Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: wiedereinsetzung in den vorigen stand, anstalt, gemeinnützige arbeit, widerruf, verspätung, behörde, vertrauensgrundsatz, rücknahme, gestaltung, gefangener

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 Ws 598/05 Vollz
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 14 Abs 2 S 1 Nr 1 StVollzG
Strafvollzug: Anforderungen an den Widerruf von
Vollzugslockerungen wegen nachträglich eingetretener
Umstände
Leitsatz
Der Vertrauensschutz gebietet es, dass die zum Widerruf von Vergünstigungen nach § 14
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVollzG berechtigenden Umstände so bedeutsam sein müssen, dass sie
der ursprünglichen, dem Gefangenen günstigen Entscheidung die Grundlage entziehen. Die
Beachtung dieser gesetzlichen Vorgaben ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar.
Tenor
1. Der Gefangene wird in die Frist zur rechtzeitigen Einlegung und Begründung der
Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin –
Strafvollstreckungskammer - vom 3. November 2005 wiedereingesetzt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird als unzulässig verworfen, soweit der Gefangene die
Gewährung von Fahr- und Zehrgeld beantragt hat.
3. Auf die Rechtsbeschwerde wird der vorbezeichnete Beschluß aufgehoben, soweit er
den Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Plötzensee vom 1. Juli 2005 bestätigt,
mit dem die Zulassung des Gefangenen zur gemeinnützigen Tätigkeit in der ARGE-
Gruppe außerhalb der Anstalt zurückgenommen worden ist. Dieser Bescheid wird
aufgehoben. Im Wege der Folgenbeseitigung ist der Gefangene unverzüglich zu der
Maßnahme wieder zuzulassen.
4. Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen und die
notwendigen Auslagen des Gefangenen jeweils zur Hälfte zu tragen. Im übrigen werden
die Verfahrenskosten dem Gefangenen auferlegt.
Gründe
Der Gefangene verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt
Plötzensee. Seit dem 4. September 2003 erhält er Vollzugslockerungen und
Regelurlaube. Er war zu der Lockerungsmaßnahme zugelassen, außerhalb der Anstalt an
der „ARGE-Gruppe“ teilzunehmen, um dort gemeinnützige Arbeit zu leisten.
Am 1. Juni 2005 beantragte er für diese Maßnahme die Gewährung eines
Essenszuschusses und des erforderlichen Fahrgeldes für die Hin- und Rückfahrt.
Daraufhin setzten sich Anstaltsbedienstete mit Mitarbeitern der ARGE in Verbindung und
ermittelten, daß er zwischen Januar und Mai 2005 mehrfach das Anstaltsgelände
verspätet verlassen und zwangsläufig verspätet die Arbeit aufgenommen hatte. Und
zwar hatte er statt um 7.30 Uhr die Anstalt zwölfmal zwischen 7.55 Uhr und 8.30 Uhr,
zweimal zwischen 8.30 Uhr und 9.30 Uhr, viermal zwischen 9.30 Uhr und 10.30 Uhr und
einmal um 10.35 Uhr verlassen. „Zwei- bis dreimal“ hat die Anstalt dies durch den
Einsatz des Gefangenen im Winterdienst auf dem Anstaltsgelände für entschuldigt
angesehen. Auf welche der vorgenannten Verspätungsgruppen diese Ausnahmen
zutreffen, hat die Strafvollstreckungskammer nicht festgestellt.
Am 21. Juni 2005 fand eine Vollzugsplankonferenz statt. Die Vollzugsbehörde nahm die
Verspätungen und die Forderungen des Gefangenen nach Fahr- und Zehrgeld zum
Anlaß, eine sinkende Arbeitsmotivation festzustellen und seine Vereinbarungsfähigkeit in
Zweifel zu ziehen. Durch seinen auf Geldleistungen gerichteten Antrag habe er gezeigt,
daß er den Leitgedanken, der Arbeit bei der ARGE – die Wiedergutmachung – nicht
„verinnerlicht“ habe.
