehenden, auch die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft einbeziehenden und am
Kriterium der Zumutbarkeit orientierten Prüfung, ob eine solche Beschränkung
unverzichtbar vom Zweck der Untersuchungshaft oder der Sicherheit und Ordnung in
der Anstalt gefordert wird (vgl. KG, Beschluss vom 5. April 2000 - 4 Ws 75/00 -). Der
Umstand, dass ein möglicher Missbrauch des akustisch nicht überwachten Gesprächs
nicht völlig auszuschließen ist, reicht für seine inhaltliche Kontrolle nicht aus (vgl. BVerfG
NStZ 1994, 52; std. Rspr. des KG, vgl. etwa Beschlüsse vom 28. November 2002 - 4 Ws
184/02 - und vom 12. Februar 2001 - 4 Ws 23-24/01 -).
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die in dieser Sache seit nunmehr bald zwei Jahren
inhaftierte Angeklagte nicht überwachte Gespräche mit ihrem Sohn, ihrer Schwester
oder ihrem Schwager zur Verfolgung von Fluchtplänen nutzen oder dazu missbrauchen
würde, auf den Gang einer gegebenenfalls erforderlich werdenden neuerlichen
Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, sind in der angefochtenen Verfügung nicht
genannt und auch sonst nicht ersichtlich. Aus dem Umstand, dass die Angeklagte mit
ihrer Verurteilung nicht einverstanden ist und die genannten, als Zeugen gehörten
Personen im Falle einer erneuten Hauptverhandlung wiederum als Zeugen in Betracht
kommen, ergeben sich keine Hinweise darauf, dass die Angeklagte akustisch nicht
kontrollierte Gespräche mit den bezeichneten Verwandten dazu missbrauchen würde,
um in unlauterer Weise auf den Gang des weiteren Verfahrens Einfluss zu nehmen.
Zudem hat sich das Schwurgericht nach den Feststellungen in dem Urteil vom 26.
Januar 2005 seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten ohnehin hauptsächlich
aufgrund des Brandspurenbildes, der Bekundungen des Zeugen S. und der abgehörten
Äußerungen der Angeklagten gebildet. Eine Gefährdung der Ordnung in der
Vollzugsanstalt durch nicht überwachte Gespräche der Angeklagten mit den
bezeichneten Personen ist ebenfalls nicht ersichtlich, so dass nach dem derzeitigen
Erkenntnisstand eine akustische Kontrolle dieser Gespräche nicht mehr erforderlich ist.“
Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen an, hebt die angefochtene
Entscheidung auf und ordnet den beantragten Wegfall der akustischen
Gesprächsüberwachung an.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse Berlin, da sonst niemand
dafür haftet.
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