Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017
KG Berlin: beschlagnahme, pressefreiheit, die post, polizei, wahrscheinlichkeit, staatsanwalt, postsendung, informant, anschlag, ermittlungsverfahren
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Gericht:
KG Berlin 1.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
(1) 2 StE 2/08 - 2
(21/08)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 99 StPO, Art 5 Abs 1 S 2 GG
Leitsatz
1. Zur Postbeschlagnahme (§ 99 StPO) - hier: Beschlagnahme von an Presseunternehmen
gerichteten Tatbekennungsschreiben einer kriminellen Vereinigung
2. Postsendungen, die der Beschlagnahme unterliegen, dürfen grundsätzlich nur von den
Postunternehmen anhand der im anordnenden Beschluss festgelegten Kriterien aus der
Gesamtmenge der zu befördernden Post aussortiert werden. Die Mitwirkung der
Strafverfolgungsbehörden auf dieser Stufe ist jedenfalls dann rechtswidrig, wenn es zum
Aussortieren keines besonderen kriminalistischen Sachverstands bedarf und die Sendungen
nach rein postalischen Gesichtspunkten von den Postunternehmen ausgesondert werden
können.
Tenor
1. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der richterlichen Anordnung der
Postbeschlagnahme durch Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs
vom 18. Mai 2007 – 1 BGs 225/2007 – wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass die Art und Weise des Vollzugs der Postbeschlagnahme
insoweit gegen §§ 99, 100 StPO verstieß, als Ermittlungsbeamte des
Bundeskriminalamtes und nicht Postbedienstete die an die Antragsteller gerichteten
Postsendungen sichteten, um die Briefe auszusondern, die den im
Postbeschlagnahmebeschluss aufgeführten Suchmerkmalen entsprachen.
3. Von den Kosten des Verfahrens und den notwendigen Auslagen der Antragsteller
tragen die Antragsteller zwei Drittel und die Staatskasse ein Drittel.
Gründe
I.
Der Generalbundesanwalt führte gegen die Beschuldigten Dr. B., D., Dr. H., M., L., R. und
H. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an
der - zunächst als terroristische, später als kriminelle Vereinigung eingestuften –
linksextremistischen Organisation „militante gruppe (mg)“. Der Vereinigung wurde und
wird eine Vielzahl von Brandanschlägen gegen überwiegend öffentliche Einrichtungen
zugerechnet.
In der Nacht zum 18. Mai 2007 verübten unbekannte Täter gegen zwei Einsatzfahrzeuge
der Berliner Polizei in Berlin-Spandau einen Brandanschlag, der in der Art und Weise der
Tatausführung sowie hinsichtlich des Angriffsziels für eine Urheberschaft der militanten
gruppe (mg) sprach. Da die militante gruppe (mg) bei früheren Anschlägen
Bekennerschreiben an verschiedene Tagesszeitungen, vor allem an die B. Zeitung, die
B. M., die B. und den T. verschickt hatte, erwarteten die Ermittlungsbehörden auch zu
dem neuerlichen Anschlag derartige Tatbekennungen. Auf den Antrag des
Generalbundesanwalts erließ der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 18. Mai
2007 einen Postbeschlagnahmebeschluss nach §§ 99, 100 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2
StPO, mit dem er für die Zeit vom 18. bis 22. Mai 2007 die Beschlagnahme durch
bestimmte äußere Merkmale gekennzeichneter Briefe an die Berliner Verlagshäuser der
genannten vier Tageszeitungen im Briefzentrum 10 in Berlin-Mitte anordnete. Dadurch
sollten etwaige Bekennerschreiben zu dem aktuellen Anschlag vor deren Auslieferung
durch die Deutsche Post AG sichergestellt und einer daktyloskopischen sowie
serologischen Untersuchung unterzogen werden, bevor das Spurenbild der Täter durch
andere bei der Brieföffnung in den Verlagen entstehende Spuren überlagert werden
konnte. Außerdem sollten die Ermittlungsbehörden zu einem möglichst frühen Zeitpunkt
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konnte. Außerdem sollten die Ermittlungsbehörden zu einem möglichst frühen Zeitpunkt
vom Inhalt der Bekennerschreiben Kenntnis erhalten und in die Lage versetzt werden zu
ermitteln, in welchem Bezirk die Schreiben aufgegeben wurden.
