Urteil des KG Berlin vom 13.04.2010

KG Berlin: mitarbeit, komplikationen, ergänzung, erstellung, mitteilungspflicht, ausnahme, klinik, auflage, einfluss, verantwortlichkeit

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Gericht:
KG Berlin 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 W 43/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 407a ZPO
Sachverständiger: Verlust des Vergütungsanspruchs bei
Hinzuziehung von Gehilfen
Leitsatz
1. Die Hinzuziehung von Gehilfen ist zulässig, wenn die Gesamtverantwortlichkeit des
Sachverständigen nicht in Frage gestellt wird.
2. Die Mitarbeit ist dem Gericht anzuzeigen. Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht führt
nicht zwangsläufig zum Verlust des Vergütungsanspruchs.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Sachverständigen Prof. Dr. M. wird der Beschluss des
Landgerichts Berlin vom 13. April 2010- 6 O 6/09 - aufgehoben.
Gründe
I.
Das Landgericht hat den Sachverständigen, welcher Direktor der Klinik für
Herzchirurgie/Universität Leipzig Herzzentrum ist, durch Beschluss vom 26. Juni 2009
(Bl. 81 d.A.) mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
Das Gutachten vom 20. September 2009 (Bl. 87 d.A.) sowie die Ergänzung des
Gutachtens vom 29. Oktober 2009 sind von der Fachärztin für
Herzchirurgie/Intensivmedizin Dr. S. und dem Sachverständigen unterzeichnet worden.
Das Landgericht hatte den Sachverständigen bereits mit Verfügung vom 12. Oktober
2009 (Bl. 113 d.A.) folgenden Hinweis erteilt:
„Im Übrigen ist das Gutachten auch von Frau Dr. S. unterschrieben Der
Gutachtenauftrag ist ihnen persönlich übertragen worden. Wie Sie dem Begleitschreiben
zu Beauftragung vom 26. Juni 2009 entnehmen können, ist bei Mitarbeit dritter Personen
im Gutachten Angaben zum Umfang und zur Person der mitarbeitenden Person zu
machen. Daran fehlt es. Wir bitten dies zusammen mit der Ergänzung nachzuholen.“
Der Sachverständige hat hierzu im Rahmen der Ergänzung des Gutachtens vom 20.
September 2009 u.a. mitgeteilt, dass das Gutachten „ “ von
Frau Dr. S. erstellt worden sei.
, da „
Weitere Ausführungen über das Vorgehen bei der Erstellung der streitgegenständlichen
Gutachten und von sonstigen Gutachten hat der Sachverständige in seinem Schreiben
vom 9. Februar 2010 (Bl. 160 d.A.) gemacht.
Durch Beschluss vom 13. April 2010 (Bl. 161 d.A.), welcher dem Sachverständigen Prof.
Dr. M. am 22. April 2010 zugestellt worden ist, hat das Landgericht dem
Sachverständigen den Vergütungsanspruch für sein Gutachten vom 2. Oktober 2009
entzogen.
Hiergegen hat sich der Sachverständige mit Schreiben vom 23. April 2010 gewandt.
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Das Landgericht hat der in dem Schreiben vom 23. April 2010 enthaltenen Beschwerde
des Sachverständigen nicht abgeholfen (Nichtabhilfebeschluss vom 20. Mai 2010, Bl.
170 d.A.) und die Akten dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist nach § 4 Abs. 1, 3, 4 JVEG i.V.m. § 413 ZPO zulässig (vgl. Zöller-
Greger, ZPO, 28. Auflage, § 413 Rdnr. 8.
Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Eine Entziehung des Vergütungsanspruchs wegen Nichtverwertbarkeit des Gutachtens
ist nach Auffassung des Senats nicht gerechtfertigt.
Nach § 407 a Abs. 2 ZPO bestimmt und beauftragt ausschließlich das Gericht den
Sachverständigen. Eine Vertretung ist ausgeschlossen, da dieses die Aufgabe des
Gerichts, eine nach ihrer Persönlichkeit und Qualifikation geeignet erscheinende Person
auszuwählen, illusorisch machen würde.
Der Sachverständige darf daher den ihm erteilten Auftrag nicht auf einen anderen
übertragen. Auch die verdeckte (dem Gericht und den Parteien verschwiegene)
Hinzuziehung eines anderen Gutachters oder Mitarbeiters durch den ernannten
Sachverständigen führt zur Unverwertbarkeit des Gutachtens (vgl. Zöller-Greger, ZPO,
28. Auflage, § 407 a Rdnr. 2; § 404 Rdnr. 1 a) – was aber keine praktischen Auswirkungen
hat, da der besagte Umstand ja nicht erkannt wird.
Zulässig ist dagegen die Hinzuziehung von Gehilfen durch den Sachverständigen, wenn
und solange hierdurch die Gesamtverantwortlichkeit des beauftragten Sachverständigen
nicht in Frage gestellt wird (Zöller a.a.O. § 404 Rdnr. 1 a). Allerdings muss der
Sachverständige nach § 407 a Abs. 2 Satz 2 ZPO dieses dem Gericht gegenüber
mitteilen, wenn es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt.
Das Gutachten vom 20. September 2009 sowie die Ergänzung hierzu vom 29. Oktober
2009 sind zwar sowohl von Frau Dr. S. als auch vom Sachverständigen Prof. Dr. M.
unterzeichnen worden, was formaljuristisch zunächst dafür spricht, dass jeder von
beiden die Gesamtverantwortung für die Begutachtung übernommen hat. Allerdings ist
dieser Umstand – bei Prof. Dr. M. und Frau Dr. S. handelt es sich um Nichtjuristen - auch
unter Berücksichtigung der Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. M. über die Art und
Weise der Zusammenarbeit und der Erstellung des Gutachtens zu bewerten.
Dieses führt im Ergebnis zu der Annahme, dass der Sachverständige Prof. Dr. M. auch
für die Teile des Gutachtens, die von Frau Dr. S. erstellt worden sind, nicht nur die
Gesamtverantwortung mit übernommen hat und der Inhalt von ihm überprüft worden ist,
sondern dass der Inhalt auch im Vorfeld zwischen Prof. Dr. M. und Frau Dr. S.
besprochen und diskutiert worden ist.
Der Sachverständige Prof. Dr. M. hat auf die Aufforderung des Landgerichts vom 12.
Oktober 2009 (Bl. 113 d.A), die erforderlichen Angaben zur Person und Umfang der
Mitarbeit von Frau Dr. S., die das Gutachten auch mit unterzeichnet habe, nachzuholen,
am 29. Oktober 2009 (Bl.141 d.A.) mitgeteilt, dass das Gutachten (mit Ausnahme des
Teils über „die Technik der Katheteruntersuchung und der möglichen Komplikationen
dieses Eingriffs, sowie der Detektion derselben“) „nach Diskussion aller Befunde, der
medizinischen Leitlinien und der aktuell vorliegenden wissenschaftlichen Kenntnisse mit
mir“ erstellt worden sei. In seinem Beschwerdeschreiben vom 9. Februar 2010 (Bl. 160
d.A.) hat der Sachverständige Prof. Dr. M. ferner angegeben, dass „das intensive
Aktenstudium und das endgültige Schreiben des Gutachtens nach Rücksprache“ mit
ihm durch Frau Dr. S. durchgeführt worden sei. Er sei auch nur unter dieser
Voraussetzung weiterhin bereit, Gutachten vom Landgericht anzunehmen, da seine Zeit
es ihm „in keiner Weise ermöglicht, mich so zeitintensiv mit diesen Gutachten
auseinanderzusetzen.“ Hieraus ergibt sich nach Auffassung des Senats, dass die
wissenschaftliche Beurteilung und Auswertung der Arbeitsergebnisse also der „Kern“ der
sachverständigen Beurteilung und die eigentliche gedankliche Leistung – wenn auch
nach Diskussion mit Frau S. – in der Hand des Sachverständigen geblieben sind - so
dass Frau Dr. S. letztlich (in juristischer Hinsicht) noch als „Gehilfin“ betrachtet werden
kann.
Dass der Sachverständige Frau Dr. S. hingegen die Arbeitsschritte, die besonders
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Dass der Sachverständige Frau Dr. S. hingegen die Arbeitsschritte, die besonders
zeitaufwändig sind, die aber nicht unbedingt mit der Person eines bestimmten
Sachverständigen verknüpft sein müssen, nämlich die Darstellung des Sachverhalts
nach Aktenstudium und das schriftliche Abfassen des Gutachtens Frau Dr. S. überlassen
hat, widerspricht daher nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 404 Abs. 1 ZPO,
wonach es allein dem Gericht überlassen bleiben soll, den Sachverständigen, den es
aufgrund seiner Kompetenz für geeignet hält, auszuwählen und mit der Begutachtung zu
beauftragen.
Die vom Sachverständigen Prof. Dr. M. beschriebene Arbeitsweise dürfte nach der
Erfahrung des Senats im Übrigen auch vielfach so praktiziert werden, wobei es allerdings
eher die Ausnahme darstellt, dass der mit- oder zuarbeitende Arzt durch seine
Unterschrift unter das Gutachten in Erscheinung tritt. Letzteres sieht der Senat hier
auch vielmehr als Zeichen der fachlichen Wertschätzung des Sachverständigen Prof. Dr.
M. gegenüber Frau Dr. S., die aber nicht mit der Delegation der Verantwortlichkeit auf sie
verbunden ist.
Allerdings trifft es zu, dass der Sachverständige Prof. Dr. M. nach § 407 a Abs. 2 Satz 2
ZPO die Mitarbeit von Frau Dr. S. hätte anzeigen müssen. Der Umstand, dass er dieser
Verpflichtung erst auf Nachfrage des Landgerichts nachgekommen ist, hat aber keinen
Einfluss auf seinen Vergütungsanspruch.
Denn es ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht etwa aus in der Person von Frau Dr. S.
liegenden Gründen, es dem Sachverständigen Prof. Dr. M. untersagt hätte, sich ihrer
Mitarbeit zu bedienen oder dass das Landgericht einen anderen Sachverständigen
beauftragt hätte, wenn der Sachverständige Prof. Dr. M. der sich aus § 407 a ZPO
ergebenden Mitteilungspflicht von vornherein nachgekommen wäre. Vielmehr hat der
Sachverständige in seinem Schreiben vom 9. Februar 2010 sogar angegeben, dass dem
Landgericht bekannt sei, dass er mit Frau Dr. S. in dieser Weise zusammen arbeite.
Den Teil des Gutachtens, der „die Technik der Katheteruntersuchung und der möglichen
Komplikationen dieses Eingriffs, sowie der Detektion derselben“ betrifft, hat der
Sachverständige Prof. Dr. M. ohnehin selbst bearbeitet, da Frau Dr. S. „selbst keine
Linksherzkathederdiagnostik durchführt“ (Bl. 141 d.A.) und daher auch das Gutachten
selbst „schwerpunktmäßig“ mitbearbeitet. Insoweit sind Bedenken wegen einer Mitarbeit
von Frau Dr. S. ohnehin nicht angezeigt.
Der Vorwurf, der Sachverständige habe verschwiegen, dass er nicht selbst
Herzkathederuntersuchungen durchführe, ist nach Auffassung des Senats nicht
berechtigt, denn damit ist nicht die fehlende diesbezügliche Fachkunde des
Sachverständigen Prof. Dr. M. verbunden. Vielmehr hat der Sachverständige in seinen
Schreiben vom 9. Februar 2010 (Bl. 160 d.A.) angegeben, dass und weshalb er als
Facharzt für Herzchirurgie natürlich mit dem Thema vertraut sei, auch wenn nicht er als
Herzchirurg, sondern die Kardiologen, Radiologen und Angiologen die
Kathederuntersuchen durchführen.
Im Hinblick auf die Ausführungen des Sachverständigen am Ende seines Schreibens
vom 9. Februar 2010 weist der Senat noch klar stellend darauf hin, dass gegen einen
auch vom Sachverständigen Prof. Dr. M. praktizierten fachlichen Meinungsaustausch
anlässlich einer Begutachtung (unter Wahrung der Anonymität des zu Begutachtenden)
keine Bedenken bestehen, dieses u.U. vielmehr sogar angebracht und wünschenswert
sein kann.
III.
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Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 574 Abs. 2
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