Urteil des KG Berlin vom 14.03.2017

KG Berlin: gefahr im verzug, freiheitsentziehung, freiheit der person, faires verfahren, persönliche anhörung, dolmetscher, unverzüglich, sicherungshaft, abschiebungshaft, rechtswidrigkeit

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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 371/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 5 FrhEntzV, § 11 FrhEntzV, §
14 AsylVfG
Abschiebungshaft: Rechtsmäßigkeit einer vorläufigen
Freiheitsentziehung bei unterbliebener Anhörung in Beisein
eines Dolmetschers; Nachholung der Anhörung als
Heilungsmöglichkeit eines Verfahrensverstoßes; Zulässigkeit
der Anordnung einer Abschiebehaft nach Asylantragstellung
während der vorläufigen Freiheitsentziehung
Leitsatz
1. Kann der Ausländer im Abschiebungshaftverfahren nicht angehört werden, weil ein
Dolmetscher nicht zur Verfügung steht, setzt die Rechtmäßigkeit einer vorläufig
angeordneten Freiheitsentziehung nach § 11 FEVG die unverzügliche, d.h. so bald als
mögliche Nachholung der Anhörung voraus. Eine erst nach sechs Tagen nachgeholte
Anhörung im Beisein eines Dolmetschers ist nicht mehr unverzüglich in diesem Sinn.
2. Wird gegen das Gebot vorhergehender oder unverzüglich nachzuholender Anhörung
verstoßen, so drückt dieses Unterlassen auch der nach § 11 FEVG angeordneten
einstweiligen Freiheitsentziehung den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung auf, der durch
spätere Nachholung der Maßnahme nicht mehr zu tilgen ist.
3. Wird einem Ausländer die Freiheit auf Grund eines rechtswidrigen Beschlusses vorläufig
entzogen und stellt er aus der Haft heraus einen Asylantrag, steht dieser Antrag der
Anordnung von Abschiebungshaft entgegen; § 14 Abs. 4 S. 1 AsylVfG findet in diesem Fall
keine Anwendung.
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 9. Juli 2007 - 84 T 56/07 - wird abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die mit Beschlüssen des Amtsgerichts Schöneberg vom 13.
Oktober 2004 und vom 19. Oktober 2004 angeordnete Freiheitsentziehung des
Betroffenen rechtswidrig war.
Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen
werden zur Hälfte dem Land Berlin auferlegt.
Der Wert des Verfahrens beträgt 3.000,00 EUR.
Gründe
A.
Der Betroffene wurde am 13. Oktober 2004 gegen 12.00 Uhr in Berlin ausländerrechtlich
überprüft und, da er weder einen Pass noch ein Visum besaß, festgenommen. Die
Ausländerbehörde beantragte bei dem Amtsgericht Schöneberg mit dort um 14.29 Uhr
eingegangenem Fax vom selben Tag die Anordnung von Haft zur Sicherung der
Abschiebung und regte an, „einen Dolmetscher hinzuzuziehen“. Der Betroffene wurde
um 16.44 Uhr der Richterin vorgeführt. Diese ordnete die einstweilige
Freiheitsentziehung gemäß § 11 FEVG bis zum Ablauf des 19. November 2004 an und
beraumte einen Termin zur Anhörung des Betroffenen auf den 19. Oktober 2004 an. In
dem Protokoll der Sitzung wurde festgestellt, dass der Betroffene kein Deutsch spreche.
Ein Dolmetscher wurde nicht hinzugezogen.
Gegen diesen Beschluss wandte sich der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde
vom 15. Oktober 2004. Mit anwaltlichem Schreiben vom selben Tag stellte er bei dem
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge einen Asylantrag.
Am 19. Oktober 2004 wurde der Betroffene in Anwesenheit eines Dolmetschers durch
das Amtsgericht Schöneberg angehört. Dort gab er an, mit dem Flugzeug über
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das Amtsgericht Schöneberg angehört. Dort gab er an, mit dem Flugzeug über
Budapest, wo er sich ca. 30 Minuten im Flughafen aufgehalten habe, nach Deutschland
eingereist zu sein. Bei seiner Festnahme habe er erklärt, einen Asylantrag stellen zu
wollen. Ihm sei gesagt worden, dass er hierzu im Rahmen der Abschiebehaft Gelegenheit
bekäme. Das Amtsgericht ordnete am Schluss dieser Sitzung Sicherungshaft bis zum
18. Januar 2004 an.
Hiergegen wandte sich der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde vom 20.
