Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017
KG Berlin: einheitspreis, treu und glauben, vergleich, ausschreibung, gefahr, wahrscheinlichkeit, ausschluss, leistungsfähigkeit, wirtschaftlichkeit, akte
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Gericht:
KG Berlin
Vergabesenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Verg 17/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 21 Nr 1 Abs 1 S 3 VOB A, § 25
Nr 1 Abs 1 Buchst b VOB A, §
162 Abs 3 VwGO
Vergabeverfahren: Bewertung eines Angebots mit stark auf-
oder abgepreisten Einheitspreisen; Erstattungsfähigkeit der
Kosten des Beigeladenen im Nachprüfungsverfahren
Leitsatz
Enthält das nach dem Submissionsergebnis als wirtschaftlichstes erscheinende Angebot
vergleichsweise stark auf- oder abgepreiste Einheitspreise, indiziert das spekulative
Interessen des Bieters; ein ausreichender Grund, das Angebot ohne weiteres wegen
unvollständiger Preisangaben oder wegen Unzuverlässigkeit des Bieters auszuschließen, liegt
darin nicht.
Ob das Ausmaß der spekulativen Risiken und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung die
Wirtschaftlichkeit eines solchen Angebots ernstlich infrage stellen, ist durch eine
Prognoseentscheidung zu ermitteln, bei der naturgemäß kein rechnerisch exakter Nachweis
seiner wirtschaftlichen Nachrangigkeit geführt werden muss. Das gilt insbesondere, wenn sich
einzelne Risiken nur in bestimmten Spannweiten abschätzen lassen, weil verschiedene
Kausalverläufe in Betracht kommen. Der Auftraggeber braucht bei derartigen Ungewissheiten
nicht zu Gunsten des spekulierenden Bieters seine Hoffnung darauf zu setzen, dass die
möglichen Nachforderungen die vordergründige Preiswürdigkeit des Angebots nicht
gefährden werden (Ergänzung zu Kammergericht, Bs. v. 26. Februar 2004 2 VERG 16/03).
Die Entscheidung, ob der Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens dem Beigeladenen
dessen in erster Instanz entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat, ist
weiterhin durch entsprechende Heranziehung von § 162 Abs. 3 VwGO zu treffen.
Tenor
Die sofortigen Beschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen gegen den
Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin, 2. Beschlussabteilung, vom 12.
November 2003 - VK - B 2 - 24/03 - werden zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Gerichtskosten und hat dem Antragsgegner und der
Beigeladenen deren im Beschwerdeverfahren entstandene außergerichtliche Kosten zu
erstatten.
Gründe
A.
Der Antragsgegner betreibt im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung den Bau des
Autobahnzubringers Dresden BAB A 113 (neu). Zum 23. Bauabschnitt gehören u. a. die
Lose 4 - Tiefbau/Ingenieurbau zur Herstellung des Tunnels "Rudower Höhe" (BW TRH 50)
und 4 A und B - Tiefbau/Ingenieurbau zur Herstellung der Stützbauwerke im Einschnitt
"Rudower Höhe" (BW TRH 60) sowie Tiefbau/Ingenieurbau zur Herstellung der
Fußgängerbrücke Gerosteig (TRH 20).
Das vorliegende Nachprüfungsverfahren betrifft das Los 4. Die Antragstellerin hat unter
Berücksichtigung eines wertungsfähigen Preisnachlasses das billigste Angebot
abgegeben (netto rd. 17.489.343 €). Nach Schriftwechsel und Aufklärungsgesprächen
hat der Antragsgegner die Antragstellerin durch Informationsschreiben gemäß § 13 VgV
darüber informiert, dass ihr der Zuschlag nicht erteilt werden soll, sondern die
Beigeladene, die das in der preislichen Reihenfolge drittbeste Angebot mit einem Netto-
Preis von rd.18.538.259 € abgegeben hat. Zur Begründung ist in dem Schreiben
ausgeführt, die Antragstellerin habe nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben und
dessen Angemessenheit habe anhand der eingereichten Preisermittlungsunterlagen
nicht aufgeklärt werden können. Das Angebot werde wegen § 24 Abs. 2 VOB/A nicht
berücksichtigt.
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In der Sache geht es bei dem Ausschluss des Angebots der Antragstellerin in erster Linie
darum, dass die Antragstellerin bei mehreren Positionen des Leistungsverzeichnisses
Einheitspreise eingesetzt hat, die von den durchschnittlichen Einzelpreisen aller Bieter
akzentuiert entweder nach oben oder nach unten abweichen.
Bei den aufgepreisten Positionen konzentrieren die Vorwürfe des Antragsgegners sich
auf die Position "Baustelleneinrichtung", auf die Möglichkeit der Beeinflussung der
Mengen durch technische Bearbeitung bei den Positionen 1.17.120. 1.17.130 und
1.17.140 (Rückbiegeanschlüsse zum konstruktiven Anschluss des Ortbetonsockels), auf
Mängel in der Mengenermittlung bei der Position 1.18.20, auf eine so genannte
Textspekulation bei der Position 1.18.30 und schließlich auf die stark aufgepreiste
Position 1.22.90, die in technisch-funktionellem Zusammenhang zu den
vorangegangenen Positionen 1.22.60-80 zu sehen ist. In der horizontalen Arbeitsfuge
zwischen Schlitzwand und Tunneldecke wird zur Abdichtung gegen Schichtwasser ein
Abdichtungsband verlegt (Position 1.22.60). Zusätzlich ist für diese Arbeitsfuge ein
Injektionskanal mit Stützspirale und Ummantelung und mit Verpress- und
Entlüftungsleitungen aus PE-Schlauch für die Verpressung mit Kunstharz, einbaufertig
vorkonfektioniert, zu liefern und einzubauen (Position 1.22.70). Umstritten ist die
Position 1.22.90 in Verbindung mit der Position 1.22.80. Die Leistungsbeschreibung
lautet insoweit:
1.22. 80.
Injektionskanal System Jetko oder gleichwertiger Art, nach Bedarf und
besonderer Anweisung des AG mit PU 2-Komponenten-Harz, dauerelastisch, bis zur
Druckkonstanz mit 2-K-Injektionsanlage mit Innenmischung (Static-Mixer) verpressen.
Der Materialverbrauch mit 0,3 l/m für die Füllung des Kanals und 1,0 l/m für
Harzaustritt wird nach gesonderter Position abgerechnet.
Abgerechnet wird nach Abrechnungslänge der Injektionskanäle.
1.750,000 m
1.22. 90..
PU 2-Komponenten-Injektionsharz, dauerelastisch, liefern.
Erzeugnis Jetko-PUR, Basis Injekt 2300 der Fa. MC-Bauchemie oder
gleichwertiger Art.
500,000 kg
Die Antragstellerin hat ein Vergabenachprüfungsverfahren eingeleitet und vor der
Vergabekammer in der Hauptsache beantragt,
1. dem Antragsgegner zu untersagen, ihr Angebot gemäß § 24 Nr. 2 VOB/A von
der Wertung auszuschließen,
2. den Antragsgegner zu verpflichten, den Zuschlag auf kein anderes Angebot
als das Ihre zu erteilen,
hilfsweise:
den Antragsgegner zu verpflichten, die Angebote unter Einbeziehung ihres
Angebotes und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu
zu werten.
Antragsgegner und Beigeladene - die ebenfalls einen Schriftsatz eingereicht und an der
mündlichen Verhandlung teilgenommen hat - haben beantragt, den
Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf
die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Vergabekammer hat die Entscheidungsfrist mehrmals gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2
GWB verlängert, zuletzt bis zum 12. November 2003. Bei ihren Akten befindet sich ein
auf diesen Tag datierender 24-seitiger Beschluss, der auf der letzten Seite die
Originalunterschriften des Vorsitzenden der Vergabekammer und des ehrenamtlichen
Beisitzers trägt (Akten der Vergabekammer Bd. II, 763). Die hauptamtliche Beisitzerin
hat dieses Schriftstück nicht unterschrieben. Es befindet sich zusätzlich ein Telefax der
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hat dieses Schriftstück nicht unterschrieben. Es befindet sich zusätzlich ein Telefax der
Seite 24 bei den Akten der Vergabekammer (aaO Bl. 764), welches ihre Unterschrift
aufweist, daneben ein weiteres Telefax dieser Seite des Beschlussentwurfs mit der
Unterschrift des ehrenamtlichen Beisitzers.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag durch diesen Beschluss
zurückgewiesen, es aber abgelehnt, die Antragstellerin zu verpflichten, der Beigeladenen
deren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Auslagen zu erstatten.
