Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: besonderer gerichtsstand, bezirk, eingriff, kunstfehler, hauptsache, wahlrecht, link, lebensmittelpunkt, quelle, sammlung

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Gericht:
KG Berlin 28.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
28 AR 28/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 32 ZPO, § 35 ZPO, § 36 Abs 1
Nr 3 ZPO
Arzthaftungsklage: Örtliche Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts
des Verletzten; Ausschluss einer Zuständigkeitsbestimmung
nach Wahlrechtsausübung
Leitsatz
1. Für Schadensersatzklagen wegen ärztlicher Kunstfehler sind gemäß § 32 ZPO - unabhängig
vom Behandlungsort - grundsätzlich auch die Gerichte am Wohnort des Verletzten zuständig.
2. Der Verbrauch des Wahlrechts nach § 35 ZPO steht einer Zuständigkeitsbestimmung nach
§ 36 I Nr. 3 ZPO entgegen.
Tenor
Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichtes wird auf Kosten der
Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Verfahrenswert wird auf 9722,11 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die im Bezirk des Landgerichts Potsdam wohnhafte Antragstellerin nimmt die
Antragsgegnerinnen als Gesamtschuldner wegen behaupteter ärztlicher Kunstfehler auf
Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch. Bei der in Berlin ansässigen
Antragsgegnerin zu 1) handelt es sich um eine niedergelassene Gynäkologin, bei der die
Antragsgegnerin in ständiger ambulanter Behandlung war. Die Antragsgegnerin zu 2)
betreibt im Bezirk des Landgerichts Potsdam ein Krankenhaus, in dem Antragstellerin
nach einer Überweisung durch die Antragsgegnerin zu 1) operativ behandelt worden war.
Die von der Antragstellerin bei dem Landgericht Berlin erhobene Klage ist bereits
rechtshängig. Nachdem das Landgericht Berlin auf seine örtliche Unzuständigkeit
bezüglich der Antragsgegnerin zu 2) hingewiesen hat, beantragt die Antragstellerin
gemäß §§ 37, 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO das zuständige Gericht zu bestimmen und die
Zuständigkeit des Landgerichts Berlin festzustellen.
II.
1) Das Kammergericht ist für den Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zuständig, da die
für eine Zuständigkeitsbestimmung in Betracht kommenden Gerichtsstände in den
Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte liegen und das zum hiesigen Bezirk
gehörende Landgericht zuerst mit der Sache befasst war (36 Abs. 2 ZPO).
2) In sachlicher Hinsicht liegen die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung
jedoch nicht vor. Zwar sind die Antragsgegner Streitgenossen im Sinne der §§ 59, 60
ZPO, da sie als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus
haben sie entsprechend ihren unterschiedlichen Geschäfts- bzw. Wohnsitz ihren
allgemeinen Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten (§§ 12, 17 ZPO). Der
beantragten Gerichtsstandsbestimmung steht jedoch entgegen, dass für die bereits bei
dem Landgericht Berlin rechtshängig gemachte Klage anderenorts ein gemeinsamer
besonderer Gerichtsstand gegeben gewesen wäre.
Soweit die Antragstellerin wegen der behaupteten ärztlichen Kunstfehler Ansprüche aus
unerlaubter Handlung geltend macht, wäre für eine Klage gegen beide
Antragsgegnerinnen der besondere Gerichtsstand des § 32 ZPO bei dem Landgericht
Potsdam eröffnet gewesen. An dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung kann nach
der neueren Rechtsprechung auch über konkurrierende vertragliche Ansprüche
entschieden werden (BGH, NJW 2003, 828; KG, NJW-RR 2001, 62). Ort der unerlaubten
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entschieden werden (BGH, NJW 2003, 828; KG, NJW-RR 2001, 62). Ort der unerlaubten
Handlung im Sinne von § 32 ZPO ist nicht nur dort, wo die Verletzungshandlung
vorgenommen worden ist, sondern – nach allgemeiner und unbestrittener Auffassung –
auch der Ort, an dem der Verletzungserfolg eingetreten ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25.
Aufl., § 32 Rdnr. 16; Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 32 Rdnr. 14 jeweils m. w. N.).