Oktober 2004 mit der zugleich beantragte festzustellen, dass er durch den Antragsteller
rechtswidrig in Abschiebehaft genommen worden sei. Mit an das Landgericht
gerichtetem anwaltlichem Schreiben vom 21. Oktober 2004 änderte der Betroffene
seinen Antrag vom 15. Oktober 2004 dahin, dass er nunmehr die Feststellung begehrte,
dass er seit seiner Festnahme bis zur Anhörung durch den Haftrichter am 19. Oktober
2004 zu Unrecht in Abschiebehaft genommen worden sei.
Am 25. Oktober 2004 nahm die Ausländerbehörde den Haftantrag zurück und der
Betroffene wurde entlassen, weil der Asylantrag als beachtlich eingestuft worden war.
Der Betroffene erklärte darauf seine Beschwerde vom 21. Oktober 2004 in der
Hauptsache für erledigt, hielt aber an dem Feststellungsantrag fest.
Mit Beschluss vom 14. September 2006 wies das Landgericht den Feststellungsantrag
vom 21. Oktober 2004 zurück. Diesen Beschluss hat der 25. Zivilsenat des
Kammergerichts mit Beschluss vom 20. Dezember 2006 aufgehoben und zur weiteren
Behandlung an das Landgericht zurückgewiesen, weil das Landgericht nur Feststellungen
zur Rechtswidrigkeit der Haft auf Grundlage des Beschlusses vom 19. Oktober 2004
getroffen hatte, nach Ansicht des Senats die von dem Betroffenen beantragte
Feststellung aber auch den vorherigen Zeitraum seit seiner Festnahme umfasste. Es
könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei einer umfassenden
Prüfung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
Das Landgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 9. Juli 2007 die Feststellungsanträge
insgesamt zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde
Betroffenen vom 22. August 2007.
B.
I. Die mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung auf
Grundlage der Beschlüsse des Amtsgerichts vom 13. und 19. Oktober 2004 erhobene
sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht
erhoben worden, §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 und 4 FGG, 3 S. 2, 7 Abs. 1 und 2, 13 Abs. 2
FEVG, § 103 Abs. 2 S. 1 AuslG (= § 106 Abs. 2 S. 1 AufenthG). Das
Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen an der begehrten Feststellung ist durch seine
Entlassung nicht entfallen (BVerfG, NJW 2002, 2456; zuletzt: Beschluss vom 10.
Dezember 2007 - 2 BvR 1033/06 -, bei Melchior, Abschiebehaft, Internetkommentar,
Anhang; VerfGH Berlin, Beschluss vom 7. Dezember 2004, 55/04 und 55A/04, Juris, Rdn.
17; KG, 25. ZS, OLG-Report 2004, 35, 36).
II. Die sofortige weitere Beschwerde ist auch begründet. Sowohl die Haftanordnung vom
13. Oktober 2004 (hierzu unter 1.) als auch die nachfolgende Anordnung vom 19.
Oktober 2006 (hierzu unter 2.) waren rechtswidrig.
1. Das Amtsgerichts hat die Anordnung der Freiheitsentziehung vom 13. Oktober 2004
auf § 11 FEVG gestützt. Ist Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt, so kann das Gericht
danach eine einstweilige Freiheitsentziehung für die Dauer von höchstens sechs Wochen
anordnen, sofern dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die
Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen, und über die endgültige
Unterbringung nicht rechtzeitig entschieden werden kann, § 11 Abs. 1 FEVG. Dabei hat
das Gericht die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, mündlich anzuhören, §§ 11
Abs. 2 S. 1, 5 Abs. 1 S. 1 FEVG. Die Anhörung kann bei Gefahr im Verzug unterbleiben;
sie muss dann jedoch unverzüglich nachgeholt werden, § 11 Abs. 2 S. 2 FEVG.
Das Landgericht hat ausgeführt, die am 13. Oktober 2004 erfolgte Anhörung des
Betroffenen sei nicht unzulässig gewesen, weil das Amtsgericht nicht gehalten sein
könne, für jedwede Fremdsprache einen Dolmetscher vorzuhalten. Für weniger gängige
Sprachen sei es nicht zu beanstanden, wenn nicht sofort ein Dolmetscher verfügbar sei
und zunächst versucht werde, den Ausländer ohne einen solchen anzuhören. Außerdem
handele es sich bei der Anhörung zum Antrag auf einstweilige Freiheitsentziehung nur
um eine summarische Prüfung dahingehend, ob dringende Gründe für die Annahme
vorhanden seien, dass die Voraussetzungen für die Abschiebehaft vorliegen. Das sei am
13. Oktober 2004 zu bejahen gewesen. Der Betroffene habe sich in seiner Anhörung
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13. Oktober 2004 zu bejahen gewesen. Der Betroffene habe sich in seiner Anhörung
vom 19. Oktober 2004 mit Hilfe eines Dolmetschers äußern können. Wenn er vor der
Richterin am 13. Oktober 2004 einen Asylwunsch geäußert hätte, hätte dies zu keiner
anderen rechtlichen Beurteilung führen können, da er über einen sicheren Drittstaat
eingereist sei.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung gemäß §§ 103 Abs. 2 S. 1
AuslG, 3 S. 2 FEVG, 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO nicht stand.