Die Antragstellerin hat gegen den Beschluss der Vergabekammer am 26. November
2003 durch Telefax sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihre erstinstanzlichen
Anträge weiter verfolgt; der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen, das
Rechtsmittel zurückzuweisen.
Die Beigeladene hat gegen den ihr am 20. November 2003 zugestellten Beschluss am
3. Dezember 2003 sofortige Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, der Antragstellerin ihre,
der Beigeladenen, notwendigen Auslagen aufzuerlegen und die ihrerseitige Hinzuziehung
eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären.
B.
I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig.
Allerdings lässt sich nicht ohne weiteres sicher feststellen, ob die Entscheidung der
Vergabekammer bis zum Ablauf des 12. November 2003 gemäß den Vorgaben der
Geschäftsordnung der Vergabekammer zumindest von ihrem Vorsitzenden oder seinem
Vertreter im Original unterschrieben worden ist. Der Senat hat der Vergabekammer in
der Vergangenheit bereits nahe gelegt, in ihren Akten zu dokumentieren, wann die
begründete und unterschriebene Entscheidung vorgelegen hat (Beschluss v. 7.
November 2001 - KartVerg 8/01, VergabeR 2002, 95 f. unter Hinweis auf OLG Düsseldorf,
Beschluss v. 22. Januar 2001 - Verg 24/00, VergabeR 2001, 154, 156). Dieser
Dokumentationspflicht wird zweckmäßigerweise dadurch genügt, dass entweder der
unterschriebene Beschluss innerhalb der Entscheidungsfrist in der Akte niedergelegt
wird, der Kammervorsitzende (und im Fall seiner Verhinderung ein Beisitzer) den Tag der
Niederlegung in der Akte vermerkt und die Akte auf den Weg zur Geschäftsstelle der
Vergabekammer gebracht wird, oder dass der unterschriebene Beschluss innerhalb der
Frist auf der Geschäftsstelle der Vergabekammer eingeht und der Eingang dort
entsprechend vermerkt wird (vgl. OLG Düsseldorf aaO).
Erscheint es im Hinblick darauf, dass dieser Dokumentationspflicht nicht entsprochen ist
und in Anbetracht der aufgezeigten Umstände auch nicht als gänzlich unzweifelhaft,
dass bei Fristablauf ein zumindest vom Vorsitzenden oder seinem Vertreter innerhalb
der verlängerten Entscheidungsfrist unterschriebener begründeter Beschluss der
Vergabekammer zu ihren Akten gelangt ist, so braucht dieser Umstand vorliegend für
die Frage der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin nicht weiter
aufgeklärt zu werden, weil ihr Rechtsmittel - am 26. November 2003 - selbst dann
fristgerecht eingelegt worden ist, wenn unterstellt wird, dass die Entscheidung der
Vergabekammer bei Ablauf der Entscheidungsfrist am 12. November 2003 24 Uhr von
keinem Mitglied im Original unterschrieben war. In diesem Fall wäre die Ablehnungsfiktion
des § 116 Abs. 2 GWB eingetreten, die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde,
wie sich aus den dafür maßgeblichen Daten ergibt, gleichwohl aber rechtzeitig.
Wegen der Bejahung der Zulässigkeitsvoraussetzungen im Übrigen wird auf den
Senatsbeschluss gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB Bezug genommen.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist jedoch nicht begründet.
1. Zu der vergaberechtlichen Behandlung von Angeboten mit signifikant auf- bzw.
abgepreisten Einheitspreisen hat der Senat im Parallelverfahren 2 VERG 16/03
Folgendes ausgeführt:
"Die Kalkulationsweise der Antragstellerin, einzelne Positionen im Vergleich zu
den durchschnittlichen Positionspreisen aller Bieter markant auf- oder abzupreisen, ist
im öffentlichen Auftragswesen seit langem geläufig, wird in der vergaberechtlichen
Literatur unter dem Begriff des "Spekulationsangebots" erörtert und ist auch schon
Gegenstand von vergaberechtlichen Entscheidungen gewesen (vgl. etwa BayObLG
VergabeR 2004, 87 ff. mwN). Soweit die Antragstellerin ihre Kalkulationsweise
vorprozessual auch als Auf- und Abgebotsverfahren bezeichnet hat, ist dies allerdings
missverständlich, weil die VOB diesem Begriffspaar ein ganz bestimmtes
Preisermittlungsverfahren zuordnet, um das es hier ersichtlich nicht geht (§ 6 Nr. 2
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Preisermittlungsverfahren zuordnet, um das es hier ersichtlich nicht geht (§ 6 Nr. 2
VOB/A).
Das BayObLG hat in seinem Beschluss vom 18. September 2003 - Verg 12/03
(VergabeR 2004, 87 mit Anm. Waldner) unter Bezugnahme auf Entscheidungen der
Oberlandesgerichte Celle und Naumburg die Auffassung vertreten, dem Auftraggeber
sei es verwehrt, ein Angebot allein deshalb auszuschließen, weil es in einzelnen
Positionen Preise von 0,01 € enthält. Maßgeblich sei, ob sich aus der Prüfung einzelner
Positionen die Besorgnis nicht einwandfreier Ausführung der ausgeschriebenen Leistung
ergebe. Deshalb sei es dem Auftraggeber auch nicht verwehrt, so genannte
Unterkostenpreise bei der Auftragsvergabe zu akzeptieren, wenn er nach Prüfung zu
dem Ergebnis gelangt, dass der Anbieter auch zu diesem Preis zuverlässig und
vertragsgerecht wird leisten können (VergabeR aaO S. 89). Das Thüringer OLG hat die
Ansicht vertreten, es könne vom Grundsatz her nicht beanstandet werden, wenn ein
Bieter - ggfs. unter Ausnutzung einer mangelhaften Leistungsbeschreibung oder
besonderer Kenntnis der örtlichen Verhältnisse einzelne Einheitspreise abweichend von
einem ordnungsgemäß ermittelten Preis anbiete. Zur Begründung hat das Thüringer
OLG darauf verwiesen, die Preisermittlung sei ausschließlich Sache des Bieters
(Thüringer OLG, Urt. v. 27.02.2002 - 6 U 360/01, zitiert nach IBR 2002, 273).
In der Fachliteratur wird zunächst zwischen Mengen- und Textspekulation sowie
dem Sonderfall der Spekulation bei Bedarfspositionen unterschieden (vgl.
Kapellmann/Messerschmidt-Dähne § 25 VOB/A Rn. 77 ff; Heiermann/Riedl/Rusam,
Handkommentar zur VOB, A § 25 Rn. 154, 156; Thormann BauR 2000, 953 ff. mwN). …
Einhellig wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, dass spekulative Angebote
nicht ohne weiteres von der Wertung ausgeschlossen werden können (vgl. neben den
vorstehenden Fundstellen Beck'scher VOB/A-Komm./Brinker/Ohle § 25 Rn. 60 ff.;
Kratzenberg in Ingenstau/Korbion, 15.Aufl., § 25 VOB/A Rn. 44; Kuß, VOB-Komm., 4. Aufl.,
§ 25 VOB/A Rn. 19 f.), insbesondere wenn der Auftraggeber durch ein nachlässig
erstelltes Leistungsverzeichnis Raum für derlei Spekulation gegeben hat (Kratzenberg
aaO; Thormann aaO S. 955, 957), über das den Auftraggeber aufzuklären der Bieter
nicht verpflichtet sei (Thormann aaO S. 955; anders wohl BayObLG VergabeR 2004, 87,
90).
