Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: verschulden, fahrgast, betriebsgefahr, haltestelle, mithaftung, quelle, beweislast, sammlung, link, abbiegen

1
2
3
4
5
6
7
8
9
Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 62/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 254 Abs 1 BGB, § 7 StVG, § 18
StVG
Leitsatz
Macht der Kläger als Fahrgast eines Linienbusses einen Fahrfehler des Busfahrers als
Ursache für seinen Sturz im Bus geltend, so hat er diesen darzulegen und zu beweisen; allein
aus dem Umstand, dass der Kläger zu Fall gekommen ist, ergibt sich kein Anzeichens- oder
Anscheinsbeweis für eine sorgfaltswidrige Fahrweise des Busfahrers.
Das Durchqueren eines Busses nach dessen Anfahren ohne jedes Bestreben, einen Halt zu
suchen, ist grob sorgfaltswidrig; es lässt eine Gefährdungshaftung des Halters aus
Betriebsgefahr des Busses (§ 7 StVG) und lediglich vermutetem Verschulden des Fahrers (§
18 StVG) zurücktreten, weil auch bei der Abwägung nach § 254 BGB Abs. 1 BGB nur
erwiesenermaßen ursächliche Umstände zu berücksichtigen sind.
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss
zurückzuweisen.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche
Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz
1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die
angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die
nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
Beides ist nicht der Fall.
1. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil es zutreffend davon
ausgegangen ist, dass der Kläger ein Verschulden des Beklagten zu 2) an dem Sturz am
21. Mai 2008 in dem Linienbus 129 der Beklagten zu 1) nicht dargelegt und bewiesen hat
und die Beklagten auch nicht auf Grund der Betriebsgefahr des Busses haften.
a. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht in dem angegriffenen Urteil dargelegt, dass das
Vorbringen des Klägers nicht geeignet ist, ein Verschulden des Beklagten zu 2)
festzustellen.
Soweit der Kläger mit der Berufung meint, das Landgericht hätte die Zeugen T. und W.
hören müssen, ist auf Folgendes hinzuweisen:
Der Kläger hat die beiden Zeuginnen in der Klageschrift dafür benannt, dass der Bus
kurz nach dem Anfahren abrupt abbremste und der Kläger zu Boden stürzte, als er auf
dem Weg zu einem Sitzplatz war. Dies ist zwischen den Parteien jedoch unstreitig, so
dass es insoweit einer Zeugenvernehmung nicht bedurfte.
Für einen in die Abwägung nach § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG einzustellenden Fahrfehler
des Beklagten zu 2) ist der Kläger darlegungs- und beweisbelastet.
Soweit der Kläger meint, der Beklagte zu 2) hätte bereits deshalb von einem Anfahren
Abstand nehmen müssen, weil er während des Anfahrens auf der Spur links neben dem
Bus von einem schneller fahrenden BMW überholt wurde, ist dem nicht zu folgen. Ohne
Anzeichen dafür, dass das überholende Fahrzeug die eingehaltene Spur verlassen
würde, bestand hierfür für den Beklagten zu 2) kein Anlass. Auf ein verkehrswidriges
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
würde, bestand hierfür für den Beklagten zu 2) kein Anlass. Auf ein verkehrswidriges
plötzliches Abbiegen ohne vorherige Ankündigung musste der Beklagte zu 2) nicht
gefasst sein.
Hinsichtlich der von dem Kläger mit der Berufung vorgetragenen Auffassung, die
Beklagten hätten den von ihnen behaupteten Anlass für die vorgenommene Bremsung
des Beklagten zu 2) auf sein Bestreiten mit Nichtwissen ihrerseits zunächst beweisen
müssen, bevor dieses Vorbringen der Entscheidung zu Grunde hätte gelegt werden
können, ist darauf hinzuweisen, dass es grundsätzlich dem Kläger obliegt, einen
Fahrfehler des Busfahrers zu beweisen. Allein aus dem Umstand, dass der Kläger zu Fall
gekommen ist, ergibt sich kein Anzeichensbeweis oder Anscheinsbeweis für eine
sorgfaltswidrige Fahrweise des Busfahrers (Senat, Urteil vom 16. Oktober 1995 - 12 U
1438/94 - VM 1996, 45 Nr. 61). Regelmäßig - also abgesehen von den Fällen erkennbar
schwerer Behinderung eines Fahrgastes - muss der Busfahrer nach dem Anfahren die
Fahrgäste nicht im Auge behalten und eine Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn
durch einen Fahrfehler, etwa durch grundlos übermäßiges Beschleunigen oder durch
grundlos übermäßiges Abbremsen Fahrgäste zu Schaden kommen (Senat, aaO).
Dem Geschädigten obliegt die Beweislast für den tatsächlichen Geschehensablauf und
die Unfallursächlichkeit (vgl. Senat, Urteil vom 24. Januar 1994 - 12 U 4227/92 - juris).
Der Kläger hat jedoch für einen Fahrfehler des Beklagten zu 2) keinen Beweis
angetreten.
