Urteil des KG Berlin vom 22.12.2006

KG Berlin: verbraucher, schutzwürdiges interesse, internet, verfälschung, wettbewerbshandlung, mitbewerber, erheblichkeit, abmahnung, ware, anfang

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Gericht:
KG Berlin 5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 W 37/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 UWG, § 4 Nr 11 UWG, § 1 Abs
2 PAngV, § 1 Abs 6 PAngV, § 4
Abs 1 TDG
Wettbewerbsrecht: Bagatellverstoß bei fehlender Angabe der
Versandkosten im Internet-Auftritt eines deutschen Anbieters
unter einer ausländischen TDL
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Zivilkammer
15 des Landgerichts Berlin vom 22. Dezember 2006 - 15 O 969/06 - wird
zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von
10.000,- Euro zu tragen.
3. Der Wert des erstinstanzlichen Verfahrens wird - in Änderung der landgerichtlichen
Wertfestsetzung in Ziffer 3 des angefochtenen Beschlusses - auf 10.000,- Euro
festgesetzt.
Gründe
A.
Die Antragstellerin behauptet, beide - in Berlin geschäftsansässigen - Parteien würden
europaweit Kunstblumen über das Internet zum Verkauf anbieten. Die Antragstellerin
beanstandet, auf der deutschsprachigen Ausgabe des Internetauftritts des
Antragsgegners (unter der TOP Level Domain „.n...“) habe sich kein Hinweis auf unter
Umständen anfallende Versandkosten befunden.
Das Landgericht hat den Verfügungsantrag auf Unterlassung zurückgewiesen.
B.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO
zulässig, aber nicht begründet, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 1 Abs. 2, Abs. 6
PAngV.
I.
Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die Preisangabenverordnung
hinsichtlich des in Rede stehenden Internetauftritts des Antragsgegners anwendbar ist.
1. Soweit Kunden in Deutschland angesprochen werden (wegen der verwendeten
deutschen Sprache und der deutschen Bestell-Telefonnummer 0800...“), wenn
überhaupt ein relevanter Teil angesprochen sein sollte, verweisen sowohl das
Marktortprinzip (hier Wohnort der Verbraucher) als auch das Herkunftslandprinzip (Sitz
des Antragsgegners) auf deutsches Recht.
Soweit sich der Internetauftritt an deutschsprachige Kunden in Schweden richtet (wegen
der Preisangabe in „SEK“, der in Deutschland unbekannten TOP Level Domain „.n...“ - in
der schwedischen Sprache „jetzt“, der zwingend vorgegebenen Rechnungsanschrift des
Kunden in Schweden), soll nach § 4 Abs. 1 TDG das Herkunftslandprinzip eingreifen,
wenn deutsche Unternehmen ihre Dienste im EU-Ausland anbieten (Köhler in:
Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 25. Aufl., Einl. UWG Rdn. 5.22; Ohly in:
Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl., Einf C Rdn. 73, 80). Dafür spricht der klare Wortlaut dieser
Regelung.
2. Im Übrigen ist anzunehmen, dass auch das schwedische Recht eine klare und
unzweideutige Angabe vorschreibt, ob Versandkosten in den Preisen enthalten sind.
Denn dies verlangt im koordinierten Bereich Artikel 5 Abs. 2 der E-Commerce-Richtlinie
(2000/31/EG).
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II.
Es kann auch hier davon ausgegangen werden, dass - jedenfalls bis zum 14. November
2006 - auf dem in Rede stehenden Internetauftritt des Antragsgegners bei den
beworbenen Produkten kein Hinweis auf Versandkosten, soweit solche anfallen, gegeben
worden ist. Damit wäre an sich ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 1
Abs. 2, Abs. 6 PAngV gegeben (vgl. OLG Köln, MMR 2005, 111, Juris Rdn. 9 ff.; OLG
Hamburg, MMR 2005, 108, Juris Rdn. 27 ff.; MMR 2005, 467, Juris Rdn. 11 ff.).
III.
Im Ausgangspunkt ist auch anzunehmen, dass ein derartiger Verstoß in der Regel
geeignet ist, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen im Sinne des § 3
UWG. Denn die Preiswerbung ist einer der sensibelsten Bereiche des Wettbewerbs und
höhere oder niedrigere Versandkosten können im Fernabsatz durchaus die
Kaufentscheidung des Verkehrs entscheidend beeinflussen (OLG Hamburg, MMR 2005,
467, Juris Rdn. 27; MMR 2005, 108, Juris Rdn. 40; OLG Köln, a.a.O., Juris Rdn. 13).
