Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: treu und glauben, verjährung, versicherer, verhinderung, zugang, versicherungsnehmer, feststellungsklage, auflage, link, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 126/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 3 Nr 3 S 3 PflVG
Kfz-Haftpflichtversicherung: Voraussetzungen einer schriftlichen
Entscheidung des Versicherers durch die die
Verjährungshemmung beendet wird
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen einer schriftlichen Entscheidung im Sinne des § 3 Nr. 3 S. 3 PflVG
durch positive
Mitteilung des Versicherers (hier: "Vom Rechtsvertreter unseres Versicherungsnehmers
wurden wir
dahingehend unterrichtet, dass unser Versicherungsnehmer bezüglich seiner Ansprüche
Klage beim
zuständigen Amtsgericht eingereicht hat. Bevor wir weitere Zahlungen an Sie leisten, wollen
wir den
Ausgang dieses Verfahrens abwarten und erklären uns bereits jetzt bereit, Ihre Ansprüche
analog dem
rechtskräftigen Urteil im zivilrechtlichen Verfahren zu regulieren").
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten durch einstimmigen Beschluss
gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei
Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen
zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die
Berufungsbegründung, die sich überwiegend in der Wiederholung der bereits
erstinstanzlich von der Beklagten vorgetragenen Argumente erschöpft, nicht entkräftet
worden sind.
A. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Verjährung durch das Schreiben vom 16.
November 1998 nicht gemäß § 208 BGB a. F. unterbrochen worden. Die Verjährung wird
gemäß § 208 BGB unterbrochen, wenn der Verpflichtete den Anspruch dem
Berechtigten gegenüber anerkennt. Ein solches Anerkenntnis erfordert keine
rechtsgeschäftliche Willenserklärung; vielmehr genügt jedes Verhalten dem Gläubiger
gegenüber, aus dem sich das Bewusstsein des Schuldners vom Bestehen des
Anspruchs unzweideutig ergibt. Ob ein Anerkenntnis im Einzelfall vorliegt, hängt von den
Umständen ab und bedarf tatrichterlicher Würdigung. (BGH, NJW 1985, 2945-2947).
Im Streitfall ist dem vorgenannten Schreiben der Beklagten aber gerade nicht
unzweideutig deren Bewusstsein vom Bestehen des Anspruchs zu entnehmen. Vielmehr
wird in diesem Schreiben die Frage, ob der Anspruch besteht oder nicht, von der
Beklagten offen gelassen, ihre Beantwortung bis zum Abschluss des von ihrem
Versicherungsnehmer eingeleiteten Rechtsstreites aufgeschoben.
Dass die Beklagte sich in diesem Schreiben gegenüber dem Kläger bereit erklärt, seine
„Ansprüche analog dem rechtskräftigen Urteil im zivilrechtlichen Verfahren zu
regulieren“, ändert hieran nichts. Die Beklagte hält sich hiermit auch die Option offen,
die Regulierung der Ansprüche des Klägers (für den Fall des Obsiegens ihres
Versicherungsnehmers) vollständig abzulehnen. Dies ist mit einem Verhalten, aus dem
sich für den Kläger unzweideutig das Bewusstsein der Beklagten vom Bestehen des
Anspruchs ergibt, nicht vereinbar.
B. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Anspruchshemmung nicht
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B. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Anspruchshemmung nicht
gemäß § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG durch den Eingang des Schreibens vom 16. November
1998 bei dem Kläger beendet worden ist. Dieses Schreiben stellt keine schriftliche
Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift dar.
1. Zwar ist grundsätzlich anerkannt, dass auch eine positive Entscheidung des
Versicherers eine schriftliche Entscheidung im Sinne der zitierten Norm darstellen kann.
Auch hängt die Wertung, ob eine Erklärung des Versicherers den insoweit maßgeblichen
Anforderungen genügt, wesentlich von der Würdigung der Umstände des Einzelfalles ab
(BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 - VI ZR 50/95 - VersR 1996, 369).
Jedoch kann die Verjährungshemmung nur dann ihr Ende finden, wenn dem
Geschädigten durch die Erklärung zweifelsfrei Klarheit über die Haltung des
Haftpflichtversicherers des Schädigers gegenüber seinen Forderungen als Grundlage für
die sachgerechte Durchsetzung seiner Ansprüche verschafft wird (vgl. grundlegend BGH,
Urteil vom 30. April 1991 - VI ZR 229/90 - NJW 1991, 1954; BGH, Urteil vom 5. Dezember
1995 - VI ZR .50/95 -‚ VersR 1996, 369 = NJW-RR 1996, 474; Senat, Urteil vom 29. März
1999 - 12 U 8899/97 - VM 1999, 92 Nr. 94; Senat, Urteil vom 27. Februar 2006 - 12 U
262/04 -).
