Urteil des KG Berlin vom 16.02.2006
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Gericht:
KG Berlin 3. Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ss 98/06 - 3 Ws (B)
231/06, 2 Ss 98/06, 3
Ws (B) 231/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 25 Abs 1 StVG, § 25 Abs 2a
StVG
Verkehrsordnungswidrigkeit: Absehen vom Fahrverbot
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in
Berlin vom 16. Februar 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der
Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen Zuwiderhandlung gegen
§§ 3 Abs. 3 Satz1 Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO nach § 24 StVG eine Geldbuße von 100,00
Euro verhängt, gemäß § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und
nach § 25 Abs. 2 a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Auf
den auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Einspruch des Betroffenen hat das
Amtsgericht gegen ihn wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung eine dem Bußgeldbescheid
entsprechende Rechtsfolge verhängt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des
Betroffenen, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und das Verfahren
beanstandet wird, hat (vorläufigen) Erfolg.
Der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar ist gegen die
Höhe der verhängten Geldbuße nichts zu erinnern. Die Anordnung des Fahrverbotes ist
jedoch nicht ausreichend begründet worden.
Allerdings indiziert die in dem bestandskräftigen Bußgeldbescheid festgestellte
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 34 km/h nach der
Bußgeld-Katalogverordnung (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd. Nr. 11.3 BKat i.V.m. Tab. 1
Buchstabe c) lfd. Nr. 11.3.6) das Vorliegen eines groben Verstoßes gegen die Pflichten
eines Kraftfahrzeugführers i.S.v. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG und offenbart damit ein derart
hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr, dass es regelmäßig der
Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vgl. BGHSt 38, 124,
134). Durchgreifende Bedenken gegen dessen Anordnung bestehen im vorliegenden Fall
jedoch deswegen, weil die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, dass das Amtsgericht
sich vergewissert hat, dass die Belastung des Betroffenen durch das Fahrverbot sich
noch im Rahmen des Zumutbaren hält und nicht etwa zum wirtschaftlichen
Existenzverlust führt, der es als eine unbillige Härte rechtfertigen kann, von der
Verhängung des Regelfahrverbots abzusehen (vgl. KG DAR 2004, 164). Das Fahrverbot
ist nur mit den drei Sätzen abgehandelt:
„Das Gericht hat dem Antrag des Betroffenen (Verzicht auf das Fahrverbot,
gegebenenfalls unter Erhöhung der Geldbuße) nicht entsprochen, da der Betroffene
auch bei Tatbegehung bereits wusste, dass er beruflich auf seinen Führerschein
angewiesen ist. So kann er sich jetzt nicht mehr mit Erfolg darauf berufen, die
Verhängung eines Fahrverbotes stelle besondere Härte für ihn dar. Wenn der Betroffene
nunmehr geltend macht, ihm drohe bei Verhängung eines Fahrverbotes der
Arbeitsplatzverlust, so kann aus vorgenannten Gründen dieser Einwand nicht
berücksichtigt werden.“
Den Urteilsgründen ist weder zu entnehmen, welchen Beruf der Betroffene ausübt, noch
in welcher Weise er für seine berufliche Tätigkeit auf eine Fahrerlaubnis angewiesen ist.
Es ergibt sich aus ihnen auch nicht, welche Darlegungen der Betroffene im Einzelnen zu
dem ihm nach seinem Vorbringen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes gemacht hat.
Ferner wird nicht erörtert, ob der Betroffene die Zeit des Fahrverbotes durch geeignete
Maßnahmen wie Urlaub oder Einstellung eines Fahrers überbrücken kann. Dieser
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Maßnahmen wie Urlaub oder Einstellung eines Fahrers überbrücken kann. Dieser
Darlegungen bedarf es jedoch regelmäßig, wenn der Betroffene den Verlust des
Arbeitsplatzes behauptet, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung zu
ermöglichen, ob das Amtsgericht rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt ist, dass
eine unbillige Härte für den Betroffenen, die in Ausnahmefällen ein Absehen von der
Verhängung eines Fahrverbotes rechtfertigen kann, nicht gegeben ist.
Wegen des aufgezeigten Begründungsmangels kann das Fahrverbot keinen Bestand
haben. Wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot ist auch die
Festsetzung der Geldbuße aufzuheben. Da es nahe liegt, dass zur Frage einer etwaigen
Existenzgefährdung des Betroffenen infolge eines Fahrverbotes ergänzende
Feststellungen getroffen werden können, ist die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass für ein Absehen von dem Fahrverbot nur
äußerst selten Raum sein wird. Grundsätzlich kann von dieser Maßnahme nur
abgesehen werden, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat und in der
Persönlichkeit des Betroffenen anzunehmen sind und der Sachverhalt zugunsten des
Betroffenen so erheblich von dem im Bußgeldkatalog erfassten Normalfall abweicht,
dass er als Ausnahme einzustufen ist (vgl. OLG Zweibrücken VRS 105, 369). Dabei sind
dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum jedoch der Gleichbehandlung und der
Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt, und die vom Tatrichter getroffenen
Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen
lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juli 1998 - 3 Ws (B) 335/98 - Juris). Grundsätzlich
sind die durch die Maßregel eines Fahrverbots bedingte Einschränkung der Mobilität und
berufliche oder wirtschaftliche Nachteile als häufige Folgen hinzunehmen, ohne dass
schon deshalb ein Absehen von einem Fahrverbot gerechtfertigt wäre (vgl. OLG Frankfurt
NStZ-RR 2001, 344; Senat, Beschluss vom 19. November 2003 - 3 Ws (B) 439/03 -).
Vielmehr muss die Maßregel zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art führen, wie etwa
dem Verlust des Arbeitsplatzes bei einem Arbeitnehmer oder dem Existenzverlust bei
einem Selbständigen, wobei nach der Einführung des § 25 Abs. 2a StVG mit der
Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbotes innerhalb eines Zeitraumes von
vier Monaten selbst zu bestimmen, ein noch strengerer Maßstab als in der
Vergangenheit anzulegen ist (vgl. OLG Frankfurt DAR 2002, 82). Dabei ist der Tatrichter
gehalten, die dahingehende Einlassung eines Betroffenen einer besonders kritischen
Prüfung zu unterziehen. Hierbei hat er auch zu berücksichtigen, dass einem Betroffenen
zuzumuten ist, durch eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen (Urlaub,
Einstellung eines Fahrers, Benutzung anderer Verkehrsmittel usw.) die Zeit eines
Fahrverbotes zu überbrücken und für die finanziellen Belastungen notfalls einen Kredit
aufzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Januar 2006 – 3 Ws (B) 612/05 – m.w.N.).
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