Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: beweiswürdigung, ergänzung, kollision, inkompatibilität, link, gutachter, sammlung, quelle, beweismittel, rechtsverletzung

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 37/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 522 Abs 2 ZPO, § 7 StVG
Schadensersatz bei Verkehrsunfall: Ersatz des Unfallschadens
bei Bestehen eines vom Geschädigten nicht erklärten
Vorschadens
Leitsatz
Die Klage ist insgesamt abzuweisen, wenn bewiesen ist, dass ein Teil der vom Kläger geltend
gemachten Schäden am Unfallfahrzeug nicht auf die Kollision zurückzuführen sind, und der
Antragsteller zu den nicht kompatiblen Schäden keine Angaben macht oder er das Vorliegen
irgendwelcher Vorschäden bestreitet. Denn aufgrund des nicht kompatiblen Schadens lässt
sich nicht ausschließen, dass auch kompatible Schäden durch ein früheres Ereignis
verursacht worden sind (vgl. Senat, DAR 2006, 323 = KGR 2006, 527 = VersR 2006, 1559 =
VRS 110, 258). Dabei handelt es sich nicht um eine generelle „Lauterkeitsprüfung“, sondern
um die Frage der richterlichen Überzeugungsbildung. Die positive Feststellung, dass ein Teil
der - vom Kläger weiterhin geltend gemachten - Schäden nicht auf den Unfall zurückzuführen
ist, begründet durchgreifende Zweifel an der Unfallursächlichkeit der übrigen Schäden.
Tenor
1. Es wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass der Senat nach
Vorberatung beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch Beschluss zurückzuweisen,
weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.
2. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu binnen drei Wochen.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass
die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder
nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr im Ergebnis der angefochtenen
Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.
Insofern wird auf Folgendes hingewiesen:
Es kann dahinstehen, ob das Landgericht bei der Beweiswürdigung zum Unfallhergang
die Aussage des Zeugen F. rechtsfehlerfrei gewürdigt hat und ob es zu Unrecht die
Aussage des Zeugen Dr. T. nicht in den Entscheidungsgründen erörtert hat. Das
Landgericht hat die Klageabweisung jedenfalls rechtsfehlerfrei auch auf die Begründung
gestützt, es sei bewiesen, dass jedenfalls ein Teil des geltend gemachten Schadens
(Kosten der gesamten hinteren Radaufhängung) nicht durch den Anstoß des
Beklagtenfahrzeuges verursacht worden sei mit der Folge, dass die
Schadensverursachung insgesamt nicht zweifelsfrei feststehe.
1. Der rechtliche Ausgangspunkt des Landgerichts (AU 8) ist nicht zu beanstanden. Es
entspricht der Rechtsprechung auch des Senats, dass eine Klage insgesamt abzuweisen
ist, wenn bewiesen ist, dass ein Teil der vom Kläger geltend gemachten Schäden am
Unfallfahrzeug nicht auf die Kollision zurückzuführen ist und der Kläger zu den nicht
kompatiblen Schäden keine Angaben macht oder er das Vorliegen irgendwelcher
Vorschäden bestreitet. Denn aufgrund des nicht kompatiblen Schadens lässt sich im
Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung nach § 286 ZPO nicht ausschließen, dass
auch kompatible Schäden durch ein früheres Ereignis verursacht worden sind (vgl. DAR
2006, 323 = VRS 110, 258 = KGR Berlin 2006, 527 = VersR 2006, 1559; vgl. auch
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 23. November 2006 - 12 U 101/06).
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2. Das Landgericht hat zu Recht einen solchen Fall hier bejaht.
a) Das Landgericht hat es aufgrund der Beweisaufnahme ohne Rechtsfehler nach § 286
ZPO für erwiesen gehalten, dass ein Teil des eingeklagten Schadens nicht auf den Unfall
zurückzuführen ist und darauf entscheidungserhebliche Zweifel an der
Unfallursächlichkeit der übrigen Schäden gegründet.
(1) Bei seiner Beweiswürdigung hat das Landgericht die gesetzlichen Vorgaben nach §
286 ZPO eingehalten.
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Dies
bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und
ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess
gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf
er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz
mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung
feststellen (Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 286 Rdnr. 13 m. w. N.). Die leitenden
Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das
Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes
einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass
nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden
hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 286 Rn. 3 und 5 m.w.N.).
