Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: ausschlagung der erbschaft, erblasser, freiwillige gerichtsbarkeit, nacherbschaft, testament, nachlassgericht, verfügung, fristablauf, erbschein, nacherbe

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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 124/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1943 Halbs 2 BGB, § 1944 Abs
2 S 1 BGB, § 1951 Abs 3 BGB, §
2069 BGB, § 2142 Abs 2 BGB
Testamentsauslegung: Gestattung der Teilausschlagung bei
Berufung zu mehreren Erbteilen;
Erbausschlagungsfristberechnung
Leitsatz
Eine Gestattung des Erblassers zu getrennter Annahme oder Ausschlagung eines Erbteils
gemäß § 1951 Absatz 3 BGB ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Erblasser einen
Erben teilweise zum Erben und teilweise zum Nacherben einsetzt und eine
Ersatzerbenanordnung für den Fall trifft, dass der so Bedachte nicht Nacherbe wird.
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1), 3) und 4) werden die Beschlüsse das
Landgerichts Berlin vom 10. Januar 2003 und des Amtsgerichts Charlottenburg vom 19.
Juli 2002 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung
nach Maßgabe der folgenden Gründe an das Amtsgericht Charlottenburg
zurückverwiesen.
Gründe
A.
Die Beteiligte zu 1), eine Tochter des am 28. Juni 1993 verstorbenen Erblassers, ist
durch ein notarielles Testament des Erblassers vom 19. April 1991, das durch eine
handschriftliche Verfügung vom 5. Juli 1991 ergänzt worden ist, neben ihrer Schwester,
der Beteiligten zu 2), zu 1/3 als Erbin eingesetzt. Neben den beiden Töchtern war die
zweite Ehefrau des Erblassers zur Vorerbin hinsichtlich des letzten Drittels der Erbschaft
eingesetzt. Zu Nacherben sind die Beteiligten zu 1) und 2) bestimmt. Als Ersatzerben
und Ersatznacherben hat der Erblasser deren Abkömmlinge bestimmt. Nachdem die
zweite Ehefrau des Erblassers am 15. Oktober 2000 verstorben ist, hat die Beteiligte zu
1) mit einer am 8. Dezember 2000 beim Nachlassgericht eingegangenen notariell
beglaubigten Erklärung die „Nacherbschaft nach der Vorerbin H. S..“ ausgeschlagen. Mit
notariell beurkundetem Antrag vom 13. November 2001 hat die Beteiligte zu 1) die
Erteilung eines Erbscheins beantragt. Dieser Antrag ist durch Schreiben vom 15. März
2002 des zunächst die Beteiligten zu 3) und 4) vertretenden Rechtsanwalts ergänzt
worden. Das Amtsgericht Charlottenburg hat den Antrag durch Beschluss vom 19. Juli
2002 zurückgewiesen und zugleich auf die Unzulänglichkeit des Antrags vom 15. März
2002 hingewiesen. Gegen diesen Beschluss haben die Beteiligten zu 1), 3) und 4) mit
Schreiben vom 8. August 2002 Beschwerde mit dem sich aus einem Schreiben vom 22.
August 2002 ergebenden Antrag eingelegt. Diese Beschwerde ist durch das Landgericht
mit Beschluss vom 10. Januar 2003 zurückgewiesen worden (FamRZ 2003, 1134).
Hiergegen richtet sich die mit Schreiben vom 5. März 2003 im Namen der Beteiligten zu
1), 3) und 4) eingelegte weitere Beschwerde, die im Wesentlichen die vom Landgericht
vertretene Annahme angreift, die Ausschlagung der Beteiligten zu 1) sei als
Teilausschlagung unwirksam.
B.
I. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie hat auch Erfolg.
1. Das Landgericht hat insoweit ausgeführt, der beantragte Erbschein, der die Beteiligten
zu 3) und 4) nach dem Versterben der Vorerbin als Erben ausweisen soll, sei nicht zu
erteilen. Die Ausschlagung der Beteiligten zu 1) sei als Teilausschlagung anzusehen.
