Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: zustellung, vergütung, verfahrensrecht, vergleich, herausgabe, zugang, berechtigung, beendigung, kostenregelung, link

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Gericht:
KG Berlin 6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 W 224/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 23 BRAGebO, § 121 BRAGebO,
§ 33 Abs 3 S 3 RVG, § 56 Abs 2
S 2 RVG, § 61 Abs 1 S 1 RVG
Prozesskostenhilfe: Vergleichsgebühr des PKH-Anwalts auch bei
außergerichtlichen Vergleichen; anwendbares Verfahrensrecht
in Übergangsfällen
1. Der einer Partei im Rahmen der
Prozesskostenhilfebewilligung beigeordnete Rechtsanwalt kann
eine Vergleichsgebühr auch dann verlangen, wenn er am
Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs, der zur
Beendigung des Verfahrens geführt hat, mitgewirkt hat.
2. Auch in Fällen, in denen sich die Gebühr des beigeordneten
Anwalts bei Anwendung von § 61 Abs. 1 Satz 2 RVG nach der
BRAGO richtet, findet auf die nach dem Stichtag des 1. Juli 2004
eingelegte Beschwerde gegen die Festsetzung der Vergütung
des Anwalts nach § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG das Verfahrensrecht
des RVG Anwendung.
Tenor
Die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss der Zivilkammer 82 des
Landgerichts vom 1. November 2004 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Antragsteller hat die Klägerin im vorangegangenen Klageverfahren vertreten. Mit
ihrer Klage hat die Klägerin sich gegen eine Zwangsvollstreckung der Beklagten aus den
vollstreckbaren Ausfertigungen der notariellen Urkunden des Notars H. K. in Berlin vom
28.06.1982, UR Nr. 164 - 166/1982, sowie vom 28.02.1984. UR Nr. 65/1984 gewendet
und zugleich die Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigungen der genannten
Urkunden verlangt. Für diese Klage war der Klägerin zuvor vom Landgericht
Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Zugleich war ihr der Antragsteller als
Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden.
Am 4. Juni 2004 trafen die Parteien eine schriftliche Vereinbarung über eine
einvernehmliche Einigung, wobei die Klägerin vom Antragsteller vertreten wurde. Die
Beklagte verpflichtete sich, aus den oben genannten notariellen Urkunde nicht gegen die
Klägerin zu vollstrecken. Die Klägerin verzichtete auf eine Herausgabe der
Ausfertigungen der Urkunden. Weiter war vorgesehen, dass die Klägerin ihre Klage
zurücknimmt und die Kosten des Rechtsstreits wie auch des Vergleichs gegeneinander
aufgehoben werden. Wegen der Einzelheiten der Vereinbarung wird auf die Erklärungen
vom 4. Juni 2004 (Bl. 33, 34 d.A.) Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2004 nahm die Klägerin die Klage zurück.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 21. Juni 2004 beantragt, die Erstattung von
Gebühren in Höhe von 930,32 EUR (Prozessgebühr und Vergleichsgebühr zuzüglich
Nebenkosten) aus der Staatskasse festzusetzen. Die Rechtspflegerin des Landgerichts
hat als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit Beschluss vom 2. August 2004 nach §§
121, 123 BRAGO eine Prozessgebühr nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer in
Höhe von insgesamt 476,76 EUR festgesetzt. Die Festsetzung einer Vergleichsgebühr
hat sie abgelehnt. Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 18.
August 2004 (Eingang bei Gericht: 19. August 2004) „Rechtsmittel“ eingelegt. Die
Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akten der Zivilkammer 82 des Landgerichts
vorgelegt. Die Kammer hat die angefochtene Vergütungsfestsetzung mit Beschluss vom
1. November 2004 abgeändert und weitere 453,56 EUR zugunsten des Antragstellers
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1. November 2004 abgeändert und weitere 453,56 EUR zugunsten des Antragstellers
festgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat die Bezirksrevisorin für die Staatskasse unter
dem 23. November 2004 „Beschwerde“ eingelegt, die am 30. November 2004 bei der
Zivilkammer 82 eingegangen ist.