Dem Inhalt des Schreibens muss der Charakter einer erschöpfend, eindeutig und
endgültig den Schadensersatzanspruch im Hinblick auf das Interesse des Gläubigers an
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bejahenden schriftlichen Erklärung zukommen. (vgl.
BGH Urteil vom 5. Dezember 1995, a.a.O.; Prölss/ Martin, Versicherungsvertragsgesetz,
27. Aufl., § 3 Nr. 3 PflVG, Rn 7). Der mit § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG verfolgte Schutzzweck ist
erst dann erfüllt, wenn für den Geschädigten klar ist, ob der Versicherer die
angemeldeten Schadensersatzansprüche umfassend zu befriedigen bereit ist oder
nicht.
2. Diese Voraussetzungen erfüllt das Schreiben der Beklagten vom 16. November 1998
nach Auffassung des Gerichts nicht.
Dabei ist für die Frage, ob die schriftliche Erklärung eine Entscheidung im Sinne des § 3
Nr. 3 Satz 3 PflVG darstellt auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch das
Verfahren und die Konkretisierung der Schadensanmeldung abzustellen (BGH, Urteil
vom 30. April 1991, a.a.O.).
a) Entgegen der Ansicht des Landgerichtes fehlt es schon an einer eindeutigen
schriftlichen Entscheidung zur Haftungsfrage dem Grunde nach.
Das Schreiben lässt nämlich offen, ob und wenn ja in welcher Höhe die Beklagte für den
Schaden des Klägers der Höhe nach einstehen will. Die Erklärung, die Ansprüche des
Klägers analog dem (im Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens noch nicht
vorliegenden) „rechtskräftigen Urteil im zivilrechtlichen Verfahren“ regulieren zu wollen,
enthält keine erschöpfende, eindeutige und endgültige Entscheidung zum
Haftungsgrund.
Es stand nämlich seinerzeit noch gar nicht fest, ob das vom Unfallgegner des Klägers
eingeleitete zivilrechtliche Verfahren überhaupt mit einem rechtskräftigen Urteil enden
wird. Für die gleichfalls in Betracht kommende Verfahrensbeendigung durch
Klagerücknahme, Hauptsachenerledigung oder Vergleich enthält das Schreiben vom 16.
November 1998 keine Regelung.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen dass - wie das Landgericht auf Seite 6 der
angefochtenen Entscheidung zutreffend ausführt - eine positive Aussage allein zum
Haftungsgrund nicht den Anforderungen des § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG genügt (BGH, VersR
1996, 369).
b) Mit zutreffender Begründung geht das Landgericht davon aus, dass das
streitgegenständliche Schreiben auch hinsichtlich der Anspruchshöhe nicht den an eine
Entscheidung, wie sie § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG meint, zu stellenden Anforderungen gerecht
wird.
Sind nämlich genau bezifferte Forderungen angemeldet, beseitigt nur eine umfassende
Erklärung des Versicherers auch zu deren jeweiliger Höhe die Verjährungshemmung.
Vorbehalte oder Einwendungen gegen die Höhe auch nur einzelner angemeldeter
Forderungen lassen die Verjährung insgesamt weiter gehemmt bleiben. Denn dann
besteht für den Anspruchsteller keine Klarheit über die Regulierung seines Schadens.
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Verbleiben aber im Einzelfall über die Tragweite einer (positiven) Erklärung des
Versicherers in wesentlichen Punkten (zu Anspruchsgrund oder Anspruchshöhe) Zweifel,
dann liegt eine „Entscheidung“ im Sinne des § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG, nicht vor (BGH, NJW
1991, 1954).
Im Streitfall bestehen solche Zweifel sowohl zum Anspruchsgrund als auch zur
Anspruchshöhe.
