Urteil des KG Berlin vom 26.07.2006
KG Berlin: adoption, anschlussberufung, leistungsfähigkeit, einkünfte, eltern, anfang, verbrauch, auszug, unterlassen, unterhaltspflicht
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Gericht:
KG Berlin Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
17 UF 117/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 1770 Abs 3 BGB
Kindesunterhalt: Inanspruchnahme eines leiblichen Elternteils
nach einer Volljährigenadoption
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 26. Juli 2006 verkündete Urteil des
Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg - 164 F 7244/05 - geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die 21jährige Klägerin begehrt von dem Beklagten, ihrem von ihrer Mutter getrennt
lebenden Vater, rückständigen und laufenden Ausbildungsunterhalt für die Zeit ab
Beginn ihres Studiums am 1.6.2004.
Das Amtsgericht hat eine Unterhaltsverpflichtung des Beklagten erst für die Zeit ab dem
1.10.2004 angenommen. Es hat der Klägerin für die Zeit ab 01.12.2005 einen laufenden
monatlichen Unterhalt in Höhe von 397,73 € zugesprochen und für die Zeit vom
01.10.2004 bis 30.11.2005 - unter Berücksichtigung von Zahlungen, die der Beklagte
aufgrund des im einstweiligen Anordnungsverfahren am 21.10.2005 erlassenen
Beschlusses (SH I Bl. 71ff) geleistet hat - noch einen Unterhaltsrückstand von insgesamt
3.458,19 € zuerkannt. Wegen der Einzelheiten des Tatbestandes und der
Entscheidungsgründe wird auf das Urteil (Bl. II 43 - 52) verwiesen.
Der Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, mit der er zunächst sein
erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft: Danach bestreitet er im Hinblick
darauf, dass die Klägerin ab Januar 2005 Vorschussleistungen nach dem BAFöG erhält,
deren Aktivlegitimation und Bedürftigkeit. Darüber hinaus wirft er ihr
verwirkungsbegründendes Verhalten vor und stellt seine eigene Leistungsfähigkeit in
Abrede. Schließlich rügt er fehlenden Verzug für den Unterhaltszeitraum vor dem
1.4.2005.
In der Berufung beruft der Beklagte sich ergänzend auf die vorrangige Einstandspflicht
der Großmutter der Klägerin (mütterlicherseits), die - wie er erst jetzt erfahren hat - die
Klägerin und ihren Bruder P. bereits durch Adoptionsvertrag vom 30.7.2004 jeweils als
Kind angenommen hat. Wegen des Vorbringens des Beklagten im einzelnen verweist der
Senat auf die Ausführungen in der Berufungsbegründungsschrift vom 28.9.2006 (Bl. II
155ff) und im Schriftsatz vom 23.10.2006 (Bl. II 186ff).
Die Klägerin verteidigt - ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres
erstinstanzlichen Vorbringens - das amtsgerichtliche Urteil hinsichtlich der ihr
zugesprochenen Unterhaltsleistungen. Darüber hinaus begehrt sie - im Hinblick darauf,
dass ihrer Auffassung nach der Beklagte angesichts vollständiger Leistungsunfähigkeit
ihrer Mutter für ihren Unterhalt aufzukommen hat - im Wege der
Anschlussberufung höhere monatliche Unterhaltszahlungen, und zwar rückwirkend
weiterhin auch schon für die Zeit ab 1. Juni 2004. Sie hält die Adoption durch ihre
Großmutter für unterhaltsrechtlich unerheblich und macht zudem geltend, dass deren
Inanspruchnahme ebenfalls an fehlender Leistungsfähigkeit scheitere. Wegen des
Vorbringens der Klägerin im einzelnen nimmt der Senat auf die Ausführungen im
Schriftsatz vom 20.9.2006 (Bl. II 132ff) und in der Anschlussberufung vom 13.11.2006
(Bl. II 212ff) Bezug.
