Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: höhere gewalt, betriebsgefahr, fahrzeughalter, kollision, abrechnung, gefährdungshaftung, kredit, link, ersatzbeschaffung, quelle

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 151/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 421 BGB, § 839 Abs 1 S 2
BGB, § 7 StVG, § 17 Abs 1 S 1
StVG, § 17 Abs 2 StVG
Verkehrsunfallhaftung: Kollision eines Polizeifahrzeuges mit
einem ordnungsgemäß am Fahrbahnrand geparkten Pkw nach
Erstkollision mit einem Grundstücksausfahrer; Verweisung des
Geschädigten auf Ansprüche gegen den Ausfahrer
Leitsatz
Fährt ein im fließenden Verkehr befindliches Kraftfahrzeug (hier: Einsatzfahrzeug der Polizei)
gegen ein ordnungsgemäß am Fahrbahnrand geparkten Pkw, so kann dessen Eigentümer
den Halter des Polizeifahrzeuges auf Schadensersatz aus der Betriebsgefahr gem. § 7 StVG
in Anspruch nehmen; dieser Anspruch besteht auch dann in voller Höhe, wenn ein dritter, aus
einer Grundstücksausfahrt einfahrender Pkw durch eine Erstkollision mit dem Polizeifahrzeug
erst dessen Anstoß gegen den geparkten Pkw ausgelöst hat.
Der Halter des geparkten Pkw kann nach § 421 BGB nicht auf Ansprüche gegen den
Ausfahrer verwiesen werden, der vom Halter des Polizeifahrzeugs in Regress genommen
werden mag.
Die Haftungsbeschränkung der anderweitigen Ersatzmöglichkeit nach § 839 Abs. 1 Satz 2
BGB gilt nicht im Bereich der Gefährdungshaftung nach § 7 StVG.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 29. Juni
2005 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 24 O 513/03 - abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.886,81 EUR nebst 5% Zinsen über dem
Basiszinssatz hieraus seit dem 25. April 2003 zu zahlen.
In übrigen wird die Klage zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der durch die
Nebenintervention verursachten Kosten zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die durch die Streithelfer der Klägerin eingelegte Berufung ist zulässig. Trotz der im
Schriftsatz vom 12. August 2005 gewählten Formulierung, sie werde „namens und in
Vollmacht der Streitverkündeten“ eingelegt, ist sie als Rechtsmittel im Rahmen eines
fremden Rechtsstreits, mithin als Berufung der Klägerin anzusehen (vgl.
Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 67 ZPO Rn. 5 m.w.N.).
II.
Die Berufung ist überwiegend erfolgreich. Der Beklagte haftet für die Schäden, die die
Klägerin durch die Kollision seines Polizeifahrzeuges (B ...) am 17. November 2002 mit
ihrem am Rand der Straße der Pariser Kommune geparkten VW Jetta (B-...) erlitten hat,
in Höhe des zuerkannten Betrages nach § 7 Abs. 1 StVG. Zu Unrecht hat das
Landgericht im angefochtenen Urteil in Abwägung der Verursachungs- und
Verschuldensanteile des Beklagten und des Streithelfers der Klägerin zu 1. eine Haftung
des Beklagten im Verhältnis zur Klägerin verneint (§ 17 StVG).
1. Die Haftungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 StVG sind zugunsten der Klägerin dem
Grunde nach ohne weiteres erfüllt, denn das Polizeifahrzeug ist gegen das geparkte
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Grunde nach ohne weiteres erfüllt, denn das Polizeifahrzeug ist gegen das geparkte
Fahrzeug der Klägerin gefahren und hat dieses beschädigt. Dies hat auch das
Landgericht so gesehen. Zwar hat es das im Urteil nicht ausdrücklich formuliert. Die
ausführlichen Ausführungen des Landgerichts zur Abwägung der Verursachungs- und
Verschuldensanteile setzen eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach jedoch
voraus.
2. Die Haftung des Beklagten wird im Verhältnis zur Klägerin jedoch nicht dadurch
berührt, dass sich auch das Verhalten des Streithelfers zu 1. möglicherweise
unfallursächlich ausgewirkt hat.
a) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 StVG bestimmt sich die Haftungsverteilung im
Innenverhältnis zwischen mehreren Schädigern eines Dritten nach den jeweiligen
Anteilen der Schadensverursachung. Im Außenverhältnis haften die Schädiger jedoch als
Gesamtschuldner nach § 421 BGB mit der Folge, dass der Geschädigte jeden von ihnen
in voller Höhe in Anspruch nehmen kann. Etwas anderes gilt nach § 17 Abs. 2 StVG im
Verhältnis mehrerer beteiligter Fahrzeughalter untereinander. Sie haften einander von
vornherein nur in Höhe der jeweiligen Quote der jeweiligen Schadensverursachung.