Der Tenor des ermittlungsrichterlichen Beschlusses vom 18. Mai 2007 – 1 BGs 225/2007
– hat folgenden Wortlaut:
„Gemäß §§ 99, 100 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2, 169 Abs. 1 Satz 1 StPO wird
1. für die Zeit vom 18. Mai bis 22. Mai 2007 die Beschlagnahme der an die
a) B. Zeitung, …,
b) B. M., …,
c) B., …,
d) T., …,
gerichteten Briefe bei der Deutschen Post AG, Briefzentrum 10, Berlin-Mitte
angeordnet, deren äußeres Erscheinungsbild aufgrund der bisherigen Erkenntnisse über
Postsendungen der 'militante(n) gruppe (mg)' darauf schließen lässt, dass es sich bei
den Inhalten der Briefe um Selbstbezichtigungsschreiben der 'militante(n) gruppe (mg)'
zu deren Anschlag auf zwei Gruppenkraftwagen der Berliner Polizei in Berlin-Spandau in
der Nacht zum 18. Mai 2007 handelt,
2. die Öffnung und Durchsicht der ausgelieferten Briefe bei der Deutschen Post AG
dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe übertragen.“
In den Gründen des Beschlusses wird u.a. ausgeführt:
„Die terroristische Vereinigung 'militante gruppe (mg)' versandte beim größten Teil ihrer
bisherigen Anschläge in den beiden darauf folgenden Tagen
Selbstbezichtigungsschreiben an die im Tenor aufgeführten Zeitungsredaktionen. Durch
Auswertung der jeweiligen Briefumschläge wurde festgestellt, dass von der Gruppierung
immer weiße Umschläge im Format C6 sowie selbstklebende Briefmarken verwendet
wurden. In den meisten Fällen der Bekennerschreiben wurde auf den Briefumschlägen
kein Absender angegeben. Die Adressanschriften wurden mittels selbstgedrucktem,
ausgeschnittenem Adressaufkleber angebracht. In den letzten beiden Jahren wurden die
Bekennerschreiben hauptsächlich im Briefzentrum 10 in Berlin abgestempelt.“ Die zu
erwartenden Bekennerbriefe könnten anhand der genannten Kriterien identifiziert und so
noch vor der Auslieferung spurenschonend sichergestellt werden, was eine
erfolgversprechende kriminaltechnische Untersuchung gewährleiste. Außerdem
ermögliche die Postbeschlagnahme auch die Feststellung, in welchem Bezirk die
Schreiben aufgegeben worden seien, was wiederum neue Ansatzmöglichkeiten zur
Täterermittlung sowie zur Tataufklärung biete. Die Anordnung sei angesichts der
Schwere der bislang begangenen Taten und des Verdachtsgrades verhältnismäßig,
zumal die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich
erschwert wäre.
Der Beschluss wurde nach dem Vermerk des Bundeskriminalamtes (BKA) vom 22. Mai
2007 (SAO 17 Bl. 28-30) und dessen Schreiben vom 20. Dezember 2007 (SAO 17 Bl.
60.57–60.58) am 19. Mai 2007 sowie am 21. Mai 2007 in dem Briefzentrum 10 der
Deutschen Post AG vollzogen. Am 19. Mai 2007 wurde dem Schichtleiter des
Briefzentrums von den Ermittlungsbeamten des BKA eine Kopie des
ermittlungsrichterlichen Beschlusses „ohne Gründe“ – mithin ausweislich einer bei den
Akten befindlichen „Ausfertigung ohne Gründe“ (SAO 17 Bl. 20-21) nur das Rubrum und
der Tenor des Beschlusses ohne die in den Gründen genannten Merkmale zur
Eingrenzung des Suchprogramms – ausgehändigt. Sämtliche an die Haus- und
Postfachanschriften der genannten vier Zeitungen gerichteten Briefe wurden vom
Sicherungsbeauftragten der Post maschinell vorsortiert und in 20 bis 30 Kisten den im
Briefzentrum eingesetzten vier Beamten des BKA vorgelegt. Insgesamt handelte es sich
um 6.000 bis 9.000 Briefe. Die BKA-Beamten sichteten diese äußerlich nach den im
ermittlungsrichterlichen Beschluss genannten 5 Kriterien (die genannten Zeitungen als
Adressaten; weiße Umschläge im C6-Format; selbstklebende Briefmarken; keine
Absenderangabe; selbstgedruckte, ausgeschnittene Adressaufkleber). Die Sichtung
dauerte an beiden Tagen jeweils von 2.30 bis 6.00 Uhr.
Am 19. Mai 2007 wurden von den BKA-Beamten zwei an die B. M. und an die B.
adressierte Briefe festgestellt, die alle fünf Suchkriterien erfüllten. Sie wurden von den
Beamten „ans Licht gehalten“. Dabei konnten sie jeweils bereits durch den
Briefumschlag einen fünfzackigen schwarzen Stern erkennen, welcher typisch für die
Selbstbezichtigungsschreiben der militanten gruppe (mg) ist. Alle übrigen am 19. und
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Selbstbezichtigungsschreiben der militanten gruppe (mg) ist. Alle übrigen am 19. und
21. Mai 2007 gesichteten Postsendungen wurden ohne Zählung, sonstige Erfassung
oder ein Halten gegen eine Lichtquelle sofort in den weiteren Postgang gegeben. Die
beiden angehaltenen Briefe wurden am 21. Mai 2007 in Anwesenheit eines
Staatsanwalts des Generalbundesanwalts in einem Fachlabor des Landeskriminalamts
Berlin durch Personal der Polizei geöffnet und, nachdem sich herausgestellt hatte, dass
es sich tatsächlich um Selbstbezichtigungsschreiben der militanten gruppe (mg)
handelte, zum Zwecke der kriminaltechnischen Untersuchung beschlagnahmt. Von den
Originalschreiben, bei denen es sich bereits um Fotokopien handelte, wurden
Ablichtungen gefertigt, welche noch am selben Tag an die Adressaten abgesandt
wurden, für die die Öffnung der Schreiben nicht erkennbar war. Die vorläufige
Beschlagnahme der beiden Selbstbezichtigungsschreiben wurde durch Beschluss des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 31. Mai 2007 – 1 BGs 245/2007 -
gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO bestätigt.
Die Benachrichtigung der betroffenen vier Zeitungsverlagsunternehmen von der
Anordnung und dem Vollzug der Maßnahme gemäß § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Satz 2
StPO wurde aus ermittlungstaktischen Gründen zurückgestellt. Sie erlangten hiervon im
November 2007 von dritter Seite Kenntnis.