Mit dem Bescheid vom 1. Juli 2005 lehnte die Anstalt daher nicht nur den
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Mit dem Bescheid vom 1. Juli 2005 lehnte die Anstalt daher nicht nur den
Zahlungsantrag mangels gesetzlicher Grundlage ab, sondern löste den Antragsteller
auch von der Lockerungsmaßnahme ab.
Mit dem Antrag vom 8. Juli 2005 hat der Gefangene beantragt, ihm die Lockerungen
wieder zu gewähren. Ferner hat er sein auf die Geldleistung gerichtetes Begehren
weiterverfolgt.
Mit dem angefochtenen Beschluß vom 3. November 2005 hat die
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin diese Anträge als unbegründet
zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen hat der Senat zunächst mit
Beschluß vom 4. Januar 2006 als unzulässig zurückgewiesen, weil sie die Form des § 118
Abs. 3 StVollzG nur scheinbar wahrte.
Am 6. Februar 2006 hat der Antragsteller die Rechtsbeschwerde erneut eingelegt und
begründet und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit dem
Rechtsmittel rügt der Gefangene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat hinsichtlich der Ablösung von der Lockerungsmaßnahme Erfolg. Im
übrigen ist es unzulässig.
I. Der Senat gewährt dem Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil
der Formverstoß auf dem Verschulden eines Angehörigen der Justiz – des
Urkundsbeamten – beruht (vgl. BVerfG NStZ-RR 2005, 238), und der Gefangene die
Rechtsbeschwerde nunmehr am 6. Februar 2006 ordnungsgemäß zu Protokoll des
Urkundsbeamten eingelegt und begründet hat.
II. Die Rechtsbeschwerde erfaßt den gesamten Inhalt des angefochtenen Beschlusses,
obgleich sie sich zu der Frage des Fahr- und Zehrgeldes nicht mehr verhält. Eine nur
teilweise Anfechtung ist darin aber nicht zu sehen; denn diese Beschränkung des
Anfechtungsumfanges müßte ausdrücklich erklärt sein, woran es hier fehlt.
1. Das Rechtsmittel ist unzulässig, soweit es sich gegen die Ablehnung des Fahr- und
Zehrgeldes richtet. Der Senat verwirft es insoweit einstimmig nach § 119 Abs. 3
StVollzG. Denn es erfüllt zu diesem Anfechtungspunkt nicht die Voraussetzungen des §
116 Abs. 1 StVollzG. Die Rechtslage ist obergerichtlich geklärt. Die Gewährung einer
Beihilfe zu den Kosten einer Lockerungsmaßnahme – im Vollzugsalltag üblicherweise zu
den Kosten des Urlaubs – liegt als soziale Leistung im Ermessen der Anstalt; einen
Rechtsanspruch darauf hat der Gefangene nicht (vgl. OLG Nürnberg, Beschluß vom 16.
April 1980 – Ws 231/80 - = ZfStrVO 1981, 57 Ls; Arloth/ Lückemann, StVollzG, § 13
Rdnrn. 28, 37). Von einer weiteren Begründung sieht der Senat insoweit nach § 119 Abs.
3 StVollzG ab.
2. Hinsichtlich der Ablösung von der Lockerungsmaßnahme erfüllt die Rechtsbeschwerde
die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, da es geboten
ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung zu ermöglichen.
Die Aufklärungsrüge kann unerörtert bleiben, da die Sachrüge durchgreift. Die
Vollzugslockerung hätte nicht widerrufen werden dürfen.
a) Die Lockerungsmaßnahme war im Vollzugsplan des Antragstellers vorgesehen. Die
Vollzugsbehörde geht mit der Erstellung des Vollzugsplans, der als Programm und
Konzept für die Behandlung des Gefangenen und die Gestaltung seiner
Lebensverhältnisse während des Strafvollzuges dienen soll, eine Bindung ein, die zur
Folge hat, daß sie eine in den Plan aufgenommene konkrete, den Gefangenen
begünstigende Maßnahme nur unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 StVollzG
widerrufen darf (vgl. OLG Celle ZfStrVo 1989, 116; Senat NStZ 1997, 207; 1993, 100,
102; Beschluß vom 21. Februar 2002 – 5 Ws 1/02 Vollz -). Diese Regelung ist
abschließend (vgl. Senat, Beschluß vom 12. Februar 2003 – 5 Ws 57/03 Vollz -; Calliess/
Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 14 Rdn. 2).
