Urteil des KG Berlin vom 13.06.2002

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Gericht:
KG Berlin 22.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
22 U 300/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 935 ZPO, §§ 935ff ZPO
Einstweilige Verfügung: Nachträgliches Unvermögen bei
Verurteilungen zu einander gegenseitig ausschließenden
persönlichen Handlungspflichten
Tenor
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
Die Beklagte vermietete der B Schule B Räume im Hause J Straße in B und sicherte ihr
vertraglich Konkurrenzschutz hinsichtlich der übrigen Mieteinheiten des Hauses zu.
Später, am 13. Juni 2002, vermietete die Beklagte Räume dieses Hauses an die Klägerin,
deren Geschäftsfeld sich zumindest teilweise mit dem der B Schule überschneidet.
Die B Schule erwirkte deshalb gegen die Beklagte die einstweilige Verfügung des
Landgerichts Berlin vom 4. Juli 2002 - 97 O 110/02 -, durch die der Beklagten untersagt
wurde, der Klägerin Räume im Hause J Straße zu überlassen. Auf den Widerspruch der
Beklagten bestätigte das Landgericht Berlin diese einstweilige Verfügung mit Urteil vom
29. Juli 2002.
In Kenntnis der einstweiligen Verfügung vom 4. Juli 2002 hat die Klägerin den Erlass einer
einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt beantragt, der Beklagten zu untersagen, sie an
der Nutzung der am 13. Juli 2002 gemieteten Räume zu hindern. Das Landgericht Berlin
- Kammer vom Tagesdienst - hat diese einstweilige Verfügung am 13. Juli 2002
antragsgemäß erlassen. Auf den Widerspruch der Beklagten hat das Landgericht Berlin
auch diese einstweilige Verfügung mit Urteil vom 29. Juli 2002 - 97 O 127/02 - bestätigt.
Mit Schreiben vom 2. August 2002 gab der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
gegenüber der Beklagten die folgende Erklärung ab:
"Unsere Mandantin verzichtet hiermit auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung
vom 13. Juli 2002 und erklärt, hieraus keine Vollziehungs- oder Ordnungsmaßnahmen zu
betreiben."
Gegen das ihr am 14. August 2002 zugestellte Urteil vom 29. Juli 2002 hat die Beklagte
die am Montag, den 16. September 2002 eingegangene Berufung eingelegt. Mit
Rücksicht auf die Erklärung der Klägerin vom 2. August 2002 haben die Parteien den
Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt und mit
widerstreitenden Kostenanträgen verhandelt.
Die Kosten des Rechtsstreits waren der Klägerin aufzuerlegen, weil sie ohne Eintritt des
die Erledigung herbeiführenden Ereignisses im Rechtsstreit unterlegen wäre (§ 91 a
ZPO).
Die Berufung war zulässig.
Der Umstand, dass die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 2.
August 2002 erklären ließ, sie verzichte auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung
vom 13. Juli 2002, beseitigt nicht das Interesse der Beklagten an der Prüfung, ob diese
Entscheidung zu Recht ergangen ist.
Dass der den Streit in der Hauptsache erledigende Umstand, nämlich die
Verzichtserklärung der Klärung, nach Erlass der angefochtenen Entscheidung und noch
vor Einlegung der Berufung eingetreten ist, macht die Berufung ebenfalls nicht
unzulässig.
Die Berufung war auch begründet.
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Auch wenn der Vertrag vom 13. Juni 2002 wirksam zustande gekommen sein sollte und
die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung vom 12. Juli 2002 keinen sie
rechtfertigenden Grund gehabt hätte (beides ist nach der Sach- und Rechtslage wohl
sicher anzunehmen), hätte jedenfalls das angefochtene Urteil nicht ergehen dürfen.
Denn die darin bekräftigte Verpflichtung der Beklagten stand im direkten Gegensatz zu
dem von derselben Kammer des Landgerichts Berlin am 4. Juli 2002 zu dem
Aktenzeichen 97 O 110/02 auf Antrag der B Schule im Wege der einstweiligen Verfügung
der Beklagten auferlegten Verbot.
Zwar können beide Vertragspartner der Beklagten bei Annahme der Wirksamkeit beider
Verträge grundsätzlich die Erfüllung des mit ihnen geschlossenen Vertrages verlangen
und die Beklagte gegebenenfalls auch auf Erfüllung verklagen. Ist aber auf
entsprechenden Antrag eines von Beiden bereits eine gerichtliche Entscheidung zu
seinen Gunsten ergangen, kann der andere nicht mehr auf Erfüllung klagen, sondern nur
noch auf Schadensersatz. Denn durch ein weiteres auf Vertragserfüllung gerichtetes
Urteil würde die Beklagte in die für sie ausweglose Situation gebracht, zwei sich in der
Hauptsache direkt widersprechende Entscheidungen befolgen zu müssen.
Die zuerst ergangene Entscheidung verhindert somit die Erfüllung der aus dem anderen
Vertrag geschuldeten Leistung und begründet insoweit den Fall des nachträglichen
Unvermögens (Baur "Einstweiliger Rechtsschutz bei gegenläufigen Handlungs- und
Unterlassungspflichten", Festschrift für Karl Sieg, 1976, Seite 43, 45 mit Nachweisen).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann es auch nicht dem Belieben der
Beklagten überlassen werden, welches der beiden gegensätzlichen Urteile sie befolgen
will. Denn zumindest dann, wenn es - wie hier - um individuelle Handlungs- oder
Unterlassungspflichten geht, sind zwei einander widersprechende Entscheidungen nicht
vollstreckbar. Der Schuldner kann nicht wegen der Missachtung des einen Urteils
bestraft werden, wenn er sein Verhalten an dem anderen Urteil ausgerichtet hat, also
unter Hinweis auf ein rechtskräftiges Urteil darauf verweisen kann, sich rechtstreu zu
verhalten (vgl. auch Baur, a.a.O. Seite 46).
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