Die Betroffenen haben mit Schriftsatz vom 28. Januar 2008 beim Bundesgerichtshof
Beschwerde gegen die Postbeschlagnahmeanordnung vom 18. Mai 2007 sowie
hilfsweise gegen die Art und Weise des Vollzugs der Maßnahme eingelegt. Den
Beschluss vom 31. Mai 2007, mit dem die vorläufige Beschlagnahme der beiden
sichergestellten Bekennerschreiben bestätigt worden war, haben sie nicht angefochten.
Die Betroffenen sind der Auffassung, dass der Beschluss vom 18. Mai 2007 rechtswidrig
sei und sie in ihren Rechten verletze. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die
Anordnung der Postbeschlagnahme unverhältnismäßig in ihre vom Grundgesetz
geschützte Pressefreiheit eingreife. Die Pressefreiheit schütze auch das
Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informant. Daher wirkten Anordnungen zur
Postbeschlagnahme, die die betreffenden Postsendungen nur nach solchen äußeren
Merkmalen beschrieben, die auf eine Vielzahl von Briefen zuträfen, auf Informanten und
andere Einsender einschüchternd. Dies schränke die Arbeitsbedingungen der freien
Presse unverhältnismäßig ein.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat das Rechtsmittel gemäß § 300 StPO
in einen Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
Anordnung der Postbeschlagnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzuges
umgedeutet. Er hat mit Beschluss vom 5. Mai 2008 – 1 BGs 79/2008 - den Antrag als
unbegründet zurückgewiesen, soweit er sich gegen die richterliche Anordnung der
Maßnahme richtet. Auf den hilfsweise gestellten Antrag hat er festgestellt, dass die Art
und Weise des Vollzugs der Postbeschlagnahme insoweit gegen §§ 99, 100 Abs. 3 StPO
verstoßen habe, als Ermittlungsbeamte der Polizei und nicht Postbedienstete die an die
Betroffenen gerichteten Sendungen sichteten, um die Briefe auszusondern, die den
Suchmerkmalen entsprachen; im Übrigen seien die Art und Weise des Vollzugs der
Postbeschlagnahme nicht zu beanstanden.
Die Betroffenen haben gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Der
Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 8. Oktober 2008 (BGHSt 53,1) die Sache an
den 1. Senat des Kammergerichts abgegeben, da der Generalbundesanwalt dorthin
unter dem 21. Juni 2008 Anklage gegen die Beschuldigten L., R. und H. erhoben hatte,
mit der er ihnen unter anderem Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg) zur Last
gelegt hat. Der Senat hat die Angeklagten am 16. Oktober 2009 wegen Mitgliedschaft in
einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung und versuchter
Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel zu Freiheitsstrafen verurteilt. Das Urteil ist von den
Angeklagten mit der Revision angefochten worden und nicht rechtskräftig. Der Senat hat
in dem Urteil festgestellt, dass der Brandanschlag in der Nacht zum 18. Mai 2007 auf die
Einsatzfahrzeuge der Berliner Polizei von (unbekannt gebliebenen) Mitgliedern der
militanten gruppe (mg) verübt wurde.
Der Antrag der betroffenen Zeitungsverlage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des die
Postbeschlagnahme anordnenden Beschlusses hat keinen Erfolg. Der hilfsweise gestellte
Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Art und Weise des Vollzugs ist
begründet.
II.
Die Anträge sind zulässig. Die Antragsteller sind als Adressaten der der
Postbeschlagnahme gemäß § 99 StPO unterliegenden Postsendungen antragsberechtigt
(§ 101 Abs. 7 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO). Die Anträge sind auch fristgerecht
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(§ 101 Abs. 7 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO). Die Anträge sind auch fristgerecht
gestellt worden, da die Antragsteller zuvor nicht gemäß § 101 Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO
benachrichtigt worden waren und somit die Frist nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO nicht in
Gang gesetzt wurde.
III.
Die Anordnung der Postbeschlagnahme mit Beschluss vom 18. Mai 2007 war
rechtmäßig. Sie griff zwar in Grundrechte der Antragsteller ein, war jedoch gerechtfertigt
und verletzte sie daher nicht in ihren Rechten.
1. Die Postbeschlagnahme, d.h. die Weisung an ein Postunternehmen, die bereits
vorliegenden und/oder die künftig zu erwartenden Postensendungen oder einzelne von
ihnen auszusondern und auszuliefern (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl., § 99 Rdn. 5;
Schäfer in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 99 Rdn. 17), hatte im
verfahrensgegenständlichen Fall ihre Rechtsgrundlage in § 99 Satz 2 StPO. Zuständig für
die Anordnung war der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, da der
Generalbundesanwalt die Ermittlungen führte (§§ 100 Abs. 1 1. Alt., 169 Abs. 1 Satz 2
StPO).
2. Nach § 99 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StPO ist die Beschlagnahme von Postsendungen
zulässig, die sich im Gewahrsam von Personen und Unternehmen befinden, die
geschäftsmäßig Postdienste erbringen, und bei denen aus vorliegenden Tatsachen zu
schließen ist, dass sie von dem Beschuldigten herrühren und dass ihr Inhalt für die
Untersuchung Bedeutung hat. Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt der
richterlichen Anordnung vor.
a) § 99 StPO setzt als wesentliches Individualisierungsmoment, welches die Maßnahme
von einer (unzulässigen) allgemeinen Postkontrolle durch den Staat unterscheidet, ein
bestimmtes Ermittlungsverfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten voraus (vgl.