Schließlich werden signifikante Auf- und Abpreisungen einzelner Einheitspreise
unter dem Gesichtspunkt der unangemessenen Preise i. S. v. § 25 Nr. 3 Abs. 1 und 2
VOB/A und dabei mit der zusätzlichen Fragestellung erörtert, inwieweit hinsichtlich der
Unangemessenheit auf die einzelnen Einheitspreise abzustellen ist oder auf den
Angebotsendpreis (vgl. dazu OLG Köln NJW-RR 1999, 316; ablehnend zu dieser
Entscheidung Thormann aaO S. 958 f.; vgl. ferner Brinker/Ohle aaO Rn. 61 f.).
Der vorlegende Senat ist im Ausgangspunkt entgegen dem OLG Düsseldorf
(Beschluss v. 26. November 2003 - Verg 53/03) der Ansicht, dass ein Bieter, der bei
einzelnen Positionen einen Einheitspreis von 0,01 € einsetzt, seine Preise i. S. der §§ 21
Nr. 1 Abs. 1 Satz 1, 25 Nr. 1 lit. b) VOB/A vollständig angibt. Bei diesem Preis handelt es
sich dann um den für die jeweilige Einheit verlangten Preis, auf den sich der Auftraggeber
bei der Angebotswertung einstellen kann. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Bieter
gleichzeitig, gleichsam zum "betriebswirtschaftlichen Ausgleich" andere Positionen
(deutlich) höher kalkuliert und dafür entsprechend deutlich mehr verlangt, als dies bei
den Ausschreibungskonkurrenten zu beobachten ist. Ein Bieter, der auf diese Weise
kalkuliert, nimmt lediglich im Wege von betriebswirtschaftlich motivierten
kalkulatorischen Rechenoperationen eine angebotsbezogene Umgruppierung
verschiedener jeweils unselbstständiger Kalkulationsposten innerhalb des
Gesamtangebots vor. Das kann ihm wettbewerbs- und vergaberechtlich auch unter
Berücksichtigung der wohl verstandenen und berechtigten Interessen der
Auftraggeberseite nicht verwehrt werden. Die Angebotskalkulation berührt den
Kernbereich unternehmerischen Handelns im Wettbewerb um öffentliche Aufträge und
damit die Freiheit des Wettbewerbs in diesem Marktgeschehen schlechthin. Vorschriften,
auf welche Weise der Unternehmen zu kalkulieren hat, kann es in einer freien
Wirtschaftsordnung nicht geben. Das hat im Übrigen auch plausible tatsächliche Gründe.
Auf Grund der vielfältigsten Variablen, die nach den jeweiligen betrieblichen und
sonstigen vom Unternehmen zu berücksichtigenden Verhältnisse zulässigerweise in die
Kalkulation eines Angebots einfließen können, lässt sich ein wie auch immer
aufzufassender "leistungsgerechter" Einheitspreis des einzelnen anbietenden
Unternehmens kaum je objektiv feststellen.
Auch die Vorschrift des § 24 Nr. 1 letzter Hs. VOB/A bietet keine tragfähige
Grundlage dafür, ein Angebot, das so kalkuliert worden ist, wie das der Antragstellerin,
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Grundlage dafür, ein Angebot, das so kalkuliert worden ist, wie das der Antragstellerin,
ohne weiteres mit dem Ausschluss zu sanktionieren. Diese Vorschrift verpflichtet die
Bieter, ggfs. das Ergebnis ihrer Kalkulation darzulegen, nicht aber, diese in ihrem
gesamten Ablauf in der Weise vorzunehmen und transparent zu machen, dass genau
aufgeschlüsselt werden kann, welche Positionen mit welchen Beträgen abgepreist und
auf welche anderen Positionen diese Abpreisungen mit welchen Beträgen umgelegt
wurden. Jedenfalls kann ein Angebot, welches bei bestimmten Einheiten auffällige
Abpreisungen aufweist, nicht schon - wie die Vergabekammer aber zu meinen scheint -
dann ausgeschlossen werden, wenn sich die Differenz zum gleichsam
"leistungsgerechten" Einheitspreis nicht anderen aufgepreisten Positionen eindeutig
zuordnen und aus ihnen herausrechnen lässt. Dabei kann es in einer wettbewerblich
orientierten Wirtschaftsordnung und in Anbetracht des gesetzlichen Leitbilds der
Vergabe öffentlicher Aufträge im Wettbewerb (§ 97 Abs. 1 GWB) des Weiteren nicht
beanstandet werden, sondern muss als typisches Wettbewerbsverhalten der Bieterseite
hingenommen werden, wenn diese bemüht ist, durch genaue Analyse der
Leistungsbeschreibungen und des Projekts die Positionen herauszufinden, bei denen
sich ggfs. Mengenmehrungen bzw. -minderungen ergeben könnten und wenn die Bieter
generell darauf bedacht sein werden, bei den ersteren nicht zu niedrige und bei den
letzteren nicht zu hohe Einheitspreise anzubieten.
Bei Durchsicht der im vorliegenden oder im Parallelfall von der Vergabestelle
gefertigten Preisspiegel fällt im Übrigen auf, dass die Einheitspreise der einzelnen Bieter
nicht selten Schwankungsbreiten aufweisen, die so beträchtlich sind, dass sie nicht allein
durch interne betriebswirtschaftliche Gegebenheiten erklärlich erscheinen, sondern die
die Annahme stützen, dass die Praxis, mit "nicht leistungs- oder kostengerechten"
Einzelpreisen zu operieren, weit verbreitet ist. Dabei fällt außerdem auf, dass Auf- und
Abpreisungen keineswegs synchron bei allen oder mehreren Bietern immer gleiche
Leistungsteile betreffen. In diesem Zusammenhang kann es der Bieterseite auch nicht
generell, sondern allenfalls in außergewöhnlichen Sachverhaltsgestaltungen nach den
Grundsätzen von Treu und Glauben auferlegt werden, die Auftraggeber auf fehlerhaft
oder zweifelhaft angesehene Positionen hinzuweisen (für eine weit gehende
Hinweispflicht aber wohl BayObLG VergabeR 2004, 87, 90), ähnlich wie die Auftraggeber
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in engen Grenzen verpflichtet
sind, die Bieter auf Kalkulationsirrtümer hinzuweisen (BGHZ 139, 177 ff.). Den Bietern
kann generell nicht angesonnen werden, den Interessen der Marktgegenseite nur
deshalb erhöhte Rücksichtnahme zukommen zu lassen, weil es sich dabei um öffentliche
Auftraggeber handelt. Diese können im Vergabewettbewerb keine wie auch immer
geartete Sonderbehandlung im Vergleich zu privaten Parteien beanspruchen. Die Gefahr
ihrer prinzipiellen unangemessenen Übervorteilung resultiert aus dieser Sicht nicht, weil
der Wettbewerb selbst und die damit verbundene Notwendigkeit, das preiswerteste
Angebot abzugeben, um einen Auftrag zu erlangen, das immanente Korrektiv gegen
eventuelle übermäßige Preisspekulationen bietet.
Den Senat überzeugt deshalb die Sichtweise des OLG Düsseldorf nicht, das die
zum Ausschluss vom Wettbewerb nötigende Unvollständigkeit der Preisangaben in dem
von ihm zu beurteilenden Fall darin gesehen hat, dass der angesetzte Betrag von 1 €
nicht die für die Zurverfügungstellung der Wirtschaftswegbrücke kalkulierten Kosten
wiedergab. Auch insoweit sollte gelten, dass der Bieter rechtlich nicht verpflichtet werden
kann, auf eine solche Weise zu kalkulieren und anzubieten. Dass die Beigeladene im
Düsseldorfer Fall bei der unternehmensinternen Kalkulation des gesamten Angebots für
die Wirtschaftswegbrücke rechnerisch einen Kostenbeitrag von 140.000 DM ermittelt hat,
ändert nichts daran, dass es sich dabei nur um eine unselbstständige gedankliche
Rechenoperation handelt und dass der für die Brücke im Angebot ausgewiesene Preis
von 1 € der für diese Position verlangte Preis ist. Entsprechendes gilt bezüglich des für
die Baustelleneinrichtung verlangten Preises, den die Beigeladene des Düsseldorfer Falls
u. a. korrespondierend erhöht hatte, um die verbilligte Position "Wirtschaftswegbrücke"
zu kompensieren.