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II.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt
und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).
Auch das - unselbständige - Rechtsmittel der Klägerin begegnet keinen formellen
Bedenken (§ 524 ZPO).
Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt in Abänderung des erstinstanzlichen
Urteils zur vollständigen Abweisung der Klage - mit der Folge, dass auch die
unselbständige Anschlussberufung ihre Wirkung verliert.
Im einzelnen gilt hierzu folgendes:
- Soweit die Klägerin den Beklagten auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt für die Zeit
vom 1.6.2004 bis 30.10.2004 in Anspruch nimmt, kommt ein dahingehender Anspruch
schon unter Billigkeitsgesichtspunkten nicht in Betracht (§ 1611 Abs. 1 BGB). Der
Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin für die Zeit des Medizinstudiums
Ausbildungsunterhalt zu zahlen. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden
Ausführungen des Amtsgerichts auf Seite 6 des Urteils Bezug.
- Soweit die Klägerin im übrigen Unterhalt für die Zeit vor dem 1.4.2005 geltend macht -
scheitert das Klagebegehren schon daran, dass sie die Voraussetzungen des § 1613
Abs. 1 BGB nicht nachvollziehbar dargetan hat. Denn dass, wann und wie sie den
Beklagten vor der Abfassung ihres (verzugsbegründenden) Schreibens vom 14.4.2005
zur Auskunftserteilung und/oder Unterhaltszahlung aufgefordert hat, ist - trotz
Bestreitens des Beklagten - von ihr weder erstinstanzlich dargetan worden, noch hat sie
entsprechenden Vortrag in der Berufungsinstanz nachgeholt.
- Für die Zeit ab 1.4.2005 liegen zwar die Anspruchsvoraussetzungen, die eine anteilige
Inanspruchnahme des Beklagten dem Grunde nach rechtfertigen (würden), wohl vor (§§
1601, 1610 BGB i.V.m. § 1606 Abs. 3 BGB), obwohl angesichts der sich aus der
Bescheinigung der Universität vom 16. Oktober 2006 ergebenden
Ausbildungsverzögerung Zweifel an der gebotenen Zielstrebigkeit der Ausbildung
bestehen. Denn bereits jetzt dürfte feststehen, das die Klägerin ihr Studium nicht
innerhalb der Regelstudienzeit beenden kann. Soweit das Amtsgericht den ungedeckten
Bedarf der Klägerin unter Berücksichtigung des ihr zustehenden Kindergeldes und der
von ihr bezogenen BAFöG-Leistungen für die Zeit bis einschließlich Juni 2005 auf
monatlich 457,16 € und für die Zeit ab Juli 2005 auf monatlich 497,16 € errechnet und
auch die Haftungsanteile der Eltern für den erstgenannten Zeitraum im Verhältnis von
85% (Beklagter) zu 15% (Mutter der Klägerin) und für den nachfolgenden Zeitraum im
Verhältnis von 88% zu 12% bzw. von 80% zu 20% ermittelt hat, ist dies nach Auffassung
des Senats jeweils nicht zu beanstanden. Auch die in diesem Zusammenhang zum
Ansatz fiktiver Erwerbseinkünfte des Beklagten und zur Zurechnung der Stiftungsgelder
auf Seiten der Mutter gemachten Ausführungen des Amtsgerichts sieht der Senat im
Ergebnis als zutreffend an. Letztlich kommt es darauf aber nicht (mehr) entscheidend
an.