Diese sei aber unwirksam, weil sie lediglich aufgrund des Testaments vom 19. April 1991
zur Erbin berufen sei und damit nur ein Berufungsgrund vorliege. Für eine Gestattung
der Teilausschlagung im Sinne des § 1951 Absatz 3 BGB fehle es an ausreichenden
Anhaltspunkten. Allein vernünftige Gründe auf Seiten des Erben reichten nach der
Gesetzeslage nicht aus, eine entsprechende Anwendung des § 1951 Absatz 3 BGB
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Gesetzeslage nicht aus, eine entsprechende Anwendung des § 1951 Absatz 3 BGB
scheitere an der Tatsache, dass die Vorschrift eine Ausnahmeregelung darstelle.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Das Landgericht ist allerdings zutreffend von einer Beschwerdebefugnis der
Beteiligten zu 1) ausgegangen. Es hat zwar im Rahmen der Festsetzung des
Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren ausgeführt, die Beteiligte zu 1) habe kein
eigenes Interesse an der Erteilung des Erbscheins. Ob dies zutrifft und ob die
Wertfestsetzung zutreffend ist, kann an dieser Stelle dahinstehen. Eine
Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 1) ergibt sich schon daraus, dass der von ihr als
Miterbin beantragte Erbschein nicht erteilt worden ist, § 20 Absatz 2 FGG. Unerheblich ist
insoweit, dass das Nachlassgericht die Erbquote zugunsten der Beteiligten zu 1) höher
annimmt als diese selbst (vgl. dazu BGHZ 30, 261 = NJW 1959, 1730). Denn eine
Beschwer besteht bereits immer dann, wenn die Erteilung eines bestimmten Erbscheins
von einem Erben beantragt wird und dieser gleichwohl nicht erteilt wird.
b) Das Landgericht ist weiter zu Recht davon ausgegangen, dass die Berufung der
Beteiligten zu 1) allein auf einem Grund, nämlich dem Testament vom 19. April 1991
beruht. Dann aber kommt die Wirksamkeit der ausdrücklich nur auf einen Teil der
Erbschaft bezogenen Ausschlagung vom 8. Dezember 2000 nur unter den
Voraussetzungen des § 1951 Absatz 3 BGB in Betracht.
c) Das Landgericht ist insoweit zwar zutreffend davon ausgegangen, dass bei der
Einsetzung eines Bedachten zu einem Teil als Vollerbe und zu einem anderen als
Nacherbe eine Berufung zu mehreren Erbteilen anzunehmen ist (ebenso RGZ 80, 377,
382; Leipold in Münchener Kommentar, aaO, § 1951 Rn. 2; Staudinger/Otte, aaO, § 1951
Rn. 7). Zu Unrecht hat das Landgericht aber angenommen, die Voraussetzungen des §
1951 Absatz 3 BGB lägen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist eine Teilausschlagung
auch bei nur einem Berufungsgrunde dann möglich, wenn eine Einsetzung auf mehrere
Erbteile vorliegt und der Erblasser zudem die Teilausschlagung in der letztwilligen
Verfügung gestattet hat. Das Vorliegen einer derartigen Gestattung hat das Landgericht
verneint, weil sich aus dem Testament vom 19. April 1991 auch durch Auslegung keine
ausreichenden Anhaltspunkte für eine Gestattung im Sinne der Vorschrift ergäben. Die
Auslegung eines Testaments liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und kann
deshalb vom Gericht der weiteren Beschwerde nur darauf hin überprüft werden, ob sie
nach den Denkgesetzen und der feststehenden Erfahrung möglich ist, mit den
gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht, dem klaren Sinn und Wortlaut der
Erklärung nicht widerspricht und alle wesentlichen Tatsachen berücksichtigt (vgl.
Keidel/Meyer-Holz, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 27 Rn. 49). Diesen
Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht.
Das sich aus § 1950 BGB ergebende grundsätzliche Verbot der Teilausschlagung dient
Zweckmäßigkeitserwägungen. Es soll einer Zersplitterung des Nachlasses, auch aus
Gläubigerschutzgründen, vorgebeugt werden (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien
zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band 5, 1899, S. 270, 271;
gleichlautend: Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das
Deutsche Reich, Band 5, 1888; S. 506, 507). Teilweise werden aber auch eine Achtung
des Erblasserwillens (Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 8 VI 1 a; a.A. Otte in Staudinger, BGB,
13. Bearbeitung, § 1950 Rn. 10) und die Vereinfachung der Klärung der
Erbfolgeverhältnisse genannt (vgl. dazu Leipold in Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl.,
§ 1950 Rn. 2). Insoweit ist auch anerkannt, dass eine willkürliche Aufteilung des
Nachlasses durch den Erben durch eine Teilausschlagung unwirksam ist (vgl.
Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., § 1950 Rn. 1; Leipold in Münchener Kommentar, BGB,
4. Aufl., § 1950 Rn. 1). Zugelassen ist die Teilausschlagung vielmehr nur dann, wenn
verschiedene Berufungsgründe im Sinne des § 1948 BGB oder verschiedene Erbteile, §
1951 Absatz 1 und 3 BGB, vorhanden sind. In den Fällen des § 1948 BGB, der den Fall
der neben der Berufung von Todes wegen bestehenden gesetzliche Erbberufung betrifft,
und des § 1951 Absatz 1 BGB, der den Fall der Berufung von Todes wegen neben einer
Berufung aufgrund Erbvertrages erfasst, bedarf es für die Zulässigkeit der
Teilausschlagung keiner weiteren Voraussetzungen. Lediglich für den Fall, dass die
Berufung zum Erben nur auf einem Grund beruht, bedarf die Teilausschlagung der
testamentarischen Gestattung durch den Erblasser, § 1951 Absatz 3 BGB. Hintergrund
des Gestattungserfordernisses sind damit aber nicht bestimmte Interessen des
Erblassers, die eine mehr oder minder deutliche positive Kundgabe der Gestattung
verlangen. Denn für den testierenden Erblasser steht das Interesse der Gläubiger, mit
möglichst wenig Erben konfrontiert zu werden, regelmäßig nicht im Vordergrund; die
Teilbarkeit des Nachlasses und damit das Interesse an einer einfachen Klärung der
Erbverhältnisse ist bereits durch das Erfordernis der Berufung zu mehreren Erbteilen
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Erbverhältnisse ist bereits durch das Erfordernis der Berufung zu mehreren Erbteilen
gewahrt. Aus alldem ergibt sich, dass für eine Gestattung im Sinne des § 1951 Absatz 3
BGB bereits spricht, wenn sich keine Interessen des Erblassers erkennen lassen, die
gegen eine Teilausschlagung sprechen.
Ob eine Gestattung regelmäßig bereits dann zu bejahen ist, wenn ein Erblasser einen
Erben teilweise zum Erben und teilweise zum Nacherben eingesetzt hat (vgl. Leipold in
Münchener Kommentar, aaO, § 1951 Rn. 2; Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl., § 1951 Rn. 7),
kann insoweit dahinstehen. Denn im vorliegenden Fall lassen sich ausreichende – vom
Landgericht nicht gewürdigte - Anhaltspunkte finden, aus denen sich ergibt, dass der
Erblasser mit einer auf die angefallene Nacherbschaft beschränkten Ausschlagung
einverstanden war. Die vom Erblasser ausdrücklich angeordnete Trennung – je 1/3 an die
Töchter unmittelbar, 1/3 erst als Nacherben – ist bei dieser Fallkonstellation bereits Indiz
für eine Gestattung, weil die Frage der Annahme oder Ausschlagung nach Eintritt des
Nacherbfalls etwa aus auch für den Erblasser bedeutsamen steuerlichen Gründen
anders zu würdigen sein kann. Gerade hier hat der Erblasser aber auch Vorsorge für den
Fall getroffen, dass die Nacherbschaft nicht an seine Töchter fallen sollte. Denn der
Bestimmung unter III Ziffer 1 Absatz 4 des Testaments ist – wie das Amtsgericht
zutreffend ausführt – zu entnehmen, dass das Vermögen im Falle des Wegfalls einer der
Töchter, sei es durch Vorversterben oder durch Ausschlagung, in der Familie bleiben
sollte und zwar zu gleichen Teilen der Stämme der Töchter. Der Erblasser hat
entsprechend der Auslegungsregel des § 2069 BGB angeordnet, dass die Erbschaft auch
im Falle der Ausschlagung bei den Abkömmlingen verbleibt und damit im Sinne des §
2142 Absatz 2 BGB „ein anderes bestimmt“ (vgl. KG HRR 1929, 205). Diesem
erkennbaren Willen des Erblassers widerspricht die auf die Nacherbschaft beschränkte
Ausschlagung nicht, da der Erblasser für diesen Fall ausdrücklich Vorsorge getroffen hat.