Eine dem Gesetz entsprechende mündliche Anhörung des Betroffenen ist am 13.
Oktober 2004 nicht erfolgt. Die Anhörung hat den Zweck, dem zur Entscheidung
berufenen Richter einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen;
zugleich dient sie der Sachaufklärung, weil sich der Richter bei der Anordnung von
Freiheitsentziehungen nicht auf die Prüfung der Plausibilität der von der antragstellenden
Behörde vorgetragenen Gründe beschränken darf, sondern eigenverantwortlich die
Tatsachen festzustellen hat, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen (BVerfG, InfAuslR
1996, 198). Deshalb hat das Gericht einen Dolmetscher zuzuziehen, wenn unter
Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig
sind, §§ 8 FGG, 185 Abs. 1 S. 1 GVG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 - 2
BvR 129/04 -, FGPrax 2007, 39). Diese Regelungen dienen der Gewährleistung des
Rechts eines Betroffenen auf ein faires Verfahren, indem vermieden wird, dass ein
Betroffener, der der deutschen Sprache nicht oder nicht ausreichend mächtig ist, zu
einem unverstandenen Objekt des Verfahrens herabgewürdigt wird; ein Betroffener
muss in die Lage versetzt werden, die ihn betreffenden wesentlichen
Verfahrensvorgänge verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können
(BVerfG, NJW 2004, 50). Deshalb ist die Zuziehung eines Dolmetschers nur dann nicht
erforderlich, wenn der Richter die Sprache, in der sich die beteiligten Personen erklären,
spricht, § 9 S. 1 FGG. Hier wäre die Hinzuziehung eines Dolmetschers offenbar
erforderlich gewesen, denn wie sich dem Protokoll vom 13. Oktober 2004 entnehmen
lässt, sprach der Betroffene kein Deutsch und die Richterin nicht dessen Sprache.
Deshalb kündigte das Gericht auch die Hinzuziehung eines Dolmetschers für die auf den
19. Oktober 2004 terminierte Anhörung an, weil sich aus der Anhörung ergeben habe,
"dass der Betroffene nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügt, um
sich ohne Schwierigkeiten und etwaige Missverständnisse verständlich zu machen". Das
Gericht sah die Anhörung vom 13. Oktober 2004 lediglich als „erste Anhörung“ an, die
nicht Grundlage für eine abschließende Entscheidung über den Haftantrag sein könne.
Auch inhaltlich stellt das Protokoll vom 13. Oktober 2004 nicht die Wiedergabe einer
Anhörung nach § 5 FEVG dar Es heißt dort lediglich (Bl. 4 d. A.):
Ob das Amtsgericht vor diesem Hintergrund die Freiheitsentziehung gemäß § 11 FEVG
hätte anordnen dürfen - wofür es erforderlich gewesen wäre, Feststellungen dazu zu
treffen, ob im Zeitpunkt der Anordnung Gefahr im Verzug vorlag, vgl. § 11 Abs. 2 S. 2 HS
1 FEVG -, kann dahinstehen. Jedenfalls hätte die mündliche Anhörung des Betroffenen
unter Zuziehung eines Dolmetschers unverzüglich nachgeholt werden müssen, § 11
Abs. 2 S. 2 HS 2 FEVG. Das ist vorliegend nicht geschehen. Zu den insoweit
vergleichbaren Regelungen in §§ 70h Abs. 1 S. 2, 69f Abs. 1 S. 4 FGG ist es umstritten,
ob die Nachholung der Anhörung nur am auf den Erlass der einstweiligen Anordnung
folgenden Tag (Marschner, in: Jürgens, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 9; Dodegge, in:
Dodegge/Roth, Betreuungsrecht, 2. Aufl., Teil G, Rdn. 187; Rink, in: HK-BUR, § 69f FGG,
Loseblatt Stand Oktober 2006, Rdn. 39; Kayser, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl.,
§ 70h, Rdn.8) erfolgen kann, oder ob es auch ausreichend sein kann, bis zum nächsten
Werktag (BayObLG, FamRZ 2001, 578, 579; Knittel, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 12;
Sonnenfeld, a.a.O., § 70h FGG, Rdn. 23) und ggf. noch darüber hinaus damit zu warten.