LR-Schäfer aaO, § 99 Rdn. 18 unter Hinweis auf BGHSt 23, 329, 330). Die
Postbeschlagnahme vom 18. Mai 2007 erging in einem solchen Verfahren. Das
Verfahren wurde gegen mehrere namentlich bekannte Beschuldigte wegen des
Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen bzw. kriminellen Vereinigung
geführt. Es bestand der begründete Verdacht, dass die unbekannten Täter des
Anschlags diesen als mitgliedschaftlichen Betätigungsakt der militanten gruppe (mg)
ausgeführt hatten. Daher ist es nicht zu beanstanden, dass die Postbeschlagnahme, die
Erkenntnisse zu Mitgliedern der militanten gruppe (mg) und zu den Brandstiftern
erbringen sollte, im Rahmen des bereits eingeleiteten Ermittlungsverfahrens angeordnet
wurde. Dass die Täter des Anschlags noch unbekannt waren und ihre Identität erst durch
die Postbeschlagnahme aufgedeckt werden sollte, ist für die Rechtmäßigkeit der
Maßnahme ohne Belang (vgl. LR-Schäfer aaO, § 99 Rdn. 18). Unerheblich ist auch, dass
die militante gruppe (mg) in diesem Stadium des Verfahrens noch als terroristische
Vereinigung (§ 129a StGB) qualifiziert wurde, während es sich nach der Entscheidung
des Bundesgerichtshofs vom 28. November 2007 (BGHSt 52, 98) und dem Urteil des
Senats vom 16. Oktober 2009 nur um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129
StGB handelte. Denn der mitgliedschaftliche Betätigungsakt, die gemäß § 306 Abs. 1 Nr.
4 StGB strafbare Brandstiftung vom 18. Mai 2007, war gleichermaßen von § 129 (dort
Abs. 1) als auch von § 129a StGB (dort Abs. 2 Nr. 2) erfasst.
b) Die bis dahin angefallenen Erkenntnisse zu den Tatbekennungen der militanten
Gruppe (mg) ließen erwarten, dass die Vereinigung auch nach der neuerlichen Tat vom
18. Mai 2007 Bekennerschreiben an bereits in der Vergangenheit angeschriebene
Tageszeitungen verschicken würde. Es lagen Tatsachen vor, die den Schluss zuließen,
dass die erwarteten Postsendungen von den Beschuldigten herrührten und dass ihr
Inhalt für die Untersuchung von Bedeutung sein würde. Für die Schlussfolgerung, dass
die erwarteten Postsendungen von den Mitgliedern der militanten gruppe (mg)
herrührten und dass sie Bedeutung für die Untersuchung hatten, war es erforderlich,
dass sie die äußeren Merkmale aufwiesen, die nach den polizeilichen Erkenntnissen auf
die bisher von der militanten gruppe (mg) stammenden Bekennerschreiben zutrafen
(vgl. BGHSt 28, 57, 59 zu „äußeren Merkmalen“ bei einer Durchsuchungsanordnung).
Bloße Vermutungen über den Absender und die Beweiseignung, die sich nicht auf
Tatsachen stützen können, reichen insoweit nicht aus. Notwendig ist vielmehr, dass sich
aus Tatsachen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Herkunft und die
Beweisbedeutung der Postsendung ergibt, wobei sich der Verdacht nicht aus der
Postsendung selbst ergeben muss, sondern auch auf Feststellungen im
Ermittlungsverfahren beruhen kann (vgl. LR-Schäfer aaO, § 99 Rdn. 28). Eine solche
Wahrscheinlichkeit ist erforderlich, sie genügt aber auch für die Rechtmäßigkeit der
Anordnung. Höhere Anforderungen zu stellen wäre nicht sachgerecht. Denn an das
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Anordnung. Höhere Anforderungen zu stellen wäre nicht sachgerecht. Denn an das
Vorliegen der Voraussetzungen von Ermittlungsmethoden, die von der
Strafprozessordnung grundsätzlich zugelassen sind, dürfen keine unrealistisch hohen
Anforderungen geknüpft werden, da sie ansonsten nicht angewandt werden können. Aus
dem Gesetz ergibt sich kein Anhalt, dass an die in § 99 StPO gemeinten
Schlussfolgerungen besonders hohe Anforderungen zu stellen sind oder sogar eine an
Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit dafür zu fordern wäre, dass die zu
umschreibenden Postsendungen von bestimmten Beschuldigten stammen. Das
Gegenteil ist der Fall. Denn § 100 Abs. 5 StPO trifft Regelungen darüber, was mit
Postsendungen zu geschehen hat, deren Öffnung nicht angeordnet worden ist, oder
deren Zurückbehaltung nach der Öffnung nicht erforderlich ist. Dies bezieht nicht nur
solche Postsendungen ein, die zwar von dem Beschuldigten herrühren, aber für die
Untersuchung ohne Bedeutung sind, sondern auch Postsendungen, die zwar in das
„Raster“ der Beschlagnahme fallen, jedoch entgegen dem ersten Verdacht nicht von
dem Beschuldigten, sondern einer anderen Person herrühren. Somit geht auch das
Gesetz ersichtlich davon aus, dass der Postbeschlagnahme keine an Sicherheit
grenzende Wahrscheinlichkeit fordert, nur die „richtigen“ Postsendungen zu treffen,
sondern durchaus eine gewisse „Fehlertoleranz“ berücksichtigt.