An diese Regeln hat sich das Landgericht im angefochtenen Urteil gehalten. Es hat sich
die Auffassung des Sachverständigen W. zu eigen gemacht, nach der die
Radaufhängung nicht durch den Unfall beschädigt worden sein kann. Dabei hat es die
dagegen gerichteten Ausführungen in dem Gutachten des von der Klägerin beauftragten
Sachverständigen St. – wenn auch nur kurz – aufgegriffen und ausgeführt, dass und
warum es gleichwohl den Erkenntnissen des Gerichtsgutachters folgt. Das genügt für
eine sachentsprechende Beweiswürdigung.
(2) Der Senat schließt sich inhaltlich der Würdigung des Landgerichts an.
Zwar hat der Sachverständige W. in seinem Ursprungsgutachten vom 39. September
2004 die Frage der Schadenskompatibilität nur kurz erläutert. In den Ergänzungen im
nachfolgenden „Gutachterstreit“ hat er seine Sichtweise jedoch weiter begründet und
dabei den Lenkeinschlag unter Berücksichtigung der örtlichen Fahrbahnverläufe, die Art
des auf den Chrysler Viper wirkenden Druckes und die genauen Einwirkungsstellen des
Drucks erwogen.
Auf die vom Privatsachverständigen St. in seiner Ergänzung vom 23. Mai 2006 auf Seite
11 und 12 aufgeworfenen neun Kritikpunkte ist der Sachverständige W. in seiner
Ergänzung vom 17. November 2005 in überzeugender Weise eingegangen, die auch
durch die nachfolgende Stellungnahme des Sachverständigen St. vom 12. Dezember
2005 nicht entkräftet worden sind.
Dabei hat der Senat auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass der
Sachverständige Wanderer während des schriftlichen „Schlagabtausches“ mit seinem
Gutachterkollegen sozusagen nur aus einem Verteidigungsreflex heraus auf seiner
einmal geäußert Auffassung beharrt haben könnte. Hierfür haben sich jedoch keine
Anhaltspunkte ergeben. Die Entgegnungen waren stets sachlich und auf die inhaltlichen
Ausführungen des Dipl.-Ing. St. bezogen.
(3) Es war nicht veranlasst, ein weiteres Gutachten („Obergutachten“) einzuholen. Zu
Unrecht vertritt die Klägerin die Auffassung, ihr sei das rechtliche Gehör versagt worden.
Zutreffend hat das Landgericht auf Seite 7 des angefochtenen Urteils die
Voraussetzungen für das Einholen eines weiteren Gutachtens nach § 412 ZPO
dargestellt. Auf die dortige Darstellung kann Bezug genommen werden.
Danach war schon deshalb keine weitere Begutachtung geboten, weil das Landgericht zu
Recht aufgrund des bereits eingeholten Sachverständigengutachtens W. zu einer
hinreichenden Überzeugung zur fehlenden Schadensursächlichkeit gelangt ist. Darüber
bestehen an der Sachkunde und den hinreichenden Erkenntnismöglichkeiten des
Sachverständigen W. keine Zweifel; Anhaltspunkte, dass ein anderer Gutachter hier
weitergehende Erkenntnismöglichkeiten hätte, bestehen nicht. Allein der Umstand, dass
die Klägerin weiterhin eine andere Auffassung zur Unfallursächlichkeit der Schäden
vertritt, veranlasst keine neue Begutachtung.
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(4) Schließlich ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht der eingangs
dargestellten Rechtsprechung auch des Senats gefolgt ist und angesichts der
bewiesenen Inkompatibilität eines Teilschadens im Rahmen seiner Beweiswürdigung
auch die Unfallursächlichkeit der kompatiblen übrigen Schäden nicht für erwiesen
gehalten hat.
Dabei handelt es sich nicht um eine generelle „Lauterkeitsprüfung“, wie die Klägerin
meint, sondern um die Frage der richterlichen Überzeugungsbildung. Es wäre anders,
wenn die Unfallursächlichkeit eines Teils der Schäden nur zweifelhaft wäre. Dann käme
eine Teilabweisung der Klage insoweit und – bei Vorliegen der sonstigen
Voraussetzungen – eine Stattgabe wegen der übrigen Schäden in Betracht. Nachdem
aber positiv zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass ein Teil der Schäden, die die
Klägerin weiterhin geltend macht, nicht auf den Unfall zurückzuführen ist, begründet dies
durchgreifende Zweifel an der Unfallursächlichkeit der übrigen Schäden.
Im übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung
des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.
Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken.
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