Beteiligt im Sinne des § 17 Abs. 2 StVG ist nur der Halter eines Fahrzeuges, dessen
Betriebsgefahr sich zu Lasten eines Anderen schadens-ursächlich ausgewirkt hat - es ist
erforderlich, dass sich eine Gefahr verwirklicht hat, die von dem Fahrzeug selbst
ausgeht. Dies ergibt sich aus der Formulierung des § 17 Abs. 1 und 2 StVG: „Beteiligte
Fahrzeughalter“ im Sinne dieser Regelung sind diejenigen, deren Kraftfahrzeuge einen
Schaden verursacht haben (vgl. auch BGH, NJW 1980, 1579). Die bloße Anwesenheit des
Fahrzeuges am Unfallort genügt also nicht. Der Betrieb, also die Fahrweise oder eine
Besonderheit des Ruhevorganges, muss zum Unfall beigetragen haben (vgl. Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 7 StVG, Rn. 10 m.w.N.).
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Klägerin als Dritte i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1
StVG und nicht als beteiligte Fahrzeughalterin i.S.d. § 17 Abs. 2 StVG anzusehen.
Zwar geht auch von einem geparkten Fahrzeug eine Betriebsgefahr aus (vgl. bereits
BGH, a.a.O.; einschränkend Hentschel, a.a.O., § 7 StVG, Rn. 5 m.w.N.), so dass sich der
auf dem Parkstreifen am Fahrbahnrand abgestellte VW Jetta der Klägerin im Rechtssinne
in Betrieb befand. Bei dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen hat sich diese
Betriebsgefahr jedoch nicht schadensursächlich ausgewirkt. Nicht durch die dem VW
Jetta der Klägerin innewohnende Betriebsgefahr, sondern durch das Beklagtenfahrzeug
und möglicherweise durch das Fahrzeug des Streithelfers ist am VW Jetta ein Schaden
verursacht worden. Die Kommentierung zur entsprechenden alten Fassung des § 17
StVG von Drees/Kuckuck/Werny, § 17 StVG, Rn. 3, bringt die Lage plastisch zum
Ausdruck: „Dann besteht also die Schadensausgleichspflicht zwischen dem
ersatzberechtigten Kraftfahrzeughalter und demjenigen Halter, den die Ersatzpflicht
trifft, sofern der Ersatzberechtigte eine nach § 17 Abs. 1 Satz 1 relevante
Mitverantwortung trägt, m.a.W.: dieser selbst ersatzpflichtig sein würde, falls nicht er,
sondern ein Dritter geschädigt worden wäre“. Ein Dritter wäre durch das geparkte
Fahrzeug der Klägerin jedoch nicht geschädigt worden.
3. Erfolglos beruft sich der Beklagte gegen seine Inanspruchnahme auf ein
Bremsversagen sein Polizeifahrzeuges. Eine haftungsausschließende höhere Gewalt
i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG liegt im Fall eines betriebsfremden und von außen einwirkenden
Ereignisses vor (vgl. Hentschel, a.a.O., § 7 StVG, Rn. 32 ff.). Das Versagen der
technischen Einrichtungen des Fahrzeuges selbst, also auch der Bremsanlage, gehört
nicht dazu.
4. Gleichfalls nicht zu einer anderen Beurteilung führt der Hinweis auf das
deliktsrechtliche Haftungsprivileg nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Nach dieser Regelung besteht ein Schadensersatzanspruch wegen fahrlässiger
Amtspflichtverletzung nur, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen
vermag. Diese Vorschrift gilt im Bereich der deliktischen Haftung für die Folgen eines
Verkehrsunfalls zwar jedenfalls dann, wenn der Beamte unter Inanspruchnahme von
Sonderrechten am allgemeinen Straßenverkehr teilgenommen hat (vgl. BGHZ 68, 217).
Im Bereich der Gefährdungshaftung gilt diese Haftungseinschränkung jedoch nicht (vgl.