Die danach notwendige, aber auch ausreichende Wahrscheinlichkeit für die Herkunft und
die Beweisbedeutung der erwarteten Postsendungen war hier gegeben. Die militante
gruppe (mg) hatte in der Vergangenheit ihre Bekennerschreiben in einem auf die
Anschläge unmittelbar folgenden Zeitraum mit der Post an verschiedene Berliner
Tageszeitungen versandt, darunter die von den Antragstellern herausgegebenen. Dabei
hatte sie regelmäßig weiße Briefumschläge des Formats C6 mit selbstklebenden
Briefmarken verwendet, auf den Umschlägen keinen Absender angegeben und die
Adresse der Berliner Tageszeitungen mittels selbstgedruckter, ausgeschnittener
Aufkleber angebracht. Die Postsendungen waren in den letzten beiden Jahren
hauptsächlich im Briefzentrum 10 in Berlin abgestempelt worden. Aus dem
Zusammenhang von in der Vergangenheit verübten Brandanschlägen, die jeweils ein
ähnliches Vorgehen zeigten, dem Umstand, dass sich die militante gruppe (mg) danach
in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zu diesen Anschlägen bekannte, und dem
Umstand, dass sie hierbei regelmäßig die Briefe mit vergleichbaren Umschlägen und mit
vergleichbaren Adressfeldern sowie ohne Absenderangabe ausstattete, ließ sich ohne
weiteres schlussfolgern, dass mit einem entsprechenden Vorgehen auch bei dem in der
Nacht zum 18. Mai 2007 verübten Brandanschlag zu rechnen war und dass den zu
einem möglichst frühen Zeitpunkt sicherzustellenden Bekennerschreiben
Beweisbedeutung zukam.
c) Der Beschluss muss die der Postbeschlagnahme unterliegenden Sendungen so
genau bezeichnen, dass für die vollziehende Stelle keine Zweifel über den Umfang der
Beschlagnahme entstehen können (vgl. BGH NJW 1956, 1805, 1806; Nrn. 77, 78 RiStBV;
Nack in Karlsruher Kommentar, StPO 6. Aufl., § 100 Rdn. 2, § 99 Rdn. 10; LR-Schäfer
aaO, § 100 Rdn. 8; Meyer-Goßner aaO, § 100 Rdn. 4-5).
Auch unter diesem Gesichtspunkt begegnet der Beschluss des Ermittlungsrichters über
die Anordnung der Postbeschlagnahme keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar stellt sein Tenor lediglich auf das „äußere Erscheinungsbild“ der an die
Antragsteller gerichteten Briefe ab, welches aufgrund der bisherigen Erkenntnisse über
Postsendungen der militanten gruppe (mg) darauf schließen lasse, dass es sich bei den
Inhalten der Briefe um Selbstbezichtigungsschreiben zu deren Anschlag vom 18. Mai
2007 handele. Damit ließ sich jedoch ohne das Wissen um die bisherigen Erkenntnisse
der Ermittlungsbehörden dem Tenor nur eines der fünf Suchkriterien, nämlich die
Adressaten der erwarteten Briefe, entnehmen. Da der Beschlusstenor und die Gründe
eine Einheit bilden, ergibt sich jedoch aus der Gesamtschau zweifelsfrei, nach welchen
weiteren Merkmalen die Briefe durch die Post AG auszusondern waren.
3. Die richterliche Anordnung der Postbeschlagnahme griff in das durch Art. 10 Abs. 1
GG, § 39 PostG geschützte Postgeheimnis und die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
gewährleistete Pressefreiheit ein. Der Eingriff in diese Grundrechte der Antragsteller war
jedoch aufgrund des § 99 Satz 2 StPO – einem Schrankengesetz im Sinne des Art. 10
Abs. 2 Satz 2 GG und des Art. 5 Abs. 2 GG – gerechtfertigt. Der Beschluss vom 18. Mai
2007 war verhältnismäßig.
a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat Verfassungsrang und ist bei allen
Ermittlungsmaßnahmen zu beachten. Die Maßnahme muss zur Erreichung ihres
Zwecks, hier der Beweissicherung, geeignet und erforderlich sein. Sie darf außerdem,
insbesondere unter Berücksichtigung der jeweiligen Beweisbedeutung und des Gewichts
des strafrechtlichen Vorwurfs, der damit bewiesen werden soll, nicht außer Verhältnis zu
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des strafrechtlichen Vorwurfs, der damit bewiesen werden soll, nicht außer Verhältnis zu
den mit ihr verbundenen Nachteilen für den Grundrechtsinhaber stehen. Daher sind im
Einzelfall das Interesse der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen Strafjustiz, die vom
Rechtsstaat zu gewährleisten ist und daher ebenfalls Verfassungsrang hat, gegen das
betroffene Grundrecht abzuwägen (vgl. LR-Schäfer aaO, § 94 Rdn. 51 m.w.N., § 99 Rdn.
24).
Richtet sich die Ermittlungsmaßnahme gegen zeugnisverweigerungsberechtigte
Personen, ist weiter zu beachten, dass der Gesetzgeber zu deren Schutz in § 160a Abs.
2 Sätze 1 und 2 StPO ein von der Verhältnismäßigkeit abhängiges relatives
Beweiserhebungsverbot (vgl. Meyer-Goßner aaO, § 160a Rdn. 9) normiert hat. Diese
Vorschrift ist zwar erst durch Gesetz vom 21. Dezember 2007 mit Wirkung ab dem 1.
Januar 2008 in die Strafprozessordnung aufgenommen worden und galt somit
unmittelbar noch nicht im Zeitpunkt der hier angeordneten Postbeschlagnahme am 18.
