Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017
KG Berlin: annahme des antrags, arglistige täuschung, diagnose, anzeigepflicht, versicherungsnehmer, unterzeichnung, kopie, erkenntnis, behandlung, anfechtungsfrist
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Gericht:
KG Berlin 6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 U 115/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 16 Abs 1 S 1 VVG, § 16 Abs 1
S 2 VVG, § 22 VVG, § 123 BGB
Arglistanfechtung eines
Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages wegen
Verschweigens gefahrerheblicher Umstände: Entbehrlichkeit
einer Belehrung über die Pflicht zur Nachmeldung von
Gesundheitsverschlechterungen zwischen Versicherungsantrag
und dessen Annahme
Leitsatz
Eine Pflicht zur Nachmeldung von zwischen dem Zeitpunkt der Antragstellung einer
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung und der Annahme des Versicherungsantrags
eingetretenen oder festgestellten Gesundheitsverschlechterungen kommt auch ohne
Belehrung im Einzelfall dann in Betracht, wenn sie sich dem Versicherungsnehmer aufgrund
der tatsächlichen Umstände förmlich aufdrängt; diese Voraussetzungen liegen vor, wenn bei
Antragstellung angegeben wurde, über fünf Jahre keinen Arzt aufgesucht zu haben und an
keinen gravierenden Erkrankungen zu leiden, demgegenüber nach der Antragstellung eine
schwerwiegende Erkrankung festgestellt wird (hier: periphere arterielle Verschlusskrankheit in
beiden Beinen), und wenn dem Versicherungsnehmer nach dieser Diagnose ein Teil des
Antragsformulars wegen erforderlicher Korrekturen zur nochmaligen Unterzeichnung
vorgelegt wird.
Die Beschlüsse 6 U 115/05 vom 18.11.2005 und 6 U 115/05 vom 13.01.2006 gehören
zusammen, s. a. dort.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin
vom 2. August 2005 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat aus den Gründen des Hinweisbeschlusses des
Senats vom 18.11.2005 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO keinen Erfolg.
Auch das Vorbringen im Schriftsatz vom 9.12.2005 führt zu keinem anderen Ergebnis:
Der Senat weicht mit seiner Auffassung, der Kläger habe gegenüber der Beklagten eine
arglistige Täuschung begangen, indem er der Beklagten die nach der Aufnahme des
Versicherungsantrags diagnostizierte periphere Arterienverschlusskrankheit - paVK –
nicht angezeigt habe, nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der
Kommentarliteratur ab.
Wie im Hinweisbeschluss ausgeführt, besteht nach allgemeiner Auffassung in
Rechtsprechung und Literatur die Anzeigepflicht gefahrerheblicher Umstände nicht nur
bei der Abgabe des Versicherungsantrages, sondern bis zur Schließung des Vertrages
fort. Subjektiv kann ein Verstoß gegen die bis zur Vertragsannahme des Versicherers
bestehende Anzeigepflicht allerdings entschuldigt sein, wenn dem Versicherungsnehmer
die Nachmeldepflicht nicht bekannt war und sich eine solche auch nicht aufgrund der
Umstände aufdrängte. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist anhand der jeweiligen
Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.
Nichts anderes ergibt sich aus den vom Kläger zitierten Entscheidungen der
Oberlandesgerichte Hamm (RuS 1988,343; VersR 1996, 441) und Oldenburg (NVersZ
2001,409), in denen jeweils die Verletzung der sogen. Nachmeldepflicht verneint wurde,
weil sie nicht allgemein bekannt sei, jedoch - so OLG Hamm aaO - offengelassen wurde,
wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn besonders gravierende bzw. alarmierende
Verschlechterungen eingetreten wären bzw. - so OLG Oldenburg aaO - anzeigepflichtige
besonders schwere Erkrankungen verneint wurden. Dass im Einzelfall auch ohne eine
ausdrückliche Belehrung über die Nachmeldepflicht die Anzeigepflicht schuldhaft verletzt
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ausdrückliche Belehrung über die Nachmeldepflicht die Anzeigepflicht schuldhaft verletzt
sein kann, und darüber hinausgehend auch die Voraussetzungen einer arglistigen
Täuschung gegeben sein können, ergibt sich u. a. auch aus der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zur Anzeigepflicht bei Annahme des Versicherungsantrags nach
Ablauf der Bindungsfrist (VersR 1991,1397) und bei Erhöhung der Prämiensumme
(VersR 1993,213).
Der Senat hat in dem Hinweisbeschluss vom 18.11.2005 zu Ziffern 2. und 3. im
Einzelnen ausgeführt, aus welchen tatsächlichen Gründen sich dem Kläger vorliegend
unter Zugrundelegung seines eigenen Vorbringens eine Nachmeldepflicht förmlich
aufdrängen musste und die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung gegeben sind.