Der Senat meint des Weiteren, dass das OLG Düsseldorf nicht auf Grund des
Urteils des Bundesgerichtshofs vom 7. Januar 2003 - X ZR 50/01 (VergabeR 2003, 558
ff.) gezwungen war, so zu entscheiden, wie es entschieden hat...
Die berechtigten Interessen der Auftraggeberseite gebieten es nach Ansicht des
Senats nicht, Angebote mit so genannten spekulativen Auf- und Abpreisungen gemäß §
21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b) VOB/A ohne sachliche Prüfung von
der Wertung auszuschließen.
Soweit es Angebote mit signifikanten Aufpreisungen bei einzelnen Einheiten
betrifft, sind die schützenswerten Interessen der öffentlichen Auftraggeber erst dann
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betrifft, sind die schützenswerten Interessen der öffentlichen Auftraggeber erst dann
erheblich berührt, wenn die Gefahr besteht, dass sich das bei der Wertung vermeintlich
wirtschaftlichste Angebot infolge der Aufpreisungen im Nachhinein auf Grund von
abrechnungsfähigen Mehrmengen als nachteilig und letztlich teurer erweisen könnte, als
ein Angebot mit einem höheren Submissionspreis. Ob diese Gefahr spekulativer
Übervorteilung der Vergabestelle besteht, ist regelmäßig im Rahmen einer
Prognoseentscheidung zu beurteilen. Dabei dürfen sich der Auftraggeber oder die
Nachprüfungsinstanzen nicht mit bloßen Mutmaßungen zufrieden geben. Vielmehr
müssen Umstände festgestellt werden können, die mit einiger Wahrscheinlichkeit die
Annahme rechtfertigen, dass es bei diesen Positionen zu erheblichen Nachforderungen
kommen kann. Dabei ist das mutmaßliche finanzielle Ausmaß der potentiellen
überproportionalen Nachforderungen schon deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die
befürchteten nachträglichen Verteuerungen auf Grund des Gebots zur möglichst
wirtschaftlichen Beschaffung in Beziehung zu setzen sind zu den Vorteilen, die das
auszuschließende Angebot auf Grund des preislichen Abstands zu demjenigen Angebot
aufweist, das an seiner Stelle angenommen werden soll. Außerdem ist zu prüfen, ob sich
eventuell Vorteile auf Grund der vorgenommenen Abpreisungen bei anderen Positionen
ergeben könnten.
Die mit der Erstellung einer solchen Prognoseentscheidung verbundenen
Aufwendungen belasten die öffentlichen Auftraggeber nicht über Gebühr. Die notwendige
Transparenz der einzelnen Angebote lässt sich durch die Preisspiegel herstellen, die
ohnehin angefertigt werden und auch im Streitfall vorliegen. Die tatsächlichen
Verhältnisse auf der Baustelle muss die Vergabestelle schließlich auch kennen, weil sie
ansonsten ein einigermaßen wirklichkeitsgerechtes Leistungsverzeichnis gar nicht
erstellen kann.
Spekulativen Abpreisungen einzelner Positionen können unterschiedliche
Strategien zu Grunde liegen.
Spekuliert ein Bieter einseitig auf Mengenmehrungen bei bestimmten Positionen,
nicht dagegen auf Minderungen bei anderen und preist er die Ersteren auf, dienen die
abgepreisten Positionen lediglich als rechnerische Gegenpole dem Zweck, insgesamt
noch mit einem wettbewerbsfähigen Angebotsendpreis aufwarten zu können. Rechnet
der Bieter dagegen mit konkreten Mengenminderungen bei der Bauausführung und
preist der die entsprechenden Teile des Angebots gezielt ab, erlangen sie
eigenständigen spekulativen Charakter.
Im letzteren Fall hat der Auftraggeber konkret darzulegen, dass ihm ungeachtet
des günstigen Wettbewerbspreises dieses Bieters signifikante Übervorteilungen im
Zusammenhang mit den im Vergleich zu den Mitbewerbern abgepreisten Positionen auf
Grund der zu erwartenden Mengenminderungen drohen und plausibel zu erläutern,
worauf die Fehleinschätzungen in der Leistungsbeschreibung beruhten.
Ansonsten werden solche Abpreisungen vergaberechtlich erst unter dem
Gesichtspunkt der fehlenden Auskömmlichkeit i. S. v. § 25 Nr. 3 Abs. 1 VOB/A relevant.
Dieser Ausschlussgrund ist von dem Vorwurf, spekulativ geboten zu haben, zu trennen.
Bezüglich des Ausschlussgrundes der fehlenden Auskömmlichkeit hat der Senat bereits
anderer Stelle (Beschluss v. 22. August 2001, VergabeR 2001,392, 399) die Ansicht
vertreten, dass die vom Bundesgerichtshof zum Betrugsschaden (§ 263 StGB) durch
Submissionsabsprachen entwickelten Grundsätze (BGH wistra 2001, 103 ff.) bei der
Prüfung der Unauskömmlichkeit von Angeboten zu berücksichtigen sind. Bei
Übertragung dieser Grundsätze besteht der Ausschlussgrund nicht schon dann, wenn
sich ein offensichtliches Missverhältnis zwischen Preis und Leistung feststellen lässt.
Vielmehr muss zusätzlich die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Auftragnehmer
wegen dieses Missverhältnisses in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät und den Auftrag
deshalb nicht oder nicht ordnungsgemäß ausführen wird (BGH aaO S. 104 unter 2.a)
bb). Dabei kann es entgegen der Ansicht der Vergabekammer aus wirtschaftlich-
kaufmännischen Gründen grundsätzlich nur darauf ankommen, ob das Angebot im
Ganzen nicht auskömmlich ist. Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn schon auf
Grund der durch die Abpreisungen verringerten Abschlagzahlungen die Gefahr
heraufbeschworen wird, dass der Auftrag nicht oder nicht ordnungsgemäß ausgeführt
werden kann, was besonderer Feststellungen bedarf."
Diese Maßstäbe legt der Senat auch der Beurteilung des vorliegenden Falls zu Grunde.
Er nimmt deshalb nicht im Anschluss an die Entscheidung des OLG Düsseldorf an, dass
das Angebot schon im Zusammenhang mit verschiedenen auf 0,01 € abgepreisten
Positionen auszuschließen ist, die unstreitig nicht die substanzielle Vergütung der
Antragstellerin für die Ausführung der in diesen Positionen beschriebenen Leistungen
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Antragstellerin für die Ausführung der in diesen Positionen beschriebenen Leistungen
reflektieren.
2. Der Antragsgegner brauchte dem Angebot der Antragstellerin aber deshalb nicht den
Vorzug zu geben, weil seine Wirtschaftlichkeit durch spekulativ aufgepreiste Positionen
durchgreifend infrage gestellt ist. Es birgt für den Antragsgegner so hohe
Nachforderungsrisiken, dass er berechtigt war, das Angebot trotz des günstigen
Submissionspreises nicht als das wirtschaftlichste einzustufen.
a) Von nachgeordneter Bedeutung erscheint dabei allerdings die vom Antragsgegner
zuerst beanstandete Position "Baustelleneinrichtung". Die Antragstellerin hat diese sich
auf über 2,9 Mio. € belaufende Position zwar ganz erheblich aufgepreist, nämlich
überschlägig um über 1,5 Mio. €. Soweit die Antragstellerin korrespondierend dazu die
Positionen 1.12.50 - 130 abgepreist und jeweils nur mit 0,01 € kalkuliert hat,
kompensieren diese Abpreisungen die Aufpreisung wirtschaftlich allerdings sicher nur
teilweise. Das ergibt sich durch den Vergleich mit den Preisen, die die übrigen in den
Preisspiegel aufgenommenen Bieter für die Positionen des gesamten Blocks 1.12.
verlangt haben. Diese belaufen sich lediglich auf Beträge zwischen insgesamt knapp
unter 150.000 € und rd. 320.000 €.
