Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: reisekosten, warschauer abkommen, reisegepäck, ausnahme, anschluss, link, quelle, sammlung, beschädigung, rechtshängigkeit

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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 102/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 91 Abs 1 S 1 ZPO, § 91 Abs 2
S 1 Halbs 2 ZPO
Rechtsanwaltsgebühr: Kosten eines Unterbevollmächtigten für
Terminvertretung des an einem dritten Ort ansässigen
Prozessbevollmächtigten
Leitsatz
Die Kosten eines Unterbevollmächtigten, der für den an einem dritten Ort (weder Gerichtsort
noch Wohn- oder Geschäftsort der Partei) ansässigen Rechtsanwalt die Vertretung in der
mündlichen Verhandlung übernommen hat, sind nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO
erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen
Partei ansässigen Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung notwendig gewesen wäre. Der Höhe nach wird die Erstattungsfähigkeit der
Kosten durch die fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei
ansässigen Rechtsanwalts und die ersparten Reisekosten des Prozessbevollmächtigten
begrenzt (Anschluss an BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - I ZB 21/03).
Tenor
Der angefochtene Abhilfebeschluss wird aufgehoben.
Die als Erinnerung bezeichnete sofortige Beschwerde des Klägers gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Wedding vom 2. Dezember 2002 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem
Wert bis 300,00 EUR zu tragen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den richterlichen Abhilfebeschluss ist
gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässig. Insbesondere übersteigt der Wert des
Beschwerdegegenstandes, d. h. die Differenz zwischen den beanspruchten und den im
Abhilfebeschluss festgesetzten Kosten (184,20 EUR - 122,73 EUR), mit 61,47 EUR die
erforderliche Beschwer von 50,00 EUR (§ 567 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Nach § 119 Abs. 1 Nr.
1 b GVG ist das Kammergericht zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde,
weil der Kläger im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Rechtsstreits seinen allgemeinen
Gerichtsstand im Ausland hatte.
Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat Anspruch auf Erstattung
der mit Kostenfestsetzungsantrag vom 9. April 2002 angemeldeten und im
Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Wedding vom 2. Dezember 2002
ursprünglich festgesetzten Kosten in Höhe von insgesamt 184,20 EUR, die die
Mehrkosten für die Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung durch einen
Unterbevollmächtigten einschließen. Dementsprechend ist der angefochtene
Abhilfebeschluss aufzuheben und die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Dezember 2002 zurückzuweisen.
Die Kosten eines Unterbevollmächtigten sind notwendige Kosten der Rechtsverfolgung
im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, soweit dadurch erstattungsfähige Reisekosten des
auswärtigen Hauptbevollmächtigten erspart werden, die bei der Wahrnehmung des
Termins durch den Hauptbevollmächtigten selbst entstanden wären (BGH, Beschluss
vom 16. Oktober 2002 – VIII ZB 30/02 –, NJW 2003, 898, 899 ff.). Voraussetzung für die
Erstattung der Kosten des Unterbevollmächtigten ist demnach zunächst, dass die dem
Hauptbevollmächtigten bei eigener Terminswahrnehmung zustehenden Reisekosten
dem Grunde nach zu erstatten wären. Dies scheitert im vorliegenden Fall nicht schon
daran, dass der Hauptbevollmächtigte der Beklagten nicht am Sitz der Partei in ... N
residiert, sondern seine Kanzlei in ... K an einem dritten Ort hat.