II.
1. Das eingelegte Rechtsmittel ist zulässig. Die Zulässigkeit ist nach dem am 1. Juli 2004
in Kraft getretenen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5. Mai 2004, zuletzt geändert
am 22. März 2005 (RVG), zu beurteilen. Dieses Gesetz gilt nach § 61 Abs. 1 S. 2 RVG
stets für das Verfahren über ein Rechtsmittel, das nach dem 1. Juli 2004 eingelegt
worden ist, - und zwar unabhängig davon, wann das anwaltliche Mandant in der
betreffenden Angelegenheit erteilt worden war (vgl. ebenso OLG Dresden, JurBüro 2004,
593). Im gegebenen Fall ist sowohl die Beschwerde der Staatskasse, über die hier zu
entscheiden ist, wie auch das „Rechtsmittel“ des Antragstellers vor dem 1. Juli 2004
eingelegt worden.
Gegen die angefochtene Entscheidung der Zivilkammer 82 ist nach §§ 33 Abs. 3 bis 8,
56 Abs. 2 S. 1 HS 2 RVG die befristete Beschwerde möglich. Dieses Rechtsmittel ist nach
den genannten gesetzlichen Bestimmungen eröffnet, wenn auf die Erinnerung gegen
eine Festsetzung der Vergütung des beigeordneten Anwalts das jeweilige Instanzgericht
entscheidet, soweit keine Abhilfe erfolgt ist. Eine solche Konstellation ist hier gegeben,
da die Zivilkammer 82 mit ihrem Beschluss vom 1. November 2004 über das
Rechtsmittel des Antragstellers gegen die Festsetzung seiner Vergütung aus der
Staatskasse, das nach § 128 ABs. 3 BRAGO bzw. § 56 Abs. 1 RVG entschieden hat. Ohne
Belang ist in diesem Zusammenhang, dass die Festsetzung der Vergütung wie auch die
Nichtabhilfeentscheidung nach dem Gesetz Aufgabe des Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle ist, hier aber die Rechtspflegerin entschieden hat, da der Rechtspfleger
nach § 8 Abs. 5 RPflG ohne weiteres an Stelle des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle
handeln kann.
Die Beschwerde ist nicht verfristet. Zwar muss die Beschwerde nach §§ 56 Abs. 2 S. 1
HS 2, 33 Abs. 3 S. 3 RVG binnen einer Frist von 2 Wochen ab Zustellung der
angefochtenen Entscheidung eingelegt werden, was im vorliegenden Fall nicht
festgestellt werden kann. In der Akte ist weder ein Zustellungsnachweis enthalten, noch
ist der Zugang bei der Bezirksrevisorin in sonstiger Weise dokumentiert. Dennoch ist die
Beschwerde nicht verfristet, da es hier nicht nur an einem Zustellungsnachweis, sondern
schon an der Zustellung selbst fehlt. Der Lauf der Zweiwochenfrist, die nach dem
Gesetzeswortlaut (vgl. § 33 Abs. 3 S. 3 RVG) an die Zustellung geknüpft ist, ist damit
nicht in Gang gesetzt worden (Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl., § 33 Rn. 23;
Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe RVG, 16. Aufl., § 33 Rn. 36). An einer
Zustellung, die Aufgabe der Geschäftsstelle ist, § 168 Abs. 1 ZPO, fehlt es. Insbesondere
scheidet auch eine Zustellung durch Übergabe nach § 173 ZPO aus. Zwar könnte eine
solche Zustellung auch mit Übergabe durch einen Wachtmeister an den
Zustellungsempfänger bewirkt werden, wobei ein fehlender Zustellungsvermerk
unschädlich wäre (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 173 Rn. 6), unbedingt erforderlich ist
aber doch zumindest ein Zustellungsentschluss und ggfs. ein Auftrag an einen
Justizbediensteten, die verfügte Zustellung auszuführen. Daran fehlt es. Weder ein
Mitglied des Gerichts noch die Geschäftsstelle haben eine förmliche Zustellung verfügt
(vgl. Bl. 44 d.A.). Die unterbliebene Zustellung ist auch nicht nach § 189 ZPO durch
tatsächlichen Zugang ersetzt worden, da diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut lediglich
geeignet ist, Verfahrensverstöße bei der Zustellung oder Nachweismängel zu
überwinden, nicht aber geeignet ist, einen fehlenden Zustellungswillen zu heilen.