Dies reicht nach dem Vorstehenden für die Annahme einer Gestattung im Sinne des §
1951 Absatz 3 BGB aus. Die Bestimmung in V Ziffer 1 des Testaments spricht –
entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – nicht gegen eine konkludente Gestattung.
Durch sie werden nur die Pflichtteilsansprüche im Falle der Ausschlagung geregelt.
3. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als
richtig.
Die Ausschlagung der Beteiligten zu 1) ist wirksam. Sie hat die ihr durch den Tod der
Vorerbin angefallene Erbschaft nicht durch Fristablauf gemäß § 1943 Halbsatz 2 BGB
angenommen. Denn die Frist für die Ausschlagung begann gemäß § 1944 Absatz 2 Satz
1 in Verbindung mit § 2139 BGB – unbeschadet der Möglichkeit einer früheren
Ausschlagung gemäß § 2142 BGB – erst mit der Kenntnis der Beteiligten zu 1) vom Tode
der Vorerbin; sie lag frühestens Ende Oktober/Anfang November 2000 vor, als die
Beteiligte zu 1) sich im Ausland befand und durch einen Telefonanruf ihres
Verfahrensbevollmächtigten unterrichtet wurde, sonst bei ihrer Rückkehr nach
Deutschland am 15. November 2000 als sie den an sie weitergeleiteten Brief des
Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) an ihren Verfahrensbevollmächtigten
vom 20. Oktober 2000 vorfand. Die Frist nach § 1944 Absatz 1, Absatz 3 BGB war durch
den Eingang der notariell beglaubigten Erklärung vom 6. Dezember 2000 beim
Nachlassgericht am 8. Dezember 2000 gewahrt. Die Frist hatte nicht schon begonnen
als das Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2) vom 20.
Oktober 2000 am 23. Oktober 2000 bei ihrem Verfahrensbevollmächtigten einging. Zwar
kommt es bei einer Bevollmächtigung für den Fristlauf auf die Kenntnis und den
Aufenthalt auch des gewillkürten Vertreters an, so dass gegebenenfalls der frühere
Fristablauf entscheidet (vgl. KG HRR 1935, 1664; Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., §
1944 Rn. 1, 8; siehe auch Senat, KG-Report 2004, 362 zu § 1954 Absatz 2 Satz 1 BGB).
Ihr Verfahrensbevollmächtigter war nach dem Schreiben vom 20. Oktober 2000 zwar in
der Angelegenheit Ansprüche C... S.. und D... W... ./. H.. S.. . Erbunwürdigkeitsklage pp.
beauftragt. Es ist aber nicht ersichtlich, dass er bereits bevollmächtigt war, in der
Angelegenheit Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft nach Eintritt des
Nacherbfalles für die Beteiligte zu 1) tätig zu werden. Dieser Auftrag wurde ihm erst in
der dazu anberaumten Besprechung vom 24. November 2000 erteilt. Soweit die
Beteiligte zu 1) die Erbschaft nach dem Tode ihres Vaters konkludent angenommen hat,
bezog sich dies nicht auf den durch die Vorerbschaft belasteten Erbteil. § 1950 BGB, der
die Teilannahme ausschließt, wird durch § 1951 Absatz 3 BGB eingeschränkt (vgl.
Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., § 1950 Rn. 2; Leipold in Münchener Kommentar, BGB,
4. Aufl., § 1950 Rn. 3); das Gleiche gilt für die Fiktion des § 1951 Absatz 2 Satz 1 BGB.
Eine konkludente Annahme hinsichtlich des erst mit dem Tode der Vorerbin angefallenen
Erbteils liegt nicht vor.
3. Nach alldem ist die Sache an das Amtsgericht zur weiteren Bearbeitung des
Erbscheinsantrags vom 13. November 2001, insbesondere zur Prüfung, ob den
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Erbscheinsantrags vom 13. November 2001, insbesondere zur Prüfung, ob den
Beanstandungen aus der Verfügung vom 2. Januar 2002 mittlerweile Genüge getan ist,
zurückzugeben.
II. Eine Kostenentscheidung kommt auch aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht, vgl. §
13a Absatz 1 Satz 1 FGG.
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