Das Schreiben der Beklagten vom 16. November 1998 verschaffte dem Kläger seinerzeit
gerade keine Klarheit darüber, „welche Schritte es zur Verwirklichung seiner Ansprüche
und zur Verhinderung einer Anspruchsverjährung nach den allgemeinen Regeln ...
bedarf“ (vgl. S. 5 der Berufungsbegründung; OLG Hamm VersR 2002, 563). Dieses
Schreiben schuf gerade keine Basis für die Entscheidung des Klägers, „sich trotz
positiver Entscheidung des Versicherers gegen eine Verjährung seiner Ansprüche ...
gegebenenfalls durch die Erhebung einer Feststellungsklage zu schützen“ (vgl. S. 5 der
Berufungsbegründung; BGH VersR 1991, 878).
Vielmehr bestand nach Zugang des Schreibens der Beklagten bei dem Kläger für diesen
gerade keine Klarheit, „welcher Schritte es zur Verwirklichung seiner Ansprüche und zur
Verhinderung einer Anspruchsverjährung nach den allgemeinen Regeln bedarf“ (S. 5 der
Berufungsbegründung; OLG Hamm a. a. O.)
Der Kläger wusste nämlich weder, ob und wenn ja zu welchem Prozentsatz die Beklagte
ihre Haftung einräumen wollte noch wusste er, in welcher Höhe sie die Mietwagenkosten
akzeptieren wollte. Die Beklagte hat mit ihrem Schreiben vom 16. November 1998
gerade keine erschöpfende, umfassende und endgültige Entscheidung getroffen.
Soweit die Beklagte meint, sie habe sich durch ihr Schreiben in die Hände des
Amtsgerichtes Leipzig begeben, dokumentiert sie damit, dass sie selbst gerade keine
Entscheidung getroffen, diese vielmehr einem anderen überlassen hat.
Eine Entscheidung im Sinne von § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG liegt aber nur vor, wenn sie vom
Versicherer selbst stammt (vgl. BGH, NJW 1997, 2521) und von diesem schriftlich erklärt
wird.
3. Der Kläger verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn er sich auf
die Hemmung der Verjährung beruft. Es kann dahinstehen, ob die zu § 12 VVG
entwickelte Rechtsprechung, wonach die Hemmungswirkung entfällt, wenn der
Anspruchsteller die zunächst angemeldeten Ansprüche offensichtlich nicht mehr
weiterverfolgt (vgl. Nachweise bei Römer in Römer/Langheid, 2. Auflage 2003, § 12 Rdnr.
25), auch in Bezug auf § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG Anwendung finden kann.
Vorliegend kann schon nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger, obwohl er
hätte tätig werden können und müssen, die Angelegenheit „schlicht hat einschlafen
lassen“. Vielmehr durfte der Kläger aufgrund des Schreibens vom 16. November 1998
abwarten und davon ausgehen, dass die Beklagte nach Abschluss des zivilrechtlichen
Verfahrens ihrerseits von sich aus auf die Angelegenheit zurückkomme würde. Nur so
konnte der Kläger die Aussage „bevor wir weitere Zahlungen an Sie leisten ...“
verstehen.
C. Verwirkung
Zutreffend geht das Landgericht auch davon aus, dass der Anspruch nicht verwirkt ist.
Es kann dahinstehen, ob das Zeitmoment vorliegend gegeben ist, jedenfalls fehlt es am
sog. Umstandsmoment, d. h. einem durch den Kläger geschaffenen
Vertrauenstatbestand, aus dem die Beklagte folgern könnte, der Kläger würde seinen
Schadensersatzanspruch nicht mehr geltend machen. Entgegen der Ansicht der
Beklagten auf den Seiten 6/7 ihrer Berufungsbegründungsschrift reicht die bloße
Untätigkeit des Klägers insoweit nicht aus. Wie oben dargelegt durfte der Kläger
aufgrund des Schreibens vom 16. November 1998 abwarten und davon ausgehen, dass
die Beklagte nach Abschluss des zivilrechtlichen Verfahrens ihrerseits von sich aus auf
die Angelegenheit zurückkomme würde.
Im Übrigen hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des
Senats zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung ist nicht erforderlich.
Es wird daher angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken. Der Senat
beabsichtigt, die Kosten des zweiten Rechtszuges auch im Falle einer
beabsichtigt, die Kosten des zweiten Rechtszuges auch im Falle einer
Berufungsrücknahme durch die Beklagte entsprechend dem Verhältnis von Berufung
und Anschlussberufung zu quoteln (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 2. August
2004 - 7 U 251/03 -, NJW-RR 2005, 507).
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