Urteil des KG Berlin vom 03.04.2006

KG Berlin: fahrverbot, geschwindigkeitsüberschreitung, könig, härte, aufzählung, link, quelle, sammlung, nichterfüllung, rechtskraft

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Gericht:
KG Berlin 3. Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ss 193/06 - 3 Ws
(B) 429/06, 2 Ss
193/06, 3 Ws (B)
429/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 2 S 2 BKatV, § 25 Abs 1
S 1 StVG
Verkehrsordnungswidrigkeit Geschwindigkeitsüberschreitung:
Fahrverbotsverhängung wegen eines "beharrlichen"
Pflichtenverstoßes
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des
Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 3. April 2006 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die
Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger
Zuwiderhandlung gegen §§ 3 Abs. 3 (zu ergänzen: Satz 1 Nr. 1), 49 (genauer: Abs. 1 Nr.
3) StVO einen Bußgeldbescheid über 50,00 Euro erlassen und ein Fahrverbot von einem
Monat angeordnet. Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, mit seinem PKW in den späten
Abendstunden des 1. November 2005 die Landsberger Chaussee stadtauswärts mit
einer Geschwindigkeit von 73 km/h befahren und damit die innerorts zulässige
Höchstgeschwindigkeit um 23 km/h überschritten zu haben. Auf den wirksam auf den
Rechtsfolgenausspruch beschränkten Einspruch des Betroffenen hat ihn das
Amtsgericht nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 100,00 Euro verurteilt. Von der
Verhängung des im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbots hat das Amtsgericht
abgesehen. Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die
Amtsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Sie beanstandet, dass das
Amtsgericht kein Fahrverbot angeordnet hat.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige
Rechtsbeschwerde hat (vorläufigen) Erfolg. Die Begründung, mit der das Amtsgericht
von der Verhängung eines Fahrverbots gegen den Betroffenen abgesehen hat, hält
rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das Amtsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass dem Betroffenen kein
grober Verstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 StVG vorgeworfen werden kann. Rechtlichen
Bedenken unterliegt jedoch die Begründung, mit der das Amtsgericht eine beharrliche
Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers durch den Betroffenen abgelehnt
hat.
Beharrlich begangen sind Pflichtverletzungen, die ihrer Art oder den Umständen nach
nicht bereits zu den objektiv oder subjektiv groben Zuwiderhandlungen zählen, durch
deren Wiederholte Begehung der Täter aber zeigt, dass ihm die für die Teilnahme am
Straßenverkehr erforderliche rechtstreue Gesinnung und notwendige Einsicht in zuvor
begangenes Unrecht fehlen (vgl. König in Hentschel, Straßenverkehrsrecht 39. Auflage,
§ 25 StVG Rdnr. 15 m.N.).
Zwar zieht nicht jede beharrliche Geschwindigkeitsüberschreitung ohne weiteres die
Verhängung eines Fahrverbots nach sich. Bei der Anordnung eines Fahrverbotes ist den
Gerichten ein Rechtsfolgeermessen eingeräumt. Sind – wie hier – die Voraussetzungen
für ein Regelfahrverbot nach der BKatV nicht gegeben, bedarf es näherer Feststellungen,
ob die Anordnung eines Fahrverbotes dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
entspricht. Nur wenn die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht
wie im Regelfall des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ist, kommt daher die Anordnung eines
Fahrverbotes in Betracht. Denn nur dann wird es geboten sein, mit dieser Denkzettel-
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Fahrverbotes in Betracht. Denn nur dann wird es geboten sein, mit dieser Denkzettel-
und Besinnungsmaßnahme auf den Betroffenen einzuwirken (vgl. BayObLG VRs 106, 394
ff. m.w.N.). Nach dieser Vorschrift ist in der Regel ein Fahrverbot zu verhängen, wenn
gegen den Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26
km/h innerhalb des letzten Jahres eine Geldbuße rechtkräftig festgesetzt worden ist und
er innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung
von mindestens 26 km/h begeht. Bei Verstößen von ähnlich starkem Gewicht kann von
der Verhängung eines Fahrverbotes nur unter den Voraussetzungen abgesehen werden,
die auch bei Vorliegen des in der BKatV normierten Regelfalles ein Absehen rechtfertigen
würden (vgl. BayObLG a.a.O.).
Diesen Grundsätzen trägt das angefochtene Urteil nicht hinreichend Rechnung.
Ausweislich der Feststellungen des Amtsgerichts ist der Betroffene verkehrsrechtlich
nicht unerheblich in Erscheinung getreten. Der Verkehrszentralregisterauszug enthält
vier Eintragungen wegen zwischen dem 14. März 2003 und dem 19. November 2004
begangener Geschwindigkeitsüberschreitungen von 23, 34, 23 und 36 km/h. Die der
letztgenannten Entscheidung zugrunde liegende Tat wurde am 19. November 2004
begangen; die Entscheidung ist seit dem 1. Februar 2005 rechtskräftig. Am 1. November
2005 beging der Betroffene die ihm im vorliegenden Verfahren zur Last gelegte
Geschwindigkeitsüberschreitung von 23 km/h.
Angesichts dieser Umstände bedarf die Prüfung der Frage, ob ein beharrlicher Verstoß
vorliegt, eingehender Erörterung, weil die Grenze des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKat V nur
geringfügig um drei km/h unterschritten ist, und der Betroffene in dem Zeitraum davor
weitere rechtskräftig festgestellte erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen
begangen hat. Diesen Ansprüchen genügen die Urteilsgründe nicht. Sie lassen vielmehr
besorgen, dass der Tatrichter allein auf die Nichterfüllung des Regelbeispiels des § 4 Abs.
2 Satz 2 BKatV abgestellt und deswegen das Vorliegen eines beharrlichen Verstoßes
abgelehnt hat. Denn die Begründung für ein Absehen von dem Fahrverbot beschränkt
sich auf die Aufzählung der Voreintragungen und der Mitteilung, dass zwischen dem
letzten Verstoß, der mit 23 km/h unterhalb der Schwelle des § 4 Abs. 2 Satz2 BKatV
gelegen habe, und dem vorliegenden ein Zeitraum von etwa einem Jahr lag. Daraus wird
in dem angefochtenen Urteil ohne weitere Begründung der Schluss gezogen, dass sich
der Verstoß als nicht derart "grob und beharrlich" erweise, dass nur noch ein Fahrverbot
den Betroffenen zur Einsicht bringen könne.
Der Senat hebt daher die angefochtene Entscheidung auf. Eine eigene
Sachentscheidung ist ihm verwehrt, weil in der neuen Verhandlung gegebenenfalls
weitere Feststellungen zu den Tatumständen der Vortaten, die bei der Frage
mangelnder Rechtstreue zu berücksichtigen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 22. April
1998 – 3 Ws (B) 162/98 -; König a.a.O.), und zu der Frage, ob schon ein einmonatiges
Fahrverbot für den Betroffenen eine unverhältnismäßige Härte darstellt, getroffen
werden können.
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