Mai 2007. Der Senat wendet jedoch den in der Gesetzesnovelle zum Ausdruck
kommenden Rechtsgedanken auch auf den hier relevanten Zeitpunkt an, da dieser
bereits der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz von
Berufsgeheimnisträgern, die den Hintergrund für die Einführung der Norm bildete (dazu
KK-Griesbaum aaO, § 160a Rdn. 1 m.w.N.), zugrunde lag.
Die Antragsteller wurden durch die Anordnung der Postbeschlagnahme in ihrem
Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO und ihrem Grundrecht
auf Pressefreiheit betroffen. Das Grundrecht auf Pressefreiheit schützt alle Tätigkeiten
der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und
der Meinung. Zur Pressefreiheit gehört daher auch der Schutz des
Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und Informanten. Dieser ist unentbehrlich, weil
die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber
nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann,
dass das Redaktionsgeheimnis gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 117, 244, 259). Das
Zeugnisverweigerungsrecht der Antragsteller erstreckt sich gemäß § 53 Abs. 1 Sätze 2
und 3 StPO auch auf die Person des Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des
sonstigen Informanten sowie den Inhalt von Mitteilungen.
Ob allerdings auch Bekennerschreiben, mit denen ein anonymer Informant unter
Zuhilfenahme der Presse die Öffentlichkeit auf die Ziele der Organisation, der er
angehört, aufmerksam machen will und deren Verantwortlichkeit für die Straftat er
bekennt, ein schützenswertes Vertrauensverhältnis zwischen Journalist und Informant
begründen können (verneinend BGHSt 41, 363, 367; offen lassend BVerfG NStZ 2001,
43, 44; NStZ 1982, 253, 254), ob also die durch die verfahrensgegenständliche
Maßnahme gesuchten und letztlich beschlagnahmten beiden Bekennerschreiben der
militanten gruppe (mg) zum Brandanschlag vom 18. Mai 2007 in den Schutzbereich des
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO fallen, erscheint zweifelhaft. Dies
kann hier jedoch dahinstehen. Denn die Postbeschlagnahmeanordnung erstreckte sich
zunächst auf eine nicht absehbare Anzahl von Briefen, die die im Beschluss genannten
fünf äußeren Merkmale aufwiesen und von denen anzunehmen war und ist, dass sie
Informationen und Kommunikationsvorgänge enthielten, die unzweifelhaft dem
Redaktionsgeheimnis unterliegen.
b) Nach diesen Grundsätzen war die ermittlungsrichterliche Anordnung der
Postbeschlagnahme vom 18. Mai 2007 verhältnismäßig.
aa) Die Maßnahme war geeignet, die Beschlagnahme von Bekennerschreiben
herbeizuführen. Deren Inhalt war für die Untersuchung von Bedeutung, weil die zu
erwartenden Aussagen zur Urheberschaft des Brandanschlags vom 18. Mai 2007 und
die zu erwartenden Spuren auf den Briefen Aufschluss über die für den Brandanschlag
Verantwortlichen sowie die an der militanten gruppe (mg) Beteiligten versprachen.
bb) Die Maßnahme war auch erforderlich, weil es kein milderes, ebenso
erfolgversprechendes Mittel gab, der Bekennerschreiben rechtzeitig und
spurenschonend habhaft zu werden. Weniger geeignet, das Untersuchungsziel zu
erreichen, war die denkbare und in der Vergangenheit praktizierte Möglichkeit, durch das
Zusammenwirken mit den Antragstellern eine alsbaldige einverständliche Auslieferung
der Bekennerbriefe nach deren Eingang bei den Antragstellern zu erreichen. Zwar hätte
auch auf diesem Wege, wenn auch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung,
Aufschluss über die inhaltlichen Aussagen in den Briefen gewonnen werden können.
Jedoch wäre hierdurch der weitere Zweck, Ermittlungsansätze durch die Analyse der den
Briefen anhaftenden Spuren zu erlangen, verfehlt oder jedenfalls deutlich erschwert
worden. Denn die Briefe wären bereits geöffnet und durch den Postgang bei den
Antragstellern mit anderen Spuren vermengt gewesen. Das übliche Vorgehen der
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Antragstellern mit anderen Spuren vermengt gewesen. Das übliche Vorgehen der
Antragsteller, Bekennerbriefe den Ermittlungsbehörden in Folie verpackt zu übergeben,
hätte dies nicht verhindern können. Zudem schloss die Erwägung, das Vorgehen
verdeckt zu halten, um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden, eine vorherige
Kontaktaufnahme mit den Antragstellern aus.
cc) Die Anordnung der Postbeschlagnahme war auch angemessen, das heißt
verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Grundrechte der Antragsteller auf Wahrung des
Briefgeheimnisses und auf Pressefreiheit überwiegen nicht das Interesse des Staates an
der Aufklärung und Strafverfolgung der den Anlass der Postbeschlagnahme bildenden
Taten.
Die Antragsteller haben mit Recht darauf hingewiesen, dass eine freie Presse von
herausragender Bedeutung für den freiheitlichen Staat ist. Ihr Beitrag zum Prozess der
Willensbildung ist für die moderne Demokratie unentbehrlich (hierzu und zum Folgenden
näher Herzog in Maunz/Dürig, Grundgesetz, 57. EL 2010, Art. 5, Rn. 118 ff. mit Nachw.
zur Rspr. des BVerfG; aus dieser vgl. nur BVerfGE 20, 162; 66, 116; 117, 244; NStZ
2001, 43). Die Pressefreiheit gewährleistet den im Pressewesen tätigen Personen
Freiheit von staatlichem Zwang und die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von
der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung.