Dennoch reicht diese Aufpreisung für sich allein genommen nicht aus, um die
Nichtberücksichtigung des Ausschlusses des Angebots - unter Heranziehung
haushaltsrechtlicher Gesichtspunkte - zu rechtfertigen. Zwar wird in der Fachliteratur die
Ansicht vertreten, die (volle) Abschlagzahlung auf eine Position, die mit Teilleistungen
aufgepreist ist, welche erst zukünftig zu erbringen sind, stelle eine haushaltsrechtlich
unzulässige Überzahlung dar (vgl. Heiermann/Riedl/Rusam aaO, A § 25 Rn. 155). Das
allein ist jedoch für einen Angebotsausschluss nicht tragfähig. Gerade
haushaltsrechtliche Belange legen es nämlich nahe, den Nachteilen einer solchen
Überzahlung die Preiswürdigkeit des Angebots im Übrigen gegenüberzustellen und seine
Nutzen und Risiken bzw. Nachteile abzuwägen. Die Risiken bestehen im Verlust des auf
künftige Leistungen entfallenden Teils der Abschlagzahlung durch etwaige Insolvenz des
Auftragnehmers und die sonstigen haushaltsrechtlichen Nachteile im Wesentlichen im
drohenden Zinsverlust. Beide Gesichtspunkte greifen im Streitfall nicht durch.
Zwar kann die übermäßige Aufpreisung einer frühzeitig anfallenden Leistung als ein auf
Liquiditätsverschaffung bedachtes Geschäftsgebaren aufgefasst werden, das geeignet
ist, Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers zu erwecken. Das hat auch
der Antragsgegner unter Bezugnahme auf eine Literaturmeinung im Vergabevermerk
ausgeführt (vgl. etwa Kratzenberg in Ingenstau/Korbion aaO). Diese Literaturmeinung ist
aber nicht so aufzufassen, dass diese zur Liquidationsverschaffung geeignete
Kalkulationsweise ohne weiteres den Rückschluss auf fehlende Leistungsfähigkeit
rechtfertigt. Die Aufpreisung einer früh fälligen Position ist insoweit für sich allein kein
abschließend tragfähiges Indiz für mangelnde Eignung. An irgendwelchen tatsächlichen
Anhaltspunkten etwa dafür, dass die Antragstellerin sich in wirtschaftlichen
Schwierigkeiten befinden könnte, fehlt es vollständig. Dabei ist auch zu bedenken, dass
sie bei der parallelen Bewerbung um das Los 4 A +B gerade die Baustelleneinrichtung
abgepreist hat und dass der Antragsgegner ihre Leistungsfähigkeit im Übrigen im
Rahmen der Angebotswertung auf der zweiten Stufe des Wertungsprozesses ersichtlich
ohne weiteres positiv beurteilt hat.
Soweit als Kehrseite der vorzeitigen Verschaffung von Liquidität auf Seiten des Bieters
Zinsbelastungen des Auftraggebers ins Gewicht fallen, wären diese ebenfalls in
Beziehung zu setzen zu dem Preisabstand zwischen dem Angebot der Antragstellerin
und den damit konkurrierenden. Ihr Angebot würde sich nach den von der Beigeladenen
initiierten Berechnungen um Zinslasten in der Größenordnung von 56.000 € verteuern.
Das würde den Abstand insbesondere zum Angebot der Beigeladenen, die den Zuschlag
erhalten soll, aber nur geringfügig verkürzen.
b) Um eine exorbitant aufgepreiste Position mit sehr hohen Wirtschaftlichkeitsrisiken für
den Antragsgegner handelt es sich aber bei der Position 1.22.90 - PU 2-Komponenten-
Injektionsharz, dauerelastisch. Die Antragstellerin verlangt hier einen Einheitspreis von
660,54 €. Die Einheitspreise der übrigen in den Preisspiegel aufgenommenen Bieter
liegen demgegenüber zwischen 8,73 € und 20,31 €. Selbst wenn man die Preise der
übrigen Bieter bei der Position 1.22.80 berücksichtigt, die zur Position 1.22.90
korrespondiert und bei der die Antragstellerin nur 0,01 € verlangt, liegt der Einheitspreis
etwa der Beigeladenen für beide Positionen insgesamt bei nur bei 17,36 €.
aa) Die Antragstellerin macht allerdings mit Recht geltend, dass es sich bei der Position
1.22.90 um eine so genannte Bedarfsposition handelt. Solche Positionen werden im
Leistungsverzeichnis üblicherweise mit Vorbehalten wie "nur auf Anordnung" versehen
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Leistungsverzeichnis üblicherweise mit Vorbehalten wie "nur auf Anordnung" versehen
(vgl. Prieß, NZBau 2004, 20, 25). So verhält es sich hier. Der unter der Position 1.22.80
ausgeschriebene Injektionskanal ist "nach Bedarf und besonderer Anweisung des AG"
mit dem unter 1.22.90 zu liefernden Injektionsharz zu verpressen. Für eine
Bedarfsposition spricht auch, dass die Menge des Harzes in der Position 1.22.90 (500
kg) nicht zur vollen Länge der gemäß der Position 1.22.80 zu verlegenden
Injektionskanäle (1.750 m) korrespondiert. Gegen eine Bedarfsposition spricht
demgegenüber nicht, dass es in der Baubeschreibung unter 1.1.5 dazu heißt: "Die
Verpressschläuche sind plangemäß nach Überschüttung des Tunnelbauwerks zu
verpressen." Aus dieser Beschreibung, insbesondere aus der Verwendung des Adverbs
"plangemäß" folgt nicht, dass eine Verpressung auf voller Länge der Schläuche
"plangemäß" ist.
bb) Die Verwendung einer solchen Bedarfsposition im Rahmen des hier vorliegenden
Bauvorhabens ist vergaberechtlich unbedenklich, auch wenn dem Rückgriff auf solche
Positionen im Schrifttum nicht zu Unrecht grundsätzliche Bedenken entgegengebracht
werden (Prieß aaO S. 25). Vorliegend beruht, wie die Antragstellerin in der mündlichen
Verhandlung unwidersprochen dargelegt hat, die Eventualität des Bedarfs darauf, dass
nicht sicher voraussehbar ist, in welchem Umfang eine zusätzliche Verpressung der mit
Bändern abgedichteten horizontalen Arbeitsfuge (Position 1.22.60 des
Leistungsverzeichnisses) gegen Schichtwasser notwendig sein wird.
cc) Im Rahmen der Prognose über die Wirtschaftlichkeit des (Spekulations-)Angebots der
Antragstellerin ist der Antragsgegner aber berechtigt zu unterstellen, dass eine
Verpressung auf voller Länge erforderlich werden könnte. Gerade mit Blick auf den
außerordentlich hohen Einheitspreis für den Kunstharz - auf dessen
Bemessungsgrundlagen zurückzukommen sein wird - ist es nicht zu beanstanden, wenn
der Auftraggeber bei seiner Prüfung gleichsam den schlimmsten Fall in den Blick nimmt.
Es ist lebensnah anzunehmen, dass ein Bieter, der einen Auftrag erhalten hat, in dem er
bestimmte Positionen spekulativ aufgepreist hat, bei der Bauausführung nach Kräften
versuchen wird, daraus Nutzen zu ziehen. Das gilt hier zum einen umso mehr, als die
möglichst lückenlose Verpressung der Kanäle für den Auftragnehmer, der eine solche
Position in dem Maße aufgepreist hat, wie es hier der Fall ist, äußerst lukrativ ist. Zum
anderen ist das Verpressen der Injektionskanäle der Sache nach an sich eine
unaufwändige Maßnahme und der Auftragnehmer wird es vergleichsweise leicht haben,
den Auftraggeber bei bzw. nach der Bauausführung - etwa unter Hinweis auf
Gewährleistungsrisiken o. Ä. - davon zu überzeugen, dass diese zusätzliche Sicherung
zur Vermeidung von Wassereintritt tunlichst umfassend angeordnet werden sollte.
dd) Bei einer vollständigen Verpressung der Kanäle über 1750 m, dem im
Leistungsverzeichnis zu Grunde gelegten Materialverbrauch für die Verfüllung und den
Austritt von zusammen 1,3 l/m und einem spezifischen Gewicht des Harzes - gemäß
den nach der mündlichen Verhandlung nachgeschobenen Angaben der Antragstellerin -
von 1,02 kg/l errechnet sich ein maximaler Verbrauch von 2.320,50 kg. Bei dem
eingesetzten Einheitspreis von 660,54 und unter Berücksichtigung der ersten, im
Angebot selbst enthaltenen 500 kg ergibt sich rechnerisch ein maximaler Mehrbedarf
von 1.820,50 kg = 1.202.513 €.