Senat, VersR 1992, 1129; Staudinger/Wurm, BGB, Bearbeitung 2002, § 839 BGB, Rn. 278
m.w.N.).
5. Die Klageforderung ist der Höhe nach überwiegend begründet.
a) Der Beklagte schuldet der Klägerin Ersatz des Wiederbeschaffungswertes in Höhe von
1.350,- EUR, den diese anhand des Schadensgutachtens des Sachverständigen ... vom
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1.350,- EUR, den diese anhand des Schadensgutachtens des Sachverständigen ... vom
5. Dezember 2002 hinreichend dargelegt hat. Auf den entsprechenden Einwand des
Beklagten hat er auch die Verschrottung durch einen Verwertungsnachweis vom 26.
April 2004 nachgewiesen. Seine Behauptung, bei Veräußerung des beschädigten
Fahrzeuges an Aufkäufer aus osteuropäischen Ländern sei noch ein Restwert erzielbar
gewesen, hat der Beklagte nicht näher erläutert. Die ferner angesprochene Frage der
Differenzbesteuerung stellt sich nicht, da es sich um eine Abrechnung auf
Totalschadensbasis handelt, nicht um Ersatzbeschaffung.
b) Ersatzpflichtig sind ferner die Gutachterkosten in Höhe von 182,58 EUR (Rechnung
vom 5. Dezember 2002).
c) Die Klägerin kann Ersatz der Abschleppkosten in Höhe von 104,40 EUR verlangen
(Rechnung Auto ... vom 9. Dezember 2002 nebst Quittung). Der Einwand des Beklagten,
es sei nicht dargelegt, wohin das Fahrzeug abgeschleppt worden sei, ist unerheblich. Es
ist offensichtlich, dass das beschädigte Fahrzeug nicht am Unfallort im öffentlichen
Verkehrsraum verbleiben konnte, so dass die Klägerin gehalten war, für ein Abschleppen
zu sorgen. Die dafür in Rechnung gestellten Kosten halten sich im Rahmen des Üblichen,
so dass keine Veranlassung bestand, weiter aufzuklären, wohin das Fahrzeug
abgeschleppt worden ist.
d) Auch die weiteren Positionen Abmeldegebühr (5,60 EUR), Anmeldegebühr für das
neue Fahrzeug (52,00 EUR einschließlich Schildern), Nutzungsausfallpauschale für die
Zeit vom 17. bis 23. November 2002 (171,78 EUR) sowie Unkostenpauschale in Höhe
von 20,45 EUR sind als unfallursächlicher Schaden begründet. Der Einwand, für den 23.
November 2002 sei kein Nutzungsausfall geschuldet, weil die Klägerin an diesem Tag
das neue Fahrzeug angemeldet habe, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Bis zu
der Anmeldung des neuen Fahrzeuges, wann auch immer sie im Tagesverlauf
stattgefunden hat, sind der Klägerin die Gebrauchsvorteile des unfallbeschädigten
Fahrzeuges entgangen. Eine vom Beklagten offensichtlich verlangte stundenweise
Abrechnung der Nutzungsausfallentschädigung kommt nicht in Betracht (§ 278 ZPO).
e) Nicht ersatzfähig sind jedoch die von der Klägerin behaupteten Zinsen für die
Zwischenfinanzierung eines Ersatzwagenkaufes und die Bearbeitungsgebühr für diesen
Kredit. Abgesehen davon, dass die Klägerin den Beklagten nicht auf die beabsichtigte
Kreditaufnahme hingewiesen und ihm so die Möglichkeit genommen hat, durch
entsprechende Zahlung den jetzt geltend gemachten Schaden zu vermeiden (§ 254
Abs. 2 BGB), ist die Unfallursächlichkeit der jetzt verlangten Zinsen nicht dargelegt, da
sie auf einen Kredit in Höhe von 2.500,- EUR zurückgehen sollen - geschuldet ist jedoch
nur Ersatz in Höhe von 1.350,- EUR. Entsprechend ist die Bearbeitungsgebühr von 75,00
EUR nicht ersatzfähig, denn für die Anschaffung des Fahrzeuges für 2.500,- EUR hätte
die Klägerin sowieso ein Darlehen mit entsprechenden Bearbeitungskosten aufnehmen
müssen.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war entgegen dem Antrag des Beklagten nicht zuzulassen, da die Sache
weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, §
543 Abs. 2 ZPO.
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