Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: freie arztwahl, öffentliches recht, behandlung, therapie, krankheit, ermessen, eingliederung, diagnose, rechtsgrundlage, besuch

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 Ws 168/05 Vollz
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 24 Abs 2 StVollzG, § 58
StVollzG
Strafvollzug: Behandlung des Antrags auf regelmäßigen Besuch
einer externen Psychologin zu Therapiezwecken; keine freie
Arzt- und Therapeutenwahl des Strafgefangenen; Hinzuziehung
von beratenden Ärzten oder externen Fachärzten und
Fachtherapeuten
Leitsatz
Einem Strafgefangenen steht ein subjektiv-öffentliches Recht auf gesundheitliche Betreuung
zu; dies umfasst aber nicht das Recht auf freie Arztwahl (hier kein Anspruch auf Zulassung
einer bestimmten externen Therapeutin).
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel wird der Beschluß
des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer - vom 2. März 2005 (fälschlich auf
den 2. März 2004 datiert) mit Ausnahme der Festsetzung des Streitwerts aufgehoben.
Der Antrag des Gefangenen vom 10. Juni 2004, der externen Therapeutin Dipl.-
Psychologin C. S.-K. ständigen Einlaß in die Justizvollzugsanstalt Tegel zu gewähren, wird
abgelehnt.
Der Gefangene hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Der Anstaltsleiter hat den Antrag des Gefangenen, der externen Therapeutin Dipl.-
Psychologin C. S.–K. ständigen Einlaß in die Haftanstalt zur Durchführung einer Therapie
zu gewähren, mit der Begründung mündlich abgelehnt, daß eine externe
Einzelpsychotherapie sowohl wegen des Fehlens einer Behandlungsmotivation als auch
der Unmöglichkeit, sie zu finanzieren nicht in Betracht komme. Mit dem angefochtenen
Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer die Justizvollzugsanstalt Tegel verpflichtet,
dem Gefangenen mindestens einmal wöchentlich den Besuch durch diese Psychologin
für die Dauer von mindestens einer Stunde zu gestatten. In den Gründen der
Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt, daß der Antrag des Gefangenen nicht auf
die Bewilligung einer Krankenbehandlung im Sinne des § 58 StVollzG gerichtet sei, da
der Antragsteller nur den „Einlaß“ der Psychologin erstrebe. Dieses Begehren sei nach §
24 Abs. 2 StVollzG zu beurteilen. Nach dieser Vorschrift sollen Besuche zugelassen
werden, wenn sie die Behandlung des Gefangenen fördern. Da keine Versagungsgründe
ersichtlich seien, habe der Anstaltsleiter den Antrag des Gefangenen zu Unrecht
abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Leiters der
Justizvollzugsanstalt Tegel mit der Sachrüge.
Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel erfüllt die besonderen
Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG. Der Senat hält es für geboten,
die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
Das Rechtsmittel hat auch Erfolg.
1. Die Ansicht der Strafvollstreckungskammer, nach einer Gesamtschau begehre der
Gefangene lediglich Besuche im Sinne des § 24 Abs. 2 StVollzG durch Frau S.-K. und
nicht die Bewilligung einer Krankenbehandlung, verkennt den Streitgegenstand und
verkürzt den Inhalt des Antrages. Zur Begründung seines Antrages vom 10. Juni 2004,
der externen Therapeutin ständigen Einlaß zu gewähren, führte der Gefangene selbst
aus, daß die Kosten der Therapie zunächst von seiner Familie getragen würden. Seinen
Antrag auf gerichtliche Entscheidung begründete der Gefangene damit, daß der Einlaß
der externen Therapeutin für die Aufarbeitung der hinter den Straftaten stehenden
Persönlichkeitsdefizite dringend nötig sei. Dadurch wird deutlich, daß der Gefangene den
Einlaß der Dipl.-Psychologin begehrt, um mit ihr und niemandem anderen eine Therapie
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Einlaß der Dipl.-Psychologin begehrt, um mit ihr und niemandem anderen eine Therapie
durchzuführen. Daß die Therapeutin zu diesem Zwecke zuvor eingelassen werden
müßte, liegt auf der Hand, rechtfertigt aber nicht die Annahme, sie wolle den
Gefangenen – was ihr im Rahmen der üblichen Besuchsregelungen ohnehin freistünde (§
24 Abs. 1 StVollzG) – nur besuchen. Die Verkürzung des Streitgegenstandes auf bloße
Besuche verkennt auch, daß solche – anders eine Therapie – nichts zu kosten pflegen.
Damit scheidet § 24 Abs. 2 StVollzG als Rechtsgrundlage für das Begehren des
Gefangenen aus.
Denn Besuche im Sinne von § 24 StVollzG haben vor allem für die Behandlung und die
Eingliederung nach der Entlassung erhebliche Bedeutung. Besuche gemäß § 24 Abs. 2
StVollzG sollen zugelassen werden, wenn sie die Behandlung und Eingliederung des
Gefangenen fördern oder persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheiten
dienen, die nicht vom Gefangenen schriftlich oder durch Dritte wahrgenommen werden
können (vgl. Arloth/Lückmann StVollzG, § 24 Rdn. 5; Calliess/Müller-Dietz StVollzG 10.
Aufl. § 24 Rdn. 5). Sie bilden eine Möglichkeit zu unmittelbarem Kontakt mit anderen
Personen des früheren oder künftigen Lebensbereiches (vgl. Schwind/Böhm StVollzG, 3.
Aufl. § 24 Rdn. 1).