Dazu gehört auch der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten
Informanten.
Das Grundgesetz schützt die Pressefreiheit allerdings nicht unbeschränkt, denn nach
Art. 5 Abs. 2 GG findet sie ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze,
die ihrerseits im Blick auf die Pressefreiheit auszulegen sind. Die Vorschriften der StPO
mit ihrer prinzipiellen Verpflichtung für jeden Staatsbürger, zur Wahrheitsermittlung im
Strafverfahren beizutragen und die im Gesetz vorgesehenen Ermittlungshandlungen zu
dulden, sind solche allgemeinen Gesetze. Der Gesetzgeber hat auch den Erfordernissen
einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten funktionstüchtigen Rechtspflege
Rechnung zu tragen, deren Aufgabe es ist, Gerechtigkeit zu verwirklichen. Deshalb sind
das Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung und an einer möglichst umfassenden
Wahrheitsermittlung im Strafverfahren sowie insbesondere die Aufklärung schwerer
Straftaten als wesentlicher Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens von
Verfassungs wegen anerkannt.
Das vorliegende Ermittlungsverfahren betraf Straftaten „von erheblicher Bedeutung“ im
Sinne des § 160a Abs. 2 StPO, nämlich die Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129
StGB) und Brandstiftung (§ 306 StGB). Hierbei handelt es sich, wie sich aus § 100a Abs.
1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d) und s) StPO ergibt, um schwere Delikte, denen der
Gesetzgeber ein besonderes Gewicht beigemessen hat (vgl. auch KK-Griesbaum aaO, §
160a Rdn. 14). Den zu erwartenden Bekennerschreiben kam im damaligen Stadium des
Ermittlungsverfahrens prognostisch erhebliche Beweisbedeutung zu. Es ist daher nicht
zu beanstanden, dass der Ermittlungsrichter bei der Abwägung der kollidierenden
Interessen dem Strafverfolgungsinteresse den Vorrang eingeräumt hat. Auch nach dem
ab dem 1. Januar 2008 geltenden Recht (§ 160a Abs. 2 StPO) ergäbe sich kein
Beweiserhebungsverbot.
Die Besorgnis der Antragsteller, dass die Durchführung der Postbeschlagnahme vom 18.
Mai 2007, über die in den Medien ausführlich berichtet wurde, einen nicht hinnehmbaren
einschüchternden Effekt auf künftige potentielle Informanten oder sonstige
Kommunikationsteilnehmer ausgeübt habe oder ausüben werde, führt zu keiner anderen
Bewertung. Der mögliche Einschüchterungseffekt bleibt bei einer
Postbeschlagnahmeanordnung, die den Anschein einer allgemeinen staatlichen
Postkontrolle gegenüber der Presse vermeidet, gering. So lag es hier. Der
ermittlungsrichterliche Beschluss bezog sich auf die Aufklärung schwerer Straftaten, war
auf einen engen Zeitraum begrenzt und beschränkte die Postbeschlagnahme auf ein
Suchprogramm, das in der (kumulativen) Kombination aller Suchmerkmalenur eine
begrenzte Anzahl der den Ermittlungsbehörden auszuhändigende Briefe erwarten ließ.
Tatsächlich gab es hier auch nur zwei Briefe, die alle Merkmale aufwiesen. Dass der
Informationsfluss von Personen aus dem terroristischen oder kriminellen Bereich, die mit
Hilfe der Presse durch Bekennerschreiben auf ihre Organisation und deren Straftaten
aufmerksam machen wollen, Schaden nehmen könnte, ist wenig wahrscheinlich, weil sie
- wie hier die militante gruppe (mg) - gerade die Veröffentlichung anstreben und im
Übrigen mit einer Sicherstellung dieses Beweismaterials durch die Ermittlungsbehörden
rechnen.
IV.
Der hilfsweise gestellte Antrag hat Erfolg.
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Die Art und Weise des Vollzugs der Postbeschlagnahmeanordnung war rechtswidrig,
soweit Ermittlungsbeamte des Bundeskriminalamtes und nicht Postbedienstete die an
die Antragsteller gerichteten Postsendungen sichteten, um die Briefe auszusondern, die
den im Postbeschlagnahmebeschluss aufgeführten Suchmerkmalen entsprachen.
Die Postbeschlagnahme ist ein zweistufiges Verfahren, das wie folgt geregelt ist (vgl.
Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, Beschluss vom 28. November 2007 – 1 BGs
519/07 – (StV 2008, 225); ders., Beschluss vom 5. Mai 2008 – 1 BGs 79/2008 -; LR-
Schäfer aaO, § 99 Rdn. 8, 17, § 100 Rdn. 1; KK-Nack aaO, § 100 Rdn. 7-9; Meyer-Goßner
aaO, § 100 Rdn. 8-10; grundlegend LG Freiburg i. Br., DRZ 1948, 258):
Auf der ersten Stufe sind die der Beschlagnahme unterliegenden Postsendungen
anhand der jeweiligen anzuwendenden Kriterien aus der Gesamtmenge der beförderten
Post auszusortieren und sodann an den Richter oder Staatsanwalt auszuliefern. Auf
dieser Stufe ist nach herrschender Meinung (vgl. Beschlüsse des Ermittlungsrichters des
BGH ebenda; LG Freiburg ebenda; Meyer-Goßner ebenda Rdn. 8; KK-Nack ebenda Rdn.