Nach dem Vortrag der Antragstellerin ist der Verletzungserfolg bezüglich der
Handlungen bzw. Unterlassungen beider Antragsgegnerinnen im Bezirk des
Landgerichts Potsdam eingetreten. Für die Antragsgegnerin zu 2), die zudem ihren
allgemeinen Gerichtsstand bei dem dortigen Gericht hat, bedarf dies keiner weiteren
Erörterung. Entsprechendes gilt jedoch auch für die Antragsgegnerin zu 1). Soweit ihr die
Antragstellerin eine unzureichende Diagnostik im Vorfeld der Überweisung an die
Antragsgegnerin zu 2) vorwirft, hätten diese Versäumnisse dazu beigetragen, dass ein
nicht indizierter operativer Eingriff durchgeführt wurde. Da der Eingriff in der von der
Antragsgegnerin zu 2) im Bezirk des Landgerichts Potsdam betriebenen Krankenanstalt
vorgenommen wurde, wäre der Verletzungserfolg dieser pflichtwidrigen Unterlassungen
ebenfalls dort eingetreten. Soweit die Antragstellerin der Antragsgegnerin zu 1)
hingegen Versäumnisse bei der nachoperativen Diagnostik zur Last legt, hätte diese zur
Folge gehabt, dass die notwendige Nachoperation erst verspätet hätte durchgeführt
werden können. Hierdurch hätte die Antragsgegnerin Schmerzen erlitten, die bei einem
pflichtgemäßen Verhalten der Antragstellerin zu 1) vermeidbar gewesen wären. Der
Verletzungserfolg wäre in diesem Fall – wie generell bei Gesundheitsbeschädigungen und
Körperverletzungen (vgl. BGH, NJW 1990, 1533) – dort eingetreten, wo die Antragstellerin
als Verletzte ihren Lebensmittelpunkt und Wohnsitz hatte, mithin ebenfalls im Bezirk des
Landgerichts Potsdam.
3. Darüber hinaus stehen der von der Antragstellerin begehrten Bestimmung des
Landgerichts Berlin weitere nicht behebbare Hindernisse entgegen. Die Ausübung des
dem bestimmenden Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eingeräumten
Auswahlermessens hat vornehmlich unter prozessökonomischen Gesichtspunkte zu
erfolgen, wobei nach der Rechtsprechung des Senats dem räumlichen Schwerpunkt des
Rechtsstreits besonderes Gewicht beizumessen ist (KGR Berlin 2005, 970; KGR Berlin
2005, 1007; vgl. auch BayObLG, JR 1988, 207 [208]; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 36
Rdnr. 18). Demgegenüber kann dem Umstand, dass die Klage bereits bei einem
bestimmten Gericht rechtshängig gemacht wurde, keine ausschlaggebende Bedeutung
beigemessen werden, da es ein Antragsteller ansonsten in der Hand hätte die
Zuständigkeitsbestimmung zu präjudizieren (KGR Berlin 2005, 1007). Die Anwendung
dieser Kriterien führt im vorliegenden Fall dazu, dass eine Bestimmung des Landgerichts
Berlin – unbeschadet des bestehenden besonderen gemeinschaftlichen Gerichtsstands
– nicht in Betracht gekommen wäre. Denn der Schwerpunkt des zur Entscheidung
anstehenden Rechtsstreits liegt eindeutig im Bezirk des Landgerichts Potsdam, in dem
mit dem operativen Eingriff die eigentliche Verletzungshandlung vorgenommen wurde
und – wie bereits ausgeführt – auch der Verletzungserfolg eingetreten ist. Unter
Berücksichtigung dieser Umstände wäre der Senat gehindert gewesen, das Landgericht
Berlin – wie von der Antragstellerin gewünscht – als zuständig zu bestimmen.
Andererseits wäre aber auch eine Bestimmung des Landgerichts Potsdam zum jetzigen
Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen. Einer Zuständigkeitsbestimmung stünde
entgegen, dass die Antragstellerin das ihr gemäß § 35 ZPO zustehende Wahlrecht mit
der Klageerhebung bei dem Landgericht Berlin bereits verbraucht hat, was die
Antragsgegnerin zu 1) anbetrifft. Für die Antragsgegnerin zu 1) ist das Landgericht Berlin
gemäß §§ 12, 13 ZPO zweifelsohne zuständig. Das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO
ist darauf gerichtet, gegebenenfalls eine zusätzliche Zuständigkeit zu begründen. Es soll
aber nicht ein zuständiges Gericht zu einem unzuständigen machen. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats kommt eine anderweitige
Zuständigkeitsbestimmung daher grundsätzlich nicht mehr in Betracht, wenn die Klage
bereits bei einem Gericht rechtshängig gemacht worden ist, das für mindestens einen
Streitgenossen zuständig ist (KGR Berlin 2005, 1007; zuletzt bestätigt mit
Senatsbeschluss vom 12.05.2006 – 28 AR 1129/05).
3) Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 91 Abs. 1
ZPO. Den Wert des Verfahrens hat der Senat auf 1/4 des Streitwerts der Hauptsache
festgesetzt. Dies berücksichtigt, dass das Interesse der Antragstellerin am Ergebnis des
Bestimmungsverfahrens nicht so groß ist wie am Ausgang des Rechtsstreits in der
Hauptsache (vgl. KGR Berlin 2001, 218 [219]).
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