§ 14 Abs. 2 Satz 1 StVollzG verlangt in allen drei Erscheinungsformen der
Widerrufsgründe nachträglich eingetretene Umstände. In seiner Nr. 1 ist das
ausdrücklich erwähnt. In den Nrn. 2 und 3 folgt das aus der Natur der Widerrufsgründe.
Maßnahmen mißbrauchen und Weisungen nicht nachkommen kann ein Gefangener nur,
nachdem die Lockerung bereits bewilligt ist und von ihm wahrgenommen wird.
Demgemäß darf die Behörde den Entzug einer in dem Plan vorgesehenen Lockerung
grundsätzlich nicht ausschließlich auf Umstände stützen, die im Zeitpunkt der Erstellung
des Plans schon vorgelegen haben und ihr bekannt gewesen sind. Auch die bloß
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des Plans schon vorgelegen haben und ihr bekannt gewesen sind. Auch die bloß
veränderte Wertung dieser Umstände allein gibt ihr nicht das Recht, zum Nachteil des
Gefangenen vom Plan abzuweichen. Gilt es, eine offensichtliche Fehlentscheidung zu
korrigieren, welche die berechtigten Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit mißachtet
(vgl. OLG Hamm NStZ 1989, 390; Senat, Beschluß vom 21. Februar 2002 – 5 Ws 1/02
Vollz -), so kann die Bewilligung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 StVollzG zurückgenommen
werden.
Der Gefangene erwirbt damit eine auf Vertrauensschutz beruhende Rechtsstellung, die
es fortan verbietet, ihn bei der Gewährung von Lockerungen so zu behandeln, als würde
darüber erstmals befunden (vgl. BVerfG NStZ 1993, 300; Arloth/ Lückemann, § 14
StVollzG Rdn. 6). An diesen Grundlagen hat sich das weitere Vorgehen auszurichten.
Das führt dazu, daß die nachträglich eingetretenen Umstände (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
StVollzG) so bedeutsam sein müssen, daß sie der ursprünglichen, dem Gefangenen
günstigen Entscheidung die Grundlage entziehen. Die Beachtung dieser gesetzlichen
Vorgaben ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar.
Erst bei der auf unter Berücksichtigung dieses Vertrauensschutzes auf neuen Tatsachen
aufbauenden Einschätzung, ob der Gefangene weiterhin für die Lockerungen geeignet ist
oder ob die Eignung entfallen ist, eröffnet sich der Vollzugsbehörde ein
Beurteilungsspielraum, dessen Einhaltung gerichtlich nur nach den Maßstäben des § 115
Abs. 5 StVollzG überprüfbar ist (vgl. BGHSt 30, 320, 324, 327; OLG Frankfurt a.M.
ZfStrVo 2003, 243; ZfStrVo 2001, 52, 53; NStZ-RR 1998, 91; OLG Zweibrücken ZfStrVo
1998, 179, 180; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1985, 245; Justiz 1984, 437; OLG Celle ZfStrVo
1983, 301; KG NStZ 1993, 100, 102; Senat, Beschlüsse vom 21. Februar 2002 – 5 Ws
1/02 Vollz -, 26. November 1996 – 5 Ws 607/96 Vollz – und 15. Dezember 1994 – 5 Ws
468/94 Vollz -; Arloth/Lückemann, § 10 StVollzG Rdn. 7). Demgemäß haben sich die
Gerichte auch erst in diesem Stadium auf die Prüfung zu beschränken, ob der
Anstaltsleiter von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt
ausgegangen ist (vgl. BGHSt 30, 320, 327; Senat, Beschlüsse vom 10. Februar 1999 – 5
Ws 52/99 Vollz – und vom 21. Februar 2002 – 5 Ws 1/02 Vollz -), ob er seiner
Entscheidung den richtigen Begriff der Versagungsgründe zugrunde gelegt hat und ob
seine Beurteilung des Gefangenen vertretbar ist.