Jedenfalls ist die Anhörung so bald als möglich nachzuholen (vgl. BVerfGE 66, 191, 197;
Senat, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 1 W 179 und 180/07). Dem ist das Amtsgericht
hier nicht nachgekommen, indem es einen weiteren Termin zur Anhörung erst sechs
Tage später auf den 19. Oktober 2004 anberaumte. Es ist nicht erkennbar, warum die
Anhörung nicht in den unmittelbar auf den Termin vom 13. Oktober 2004 - einem
Mittwoch - folgenden Tagen hätte nachgeholt werden können. An einer fehlenden
Verfügbarkeit eines hierzu erforderlichen Dolmetschers für die arabische Sprache hat
dies nicht gelegen, jedenfalls haben weder das Amts- noch das Landgericht
entsprechende Feststellungen getroffen und auch der Akte lässt sich hierzu nichts
entnehmen. Der Termin vom 19. Oktober 2004 diente ausweislich des Protokolls vom
13. Oktober 2004 auch nicht der Nachholung der Anhörung gemäß § 11 Abs. 2 FEVG,
sondern bereits der nach § 5 FEVG erforderlichen - erneuten - Anhörung zur
Entscheidung über die Hauptsache, nämlich über den Antrag der Ausländerbehörde auf
Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen gemäß dem
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Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen gemäß dem
damals maßgeblichen § 57 Abs. 2 AuslG.
Durch die Anhörung vom 19. Oktober 2004 konnte der Verfahrensmangel der
fehlerhaften und nicht rechtzeitig nachgeholten Anhörung vom 13. Oktober 2004 nicht
geheilt werden. Gemäß Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG darf in die Freiheit der Person, Art. 2 Abs.
2 S. 2 GG, nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und unter Beachtung der darin
vorgeschriebenen Formen eingegriffen werden. Dadurch wird die Pflicht, diese
Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhoben (BVerfG, NJW 1982, 691,
692, InfAuslR 1996, 198; NJW 1990, 2309, 2310; Beschluss vom 7. September 2006 - 2
BvR 129/04 - a.a.O.; Beschluss vom 10. Dezember 2007 - 2 BvR 1033/06, bei Melchior,
Abschiebungshaft, Anhang). Die persönliche Anhörung des Betroffenen gehört zu den
wesentlichen Verfahrensgarantien des Freiheitsentziehungsverfahrens. Wird gegen das
Gebot vorhergehender oder unverzüglich nachzuholender Anhörung verstoßen, so
drückt dieses Unterlassen auch der nach § 11 FEVG angeordneten einstweiligen
Unterbringung den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung
der Maßnahme nicht mehr zu tilgen ist (vgl. BVerfG, a.a.O., ebenso KG, 25. ZS, Beschl.
v. 27. August 2004 - 25 W 50/03 -).
2. Die mit Beschluss des Amtsgerichts vom 19. Oktober 2004 angeordnete
Abschiebungshaft war rechtswidrig, weil die Voraussetzungen des 57 Abs. 2 AuslG
entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht vorlagen. Sicherungshaft kann nur
angeordnet werden, wenn der Betroffene ausreisepflichtig ist (vgl. Renner,
Ausländerrecht, 7. Aufl., § 57 AuslG, Rdn. 14; ders. 8. Aufl., § 62 AufenthG, Rdn. 14). Das
war der Betroffene am 19. Oktober 2004 jedoch nicht wegen seines am 15. Oktober
2004 bei dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gestellten
schriftlichen Antrags auf Gewährung von Asyl. Dadurch war ihm der Aufenthalt im
Bundesgebiet gestattet, ohne dass es hier darauf ankäme, ob die Einreise wegen des
Zwischenstopps auf dem Flughafen in Budapest aus einem sicheren Drittstaat erfolgt
(vgl. hierzu VGH Kassel, Beschluss vom 6. Oktober 2000 – 10 UZ 4042/98.A; VG
Münster, Beschluss vom 13. Oktober 2003 - 7 K 1364/98.A; VG Frankfurt/Main, Beschluss
vom 25. Juni 1996 - 5 G 50357/96.A; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Loseblatt Stand
Oktober 2007, § 26a, Rdn. 57ff; Marx. AsylVfG, 6. Aufl., § 26a, Rdn. 161f.) war, § 55 Abs. 1
S. 1 und 3 AsylVfG. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass sich der Betroffene im
Zeitpunkt der Antragstellung in Haft befand. Allerdings hätte die Asylantragstellung der
Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen gestanden, wenn sich der Betroffene
bereits in Sicherungshaft nach dem damals geltenden § 57 Abs. 2 AuslG befunden
hätte, § 14 Abs. 4 S. 1 AsylVfG a.F.. Das ist jedoch nicht der Fall. Dem Betroffenen war
im Zeitpunkt der Asylantragstellung die Freiheit lediglich vorläufig gemäß § 11 FEVG
entzogen, womit die Entscheidung über den Haftantrag in der Hauptsache gesichert
werden sollte. Ob es sich bei der vorläufigen Freiheitsentziehung auch um Haft im Sinn
von § 14 Abs. 4 S. 1 AsylVfg handelt, kann vorliegend dahinstehen. Jedenfalls ist diese
Vorschrift dann nicht einschlägig, wenn die vorläufige Freiheitsentziehung, wie hier, im
Zeitpunkt der Asylantragstellung rechtswidrig war. Der Betroffene ist dann so zu
behandeln, als hätte er den Asylantrag nicht aus der - rechtswidrigen - Haft heraus
gestellt. Gegen ihn durfte am 19. Oktober 2004 daher keine Sicherungshaft angeordnet
werden.
