Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: geschlecht, kindeswohl, eltern, vorname, universität, sammlung, sitten, gefahr, quelle, link

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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 71/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG,
Art 6 Abs 2 S 1 GG, § 21 Abs 1
Nr 4 PersStdG
Namenswahl für ein Kind: Umfangs des Elternrechts zur
Vornamenswahl; "Christiansdottir" als Vorname für ein Mädchen
Leitsatz
(Eintragung des 2. Vornamens "Christiansdottir" für ein weibliches Kind)
Dem Recht der Eltern zur Vornamenswahl für ihr Kind darf allein dort eine Grenze gesetzt
werden, wo seine Ausübung das Kindeswohl zu beeinträchtigen droht.
Eine Beeinträchtigung des Kindeswohls kann dann vorliegen, wenn der Vorname das
Geschlecht des Namensträgers nicht hinreichend kenntlich macht.
Handelte es sich um einen im Ausland gebräuchlichen Namen, so entscheidet sich die Frage,
ob es sich um einen männlichen oder um einen weiblichen Vornamen handelt, nach dem
Gebrauch im Herkunftsland. Zweifel können durch weitere Vornamen ausgeräumt werden, die
das Geschlecht eindeutig erkennen lassen.
Der Umstand, dass es sich um einen in seinem Herkunftsland gebräuchlichen Bei- oder
Zwischennamen handelt, schließt es nicht aus, diesen Namen als Vornamen zu verwenden
(im Anschluss an BVerfG FamRZ 2005, 2049 ff.).
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert beträgt 3.000,00 EUR.
Eine Kostenerstattung wird nicht angeordnet.
Gründe
I. Die Antragsteller, die nicht miteinander verheiratet sind, beide die deutsche
Staatsbürgerschaft besitzen und, soweit ersichtlich, keinerlei staatsbürgerschaftliche
oder kulturelle Beziehungen zu Island haben, beabsichtigen, ihrer am 11.2.2004
geborenen gemeinsamen Tochter J. B. als zweiten Vornamen den Namen
Christiansdottir zu geben. Hierbei handelt es sich nach Auskunft der
Namensberatungsstelle der Universität Leipzig um einen ursprünglich isländischen
weiblichen Beinamen mit der Bedeutung „Tochter des Christian“. Christian ist der
Vorname des Beteiligten zu 2).
Das Amtsgericht hat mit dem Beschluss vom 1.12.2004 den Standesbeamten
angewiesen, den Namen Christiansdottir als zweiten Vornamen im Geburtenbuch als
Randvermerk beizuschreiben. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 3)
hat das Landgericht mit Beschluss vom 7.2.2005 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich
die sofortige weitere Beschwerde.
Die Beteiligte zu 3) macht geltend, der Name Christiansdottir verletze das Gebot der
Geschlechtsoffenkundigkeit, da es sich bei dem ersten Bestandteil des Namens im
deutschen Rechtsbereich um einen eindeutig männlichen Vornamen handele. Der
hinzugefügte Namenszusatz „Dottir“ stelle lediglich ein auf das weibliche Geschlecht
hindeutendes Namenselement dar, das weder die Zuordnung des Namens
Christiansdottir im deutschen Sprachgebrauch zum weiblichen Geschlecht noch die
Einstufung des gewünschten Namens als ambivalent zulasse. Die Beteiligte zu 3) hält
eine grundsätzliche Klärung der Frage für erforderlich, ob ein Name, der sich aus einem
männlichen Vornamen und einem auf das weibliche Geschlecht hindeutenden
Namenselement zusammensetze, als Vorname erteilt werden könne.
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Die Antragsteller verteidigen die angefochtene Entscheidung.
II. 1. Die gemäß §§ 48, 49 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 PstG, §§ 22, 27, 29 Abs. 1 und 2 FGG
zulässige sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3) hat in der Sache keinen
Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht ihre Beschwerde gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Schöneberg vom 1. Dezember 2004 zurückgewiesen.
a) Da beide Antragsteller deutsche Staatsangehörige sind und auch ihr gemeinsames
Kind die deutsche Staatsangehörigkeit hat, gilt - wovon auch alle Beteiligten ausgehen -
das deutsche Vornamensrecht.
Ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen, die die Wahl des Vornamens regeln, bestehen
nicht (BVerfG FamRZ 2005, 2049, 2050; BGHZ 73, 239, 241; OLG Karlsruhe, StAZ 1999,
298). Die - grundsätzlich freie - Wahl eines Vornamens ist Ausdruck des Rechts der
Eltern, Sorge für ihr Kind zu tragen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Darüber hinaus wird durch
etwaige Reglementierungen seitens des Staates in das allgemeine Persönlichkeitsrecht
des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen (BVerfG
a.a.O., 2051; FamRZ 2006, 182, 184; FamRZ 2002, 306, 308). Nach der gefestigten
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist es zuvörderst Aufgabe der Eltern,
ihrem Kind in freier gemeinsamer Wahl einen Namen zu bestimmen, den es sich selbst
noch nicht geben kann. Die Namensgebung soll dem Kind die Chance für die Entwicklung
seiner Persönlichkeit eröffnen und seinem Wohl dienen, dessen Wahrung den Eltern als
Recht und Pflicht gleichermaßen anvertraut ist. Der Name eines Menschen ist Ausdruck
seiner Identität sowie Individualität und begleitet die Lebensgeschichte seines Trägers,
die unter dem Namen als zusammenhängende erkennbar wird. Dem heranwachsenden
Kind hilft er, seine Identität zu finden und gegenüber anderen zum Ausdruck zu bringen
(BVerfG FamRZ 2002, 306, 308; FamRZ 2005, 2049, 2050; vgl. auch für den Sonderfall
eines Transsexuellen BVerfG FamRZ 2006, 182, 184).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf dem Recht der Eltern
zur Vornamenswahl für ihr Kind allein dort eine Grenze gesetzt werden, wo seine
Ausübung das Kindeswohl zu beeinträchtigen droht (BVerfG FamRZ 2002, 306, 308;
FamRZ 2005, 2049, 2050). Auf die Gebräuchlichkeit und Geschlechtsbezogenheit eines
von den Eltern gewählten Vornamens kommt es nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (FamRZ 2005, 2049, 2050) nur insoweit an, als das
Kindeswohl beeinträchtigt sein könnte. Zum Kindeswohl gehört allerdings, dass es einen
als solchen erkennbaren Namen erhält, der ihm zu einer Identitätsfindung verhilft. Dabei
ist auch zu beachten, dass dem Vornamen in unserem Rechtskreis die Funktion
zukommt, das Geschlecht des Namensträgers zum Ausdruck zu bringen (BVerfG
FamRZ 2006, 182, 184; ebenso BGHZ 73, 239, 241).
c) Im vorliegenden Fall sind keine Gründe für eine Einschränkung des grundrechtlich
geschützten Rechts der Antragsteller, ihrer gemeinsamen Tochter den für sie gewählten
zweiten Vornamen zu bestimmen, gegeben. Dass das Kindeswohl der Tochter durch den
zweiten Vornamen Christiansdottir beeinträchtigt werden könnte, ist weder von der
Beteiligten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Der Standesbeamte hat in
seinem Schreiben vom 21. März 2004 nicht auf das Kindeswohl abgestellt, sondern
geltend gemacht, Vornamen sollten „die allgemeinen Sitten und Ordnungen nicht
verletzen“, zur „rechten Ordnung“ gehöre aber, dass nicht - wie im vorliegenden Fall -
eine ungebräuchliche Bezeichnung verwendet werde. Dieser Gesichtspunkt ist nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht tragfähig. Der Beschwerdeführerin
kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie meint, bei der Anwendung deutschen
Namensrechts sei es nicht zulässig, einen im ausländischen Rechtsbereich
gebräuchlichen Bei- oder Zwischennamen im deutschen Rechtsbereich als Vornamen zu
erteilen (Schriftsatz vom 24. Januar 2005). So hat das Bundesverfassungsgericht
(FamRZ 2005, 2049, 2050) ausgesprochen, dass es aus den allein maßgeblichen
Gründen des Kindeswohls nicht zu beanstanden ist, wenn Eltern ihrem Kind den im
Ausland als Nachnamen gebräuchlichen Namen „Anderson“ als Vornamen - neben zwei
weiteren männlichen Vornamen - geben. Zum Kindeswohl gehört allerdings der
Gesichtspunkt, dass dem Vornamen in unseren Rechtskreis die Funktion zukommt, das
Geschlecht des Namensträgers zum Ausdruck zu bringen. Dem wird im vorliegenden Fall
schon durch den eindeutig weiblichen Vornamen J. Rechnung getragen. Abgesehen
davon steht aufgrund der Stellungnahme der Namensberatungsstelle der Universität
Leipzig fest, dass es sich bei dem Namen Christiansdottir um einen ursprünglich
isländischen weiblichen Beinamen handelt, der hier auch zutreffend in der Bedeutung
„Tochter des Christian“ verwendet wird. Es handelt sich also gerade nicht, wie die
Beteiligte zu 3) meint, um einen auf das männliche Geschlecht hindeutenden Namen.
Die Gefahr, dass der einheitliche Name „Christiansdottir“ wegen des darin enthaltenen
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Die Gefahr, dass der einheitliche Name „Christiansdottir“ wegen des darin enthaltenen
Namensteils „Christian“ nach dem deutschen Verständnis als männlicher Name
ausgelegt wird, besteht tatsächlich nicht. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof (BGHZ
73, 39, 242) bereits im Jahr 1979 ausgesprochen, dass es nicht darauf ankommt, ob ein
Name nach deutschem Sprachgebrauch eher auf einen weiblichen oder auf einen
männlichen Vornamen hindeutet, wenn der Name in seinem Herkunftsland eindeutig als
männlicher bzw. weiblicher Vorname gebraucht wird, wobei verbleibende Zweifel durch
die Wahl eines weiteren Vornamens, der das Geschlecht eindeutig erkennen lässt,
ausgeräumt werden.
Dementsprechend bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken, den Namen
Christiansdottir als zweiten Vornamen neben dem Namen J. einzutragen.
3. Für eine Kostenentscheidung besteht kein Anlass.
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