Zu Recht hat das Landgericht deshalb eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 1
und 2 BGB i.V.m. § 229 StGB und § 280 Abs. 1 BGB abgelehnt.
b. Eine Vernehmung der auch von den Beklagten benannten Zeugen T. und W. war
entgegen den Ausführungen der Berufung auch nicht im Hinblick darauf erforderlich,
dass der Kläger das Vorbringen der Beklagten zum Anlass der unstreitigen Bremsung
mit Nichtwissen bestritten hat.
Dabei kann dahinstehen, ob das Landgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass
ein Bestreiten des Klägers mit Nichtwissen vorliegend nicht zulässig war, was zweifelhaft
sein könnte, weil der Kläger auf Grund seines Standortes in dem Bus eigene
Wahrnehmungen zum Grund des Bremsmanövers möglicherweise gar nicht hat machen
können.
Eine Vernehmung der von den Beklagten benannten Zeugen T. und W. wäre nur dann
erforderlich geworden, wenn sich der Kläger selbst auf diese Zeugen für einen Fahrfehler
berufen hätte, dass also die Darstellung der Beklagten nicht zuträfe, die Bremsung des
Beklagten zu 2) sei verkehrsbedingt auf Grund des verkehrswidrigen Verhaltens des
unbekannt gebliebenen BMW-Fahrers erforderlich gewesen.
c. Die Haftung der Beklagten zu 1) aus Betriebsgefahr nach § 7 Abs. 1 StVG und des
Beklagten zu 2) aus § 18 Abs. 1 StVG führt nicht zu einem Anspruch des Klägers, weil
das Landgericht zu Recht angenommen hat, dass in der nach § 254 Abs. 1 BGB
erforderlichen Abwägung das eigene Verschulden des Klägers so schwer wiegt, dass eine
Haftung der Beklagten aus §§ 7, 18 StVG dahinter zurücktritt.
Das lediglich nach § 18 Abs. 1 StVG gesetzlich vermutete Verschulden des Beklagten zu
2) bleibt im Rahmen der Abwägung außer Betracht, weil im Rahmen der Abwägung nur
feststehende Umstände, also bewiesene oder unstreitige Tatsachen, berücksichtigt
werden dürfen; die zur Haftung des Fahrers führende Schuldvermutung nach § 18 StVG
jedoch nicht (vgl. hierzu bspw. BGH, Urteil vom 10. Januar 1995 - VI ZR 247/94 - NJW
1995, 1029).
Das Landgericht hat zu Recht ausgeführt, dass der Kläger gegen die Verpflichtung, sich
stets festen Halt zu verschaffen, verstoßen hat, indem er unstreitig während des
Anfahrens des Busses zu einem hinter der Mitteltür gelegenen Sitzplatz ging, ohne sich
festzuhalten.
Nach ständiger Rechtsprechung verhält sich der Fahrgast, der sich während der Fahrt
keinen festen Halt verschafft, obwohl ihm dies möglich wäre, grob schuldhaft (vgl. OLG
Hamm, Urteil vom 8. September 1999 - 13 U 45/99 - DAR 2000, 64; OLG Hamm, Urteil
vom 27. Mai 1998 - 13 U 29/98 - NJW-RR 1998, 1402 jeweils mit weiteren Nachweisen).
Dies gilt insbesondere dann, wenn der Fahrgast, wie hier, während des Anfahrens weiter
nach hinten geht, um einen dort befindlichen Sitzplatz zu erreichen (vgl. OLG Koblenz,
Urteil vom 14. August 2000 - 12 U 9895/99 - VRS 1999, 247).
22
23
24
25
Dem Kläger hätte es oblegen, sich entweder einen dem Eingang nahen Sitzplatz zu
suchen, die Durchquerung des Busses bis zu einem weiteren Halt zurückzustellen oder
sich beim nach hinten Gehen an den gerichtsbekannt in jedem Linienbus vorhandenen
Haltestangen oder Griffen ausreichend festzuhalten. Das Durchqueren des Busses nach
der Anfahrt ohne jeden Halt war grob sorgfaltswidrig und führt zur Alleinhaftung des
Klägers.
d. Soweit die Berufung sich auf die bereits zitierte Entscheidung des OLG Hamm vom 27.
Mai 1998 beruft, verhilft ihr dies nicht zum Erfolg.
Unabhängig davon, ob mit dem OLG Hamm davon auszugehen wäre, dass im Falle einer
plötzlich erforderlich werdenden Bremsung stets von einer Mithaftung des
Verkehrsunternehmens auszugehen ist, wozu der Senat nicht tendiert, liegt der hier zu
entscheidende Fall bereits deshalb anders, weil der Kläger einerseits nicht aufgestanden
ist, um an der nächsten Haltestelle auszusteigen, sondern ohne Halt zu suchen nach
dem Anfahren durch den Bus gelaufen ist. Zudem handelte es sich vorliegend um eine
Bremsung, die kurz nach dem Anfahren erfolgte, so dass nicht festgestellt werden kann,
dass die Sachlage mit den hier zu entscheidenden Fall vergleichbar ist.
2. Dem Kläger wird anheim gestellt, die weitere Durchführung der Berufung zu
überdenken.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum