Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: werbung, herunterladen, unerfahrenheit, kauf, nummer, festpreis, markt, wiederholungsgefahr, link, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 5. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 U 95/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 UWG, § 4 Nr 2 UWG
Wettbewerbsverstoß: Unlautere Werbung für das Herunterladen
von Handy-Klingeltönen in einer Jugendzeitschrift
Leitsatz
1. Die Werbung für das Herunterladen von Handy-Klingeltönen über Mehrwertdienst-
Rufnummern in Jugendzeitschriften ist unlauter im Sinne von §§ 3, 4 Nr.2 UWG, wenn sie keine
klare, eindeutige und für den angesprochenen Minderjährigen verständliche Aufklärung über
die aus dem Kauf resultierenden Kosten enthält und er die ihm tatsächlich entstehenden
Kosten daher nicht abschätzen kann.
2. Eine unlautere Werbung liegt deshalb vor, wenn die Angabe des Minutenpreises für das
Herunterladen kaum lesbar ist und die durchschnittliche tatsächliche Dauer des
Ladevorgangs nicht bzw. unzutreffend kurz angegeben wird.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 16. März 2004 verkündete Urteil der
Zivilkammer 15 des Landgerichts Berlin - 15 O 439/03 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird für den Rechtsstreit erster Instanz - insoweit in Abänderung der
Wertfestsetzung des Landgerichts - und für das Berufungsverfahren jeweils auf
30.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
A.
Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 ZPO aus den weiterhin
zutreffenden Gründen der Verfügung des Senats vom 10. Juni 2005 zurückzuweisen. Der
Senat hat darin ausgeführt:
I. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
1. Das Landgericht hat die streitgegenständliche Werbeanzeige der Beklagten in der
Zeitschrift BRAVO Nr. 21 vom 14. Mai 2003 mit Recht als Werbung unter Ausnutzung der
Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen und daher als sittenwidrig im Sinne von § 1
UWG a.F. angesehen. Nach dem am 8. Juli 2004 in Kraft getretenen neuen UWG
unterfällt die streitgegenständliche Werbung dem in § 4 Nr. 2 UWG normierten
Beispielstatbestand. Danach handelt unlauter im Sinne von § 3 UWG insbesondere, wer
Wettbewerbshandlungen vornimmt, die geeignet sind, die geschäftliche Unerfahrenheit
insbesondere von Kindern und Jugendlichen, die Leichtgläubigkeit, die Angst oder die
Zwangslage von Verbrauchern auszunutzen.
a) Wie bereits unter Geltung des früheren UWG mit Recht allgemein anerkannt war und
nunmehr in dem gesetzlichen Beispielstatbestand des § 4 Nr. 2 UWG niedergelegt
worden ist, ist eine Werbung, durch die die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und
Jugendlichen ausgenutzt wird, um diese zum Erwerb von Produkten zu verführen,
unlauter im Sinne von § 1 UWG a.F. bzw. § 3 UWG n.F. Denn Kinder und Jugendliche sind
typischerweise noch nicht in ausreichendem Maße in der Lage, Waren- oder
Dienstleistungsangebote kritisch zu beurteilen. Sie entscheiden sich zumeist
gefühlsmäßig und folgen einem spontanen Begehren (vgl. zur a.F.
Baumbach/Hefermehl, UWG, 22. Aufl., § 1 Rdn. 198; zur n.F.
Baumbach/Hefermehl/Köhler, UWG, 23. Aufl., § 1 Rdn. 2.17 m.w.N.).
Allerdings ist nicht jede Werbung unzulässig, die sich gezielt (etwa in Kinder- und
Jugendzeitschriften) an Kinder und Jugendliche wendet. Vielmehr muss ihre Eignung zur
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Jugendzeitschriften) an Kinder und Jugendliche wendet. Vielmehr muss ihre Eignung zur
Ausnutzung der Unerfahrenheit dieser Verbrauchergruppe hinzukommen. Davon ist
insbesondere dann auszugehen, wenn die Werbung keine klare, eindeutige und für den
angesprochenen Minderjährigen auch verständliche Aufklärung über die aus dem Kauf
resultierenden Kosten enthält und er die ihm tatsächlich entstehenden Kosten daher
nicht abschätzen kann. Dies ist etwa der Fall bei der Werbung für das Herunterladen von
Klingeltönen, Logos u.ä. auf Mobiltelefone über Mehrwertdienste-Rufnummern, in der
lediglich der Preis pro Minute, nicht aber der von der Dauer des Ladevorgangs und der
Geschicklichkeit des Handynutzers abhängige, regelmäßig wesentlich höhere
voraussichtliche Endpreis angegeben wird (vgl. zu Vorstehendem OLG Hamburg MMR
2003, 467; OLG Hamm ZUM-RD 2004, 589; LG Mannheim MMR 2004, 493;
Baumbach/Hefermehl/Köhler a.a.O. § 4 Rdn. 2.17; Harte/Henning/Stuckel, UWG, § 4 Rdn.
14).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die streitgegenständliche Werbung als
unlauter im Sinne von § 1 UWG a.F. bzw. §§ 3, 4 Nr. 2 UWG n.F. zu beurteilen.
Die ganzseitige Werbeanzeige ist in einer typischen Jugendzeitschrift veröffentlicht und
wendet sich auch inhaltlich gezielt an Kinder und Jugendliche („Nur das Beste für Dein
Handy“). Angeboten wird das Herunterladen von Klingeltönen, Logos u.ä. auf
Mobiltelefone über als „Bestellhotlines“ bezeichnete Mehrwertdienste-Rufnummern. Die
für Deutschland geltende 0190-Nummer ist im Fett- und Großdruck (ca. 9 mm hohe
Ziffern) gehalten, während die zugehörige Preisangabe („1,86€/min.“) in winzigen, kaum
lesbaren Lettern (ca. 2 mm) am Ende der letzten Ziffer der 0190-Nummer und
quergestellt angebracht ist. In der über den Nummern befindlichen Rubrik „Wie bestelle
ich?“ heißt es unter 3.: „In 1 Minute auf dem gewünschten Handy“. Tatsächlich beträgt
die durchschnittliche Dauer eines Klingeltonabrufs bei der Beklagten nach ihrem eigenen
Vortrag ca. 3 Minuten und lässt damit Kosten von ca. 5,58 € entstehen (vgl. Schriftsatz
vom 10. November 2003, S. 6, Bl. 58 d.A.).
Die vorstehend wiedergegebenen Angaben reichen nicht aus, den von der Werbung
angesprochenen Kindern und Jugendlichen eine klare Vorstellung über die ihnen mit dem
Herunterladen der Klingeltöne und Ähnlichem tatsächlich entstehenden Kosten
vermitteln. Der Minutenpreis für die - hier maßgeblichen - Interessenten in Deutschland
ist kaum lesbar, so dass er von einem Teil der angesprochenen Minderjährigen schon
gar nicht wahrgenommen werden wird. Dies gilt umso mehr, als sie erfahrungsgemäß -
je nach Altersstufe in unterschiedlichem Ausmaß - zu spontanen und unüberlegten
Entscheidungen neigen. Aber auch für diejenigen unter ihnen, die die
Minutenpreisangabe wahrgenommen haben, wird aus dieser allein nicht deutlich, welche
Kosten ihnen durch das Herunterladen des gewünschten Klingeltons entstehen werden.
Die tatsächliche Dauer des Vorgangs ist ihnen vorher nicht bekannt. Wenn sie beim
Herunterladen erkennen, dass es zu lange dauert und ihnen zu teuer wird, können sie
den Vorgang nicht mehr abbrechen, ohne die bereits entstandenen Kosten ohne
Gegenleistung zahlen zu müssen.
Vor allem aber wird durch die Angabe zum Bestellvorgang: „In 1 Minute auf dem
gewünschten Handy“ im Gegenteil sogar der Eindruck erheblich niedrigerer Kosten
vermittelt, als sie tatsächlich - jedenfalls beim Herunterladen von Klingeltönen - im
Durchschnitt entstehen. Denn diese Angabe muss vom Leser so verstanden werden,
dass das Herunterladen der angebotenen Produkte jeweils nur eine Minute dauert.
Tatsächlich ist dies jedoch unstreitig nicht der Fall, sondern beträgt die durchschnittliche
Dauer eines Klingeltonabrufs ca. 3 Minuten. Der Minderjährige wird insoweit nicht nur
unzureichend aufgeklärt, sondern über die Dauer des Abrufs sogar getäuscht.
c) Nach alledem ist ein objektiver Verstoß der Beklagten gegen § 1 UWG a.F. bzw. §§ 3, 4
Nr. 2 UWG n.F. gegeben. Auf etwaige subjektive Vorstellungen ihres Vorstands,
tatsächlich nicht die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen zum
eigenen Vorteil auszunutzen, kommt es insoweit nicht an. Zu ihren diesbezüglichen
Einwänden sei lediglich bemerkt, dass der Kleindruck der Minutenpreisangabe und die -
unstreitig objektiv falsche - Angabe der Abrufdauer schwerlich gutgläubig erfolgt sein
werden.
Der Wettbewerbsverstoß ist auch geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil der
Verbraucher nicht nur unerheblich im Sinne von § 3 UWG n.F. zu beeinträchtigen. Denn
es handelt sich bei der Zeitschrift BRAVO um eine weit verbreitete Jugendzeitschrift.
Auch hat der Markt für die hier beworbenen Mehrwertdienste eine ganz erhebliche
wirtschaftliche Bedeutung.
d) Die abgegebene Unterlassungserklärung vom 22. Juli 2003 beseitigt die
Wiederholungsgefahr schon deshalb nicht, weil alternativ zu einem der Höhe nach nicht
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Wiederholungsgefahr schon deshalb nicht, weil alternativ zu einem der Höhe nach nicht
bestimmten Festpreis das Minutenpreis-Angebot bestehen bleiben soll. Letzteres kann
für die angesprochenen Kinder und Jugendlichen immer noch attraktiv erscheinen.
2. Der Kläger ist zur Geltendmachung des aus dem Wettbewerbsverstoß folgenden
Unterlassungsanspruchs gemäß § 13 Abs. 2 Satz 3 UWG a.F. und § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG
befugt. Er ist in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen. Durch
den Verstoß werden Belange einer Gruppe von Verbrauchern berührt, die in § 4 Nr. 2
UWG n.F. ausdrücklich geschützt werden und die auch wesentlich im Sinne von § 13 Abs.
2 Satz 3 UWG a.F. sind.
Dem Kläger fehlt es auch nicht wegen eines Rechtsmissbrauchs an der Klagebefugnis
(§§ 13 Abs. 5 UWG a. F., 8 Abs. 4 UWG n. F.). Insbesondere war er nicht gehalten, von
einem gerichtlichen Vorgehen allein deshalb abzusehen, weil die Beklagte ihre
grundsätzliche Bereitschaft zur Änderung ihrer Werbung erklärt und eine eingeschränkte,
jedoch nicht auf die konkrete Werbung bezogene Unterlassungserklärung abgegeben
hat.
II. Es fehlt auch an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie an dem
Erfordernis der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO). Die vorliegend maßgeblichen
Rechtsfragen sind durch die angeführte obergerichtliche Rechtsprechung geklärt. Im
Übrigen handelt es sich um eine auf die streitgegenständliche Werbeanzeige bezogene
Einzelfallentscheidung.“
An vorstehenden Ausführungen hält der Senat fest, zumal ihnen die Beklagte trotz der
ihr gewährten Gelegenheit zur Stellungnahme nicht entgegen getreten ist.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung erfolgt
gemäß § 3 ZPO, wobei der Senat im Hinblick auf die erhebliche wirtschaftliche
Bedeutung der streitgegenständlichen Werbung einen die Streitwertangabe des Klägers
übersteigenden Streitwert von 30.000,00 EUR für angemessen hält. Die Wertfestsetzung
des Landgerichts ist entsprechend von Amts wegen zu ändern.
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