Denn seit der Adoption durch ihre Großmutter ist die Klägerin auf deren vorrangige
Inanspruchnahme zu verweisen, weil der Annehmende dem angenommenen Kind
grundsätzlich vor dessen leiblichen Eltern zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet ist (§
1770 Abs. 3 BGB). Dass ihre Großmutter nicht - auch nicht wenigstens teilweise -
leistungsfähig ist, hat die Klägerin indes - trotz nachhaltigen Bestreitens des Beklagten -
nicht in dem erforderlichen Umfang dargelegt und unter Beweis gestellt. Aus den von ihr
zur Akte gereichten Einkommensnachweisen ergibt sich das jedenfalls nicht. Insoweit
verweist der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 23.10.2006 vielmehr zutreffend darauf,
dass sich - unter Zugrundelegung der Angaben im Steuerbescheid 2004 - die
monatlichen Einkünfte der Großmutter auf mindestens 2.300 € belaufen. Da zudem im
Adoptionsvertrag vom 30.7.2004 festgehalten ist, dass „die Großmutter (=
Annehmende) auch finanziell für den Unterhalt der Klägerin und ihres Bruders P. sorgt“,
ist wenigstens von der teilweisen Leistungsfähigkeit der Großmutter auszugehen. Dieser
Einschätzung stehen auch die mit der Anschlussberufung vorgelegten Rentenbescheide
schon deswegen nicht entgegen, weil die Großmutter - eben nach den Angaben im
Steuerbescheid 2004 - neben den beiden Renten noch über weitergehende Einkünfte,
nämlich solche aus unselbständiger Tätigkeit, verfügt. Dass und inwieweit die
Großmutter angesichts sonstiger - vorrangiger - Unterhaltszahlungen an bzw. für ihre
leibliche körperlich und/oder geistig behinderte Tochter in ihrer Leistungsfähigkeit
gegenüber der Klägerin beeinträchtigt wird, ist mangels ausreichend substantiierten
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gegenüber der Klägerin beeinträchtigt wird, ist mangels ausreichend substantiierten
Vortrags hierzu ebenfalls nicht ersichtlich.
Der Klägerin war zur Ergänzung ihres diesbezüglichen bisherigen Vorbringens auch keine
weitere Erklärungsfrist zu bewilligen. Die Klägerin verkennt, dass - angesichts der
Adoptionswirkung - die Darlegung der Leistungsunfähigkeit des (vorrangig haftenden)
Annehmenden grundsätzlich bereits gegenüber dem
nachrangig in Anspruch genommenen Unterhaltsverpflichteten ist, ungeachtet dessen
sich der Beklagte aber auch schon im Schriftsatz vom 21.8.2006 - seinerzeit noch vor
dem Hintergrund der von ihm lediglich Adoption - und sodann - nach
Vorlage des Adoptionsvertrages durch die Klägerin - erneut in seiner
Berufungsbegründung vom 28.9.2006 ausdrücklich auf den Wegfall seiner
Unterhaltspflicht bzw. die vorrangige Einstandspflicht der Großmutter berufen hat, mithin
sie sich hierzu längst ausreichend hätte erklären können und müssen (§§ 521, 277 ZPO
bzw. §§ 525, 282 Abs. 2, 296 Abs. 2 ZPO).
Ungeachtet der vorrangigen Einstandspflicht der Großmutter wäre der nachrangige
Unterhaltsanspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten aber jedenfalls verwirkt, weil
sich seine Inanspruchnahme hier vor dem Hintergrund des von der Klägerin vor und
während des vorliegenden Verfahrens gezeigten Verhaltens auch nach Auffassung des
Senats als unbillig darstellt (§ 1611 Abs. 1 BGB).