Ob der Auftraggeber, wie die Antragstellerin meint, bei der Berechnung der zu
veranschlagenden Verbrauchsmenge und damit seines Nachtragsrisikos von diesem
Wert sogleich 20 % abziehen muss, weil sich der Harz bei der Verfestigung entsprechend
ausdehnt, erscheint dem Senat technisch nicht zwingend und deshalb im Rahmen der
Prognoseentscheidung nicht zwangsläufig berücksichtigungsfähig. Es ist nämlich nicht
ersichtlich, dass die im Leistungsverzeichnis angegebenen Werte diese Ausdehnung
nicht berücksichtigen und im Übrigen nicht dargetan, dass der Materialeinsatz bei der
Verpressung so exakt gesteuert werden kann, dass nur 80 % der im
Leistungsverzeichnis vorgesehenen Mengen verbraucht werden. Immerhin beliefe sich
der Mehrverbrauch selbst bei einem solchen Abzug immer noch auf über 962.000 €.
ee) Richtig ist allerdings, dass der Einheitspreis aus dem Angebot nach der VOB/A nur
für einen Mehrverbrauch von bis zu 10 %, also 50 kg (= 33.027 €) maßgeblich und dass
für die darüber hinaus gehenden Überschreitungen des Mengenansatzes auf Verlangen
ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren ist
(§ 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B).
Bei der diesbezüglichen Kostenprognose kann und muss der Auftraggeber seine
Aussichten auf Vereinbarung eines günstigeren Preises auf der Grundlage der
herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Fachliteratur treffen. Er braucht und kann
dabei naturgemäß nicht darauf hoffen, dass sich gerade ein Bieter, der durch
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dabei naturgemäß nicht darauf hoffen, dass sich gerade ein Bieter, der durch
spekulative Aufpreisungen im Angebot den vertraglichen Grundstein für gewinnträchtige
Nachforderungen gelegt hat, bei den Verhandlungen über die Anpassung der
Einheitspreise nachhaltig konziliant gegenüber den haushaltsrechtlichen Belangen des
Auftraggebers zeigen wird.
Rechtlich darf und muss der Auftraggeber in dieser Situation im Ausgangspunkt
bedenken, dass in der Fachliteratur die Ansicht vertreten wird, der spekulativ überhöhte
Preis könne auch für die Mehrmengen zu Grunde gelegt werden (Beck'scher VOB/B-
Komm./Jagenburg § 2 Nr. 3 Rn. 31; Heiermann/Riedl, 10. Aufl., B § 2 Rn. 87). Die
Antragstellerin will dabei vom ursprünglichen Einheitspreis zunächst ihren in der
aufgedeckten Preisbildungserläuterung angegebenen Ansatz für allgemeine
Geschäftskosten von x % abziehen und trägt im Übrigen vor, sie habe in ihrer
Urkalkulation in dieser Position das Gewährleistungsrisiko mit einem Betrag von
150.000,00 € netto untergebracht; bei der Preisbildung für Mehrmengen nach § 2 Abs. 3
Nr. 2 VOB/B sei auch dieser Ansatz nicht weiter zu berücksichtigen.
Aus sachlogischen Gründen wäre es allerdings angezeigt, zunächst den
Gewährleistungspauschalbetrag vom alten Preis abzuziehen und von der verbleibenden
Differenz den Preisbestandteil für die allgemeinen Geschäftskosten von x % zu
subtrahieren. Aber selbst wenn die beiden Parameter "Gewährleistungspauschale" und
"allgemeine Geschäftskosten" in dieser Reihenfolge berücksichtigt würden, verbliebe
letztlich ein neuer Einheitspreis von rd. 308,62 €, und die Mehrkosten wären selbst bei
dieser, für das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin günstigsten, für ihre
hypothetische Werklohnforderung ungünstigsten, Berechnung immer noch gewaltig:
Zu dem von der Beigeladenen angebotenen Einheitspreis würden dieselben
Mehrmengen für diese Position dagegen nur kosten:
Jedoch hält der Senat es für recht zweifelhaft, dass es dem Antragsgegner auf der
Grundlage des nachträglich vorgetragenen Inhalts der Urkalkulation bei der Preisbildung
für die Mehrmengen nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B gelingen könnte, sowohl den Abzug für
allgemeine Geschäftskosten als auch die angebliche pauschale Gewährleistungsposition
durchzusetzen. Der Auftraggeber muss insoweit bei Angebotswertung ex ante seine
Erfolgsaussichten im gedachten Fall einer späteren gerichtlichen Auseinandersetzung
über den neuen Einheitspreis abschätzen. Im Streitfall geschieht das auf der Grundlage
der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragenen
Einzelheiten zur Preisbemessung. Danach kann nicht unterstellt werden, dass der
Auftraggeber das im gedachten Streitfall zuständige Zivilgericht davon würde
überzeugen können, das gesamte Gewährleistungswagnis für den ganzen Auftrag sei
von der Antragstellerin gerade in der Position 1.22.90 untergebracht. Das gilt umso
mehr, als es sich dabei nur um eine einzelne aufgepreiste Bedarfsposition handelt und
die Antragstellerin außerdem in ihren Erläuterungen zu ihrer Preisermittlung die
kalkulierten Zuschläge für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn mit x %, 0 %
bzw. 0% angegeben hat. Da sie das Wagnis - das bei einem Bauauftrag, wie er hier in
Rede steht, zu einem ganz erheblichen Teil im Gewährleistungsrisiko liegt - nach
eigenem Vortrag keineswegs mit Null bewertet hat, wäre bei einer Vertragsauslegung,
soweit es für die neue Preisbildung auf sie ankommt, eher davon auszugehen, dass der
Ansatz für das Wagnis in dem für die allgemeinen Geschäftskosten mit enthalten ist,
dass also der Wagnisanteil, wie es ohnehin kaufmännischer Vernunft und Übung
entspricht, auf alle Leistungspositionen umgelegt ist. Das bedeutet aber, dass wohl der
Abzug von x % gerechtfertigt wäre. Mit einem erheblichen prozessualen Risiko behaftet
bliebe bliebe dagegen aus der - maßgeblichen - heutigen Sicht des Auftraggebers, ob er
außerdem die Streichung der in die 500 kg Harz umgelegten Pauschalposition für
Gewährleistung durchsetzen könnte. Gelänge das nicht, und damit müsste der
Antragsgegner nach den Umständen, so wie der Senat sie auf Grund des Vorbringens
der Antragstellerin beurteilen kann, ernstlich rechnen, verbliebe, selbst unter
Berücksichtigung eines weiteren, aber nur geringen Abschlages für zusätzliche
Mengenrabatte beim Materialbezug von Vorlieferanten, für die über 10 % hinaus
gehenden Mehrmengen ein Einheitspreis von über 560,00 €/kg netto. Dadurch würden
sich die oben errechneten Mehrbeträge für die Leistung der Antragstellerin von
579.438,71 € auf 1.024.507,00 € bzw. von 451.639,16 € auf 792.611,00 € erhöhen, die
Abstände zu den entsprechenden Mehrpreisen der Beigeladenen auf 1.003.568,27 €
bzw. 779.320,52 €.