b) Diese Rechtsgrundsätze hat die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen
Beschluß nicht beachtet. Die Ergebnisse der Vollzugsplankonferenz vom 21. Juni 2005
und der darauf aufbauende Bescheid sind nämlich in keiner Weise geeignet, der Anstalt
ein Entscheidungsermessen einzuräumen, da die gesetzlichen Voraussetzungen des §
14 Abs. 2 StVollzG nicht vorliegen.
aa) In dem Bescheid ist schon keine der drei Alternativen des § 14 Abs. 2 Satz 1
StVollzG ausdrücklich benannt; auf Satz 2 ist er ersichtlich nicht gestützt. Lediglich am
Ende des Protokolls der Vollzugsplankonferenz ist kurz davon die Rede, „die
mißbräuchliche Nutzung weiterer und umfangreicherer Vollzugslockerungen könne nicht
mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden“, so daß sich erahnen läßt, daß
der Bescheid auf § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVollzG gegründet werden sollte.
bb) Ausgangspunkt für das Vorgehen der Vollzugsbehörde war der Antrag des
Gefangenen, ihm Fahr- und Zehrgeld zu zahlen. Da einerseits der Gefangene darauf
keinen Anspruch hat, andererseits die Gewährung sozialer Leistungen für
Lockerungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen ist (vgl. oben II. 1), hatte sie darüber nach
ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu befinden. Das hat sie auf der ersten Seite und den
beiden ersten Absätzen des angefochtenen Bescheides auch ordnungsgemäß getan.
Rechtlich verwehrt war ihr es dann allerdings, in dem darauf folgenden Absatz die
Antragstellung an sich dem Gefangenen zum Vorwurf zu machen. Nach der Darstellung
des Gedankens der Wiedergutmachung des Straftäters an der Gesellschaft als „Leit-
Idee“ der Lockerungsmaßnahme begründete die Anstalt die Rücknahme der Lockerung
mit den Worten: „
Dieser gedankliche Ansatz ist rechtlich unhaltbar.
aaa) Der Gefangene hat mit seiner Antragstellung nichts weiter getan, als einen
vermeintlichen Anspruch geltend zu machen oder auch nur die Möglichkeit
wahrzunehmen, einen geldlichen Zuschuß zu seinen Kosten der Lockerung im Wege der
Ermessensentscheidung zu erhalten. Seine tatsächlichen Angaben trafen zu; seine –
wenn auch sprachlich ausufernd dargestellten – rechtlichen Vorstellungen waren nicht
gänzlich abwegig. Damit hat er sich so verhalten, wie es unter den allgemeinen
Lebensverhältnissen (§ 3 Abs. 1 StVollzG) von einem wachen Bürger erwartet wird. Im
täglichen Leben ist er verpflichtet, die Gesetze zu beachten. Sach- und Geldmittel darf
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täglichen Leben ist er verpflichtet, die Gesetze zu beachten. Sach- und Geldmittel darf
er sich nicht illegal verschaffen. Vielmehr ist er gehalten, sie durch Arbeit, legalen Handel
oder andere gesetzlich erlaubte Verdienstmöglichkeiten zu erwerben. Ergänzend stehen
ihm staatliche Gewährleistungen zur Verfügung. Für den Vermögenden wird hier eher die
gesetzlich günstige Gestaltung seiner steuerlichen Verhältnisse im Vordergrund stehen,
für den weniger Vermögenden – wie den Gefangenen - die Nutzung von Erstattungen
und Sozialleistungen. Zu diesem Zweck bedarf es in der Regel eines an eine Behörde
gerichteten Antrages. Das mit der beantragten Leistung bezweckte gesetzgeberische
Ziel – hier auch das der Lockerungsmaßnahme - muß der Antragsteller dabei weder
kennen noch beachten und schon gar nicht „verinnerlichen“. Entspricht sein –
wahrheitsgemäßer - Antrag nicht den gesetzlichen Voraussetzungen, so wird er von der
Behörde abgelehnt. Ein solches, völlig übliches und erforderliches Verhalten zu
sanktionieren, widerspricht dem Vollzugsziel, den Gefangenen zu befähigen, sich in das
Leben in Freiheit einzugliedern (§ 3 Abs. 3 StVollzG).