Die besonderen Umstände des vorliegenden Falles lassen hier aber nur einen bloßen
Bagatellfall erkennen.
Mit der Formulierung "zum Nachteil" bringt § 3 UWG zum Ausdruck, dass die Lauterkeit
im Wettbewerb nicht um ihrer selbst willen geschützt wird, sondern nur insoweit, als die
Wettbewerbsmaßnahmen tatsächlich geeignet sind, zu einer Beeinträchtigung
geschützter Interessen der Marktteilnehmer zu führen. Die Verfälschung des
Wettbewerbs muss darüber hinaus "nicht unerheblich" sein. Damit soll zum Ausdruck
kommen, dass die Wettbewerbsmaßnahme von einem gewissen Gewicht für das
Wettbewerbsgeschehen und die Interessen der geschützten Personenkreise sein muss.
Die Verfolgung von Bagatellfällen, an deren Verfolgung kein schutzwürdiges Interesse
der Allgemeinheit besteht, soll ausgeschlossen werden. Die Feststellung, ob ein
Wettbewerbsverstoß geeignet ist, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zu verfälschen,
setzt eine unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu treffende Wertung
voraus (vgl. OLG Koblenz GRUR-RR 2007, 23 f.). Bei der Prüfung, ob die beanstandete
Wettbewerbshandlung zu einer nicht unerheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung
geeignet ist, ist dementsprechend eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller
vom Schutzzweck der Norm erfassten Umstände vorzunehmen (vgl. Senat GRUR-RR
2005, 357, 358, m.w.N.). In diese sind neben der Art und Schwere des Verstoßes die zu
erwartenden Auswirkungen auf den Wettbewerb sowie der Schutzzweck des
Wettbewerbsrechts einzubeziehen. Eine nicht nur unerhebliche Verfälschung kann auch
bei Verstößen mit nur geringen Auswirkungen auf den Marktteilnehmer im Einzelfall
vorliegen, wenn durch das Verhalten eine Vielzahl von Marktteilnehmern betroffen ist
oder eine nicht unerhebliche Nachahmungsgefahr besteht. Eine Eignung zur nicht nur
unerheblichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs zum Nachteil der betroffenen
Mitbewerber ist dann anzunehmen, wenn ihre Marktchancen durch die unlautere
Wettbewerbshandlung spürbar beeinträchtigt sein können (OLG Koblenz a.a.O. S. 24
m.w.N.). Letzteres hängt auch von der Größe eines erzielten Wettbewerbsvorsprungs ab
(vgl. - zu § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG a.F. - BGH GRUR 2001, 258, 259 -
Immobilienpreisangaben, m.w.N.). Es reicht nicht aus, dass der Verstoß lediglich
geeignet ist, irgendeinen geringfügigen Wettbewerbsvorsprung zu begründen (vgl. - zu §
13 Abs. 2 Nr. 2 UWG a.F. - BGH GRUR 2001, 1166, 1169 - Fernflugpreise). Von
Bedeutung sind vielmehr die jeweiligen Marktverhältnisse, wie die Größe des
Unternehmens und die Zahl der Mitbewerber auf dem Markt sowie die Art, Schwere,
Häufigkeit oder Dauer des Wettbewerbsverstoßes. In Bezug auf die Verbraucher und
sonstigen Marktteilnehmer ist darauf abzustellen, ob ihre Informationsinteressen, ihre
Entscheidungsfreiheit und ihre sonstigen durch das Gesetz geschützten Interessen
spürbar beeinträchtigt sein können. Auch bezüglich der Verbraucher und sonstigen
Marktteilnehmer ist das Ausmaß der Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfreiheit oder
sonstigen Interessen maßgebend (OLG Koblenz a.a.O. m.w.N.). Dementsprechend kann
sich ein Anwendungsbereich besagter "Bagatellklausel" des § 3 UWG beispielsweise dann
eröffnen, wenn zwar gegen zum Schutz des Verbrauchers erlassene Vorschriften
verstoßen wird, der Inhalt des gebotswidrig unterlassenen Hinweises sich aber aus dem
übrigen Kontext dem Verbraucher erschließt, aus sonstigen Umständen für den
Verbraucher nahe liegt oder für seine Entscheidung von zu vernachlässigender
Bedeutung ist (vgl. Ullmann in: Ullmann, jurisPK-UWG, § 3 Rdn. 42).