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Für zusätzliche Aufklärungsversuche bezüglich der dem Angebot der Antragstellerin in
diesem Punkt innewohnenden Risiken, die den erneuten Eintritt in die mündliche
Verhandlung erforderlich machen würden, ist nach dem das Vergaberecht
beherrschenden Beschleunigungsgrundsatz nach Schluss der mündlichen Verhandlung
im Beschwerdeverfahren kein Raum mehr.
c) Der Antragsgegner kann bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu Lasten der
Antragstellerin ferner die Möglichkeit der Beeinflussung der Mengen durch die technische
Bearbeitung bei den Positionen 1.17.120. 1.17.130 und 1.17.140 - Rückbiegeanschlüsse
zum konstruktiven Anschluss des Ortbetonsockels - berücksichtigen. Er macht insoweit
geltend, die Preise der Antragstellerin seien im Vergleich zu denen der Mitbieter
überhöht. Dabei sei zu bedenken, dass in der Ausschreibung keine konkreten Abstände
vorgegeben seien; die Lage der vertikal angeordneten Bewehrungsanschlussschienen
sei im Ausschreibungsdetailplan Blatt-Nr. 4-5.1 dargestellt. Die ausgeschriebene
Gesamtmenge beruhe auf einem 2 m Abstand der 80 cm langen Einzelschienen, da
keine größeren planmäßigen Lasten von der konstruktiven Bewehrung zwischen
Schlitzwand und Ortbetonsockel aufzunehmen seien. Sollte dies bei der Technischen
Bearbeitung zum Streitpunkt mit unterschiedlichen Auffassungen führen, sei ein
eventuelles Kostenrisiko durch Änderung der Abstände nicht auszuschließen. Die
Festlegung auf einen Abstand von 1 m für die vertikalen Anschlussschienen hätte dann
Zusatzkosten in Höhe von 188.169,80 € zur Folge.
Diese Argumentation ist nicht von der Hand zu weisen. Zutreffend ist, dass die Preise
der Beschwerdeführerin sehr deutlich über denen der nächsten Bieter liegen (vgl.
Beschwerdeerwiderung S. 53). Es ist auch plausibel und nachvollziehbar, dass durch eine
Veränderung der technischen Bearbeitung Raum für eine Mehrung der angesetzten
Massen bis hin zur Verdoppelung besteht. Zwar kann der Auftragnehmer nicht beliebig
ohne Rücksprache mit dem Auftraggeber abrechenbare Mehrmengen "produzieren". Bei
der Bauausführung kann sich ein Auftraggeber aber naturgemäß abweichenden
Vorschlägen zur technischen Bearbeitung seitens des fachkundigen Auftragnehmers
schwerlich entziehen und die für den Fall des abschlägigen Bescheids solcher Vorschläge
ggfs. in Aussicht gestellten Risiken schwer in Kauf nehmen. Für die
Wirtschaftlichkeitsprognose des Gesamtangebots ist die Mehrmengenbesorgnis des
Antragsgegners jedenfalls ausreichend plausibel. Wie bereits ausgeführt liegt es nicht
fern, dass ein Unternehmer versuchen wird, aus spekulativ stark aufgepreisten
Positionen während der Bauausführung Kapital zu schlagen.
Der Antragsgegner errechnet deshalb bei diesen Positionen zu Recht ein
Preiserhöhungsrisiko von 188.169,80 €.
d) Hinzu kommt ein erhebliches Preiserhöhungsrisiko bei der Position 1.18.360. Dass der
Antragsgegner hier mit Recht spekulative Interessen der Antragstellerin unterstellt,
indiziert ihr hoher Einheitspreis von 848,70 €. Die Preise der übrigen sechs ersten Bieter
liegen überwiegend im Bereich von 500 €, mit Ausschlägen nach unten in einem Fall von
rd. 167 € bzw. in einem anderen nach oben von 585 €. Allerdings erfüllt die Feststellung,
dass eine bestimmte Position spekulativ aufgepreist ist, für sich allein noch nicht die
Anforderungen an die anzustellende Wirtschaftlichkeitsprognose. Bei Durchsicht der im
vorliegenden oder im Parallelfall von der Vergabestelle gefertigten Preisspiegel fällt
nämlich zum einen auf, dass die Einheitspreise der einzelnen Bieter nicht selten
Schwankungsbreiten aufweisen, die so beträchtlich sind, dass sie nicht allein durch
interne betriebswirtschaftliche Gegebenheiten erklärlich erscheinen, sondern die die
Annahme stützen, dass die Praxis, mit "nicht leistungs- oder kostengerechten"
Einzelpreisen zu operieren, weit verbreitet ist. Zum anderen belegen die Preisspiegel,
dass Auf- und Abpreisungen keineswegs synchron bei allen oder mehreren Bietern
immer gleiche Leistungsteile betreffen. Deshalb hat der Auftraggeber bei der
Überprüfung einer aufgepreisten Position im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprognose
auch zu sondieren, ob Mehrmengen tatsächlich realistischerweise zu befürchten sind
oder ob getrost von einer "Fehlspekulation" ausgegangen werden kann. Vorliegend hat
der Antragsgegner das Mehrmengenrisiko tragfähig dargelegt. Die der Ausschreibung zu
Grunde liegenden Betonstahlmengen beruhen auf einer Entwurfsstatik. Im Rahmen der
technischen Bearbeitung durch den Auftragnehmer ist eine Ausführungsstatik zu
erstellen und es sind Bewehrungspläne anzufertigen, aus denen sich die exakten
Betonstahlmengen ergeben. Das eröffnet in der Tat Ansatzpunkte für einen
abrechnungsfähigen Mehrmengenverbrauch. Insgesamt errechnet der Antragsgegner
aus diesen Positionen nachvollziehbar und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein
spekulatives Risiko von rd. 340.000 €, während sich das entsprechende Risiko bei der
Beigeladenen auf maximal rd. 122.426 € beläuft.
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e) Nicht berücksichtigt hat der Senat die fiktive Verbilligung der drei günstigsten
Angebote gemäß den Ausführungen des Antragsgegners gemäß seinem
erstinstanzlichen Schriftsatz Anlage BG 21 S. 15 f. Der Antragsgegner hat hier bei den
Mengen von vornherein einen Sicherheitszuschlag von 20 % einkalkuliert, angeblich auf
Grund der schlechten Erfahrungen mit der Antragstellerin in einem früheren
Vergabeverfahren. Es ist aber nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass sich die
Angebote der Konkurrenten entsprechend verbilligen könnten.
f) Der Antragsgegner beruft sich ferner auf die spekulative Ausnutzung von Mängeln in
der Mengenermittlung durch die Antragstellerin (Beschwerdeerwiderung S. 54). Nach
seinen nachträglichen Feststellungen liegen dem Leistungsverzeichnis bei der Position
1.18.20 fehlerhafte Ansätze zu Grunde, die zu einer Erhöhung um 790 Einheiten führen.
Gerade diese Position hat die Antragstellerin mit 452,74 € pro m außergewöhnlich hoch
aufgepreist. Der günstigste Bieter verlangt demgegenüber lediglich 2,82 € , die
Beigeladene 88,17 €, also nur rd. ein Fünftel dieses Preises. Daraus errechnet sich ein
weiteres Spekulationsrisiko von bis zu 357.664,60 € im Angebot der Antragstellerin.
Auch wenn falsche Mengenangaben in Leistungsverzeichnissen vergaberechtlich sehr
bedenklich sind, gerade weil sie zur Spekulation einladen (vgl. Prieß aaO S. 22 mit
Rechtsprechungsnachweisen in Fn. 22), müssen sie im Interesse der Allgemeinheit am
raschen Abschluss der Vergabeverfahren bis zu einem gewissen Maße toleriert werden,
solange keine unlauteren Motive des Auftraggebers zu Tage treten. Soweit in der
Fachliteratur die Ansicht vertreten wird, für aus konkretem Anlass erfolgte fiktive
Mengenänderungen müssten die in § 2 Nr. 3 VOB/B vorgesehene 10 %ige Abweichung
die Grenze des Zulässigen bilden und größere Abweichungen die Aufhebung des
Vergabeverfahrens auslösen (Heiermann/Riedl/Rusam aaO A §25 Rn. 154), kann dies
nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht schon für derlei Abweichungen bei einzelnen
Positionen, unabhängig von deren Volumen und Verhältnis zum gesamten
Vergabeprojekt, gelten. Im Streitfall wäre eine Aufhebung der Ausschreibung aus diesem
Grunde jedenfalls unverhältnismäßig.