Denn hatte sich der Kläger bei der Aufnahme des Antrags durch den
Versicherungsagenten am 8.5.2001 noch als einen Versicherungsnehmer dargestellt,
der seit nahezu sechs Jahren (Juni 1995) keinen Arzt aufgesucht hatte, lediglich in letzter
Zeit einen Muskelkater in den Waden verspürte und an Erkrankungen litt, die aus seiner
Sicht in den vergangenen Jahren keiner Behandlung mehr bedurften (Schwerhörigkeit,
bis 1994 behandeltes allergisches Asthma und im Januar 1995 operierte Achillesferse) –
denn sonst hätte er ja einen Arzt aufgesucht -, hatte er nun nach der Antragstellung
aufgrund der zwischenzeitlichen Untersuchungen durch verschiedene Fachärzte
gesicherte Kenntnis von einer schwerwiegenden Erkrankung – zumindest der paVK -
erhalten. Die Kenntnis, dass es der Beklagten für die Annahme des Antrags auf die
Mitteilung von Vorerkrankungen und ärztlichen Konsultationen ankommt, hatte er
aufgrund der mündlichen Fragen, die der Versicherungsvertreter bei der Ausfüllung des
Antrags stellte. Die Tatsache, dass die Beklagte aufgrund seiner dortigen, überholten
Angaben auf einer unzutreffenden Grundlage über die Annahme seines Antrags
entscheiden wird, wurde ihm mit der erneuten Vorlage der Kopie der korrigierten ersten
Seite des Versicherungsantrages in das Bewußtsein gerufen. Dem Kläger war bei der
Unterzeichnung dieser Kopie klar, dass aufgrund der Vielzahl der Arztbesuche seit der
Antragstellung nicht nur eine radikale Veränderung der Verhältnisse hinsichtlich der
ärztlichen Konsultationen eingetreten war, sondern auch bereits bei Antragstellung eine
schwerwiegende Erkrankung vorgelegen hatte, von der er damals lediglich noch keine
Kenntnis gehabt hatte. Die Vorlage der Kopie zur erneuten Unterschrift zeigte ihm, dass
die Beklagte über seinen Antrag erst noch befinden wird. Wenn er nun den Antrag
unterzeichnete, ohne die geänderten Umstände mitzuteilen, geschah dies in der
billigenden Erkenntnis, die Beklagte in ihrer Entscheidung über den Abschluss des
Versicherungsvertrages zu beeinflussen.
Der Senat hat im Beschluss vom 18.11.2005 unter Ziffer 2. im Einzelnen dargestellt,
woraus sich die gesicherte Erkenntnis des Klägers von der am 18.5.2001
diagnostizierten paVK auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhaltes und seines
eigenen Vorbringens ergibt. Dass der Kläger noch Monate nach der Diagnose seiner
Erwerbstätigkeit nachging und in seiner Lebensweise in keiner Weise eingeschränkt war,
steht der Kenntnis der Diagnose nicht entgegen.
Das gilt auch für den Inhalt der ärztlichen Stellungnahme der Frau Dr. W. Wenn diese
angegeben hat, der Kläger habe von der Diagnose seit Juli 2001 Kenntnis, so beruht dies
erkennbar darauf, dass der Kläger ausweislich der ärztlichen Stellungnahme der Frau Dr.
W bei dieser erst seit Juli 2001 in Behandlung war. Über die Mitteilung der Diagnose
durch Ärzte, die der Kläger seit Mai 2001 aufgesucht hatte, enthält der Bericht keine
Angaben. Insoweit hat der Kläger aber selbst vorgetragen, von Frau Dr. S in der Zeit
zwischen Anfang und Mitte Juni über Ausmaß und Folgen der paVK aufgeklärt worden zu
sein.
Der Senat hat in dem Hinweisbeschluss nicht die Auffassung vertreten, mit der Vorlage
der korrigierten ersten Seite des Versicherungsantrages zur erneuten Unterschrift durch
den Kläger in der Zeit zwischen dem 12. und 18.6.2001 sei ein neues Antragsverfahren
eingeleitet worden. Dieser Vorgang führte dem Kläger aber – wie ausgeführt – klar vor
Augen, dass die Beklagte über seinen Antrag noch nicht entschieden hatte. Im
Gegensatz zu den vom Kläger zitierten obergerichtlichen Fällen zur Nachmeldepflicht
bestand hier also ein konkreter Anlass, die nicht mehr zutreffenden Angaben zum
Gesundheitszustand richtig zu stellen. Der Kläger konnte aufgrund der erneuten
Unterzeichnung des Antrags nicht mehr annehmen, die Beklagte habe seinen Antrag
möglicherweise bereits angenommen und der Versicherungsschein sei möglicherweise
schon an ihn abgesandt.
Die Vorlage der ersten Seite des korrigierten Antrags zur erneuten Unterzeichnung stellt
auch keinen Verzicht der Beklagten auf die Mitteilung veränderter
Gesundheitsverhältnisse dar. Der Beklagten ging es dabei – wie der Kläger selbst
vorträgt - lediglich um die Korrektur der Art der Bezeichnung der neben der
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vorträgt - lediglich um die Korrektur der Art der Bezeichnung der neben der
Rentenversicherung beantragten Versicherung der Berufsunfähigkeit (Beantragung einer
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung statt einer Berufsunfähigkeitsversicherung). Für
den Kläger bestand damit kein Anlass anzunehmen, der Beklagten komme es auf die
Prüfung seiner gesundheitlichen Verhältnisse nicht mehr an.
Die Beklagte hat die Anfechtungsfrist nicht versäumt. Auch der jetzt vollständig
vorgelegte Bescheid des Versorgungsamtes vom 17.12.2002 enthält keine Angaben
dazu, seit wann die dort genannten Erkrankungen bestanden und dem Kläger bekannt
waren.
Da die Beklagte mit Schreiben vom 21.6.2004 die Anfechtung des Vertrages wegen
arglistiger Täuschung erklärt und – was für die Wirksamkeit nicht erforderlich ist – auch
mit Gründen versehen hat, kommt es nicht darauf an, ob sie in dem Schreiben vom
2.12.2003 konkrete Rücktrittsgründe genannt hat und dies erforderlich gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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