Der Senat stellt sich damit auch nicht in Gegensatz zur Rechtsauffassung des 25.
Zivilsenats des Kammergerichts, wie sie dem Beschluss vom 29. Oktober 2004 - 25 W
86/04 - zugrunde liegt. Im dort entschiedenen Fall hatte das Amtsgericht nach einer
ersten Anhörung, bei der kein Dolmetscher anwesend war, einen Haftbeschluss „gemäß
§ 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG“ erlassen. Der 25. Zivilsenat hat eine Rechtswidrigkeit der
Haft nicht festgestellt, so dass das bei einer weiteren Anhörung geäußerte Asylbegehren
der Anordnung der Haft nicht entgegenstand. Dabei war nach der Niederschrift der
ersten Anhörung „davon auszugehen, dass mit der Betroffenen jedenfalls eine
eingeschränkte Verständigung möglich war“. So liegt der Fall hier nicht.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 16 Abs. 1 S. 1 FEVG. Danach hat das Gericht die
zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen der
Gebietskörperschaft, der die Verwaltungsbehörde angehört, aufzuerlegen, wenn der
Antrag der Behörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt wird und das Verfahren ergeben
hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag. Hier war dem
Land Berlin die Hälfte der notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen drei Instanzen
aufzuerlegen, weil am 19. Oktober 2004 ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags
wegen des Asylantrags des Betroffenen und der daraus folgenden
Aufenthaltsgestattung nicht vorlag. Dies konnte für die Antragstellung vom 13. Oktober
2004 jedoch nicht gelten. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Behörde Anlass zur Stellung
des Haftantrags. Selbst wenn der Betroffene gegenüber der Polizei tatsächlich geäußert
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des Haftantrags. Selbst wenn der Betroffene gegenüber der Polizei tatsächlich geäußert
haben sollte, Asyl beantragen zu wollen, hätte dies dem Haftantrag nicht entgegen
gestanden, weil die mündliche Äußerung allein nicht zu einer Aufenthaltsgestattung
hätte führen können. Die Behörde konnte sich insoweit auf die Rechtsprechung der
Verwaltungsgerichte berufen, nach der der Aufenthalt auf dem Flughafen in Budapest
dazu geführt hatte, dass der Betroffene aus einem sicheren Drittstaat eingereist war
(vgl. VGH Kassel, VG Münster und Frankfurt/Main, jeweils a.a.O.). Dem Betroffenen war
danach der Aufenthalt im Bundesgebiet erst nach Stellung eines förmlichen Antrags
nach § 14 AsylVfG gestattet, § 55 Abs. 1 S. 3 AsylVfG, und weder waren die Polizei, noch
die Ausländerbehörde oder die Haftrichterin verpflichtet, einen mündlichen Antrag des
Betroffenen an das Bundesamt weiterzuleiten (BGH, FGPrax 2003, 142, 143; Beschluss
vom 20. März 2003 – V ZB 6/03 –; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 2. März 2006 – 20
W 441/05).
Die Festsetzung des Verfahrenswerts folgt aus §§ 103 Abs. 2 S. 1 AuslG, 14 Abs. 1 S. 1
FEVG, 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 S. 1 und Abs. 2 S. 1 KostO, 23 As. 1 RVG.
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