Soweit die Antragstellerin in ihrem nachgereichten Schriftsatz auf die
Wertungsbestimmung in Abschnitt 2.4 Rn. 48 i. V. m. 54 des HVA- B-StB verweist, ist
auch aus den dort angeführten Gründen eine Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht
indiziert. Im vorliegenden Fall beruht der dem Antragsgegner zu gestattende Wechsel in
der Bieterreihenfolge nämlich nicht allein auf Mängeln der Ausschreibung, sondern auf
der Bündelung von spekulativen Aufpreisungen, die nicht nur mit Mängeln der
Verdingungsunterlagen zusammenhängen.
g) Nach alledem sind die mit den spekulativen Aufpreisungen im Angebot der
Antragstellerin einhergehenden Nachtragsrisiken so groß, dass der Antragsgegner ihm
nicht den Vorzug zu geben brauchte.
Dabei ist die vom Senat geforderte Wahrscheinlichkeitsprognose, was im Parallelfall 2
VERG 16/03 noch keiner besonderen Klarstellung bedurfte, weil sich das
Spekulationsrisiko dort ganz anders darstellte, nicht so zu verstehen, dass der
Auftraggeber das Risiko eines Spekulationsangebots rechnerisch genau bis zur
vollständigen Gewissheit seiner wirtschaftlichen Nachrangig- bzw. Vorzugswürdigkeit
ermitteln und belegen müsste. Eine solche auf rechnerische Exaktheit abstellende
Betrachtungsweise verbietet sich schon deshalb, weil diese Beurteilung im Wege einer
Prognoseentscheidung erfolgt, mit der naturgemäß Unwägbarkeiten verbunden sind, die
im Übrigen nach den - stets zu berücksichtigenden - Umständen des Einzelfalls größer
oder geringer sein können. Der vorliegende Fall weist insoweit die Besonderheit auf, dass
sich das genaue Maß der möglichen Nachforderungen bei der Position 1.22.90 auch
nach dem im Nachprüfungsverfahren betriebenen Aufklärungsaufwand nicht annähernd
genau eingrenzen lässt, sondern die diesbezüglichen Risiken eine ganz beträchtliche
Schwankungsbreite aufweisen (vgl. oben B.II.2.b).
Der Auftraggeber ist vergaberechtlich nicht verpflichtet, bei derartigen Ungewissheiten
zu Gunsten des spekulierenden Unternehmens seine Hoffnung darauf zu setzen, dass
die möglichen Nachforderungen sich in solchen Grenzen halten werden, dass die
Preiswürdigkeit seines Angebots am Ende gewahrt bleibt. Ihm Streitfall sind die
verschiedenen vorstehend behandelten spekulativen Risiken des Angebots der
Antragstellerin in ihrer Gesamtheit sowohl in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit ihrer
Verwirklichung als auch hinsichtlich ihres möglichen Ausmaßes groß genug, um die
anfängliche Preiswürdigkeit des Angebots zu kompensieren und den Antragsgegner zu
berechtigen, es nicht als das wirtschaftlichste einzustufen.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin war daher zurückzuweisen. Auf die mit dem
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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin war daher zurückzuweisen. Auf die mit dem
OLG Düsseldorf divergierende Rechtsposition des Senats zur vergaberechtlichen
Behandlung von Einheitspreisen von 0,01 € kommt es im Ergebnis ebenso wenig an, wie
auf die vom Auftraggeber zusätzliche erhobenen Vorwürfe, die Antragstellerin hätte in
ihrem Angebot zusätzlich auch unvollständige Erklärungen i. S. v. § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz
2 VOB/A abgegeben.
C.
Die auf die Kostenentscheidung beschränkte sofortige Beschwerde der Beigeladenen ist,
unabhängig von der Frage, ob sie rechtzeitig eingelegt worden ist (vgl. oben B.I.),
jedenfalls unbegründet.
Der Senat folgt der Rechtsprechung anderer Vergabesenate, die für die Frage der
Erstattungsfähigkeit der dem Beigeladenen im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren
erwachsenen notwendigen Aufwendungen § 162 Abs. 3 VwGO entsprechend heranziehen
(vgl. Lausen, VergabeR 2003, 527, 539 mwN in Fn. 87). Dieser Rechtsprechung ist nicht
durch die neuste vergaberechtliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Grundlage
entzogen, der bei der Zurückweisung der Beschwerde eines Antragstellers die dem
Beigeladenen im gerichtlichen Beschwerdeverfahren erwachsenen Kosten in die
Kostenentscheidung nach § 97 Abs. 1 ZPO einbezogen hat (BGH, Bs. v. 9. Februar 2004
- X Z. B. 44/03, Umdruck S. 21). Der Bundesgerichtshof zieht die §§ 91 ff. ZPO heran,
weil der Vierte Teil des GWB keine eigene Kostenregelung für das Beschwerdeverfahren
getroffen hat und die für das Kartellbeschwerdeverfahren geltende Vorschrift des § 78
GWB in § 120 GWB nicht genannt ist (BGHZ 149, 202, 216; vgl. zu diesem Argument
aber Beck'scher VOB/A-Komm. § 120 GWB Rn. 2). Der Bundesgerichtshof unterstreicht
im Übrigen auch die unterschiedliche Ausgestaltung des erst- und des zweitinstanzlichen
Nachprüfungsverfahrens (Entscheidungsumdruck aaO S. 21).
Im Hinblick darauf, dass das der Vierte Teil des GWB demgegenüber Kostenvorschriften
für das erstinstanzliche Verfahren enthält, die an die entsprechenden Regelungen im
Verwaltungsverfahren angelehnt sind (§ 128 Abs. 4 GWB), ist es nach wie vor nicht
angezeigt, in diesem Bereich die Regelungen aus der ZPO analog heranzuziehen,
sondern es hat bei der entsprechenden Anwendung von § 162 Abs. 3 VwGO zu
verbleiben. Das erscheint im Übrigen auch materiell vorzugswürdig, weil die Frage der
Belastung des Antragstellers mit den notwendigen Aufwendungen von Beigeladenen ein
bedenkenswerter Belang der Effektivität des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes
ist und die auf Billigkeitserwägungen gegründete Bestimmung des § 162 Abs. 3 VwGO
hier die wünschenswerte Elastizität aufweist.
Der Senat hält die diesbezügliche Rechtsprechung des OLG Düsseldorf für sachgerecht
und ausgewogen. Danach entspricht es im Allgemeinen - neben anderen
Voraussetzungen - nur dann der Billigkeit, dem im Nachprüfungsverfahren erfolglosen
Antragsteller die Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, wenn sich der Antragsteller mit
seinem Nachprüfungsantrag ausdrücklich, bewusst und gewollt in einen
Interessengegensatz zum Beigeladenen gestellt hat. Diese Voraussetzung ist nicht
erfüllt in einem Fall, in dem der Antragsteller nicht die zu Gunsten des Beigeladenen
ausgefallene Angebotswertung als solche angreift, sondern sich gegen den Ausschluss
des eigenen Angebots, den der öffentliche Auftraggeber wegen des Fehlens der
fachlichen Eignung und der Leistungsfähigkeit des Antragstellers vorgenommen hatte,
wehrt (OLG Düsseldorf, VergabeR 2003, 111 ff.). Um einen vergleichbaren Fall handelt es
sich hier. Die Antragstellerin wendet sich im Wesentlichen gegen die im
Informationsschreiben gemäß § 13 VgV artikulierte Nichtberücksichtigung ihres
Angebots und damit nur mittelbar gegen die Vorzugswürdigkeit des Angebots der
Beigeladenen. Soweit die Beigeladene die Position der Vergabestelle unterstützt, greift
sie dabei, da es im Wesentlichen um die Spekulativität des Angebots der Antragstellerin
geht, auf nichts anderes als das Datenmaterial zurück, das die Vergabestelle in das
Nachprüfungsverfahren eingeführt hat. Auch deshalb erscheint es nicht als billig, der
Antragstellerin die erstinstanzlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen.
Die umgekehrte Kostenfolge für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO
nach Maßgabe der vorstehend referierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
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