7, § 99 Rdn. 9) ausschließlich das Postunternehmen tätig. Die Ermittlungsbehörden
dürfen dabei nur insoweit in Erscheinung treten, als sie dem Postunternehmen die zu
vollziehenden Postbeschlagnahmeanordnung bekannt geben und später die
Postsendungen in Empfang nehmen. Dies entspricht dem Schutzzweck der
Bestimmungen über die Postbeschlagnahme, denn auch die bloß abstrakte Möglichkeit
der Kenntnisnahme von den nicht von der Postbeschlagnahmeanordnung betroffenen
Kommunikationsvorgängen soll so ausgeschlossen werden, da unter Umständen die
bloße Tatsache, dass Kommunikation stattgefunden hat, für die Ermittlungsbehörden
von Interesse sein kann, was wiederum die freie Kommunikation mit der Presse zu
verhindern geeignet sein kann. Dadurch wird auch der von den Antragstellern
befürchtete Einschüchterungseffekt vermieden. Auf der zweiten Stufe entscheidet in
einem ersten Schritt der Richter oder Staatsanwalt über die Beweisbedeutung der
jeweiligen Postsendung und in einem zweiten Schritt darüber, ob die jeweilige
Postsendung konkret zu beschlagnahmen ist; dies stellt die „eigentliche“
Beschlagnahme dar.
Der Senat folgt der herrschenden Meinung. Ob der Grundsatz der „Polizeifreiheit“ auf
der ersten Stufe des Verfahrens ohne jede Ausnahme zu gelten hat, ist zwar nicht
zweifelsfrei. Es sind Fälle denkbar, in denen zur Aufklärung schwerer Straftaten nach
äußeren Merkmalen der Post gesucht werden muss, für die es des kriminalistischen
Sachverstands der Ermittlungsbehörden bedarf und in denen die Abwägung im Einzelfall
es gebieten kann, dass sie auf dieser Stufe mitwirken. Ein solcher Fall liegt hier jedoch
nicht vor. Die von der Anordnung der Postbeschlagnahme erfassten Briefsendungen
hätten nach rein postalischen Gesichtspunkten von dem Postunternehmen
ausgesondert werden können. Daraus folgt, dass die Ermittlungsbeamten des BKA
verpflichtet gewesen wären, den Mitarbeitern der Deutschen Post AG vollständig die
Suchkriterien mitzuteilen, nach denen die an die Antragsteller adressierten
Briefsendungen auszusortieren waren. Wenn sie aus ermittlungstaktischen Gründen
Bedenken gehabt haben sollten, den ermittlungsrichterlichen Beschluss mit den
Gründen auszuhändigen, hätte die Instruktion in einer geeigneten anderen Form
geschehen müssen (vgl. LR-Schäfer aaO, § 100 Rdn. Rn. 24). Die unvollständige
Instruktion hatte zur Folge, dass die Deutsche Post AG lediglich eine maschinelle
Vorsortierung nach dem einzigen im Beschlusstenor genannten Kriterium – dem der
Adressaten der Briefe – vornehmen konnte und somit sämtliche 6.000 bis 9.000
Sendungen den Polizeibeamten des Bundeskriminalamtes übergab.
Indem die Ermittlungsbeamten sodann die Briefe sichteten, um die Briefe auszusondern,
die den in der Anordnung der Postbeschlagnahme aufgeführten Suchmerkmalen
entsprachen, verstießen sie gegen die Regelung der §§ 99, 100 StPO und handelten
rechtswidrig. Danach kommt es auf die Frage, ob auch das Halten der beiden Briefe
gegen das Licht rechtswidrig war, nicht mehr an (vgl. zu der Problematik im Rahmen des
§ 202 Abs. 1 Nr. 2 StGB Bosch in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 202 Rdn. 7).
Im Übrigen sind Art und Weise des Vollzugs der Postbeschlagnahmeanordnung nicht zu
beanstanden. Das gilt insbesondere für den Umstand, dass sich der Staatsanwalt bei
der Öffnung der beiden Briefe der Hilfe der Polizei bediente. Denn dies diente lediglich
dem technischen Vorgang der Brieföffnung mit dem Ziel eines möglichst
spurenschonenden Vorgehens, während sichergestellt war, dass das Personal der Polizei
vom Inhalt der Sendungen keine Kenntnis erlangte, bevor nicht der Staatsanwalt die
tatsächliche Beweisbedeutung festgestellt und die Beschlagnahme angeordnet hatte
(vgl. KK-Nack aaO, § 100 Rdn. 7; LR-Schäfer aaO, § 100 Rdn. 31).
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V.
Die nach § 473a StPO zu treffende Entscheidung über die Kosten und Auslagen folgt den
allgemeinen Regeln (vgl. Niesler in Graf, StPO, § 473a Rdn. 3), insbesondere den
Grundsätzen des § 473 StPO (analog) und der Bestimmung des § 464d StPO. Die
Antragsteller haben mit ihrem Hauptantrag keinen Erfolg gehabt. Der angegriffene
Postbeschlagnahmebeschluss war nicht zu beanstanden. Dem hilfsweise gestellten
Antrag war jedoch stattzugeben, so dass eine Verteilung der Kosten des Verfahrens und
der notwendigen Auslagen der Antragsteller im Verhältnis von zwei Dritteln
(Antragsteller) zu einem Drittel (Staatskasse) dem Umfang des Erfolgs des
Rechtsbehelfs entspricht.
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