bbb) Die Anstalt hat die belastende Wirkung der mit dieser Begründung nicht haltbaren
Sanktion auf die Fähigkeit des Gefangenen, sich im Rechtsleben angemessen zu
verhalten und erfolgreich zu behaupten, dadurch noch vertieft, daß sie ihn zuvor nicht
angehört und mit der Ablösungsentscheidung überrascht hat. Zwar kann der Gefangene
im Rechtsbeschwerdeverfahren die Verletzung des rechtlichen Gehörs nur hinsichtlich
des gerichtlichen Verfahrens rügen. Ferner besteht auch keine ausdrückliche gesetzliche
Verpflichtung der Anstalt, den Gefangenen vor der Änderung des Vollzugsplans
anzuhören. Die Anhörung ist aber vor der Rücknahme von Lockerungen in Nr. 2 Abs. 2
Satz 2 VV zu § 14 StVollzG vorgeschrieben. Ihre Notwendigkeit gründet sich sowohl auf
den Vertrauensgrundsatz als auch auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Die
Anhörung war schließlich weder unmöglich noch untunlich (vgl. Nr. 2 Abs. 2 Satz 3 VV zu
§ 14 StVollzG).
cc) Auch auf die Feststellung, die Arbeitsmotivation des Gefangenen sei gesunken und
er habe mehrfach verspätet die Arbeit aufgenommen, weil er die Anstalt verspätet
verlassen habe, durfte die Ablösung nicht gegründet werden.
aaa) Der Gefangene wird im Protokoll der Vollzugskonferenz als eher übermotiviert
geschildert. Er halte sich für unabkömmlich und wolle durch seine Aktivitäten stets allen
helfen. Dadurch überfordere er sich und bringe sich in Zeitdruck. Zudem belasteten ihn
die Krankheiten seiner Partnerin und seiner Schwester sowie seit März 2005 der
plötzliche Tod seines Zwillingsbruders. Allgemein sei danach das Sinken der
Arbeitsmotivation festzustellen. Die Anstalt habe er überwiegend deswegen mehrfach
verspätet verlassen, weil er zunächst dort anstehende Arbeiten für wichtiger erachtete
als sein – freilich mit der Pflicht, die Arbeit anzutreten, verbundenes – Recht auf den
Genuß der Lockerungsmaßnahme. Auch seine vielen Hilfeleistungen gegenüber den
beiden kranken Frauen überforderten ihn, weil er alles selbst zu machen versuche,
anstatt von ihnen die selbständige Regelung von deren Angelegenheiten einzufordern.
Er „tanze auf 100 Hochzeiten“.
Das alles weist auf eine grundsätzlich große Arbeitsbereitschaft des Gefangenen hin, die
allerdings nicht mit einem hohen Grad an Talent gepaart ist, sich selbst zu organisieren
und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Gründe, welche die Voraussetzungen
des § 14 Abs. 2 StVollzG erfüllten, decken diese Schilderungen der Persönlichkeit des
Gefangenen nicht auf. Das Sinken der Arbeitsmoral ist nur pauschal festgestellt und
zudem mit dem einschneidenden Erlebnis des Todes seines Zwillingsbruders verknüpft.