1. Deutschsprachige Verbraucher aus Deutschland werden von dem
streitgegenständlichen Internetauftritt nicht in einem relevanten Umfang angesprochen.
a) Die TOP Level Domain „.n...“ ist in Deutschland nicht bekannt. Verbraucher aus
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a) Die TOP Level Domain „.n...“ ist in Deutschland nicht bekannt. Verbraucher aus
Deutschland suchen in erster Linie nach einer „.de“ TOP Level Domain. Dass der
Antragsgegner auch eine solche betreibt (was bei einem Internet-Versand mit Sitz in
Berlin mehr als nahe liegt), stellt die Antragstellerin nicht in Abrede.
Die Preisangabe in „SEK“ ist für deutsche Verbraucher in aller Regel ohne Aussage. Sie
fühlen sich von einem solchen Internetauftritt grundsätzlich nicht angesprochen, mag
auch die verwendete Sprache deutsch sein. Es drängt sich ihnen die Annahme auf, der
Internetauftritt wende sich an deutschsprachige Bewohner Schwedens. Dies wird
dadurch bestätigt, dass im Bestellvorgang als Rechnungsanschrift des Verbrauchers
eine solche aus Schweden vorgegeben war. Unter diesen Umständen ist es auch
fernliegend, dass deutsche Verbraucher in einem erheblichen Umfang die (nur) von
Deutschland aus erreichbare, im Internetauftritt angegebene „Bestell-Hotline 0800...“
benutzen könnten.
Wenn in dem Internetauftritt des Antragsgegners auch „Dankschreiben“ aus der
Schweiz und anderen Ländern aufgeführt werden, so ist es naheliegend, dass der
Antragsgegner diese über seine diesbezüglichen länderspezifischen Domains erhalten
und dann in alle Domains (inhaltlich) übernommen hat.
b) Dass in Schweden wohnende Verbraucher in einem nennenswerten Umfang vom
streitgegenständlichen Internetauftritt des Antragsgegners angesprochen werden,
behauptet auch die Antragstellerin nicht (vgl. zur Vortragslast Ullmann in: Ullmann juris
PK-UWG, Einleitung Rdn. 77), die davon ausgeht, die Seiten richteten sich an den
deutschen Endverbraucher.
Im Übrigen werden schwedische Verbraucher in aller Regel die - vorhandene -
schwedischsprachige Version des Internetauftritts der Antragsgegnerin heranziehen, die
hier nicht im Streit ist.
c) Ist es somit schon fernliegend, dass Verbraucher den beanstandeten Internetauftritt
der Antragsgegnerin überhaupt in einem relevanten Umfang zur Kenntnis nehmen, dann
kommt vorliegend noch hinzu, dass jedenfalls während des Bestellvorgangs (beim
virtuellen Hineinlegen der Ware in den Warenkorb) die Versandkosten konkret genannt
werden, also vor dem Abschluss des Bestellvorgangs. Dies ist zwar grundsätzlich nach §
1 Abs. 2, Abs. 6 PAngV nicht ausreichend (vgl. OLG Köln, MMR 2005, 108, Juris Rdn. 34;
MMR 2005, 467, Juris Rdn. 25; OLG Köln, a.a.O., Juris Rdn. 2, 11), schwächt die Wirkung
des Verstoßes aber doch zusätzlich ab.
Darüber hinaus lag ein offensichtlich Versehen des Antragsgegners bei der
Ausgestaltung der deutschen Sprachversion vor, denn die Antragstellerin bestreitet
nicht, dass auf der schwedischen Sprachversion ein Versandkosten-Hinweis enthalten
war. Der Antragsgegner hat die streitgegenständliche Version offenbar auch sogleich
nach der Abmahnung entfernt. Das bloße Versehen nimmt zwar - für sich betrachtet -
dem Verstoß noch nicht die Erheblichkeit, es bestärkt aber vorliegend zusätzlich die
Annahme eines bloßen Bagatelldelikts.
C.
Die Nebenentscheidungen zu den Kosten und zur Wertfestsetzung beruhen auf § 97
Abs. 1, § 3 ZPO.
Die - von der Antragstellerin nicht angeregte, aber auch nicht beanstandete -
Wertfestsetzung des Landgerichts auf 30.000,- Euro ist angesichts des von Anfang an
erkennbaren Bagatellcharakters der beanstandeten Handlung von Amts wegen
angemessen auf 10.000,- Euro herabzusetzen.
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