Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017
KG Berlin: staatliches gericht, sachliche zuständigkeit, schiedsabrede, schiedsspruch, schiedsgericht, vollstreckbarerklärung, zwangsvollstreckung, schiedsvereinbarung, rechtfertigung, quelle
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Gericht:
KG Berlin 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 Sch 1/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 767 ZPO, § 1024 ZPO, § 1025
ZPO, § 1062 ZPO
Zwangsvollstreckung aus Schiedsspruch: Zuständigkeit des
Oberlandesgerichts für Vollstreckungsabwehrklagen;
zuständiges staatliches Gericht bei nicht unter die
Schiedsabrede fallender Einwendung
Leitsatz
Auch in Schiedssachen ist das Oberlandesgericht (Kammergericht) für
Vollstreckungsgegenklagen nicht zuständig. Greift die Schiedsabrede nicht ein, ist daher – wie
sonst auch – das erstinstanzliche staatliche Gericht zur Entscheidung berufen, also das
Gericht, das den Rechtsstreit zu entscheiden hätte, wenn die Schiedsvereinbarung nicht
bestünde
Tenor
Das Kammergericht erklärt sich für funktional nicht zuständig und verweist den
Rechtsstreit an das Landgericht Köln zurück.
Gründe
I.
Die Klägerin hat in dem vor dem Landgericht Köln geführten Rechtsstreit hilfsweise
beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Schiedsspruch des Internationalen
Schiedsgerichts in Stockholm, Schweden, vom 7. Juli 1998, der vom Kammergericht mit
Beschluss vom 16. Februar 2001 – 28 SCH 23/99 - für vollstreckbar erklärt worden war,
für unzulässig zu erklären.
Das Landgericht Köln hat auf den weiteren Hilfsantrag sich mit am 7. Dezember 2006
verkündeten Urteil hinsichtlich der (Hilfs-) Vollstreckungsabwehrklage für sachlich und
örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit insoweit an das Kammergericht
verwiesen.
II.
Der Rechtsstreit war an das Landgericht Köln zurückzuverweisen, weil – wie der Senat
bereits in einer anderen Sache mit Beschluss vom 16. März 2006 zum Geschäftszeichen
20 SCH 18/04 (veröffentlicht auf www.kammergericht.de) entschieden hat - das
Kammergericht für Vollstreckungsabwehrklagen nach § 767 ZPO (funktional)
unzuständig ist und die Verweisung der rechtlichen Grundlage entbehrt.
1. Die Annahme, das Kammergericht als Oberlandesgericht sei Prozessgericht im Sinne
von § 767 ZPO, ist unzutreffend (vgl. auch OLG Brandenburg mit Beschluss vom 5.
Januar 2000 – 8 SCH 6/99 = NJW-RR 2001, 645; Voit in: Musielak, ZPO, 5. Aufl., § 1060
Rn. 13; Münch in: Münchener Kommentar, ZPO, § 1060 Rn. 15 und § 1062 Rn. 7; Reichold
in: Thomas-Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 1060 Rn. 3).
a) Den Oberlandesgerichten sind vom Gesetzgeber lediglich die in § 1062 ZPO
enumerativ benannten Verfahren, sog. Schiedssachen, aber keine Rechtsstreite
zugewiesen. Die rechtlich nicht begründbare Annahme einer Annexzuständigkeit
missachtet, dass die Zivilprozessordnung an keiner Stelle erkennen lässt, die Führung
erstinstanzlicher Rechtsstreite am Oberlandesgericht sei vorgesehen. Dementsprechend
gliedert sich das zweite Buch der ZPO zum erstinstanzlichen Verfahren lediglich in die
Abschnitte zum Verfahren vor dem Landgericht und vor dem Amtsgericht, sodass für die
Führung eines erstinstanzlichen Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht bereits die
verfahrensrechtlichen Grundlagen fehlen. Dass ein erstinstanzlicher Rechtsstreit aber
offensichtlich systemwidrig im Beschlussverfahren unter Verkürzung um eine zweite
Tatsacheninstanz mit Beschränkung des Rechtsmittels auf eine Rechtsbeschwerde zu
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Tatsacheninstanz mit Beschränkung des Rechtsmittels auf eine Rechtsbeschwerde zu
führen sein sollte, ist schon aufgrund des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes
nicht zu rechtfertigen und kann als Wille des Gesetzgebers nicht mehr ernsthaft in
Betracht gezogen werden. Soweit Anderes vertreten wird, lässt sich das nur damit
erklären, dass offenbar die mit der Änderung der Zuständigkeit der Amts- und
Landgerichte (§ 1045 ZPO a.F.) auf die Oberlandesgerichte einhergehenden, vorstehend
genannten Besonderheiten nicht beachtet wurden, die sich zuvor lediglich gerichtsintern
auswirkten, ohne dass eine rechtliche Grundlage für das Verfahren gefehlt hätte. Dass
sich eine Abwandlung des Systems der Verfahrensordnung aus einer nicht eben nahe
liegenden Interpretation des § 767 ZPO rechtfertigen lassen sollte, vermag der Senat
nicht nachzuvollziehen.