Dahin stehen kann, welche zeitlichen Grenzen für die Anfechtung gelten, wenn die
Zweiwochenfrist nicht in Gang gesetzt worden ist - ob in diesem Fall auch im Verfahren
nach § 56 RVG eine Frist von fünf Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidung analog §
569 Abs. 1 S.2 Hs 2 ZPO oder aber eine Dreimonatsfrist ab Übergabe der Entscheidung
an die Geschäftsstelle analog § 127 Abs. 3 S. 5 ZPO zu beachten ist, da selbst der
kürzere Zeitraum von drei Monaten hier nicht annähernd ausgeschöpft worden ist.
Der Beschwerdewert von 200,- EUR (§§ 56 Abs. 2 S. 1 HS 2, 33 Abs. 3 S 1 RVG) ist
erreicht.
2. Die Beschwerde ist nicht begründet. Der Senat folgt den überzeugenden
Ausführungen der Zivilkammer 82 des Landgerichts, die sich auf zahlreiche
Entscheidungen der Oberlandesgerichte aus neuerer Zeit (z.B.: OLG Düsseldorf MDR
2003, 415; OLG Schleswig MDR 2003, 657; OLG Nürnberg MDR 2003, 658; OLG München
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2003, 415; OLG Schleswig MDR 2003, 657; OLG Nürnberg MDR 2003, 658; OLG München
JurBüro 2004, 37) und eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 1988, 494)
stützen kann (ebenso Zöller/Philippi, a.a.O., § 119 Rn. 25 mit Nachweisen zur
Gegenmeinung; wohl jetzt auch Hartmann, a.a.O, § 45 Rn. 24).
Die Kammer hat mit Recht darauf abgestellt, dass die gesetzlichen
Gebührentatbestände der §§ 22 ff. BRAGO, einschließlich des § 23 BRAGO (betreffend
außergerichtlich abgeschlossene Vergleiche während eines anhängigen
Gerichtsverfahrens), nach § 121 BRAGO auch für den im Wege der Prozesskostenhilfe
beigeordneten Prozessbevollmächtigten einer Partei gelten (ebenso BGH a.a.O.). Soweit
die Gegenmeinung sich auf die Formulierung in § 121 BRAGO stützt, wonach dem
beigeordneten Anwalt „die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor den Gerichten des
Bundes aus der Bundeskasse, in Verfahren vor Gerichten des Landes aus der
Landeskasse“ zusteht, und daraus folgert, dass eine außergerichtliche Tätigkeit zum
Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs - da nicht im Verfahren vor dem Gericht
erfolgt - nicht vergütungspflichtig ist, kann dies nicht überzeugen. Zum einen gehören
nach § 37 Nr. 2 BRAGO auch außergerichtliche Vergleichsverhandlungen zum Rechtszug.
Zum anderen soll ersichtlich mit dieser Bestimmung nicht zwischen Tätigkeiten
„innerhalb“ und „außerhalb“ des Prozesses differenziert werden. Vielmehr geht es bei
dieser Formulierung in § 121 BRAGO allein darum, die Kostenlast zwischen Bundeskasse
und Landeskasse festzulegen (OLG München, a.a.O.).