Dabei ist „Behandlung“ im weiten Sinn des § 4 StVollzG zu verstehen. Sie bedeutet
einen Prozeß, in dem in den wechselseitigen Interaktionen zwischen den Mitgliedern des
Vollzugsstabes und dem Gefangenen sich die Bereitschaft zur Mitwirkung an der
Erreichung des Vollzugszieles und die Fähigkeit dazu erst entwickelt (vgl. Calliess/Müller-
Dietz StVollzG, 10. Aufl., § 4 Rdn 4). Behandlung umfaßt dabei nicht die Therapie einer
Krankheit, sondern nur Chancenverbesserung und Hilfe zur Selbsthilfe bei der Lösung
wirtschaftlicher, persönlicher und sozialer Probleme (vgl. Arloth/Lückmann, a.a.O. § 4
Rdn. 5).
Der Antragsteller begehrt aber im Gegensatz dazu – wovon auch die
Strafvollstreckungskammer in ihren Gründen ausgeht - eine von § 24 Abs. 2 StVollzG
nicht erfaßte psychologische Behandlung durch eine externe Therapeutin.
2. Rechtsgrundlage für die Zulassung einer externen Therapeutin kann daher nur § 58
StVollzG sein.
Danach hat der Gefangene grundsätzlich – von einigen Ausnahmen abgesehen - einen
Anspruch auf Krankenbehandlung in dem Umfang, wie ihn § 27 SGB V dem versicherten
Arbeitnehmer einräumt (vgl. Calliess/Müller-Dietz, aaO § 58 Rdn. 1). Der Anspruch setzt
voraus, daß der Gefangene unter einer Krankheit im Sinne der §§ 27, 28 SGB V (in
Verbindung mit §§ 1, 2 PsychThG) leidet. Ob ein entsprechendes Krankheitsbild bei dem
Gefangenen gegeben ist, kann vorliegend dahinstehen. Denn auch bei dem Vorliegen
einer Krankheit steht dem Gefangenen kein Recht auf freie Arztwahl zu.
Obergerichtlich ist geklärt, daß dem Gefangenen nach § 58 StVollzG ein subjektiv–
öffentliches Recht auf gesundheitliche Betreuung im Rahmen sachgerechter Erwägungen
zusteht. Dementsprechend ist die Entscheidung darüber, ob ein Facharzt oder
Fachtherapeut einzuschalten ist, von den Anstaltsärzten nach ärztlichem Ermessen bzw.
von sachkundigen Therapeuten im Rahmen eigenverantwortlicher Tätigkeit zu treffen.
Das Strafvollzugsgesetz hat ausdrücklich auf die Möglichkeit der freien Arzt- oder
Therapeutenwahl für den Gefangenen verzichtet. Er kann daher nicht selbst bestimmen,
von wem er sich behandeln lassen will. Der Gefangene hat keinen Anspruch auf
Behandlung durch einen Arzt oder Therapeuten seiner Wahl (vgl. OLG Nürnberg NStZ
1999, 479, 480; OLG Hamm, Beschluß vom 27. Juni 1978 – 1 Vollz (Ws) 46/77 -
veröffentlicht in Juris; KG NStZ 1985, 45, 46; Calliess/Müller-Dietz, aaO. § 58 Rdn. 1).
Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Diagnose, sondern auch für die Therapie. Das
folgt unmittelbar aus § 58 StVollzG, wonach der Gefangene Krankenpflege durch
ärztliche Betreuung erhält.
Ein Recht auf freie Arztwahl hat der Gefangene auch dann nicht, wenn er sich bereit
erklärt, die Kosten hierfür zu übernehmen. In diesem Fall kann der Anstaltsleiter nach
pflichtgemäßem Ermessen dem Gefangenen ausnahmsweise gestatten, auf eigene
Kosten einen beratenden Arzt hinzuzuziehen. Im übrigen ist die Zuziehung externer
(Fach-) Ärzte zur Diagnose und Therapie nach anstaltsärztlichem Ermessen zu
beurteilen. Sie kommt nur bei Erforderlichkeit und dem Fehlen ausreichender
Behandlungsmöglichkeiten in der Justizvollzugsanstalt in Betracht. Für die Behandlung
durch Psychotherapeuten gilt nichts anderes (vgl. OLG Nürnberg NStZ 1999, 479; OLG
Karlsruhe NStZ 1998, 638, 639).
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
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Der Gefangene konnte die Möglichkeiten in der Sozialtherapeutischen Anstalt nicht
nutzen und unterbrach eigenmächtig therapeutische Gespräche, um einen Wechsel des
Therapeuten zu erreichen. Auch ein externer Therapeut stellte mangelnde Offenheit des
Gefangenen fest. Unter diesen Umständen fehlt es nicht an Behandlungsmöglichkeiten
in der Justizvollzugsanstalt, sondern an der Bereitschaft des Gefangenen, sich nach den
Maßgaben der Anstalt behandeln zu lassen. Er ist vielmehr auf die Behandlung durch
eine ganz bestimmte externe Therapeutin fixiert. Eine solche kann er aber durch sein
Verhalten nicht erzwingen, zumal da die Möglichkeiten der Psychotherapeutischen
Beratungs- und Behandlungsstelle – auf die er sich entgegen der Auffassung der
Strafvollstreckungskammer verweisen lassen muß – nicht erschöpft sind. Von fehlenden
Behandlungsmöglichkeiten in der Justizvollzugsanstalt kann daher keine Rede sein.
3. Da die Sache spruchreif (§ 119 Abs. 4 StVollzG) ist, entscheidet der Senat selbst.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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