Die Klägerin hat es mehrfach und nachhaltig an der gebotenen Rücksichtnahme
gegenüber dem Beklagten fehlen lassen, insbesondere in gröblicher Weise gegen ihre
Wahrheits- bzw. Offenbarungspflichten verstoßen und sich mutwillig über die
Vermögensinteressen des Beklagten hinweggesetzt. Auch wenn der Umstand, dass die
Klägerin sich im Sommer 2004 von ihrer Großmutter adoptieren ließ, ohne den
Beklagten als ihren leiblich Vater hierüber zu unterrichten, für sich gesehen weder von
strafrechtlicher Relevanz noch - aus Sicht der Klägerin - von unterhaltsrechtlicher
Bedeutung war, hätte die Klägerin diese Tatsache im Hinblick auf mögliche
unterhaltsrechtliche Auswirkungen spätestens bei der Einleitung des vorliegenden
Verfahrens offenbaren müssen. Nicht nur, dass sie dies unterlassen und das vorliegende
Verfahren damit auch unter einem unrichtigen Namen betrieben hat, auch die vom
Beklagten im Schriftsatz vom 16.06.2006 dahingehend geäußerte Mutmaßung hat sie
nicht veranlasst, das Versäumte nachzuholen und den Beklagten - endlich - über die
Adoption zu informieren. Im Gegenteil hat sie - durch Eintragung eines entsprechenden
Sichtvermerks - veranlasst, dass seine eigenen Nachforschungsbemühungen noch
erschwert werden, und die Adoption durch die Großmutter überhaupt erst eingeräumt,
nachdem der Beklagte sie mit dem entsprechenden Auszug aus dem Familienbuch
konfrontiert hat. Es kommt hinzu, dass die Klägerin - nachdem sie auf der Grundlage
ihres nur unvollständigen Sachvortrags im einstweiligen Anordnungsverfahren einen
Unterhaltstitel gegen den Beklagten erwirkt hatte - die von ihm ab Dezember 2005
geleisteten Unterhaltszahlungen in Höhe von monatlich 343,76 € zunächst negiert
(insbesondere auch gegenüber dem Amtsgericht verschwiegen) hat, darüber hinaus
aber auch - ungeachtet des bereits erfolgten Zahlungsausgleichs durch den Beklagten -
wegen angeblichen Zahlungsrückstandes gegen ihn Anfang 2006
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet und die Eintragung zweier
Sicherungshypotheken bewirkt hat. Soweit die Klägerin ihre Vorgehensweise teilweise,
nämlich soweit es die Nichtangabe der Zahlungen gegenüber dem Amtsgericht betrifft,
mit dem Hinweis erklärt hat, es habe sich bei den tatsächlich vom Beklagten
stammenden Beträgen aus ihrer Sicht um vermeintliche Unterstützungsleistungen ihrer
Mutter gehandelt, ist diese Einlassung dem Senat schon im Hinblick darauf, dass sich
die Klägerin bereits erstinstanzlich ausdrücklich auf fehlende bzw. geringe Eigeneinkünfte
und den vollständigen anderweitigen Verbrauch der erhaltenen Stiftungsgelder und
daraus resultierende völlige Leistungsunfähigkeit ihrer Mutter berufen hat, nicht
nachvollziehbar; erst recht stellt sich der angebliche Irrtum aber als bloße
Schutzbehauptung dar, wenn die Klägerin sich in der Anschlussberufung zur Begründung
ihrer weitergehenden Unterhaltsansprüche gegenüber dem Beklagten auf die
anhaltende vollständige Leistungsunfähigkeit ihrer Mutter beruft, wonach aber gerade
solche - zumal regelmäßig wiederkehrende - Zuwendungen von deren Seite gänzlich
auszuschließen sind. Demgegenüber hatte der Beklagte nach Erlass des Beschlusses im
Anordnungsverfahren nicht nur zeitnah den danach bereits aufgelaufenen
Unterhaltsrückstand beglichen, sondern auf entsprechende Aufforderung hin auch die
laufenden monatlichen Unterhaltszahlungen in der titulierten Höhe aufgenommen. Von
daher wäre jedenfalls vor der Einleitung vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen im
Rahmen der gebotenen Rücksichtnahme die Überprüfung angeblicher Rückstände
angezeigt und auch zumutbar gewesen. Hierzu fehlt indes jede Einlassung der Klägerin.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713
ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO), weil die Rechtssache weder
grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO), noch die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Bundesgerichtshofs erfordern (§ 543 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO).
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