Zudem war sein Arbeitseinsatz zuvor besonders hoch.
bbb) Die Verspätungen bei der Arbeitsaufnahme, von denen im übrigen in dem
angefochtenen Bescheid keine Rede ist, bieten keinen rechtlich tragfähigen Grund, die
Lockerung zu widerrufen. Ein Mißbrauch (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVollzG) oder ein
Verstoß gegen eine konkrete Weisung (Nr. 3) liegt darin nicht. Der Gefangene ist nicht zu
lange außerhalb der Anstalt verblieben, sondern in ihr. Er hat sich, wie aus dem Protokoll
der Vollzugsplankonferenz hervorgeht, zudem ganz überwiegend dort nützlich gemacht.
Die Vollzugsbehörde hat das Verhalten des Gefangenen auch monatelang geduldet.
Obwohl die ARGE der Anstalt nur ein einziges Mal (das Wochenende 28./29. Mai 2005
betreffend) von einer Verspätung berichtet hatte, waren diese Tatsachen zum Zeitpunkt
des Widerrufs altbekannt. Da sämtliche Verspätungen ihre Ursache darin hatten, daß
der Gefangene die Justizvollzugsanstalt verspätet verließ (und nicht etwa auf dem Weg
zur Arbeit bummelte) und dies bereits im Januar 2005 begonnen hatte, bleibt es
unerfindlich, warum die Vollzugsbehörde ihn nicht schon bei der ersten Verspätung
darauf aufmerksam gemacht hat, daß sie dieses Verhalten mißbillige, als mißbräuchlich
ansehe und er es abzustellen habe, um Sanktionen zu vermeiden. Wann ein Gefangener
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ansehe und er es abzustellen habe, um Sanktionen zu vermeiden. Wann ein Gefangener
die Anstalt verläßt, wird aufgezeichnet. Dort war also jede – zwangsläufige – Verspätung
auf dem auswärtigen Arbeitsplatz von vornherein wohlbekannt. Nachdem der
Anstaltsleiter das Verhalten des Gefangenen monatelang unbeanstandet geduldet
hatte, widerspricht es eklatant dem Vertrauensgrundsatz, wenn er es wegen seiner
Häufung anschließend ohne vorherige Abmahnung als einen nachträglich eingetretenen
Umstand im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StVollzG ansieht oder für mißbräuchlich
erklärt und daran für den Gefangenen ungünstige Rechtsfolgen daran knüpft.
dd) Vielmehr weist der Zusammenhang des Widerrufs mit dem Antrag des Gefangenen
auf Fahr- und Zehrgeld aus, daß der bislang unbeanstandet gebliebene Mangel, seine
Zeit richtig einzuteilen, nachträglich zum Anlaß genommen worden ist, ihn wegen der
ethisch mißbilligten Antragstellung zu sanktionieren und im übrigen eine verspätete
deshalb überraschende und folglich unangemessene sozialpädagogische Maßnahme mit
dem Ziel, den Gefangenen zu veranlassen, seine Überforderung zu überwinden, zum
Widerruf führten. Beides entspricht nicht dem Gesetz.
3. Da schon die gesetzlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 StVollzG gänzlich fehlen
und auch keine Ermittlungen mehr denkbar sind, die Tatsachen zu seiner rechtlich
tragfähigen Begründung zutage fördern könnten, war die Sache spruchreif (§ 119 Abs. 4
Satz 2 StVollzG).
Dem Gefangenen ist im Wege der Folgenbeseitigung die Lockerung wieder in dem
Umfang zu gewähren, den sie hatte, als sie zu Unrecht widerrufen wurde.
Die Kostenentscheidung zulasten des Antragstellers folgt aus § 121 Abs. 1, Abs. 2 Satz
1, Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 StPO, diejenige zu seinen Gunsten aus § 121 Abs. 1, 4
StVollzG in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung von §§ 467 Abs. 1, 473
Abs. 3 StPO.
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