Wie der Bundesgerichtshof für den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten
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Wie der Bundesgerichtshof für den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten
grundsätzlich entschieden hat, ist die Zuziehung eines nicht bei dem Prozessgericht
zugelassenen, aber in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen
Rechtsanwalts regelmäßig zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung notwendig (vgl. NJW 2003, 898). Gleiches gilt nach der Auffassung
des Bundesgerichtshofs auch für den Fall, dass die Partei keinen in der Nähe ihres
Geschäftsorts ansässigen Prozessbevollmächtigten beauftragt hat (vgl. BGH, Beschluss
vom 18. Dezember 2003 – I ZB 21/03, Rpfl. 2004, 618 = FamRZ 2004, 618). Die
Reisekosten des an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalts seien bis zur Höhe der
fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen
Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn dessen Beauftragung – was dem Regelfall
entspreche – zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich
gewesen wäre (§ 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO). Denn dürfe bei einem Streitfall eine
vernünftige und kostenbewusste Partei den für sie einfacheren und naheliegenden Weg
wählen, einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als
Bevollmächtigten zu beauftragen, sei sie, soweit dessen Reisekosten nicht überschritten
werden, nicht daran gehindert, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -
verteidigung einen an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalt ihres Vertrauens zu
beauftragen. Dieser Auffassung ist zuzustimmen und die frühere Rechtsprechung des
Senats überholt, wonach die Terminsreisekosten eines an einem dritten Ort
residierenden Prozessbevollmächtigten nur dann als erstattungsfähig angesehen
wurden, wenn der Prozessbevollmächtigte tatsächlich durch die Partei unmittelbar
mündlich und prozessbezogen informiert worden war (vgl. Senat, JurBüro 2002, 152 und
Beschluss vom 14. Mai 2003 – 1 W 98/03). In Kostenfestsetzungsverfahren werden
einfache Maßstäbe benötigt, die in der Vielzahl der Fälle zeitnahe Entscheidungen ohne
großen Ermittlungsaufwand ermöglichen. Schutzwürdige Belange der gegnerischen
Partei, nicht mit zusätzlichen Kosten belastet zu werden, werden wegen der Begrenzung
der Kostenerstattung auf die Reisekosten des am Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen
Rechtsanwalts nicht betroffen.
Danach sind hier die Mehrkosten in Höhe von 61,46 EUR, die durch die Einschaltung
eines Unterbevollmächtigten verursacht worden sind, erstattungsfähig. Sie liegen sowohl
unter den Kosten einer Terminsreise nach Berlin von Neu-Isenburg aus, als auch unter
den Kosten einer Terminsreise von Köln nach Berlin.
Entgegen der im Abhilfebeschluss vertretenen Auffassung des Amtsgerichts Wedding
war die Beklagte als ein größeres, international tätiges Wirtschaftsunternehmen auch
nicht ausnahmsweise gehalten, einen in Berlin ansässigen Prozessbevollmächtigten nur
schriftlich zu instruieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es
sich bei den Reisekosten eines Rechtsanwalts zwar dann nicht um notwendige Kosten
einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, wenn schon im Zeitpunkt der
Beauftragung des nicht am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts feststand, dass ein
eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein würde.
Dies ist unter anderem regelmäßig der Fall, wenn es sich bei der Partei um ein
gewerbliches Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende
Rechtsabteilung verfügt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2002 – VIII ZB 30/02 –,
NJW 2003, 898). Die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme liegen hier jedoch nicht
vor, nachdem die Beklagte unbestritten darauf hingewiesen hat, dass sie keine solche
Rechtsabteilung besitzt. Die Beklagte braucht sich auch nicht so behandeln zu lassen,
als ob sie eine eigene Rechtsabteilung hätte. Das Amtsgericht verkennt, dass es im
Rahmen des Kostenerstattungsrechts lediglich auf die tatsächliche Organisation eines
Versicherers ankommt (BGH, Beschluss vom 11. November 2003, VI ZB 41/03, Rpfl.
2004, 182).
Eine weitere Ausnahme, bei der die unmittelbare Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
beim Prozessgericht zumutbar sein kann, ist zudem bei einfach gelagerten, sog.
Routineangelegenheiten gegeben. Um eine solche Routineangelegenheit handelt es sich
indes nicht. Die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Frage, ob der Verlust eines Teils
eines Gepäckstücks nach den Regelungen des Warschauer Abkommens als Verlust von
Reisegepäck oder als Beschädigung von Reisegepäck anzusehen ist, ist in Literatur und
Rechtsprechung höchst umstritten (vgl. Giemulla/Schmid, Kommentar zum Warschauer
Abkommen, Art. 26 Rdnr. 24 ff., Rdnr. 28). Der um diese Frage bestehende Streit
spiegelt sich in den zahlreichen, zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätzen
wieder, in denen um die Auslegung der vom Bundesgerichtshof hierzu entwickelten
Grundsätze gestritten wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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