Die Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 26. September 2002 (NJW 2002, 3713 f.)
steht nicht entgegen. Gegenstand jener Entscheidung war nicht ein
Festsetzungsverfahren nach § 128 BRAGO (zur Festsetzung der Vergütung des
beigeordneten Rechtsanwaltes aus der Staatskasse), sondern ein
Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO (zur Festsetzung der Kosten des
Rechtsstreits, die die Parteien untereinander zu tragen haben). Die maßgeblichen
Erwägungen in den Entscheidungsgründen der genannten Entscheidung passen nur für
das Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO und sind auch vom
Bundesgerichtshof ausdrücklich auf das Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104
ZPO bezogen. So heißt es dort „Die Festsetzung der von der unterlegenen an die
obsiegende Partei zu erstattenden Kosten in dem dafür vorgesehenen Verfahren der §§
103, 104 ZPO erfordert - schon im Interesse der Rechtssicherheit - klare, praktikable
Berechnungsgrundlagen. Diese Argumentation lässt sich schon deshalb nicht auf das
Kostenfestsetzungsverfahren nach § 128 BRAGO übertragen, da dort abschließend über
den Anspruch gegen die Staatskasse entschieden wird, während das
Kostenfestsetzungsverfahren nach §§103, 104 ZPO der vereinfachten, schnellen
Durchsetzung der gegenseitigen Kostenansprüche der Parteien dient, die daneben auch
im streitigen Verfahren durchgesetzt werden können. Darüber hinaus hat der
Bundesgerichtshof sich mit den maßgeblichen Rechtsfragen, die hier im vorliegenden
Fall für eine Kostenfestsetzung nach § 128 BRAGO maßgeblich sind, gar nicht
auseinander gesetzt und diese auch nicht entschieden. Er hat sich weder mit der Frage
befasst, ob durch die Mitwirkung des Rechtsanwalts an einem außergerichtlichen
Vergleich eine Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO entsteht, noch damit ob nach §§ 121
BRAGO auch dem beigeordneten Rechtsanwalt eine solche Vergleichsgebühr zu der aus
der Staatskasse zusteht.
Im vorliegenden Fall ist eine Vergleichsgebühr zugunsten des Antragstellers durch seine
Mitwirkung an der Vereinbarung vom 4. Juni 2004 nach § 23 BRAGO entstanden.
Voraussetzung ist, dass unter Beteiligung des Rechtsanwaltes ein Vergleich i.S.v. § 779
BGB geschlossen wird. D.h., dass ein zwischen den Parteien bestehender Streit bzw.
eine Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis durch gegenseitiges Nachgeben beendet
worden sein muss (Palandt/Sprau, BGB, 62. Aufl., ß 779 Rn. 4 ff.). Das trifft hier zu. Der
Streit über die Berechtigung der Beklagten, aus den notariellen Urkunden gegen die
Klägerin zu vollstrecken, ist durch die Vereinbarung vom 4. Juni 2004 beigelegt worden.
Auch ein gegenseitiges Nachgeben liegt vor, da einerseits die Beklagte mit ihrer
Unterlassungsverpflichtung dem Klageantrag zu 1.) der Klägerin voll entsprochen hat,
andererseits die Klägerin von ihrem Klageantrag zu 2.) abgelassen hat und der
Beklagten zudem auch bei der Kostenregelung entgegen gekommen ist. Damit liegt ein
ausreichendes gegenseitiges Nachgeben vor, da es nicht auf ein gleichgewichtiges
Nachgeben ankommt, vielmehr bereits ein ganz geringes Entgegenkommen genügt,
damit die Merkmale eines Vergleichs erfüllt sind Palandt/Sprau, a.a.O., Rn. 9).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 56 Abs. 2 S. 2 RVG.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen. Zum einen ist bereits fraglich, ob die
Sonderregelung in § 56 RVG die Möglichkeiten der Zulassung der Rechtsbeschwerde
nach § 574 ZPO nicht ausschließt (so: Hartmann, a.a.O., § 56 Rn. 22; a.M.
nach § 574 ZPO nicht ausschließt (so: Hartmann, a.a.O., § 56 Rn. 22; a.M.
Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe RVG, 16. Aufl., § 56 Rn. 23 - 25). Zum
anderen liegen die Voraussetzungen des § 574 ZPO im vorliegenden Fall nicht vor, da
der Bundesgerichtshof die Frage, ob einem beigeordneten Rechtsanwalt aus der
Staatskasse nach §§ 23, 121BRAGO im Falle eines außergerichtlichen Vergleichs eine
Vergleichsgebühr zu erstatten ist, bereits positiv entschieden hat.
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