b) Die Auslegung des Begriffs des zuständigen Prozessgerichts des ersten
Rechtszuges in § 767 ZPO kann schon deshalb nicht zur Zuständigkeit des
Oberlandesgerichts führen, weil dieses anlässlich der Vollstreckbarerklärung – anders als
das Landgericht Köln vorliegend meint - offenkundig nicht als Prozessgericht zu
entscheiden hatte, denn der Prozess wurde vor dem Schiedsgericht nicht nur geführt,
sondern dort auch entschieden, während das Oberlandesgericht entsprechend der
Gesetzeslage lediglich über die Vollstreckbarkeit zu entscheiden hatte. Da der
Schiedsspruch einem rechtskräftigen Urteil gleichsteht (§ 1055 ZPO), ist auch nicht zu
erkennen, weshalb der Wortlaut des § 767 Abs. 1 ZPO („Urteil“) den Schiedsspruch nicht
unmittelbar erfassen sollte und es irgendwelcher Konstruktionen bedürfte, an die bloße
Vollstreckbarerklärung anzuknüpfen und diese als (alleinigen) anzugreifenden
Vollstreckungstitel umzufunktionieren. Dann müsste § 767 ZPO konsequenterweise auch
bei Beschlüssen nach §§ 887 ff. ZPO oder Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen an
diese und nicht mehr das Urteil anknüpfen, was aber nicht der Fall ist.
c) Vor dem Schiedsgericht und nicht dem Oberlandesgericht wäre die
Vollstreckungsabwehrklage zu verhandeln, wenn die Einwendung unter die
Schiedsabrede fiele. Es ist dann nicht einzusehen, dass das Oberlandesgericht im
Widerspruch dazu nun für die Fälle zuständig sein sollte, die von der Schiedsabrede nicht
erfasst und deshalb gerade nicht vom Schiedsgericht zu entscheiden sind, obwohl doch
die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im gerichtlichen Verfahren nach §§ 1062 ff.
ZPO der des Schiedsgerichts folgt. Greift die Schiedsabrede nicht ein, ist daher – wie
sonst auch – das erstinstanzliche staatliche Gericht zur Entscheidung berufen, also das
Gericht, das den Rechtsstreit zu entscheiden hätte, wenn die Schiedsvereinbarung nicht
bestünde. Zutreffend beantragt die Klägerin nicht, die Zwangsvollstreckung aus dem
Beschluss des Kammergerichts einzustellen, sondern die Einstellung aus dem zu Grunde
liegenden Titel, nämlich dem Schiedsspruch.
d) Auch die sachliche Rechtfertigung für die Zuweisung der Entscheidungen im
gerichtlichen Verfahren anlässlich von Schiedssachen trifft auf
Vollstreckungsabwehrklagen nicht zu (vgl. BayObLG JZ 2000, 1170), denen hier – wie
ausgeführt - schließlich gerade nur nicht unter die Schiedsabrede fallende Einwendungen
zu Grunde liegen könnten, weshalb die sinnwidrige Ungleichbehandlung ebenfalls
verfassungsrechtlich bedenklich wäre.
e) Die in §§ 1062, 1025 ff. ZPO bestimmte Zuständigkeit der Oberlandesgerichte im
gerichtlichen Verfahren nach §§ 1062 ff. ZPO ist zudem keine sachliche Zuständigkeit,
sondern stellt eine funktionale Zuständigkeit dar (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom
5. Januar 2000 – 8 SCH 6/99 = NJW-RR 2001, 645). Nur im Rahmen seiner funktionalen
Zuständigkeit könnte das Kammergericht gemäß § 1062 ZPO örtlich zuständig sein,
worüber vorliegend ebenso wenig wie über eine anderweitige örtliche landgerichtliche
Zuständigkeit im Inland (Analogie zu § 1062 Abs. 2 ZPO oder zu § 797 Abs. 5 ZPO) zu
entscheiden war.
2. Das Kammergericht ist nicht gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO an die Verweisung durch
das Landgericht gebunden. Auf Fälle der funktionalen Zuständigkeit ist § 281 ZPO nicht
anwendbar, sodass eine dennoch ausgesprochene Verweisung an ein funktional nicht
zuständiges Gericht von vornherein unwirksam und daher nicht bindend ist (vgl. OLG
Brandenburg a.a.O. sowie Senat a.a.O.; ferner Greger in: Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 281 Rn.
4; Baumbach u.a., ZPO, 64. Aufl., § 281 Rn. 37).
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