Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: pflicht zur duldung, unterliegen, könig, auskunftspflicht, egmr, kontrolle, informationsfreiheit, datenschutz, geheimhaltung, erfüllung

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Gericht:
KG Berlin 1. Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Ws (B) 51/07, 1 Ws
(B) 51/07 - 2 Ss 23/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 43a Abs 2 S 1 BRAO, § 43a
Abs 2 S 2 BRAO, § 1 Abs 3 S 1
BDSG, § 1 Abs 3 S 2 BDSG, § 24
Abs 2 S 1 Nr 2 BDSG
Leitsatz
1. Die Bestimmungen der BRAO sind keine "bereichsspezifische Sonderregelung" im Sinne
des § 1 Abs. 3 Satz 1 BDSG.
2. Die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts nach § 43a Abs. 2 Satz 1 und 2 BRAO fällt
unter § 1 Abs. 3 Satz 2 BDSG.
3. Der Rechtsanwalt ist wegen § 38 Abs. 3 Satz 2 BDSG im Hinblick auf § 203 Abs. 1 Nr. 3
StGB nicht verpflichtet, dem Datenschutzbeauftragten mandatsbezogene Informationen zu
geben, die seiner Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Denn die Vorschrift des § 38 Abs. 3
Satz 1 BDSG enthält keine dem § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BDSG entsprechende Bestimmung,
nach der sich auch bei nicht-öffentlichen Stellen die Kontrollbefugnis des
Datenschutzbeauftragten auf diejenigen personenbezogenen Daten erstreckt, die der
beruflichen Geheimhaltung unterliegen.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Amtsgerichts
Tiergarten in Berlin vom 5. Oktober 2006 wird verworfen.
Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Betroffenen
dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hat gegen den
Betroffenen einen Bußgeldbescheid mit einer Geldbuße von 3.000 EUR wegen einer – wie
sich aus dem Gesamtzusammenhang des Bescheides ergibt – vorsätzlichen
Zuwiderhandlung nach den §§ 43 Abs. 1 Nr. 10, 38 Abs. 3 Satz 1 BDSG erlassen. Auf
seinen Einspruch hat ihn das Amtsgericht durch Urteil vom 5. Oktober 2006 von diesem
Vorwurf aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die Rechtsbeschwerde der
Amtsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, bleibt ohne Erfolg.
Das Amtsgericht hat festgestellt: Der Betroffene, ein Rechtsanwalt, hatte als Verteidiger
in einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Potsdam am 23. August 2004 zwei Briefe
zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht, die ein Zeuge, der mit dem
Angeklagten in einem Nachbarschaftsstreit lag, an seine Hausverwaltung geschrieben
hatte. Trotz mehrfacher Aufforderung durch den Berliner Beauftragten für Datenschutz
und Informationsfreiheit verweigerte der Betroffene unter Berufung auf seine anwaltliche
Verschwiegenheitspflicht die Auskunft, wie er in den Besitz der Briefe gekommen war.
Der Senat entscheidet über die Rechtsbeschwerde nach § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG in der
Besetzung mit drei Richtern.
Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat den Betroffenen
zu Recht freigesprochen. Die festgestellte Auskunftsverweigerung des Betroffenen ist
nicht bußgeldbewehrt.
Nach § 43 Abs. 1 Nr. 10 BDSG handelt (in der hier in Betracht kommenden Alternative)
ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 38 Abs. 3 Satz 1 BDSG eine
von der Aufsichtsbehörde verlangte Auskunft nicht erteilt. Die Frage, ob der
Datenschutzbeauftragte Auskunft über die Herkunft von Informationen verlangen darf,
die der Rechtsanwalt im Zusammenhang mit einer Strafverteidigung erlangt und
verwendet hat, ist obergerichtlich – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden.
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Den Bestimmungen des BDSG sind auch Rechtsanwälte als nicht-öffentliche Stellen (§§
1 Abs. 2 Nr. 3, 2 Abs. 4 Satz 1 BDSG) unterworfen, wenn sie – wie hier der Betroffene -
personenbezogene Daten (§ 3 Abs. 1 BDSG) erheben (§ 3 Abs. 3 BDSG) und nutzen (§ 3
Abs. 5 BDSG). Allerdings sieht § 1 Abs. 3 BDSG Einschränkungen vor, die den
Anwendungsbereich des BDSG als Auffanggesetz begrenzen (vgl. Gola/Schomerus,
BDSG 9. Aufl., Rdn. 23 zu § 1).
Nach Satz 1 dieser Bestimmung gehen dem BDSG andere Rechtsvorschriften des
Bundes vor, die auf personenbezogene Daten einschließlich deren Veröffentlichung
anzuwenden sind. Soweit das Amtsgericht in den Bestimmungen der BRAO eine
„bereichsspezifische Sonderregelung“ im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BDSG sieht, teilt
der Senat diese Auffassung nicht. Inwieweit die Subsidiaritätsklausel greift, bestimmt
sich allein nach Ziel und Inhalt der mit dem BDSG konkurrierenden Vorschrift (vgl. Walz
in Simitis (Hrsg.), BDSG 6. Aufl., Rdn. 170 zu § 1). Die berufsrechtlichen Bestimmungen
der BRAO betreffen überwiegend den Schutz des Mandanten und das öffentliche
Interesse an einer funktionierenden Strafrechtspflege, dessen selbständiges Organ der
Rechtsanwalt ist (§ 1 BRAO). Der Schutz von Gegnern des Mandanten oder sonstigen
Dritten ist nicht Normzweck der BRAO (Redeker in Abel (Hrsg.), NJW-Schriften 63, 2. Aufl.,
S. 45). Das BDSG hingegen schützt sämtliche Personen, die durch den Umgang des
Rechtsanwalts mit personenbezogenen Daten beeinträchtigt werden (§ 1 Abs. 1 BDSG).
Die Rechtsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, daß die Subsidiaritätsklausel des § 1
Abs. 3 Satz 1 BDSG schon nach ihrem Wortlaut die Verdrängung des BDSG lediglich in
dem Umfang normiert, „soweit“ für deckungsgleiche Sachverhalte in anderen
Rechtsvorschriften abweichende Regelungen vorliegen (vgl. Walz aaO; Gola/Schomerus
aaO, Rdn. 24 zu § 1). Von der erforderlichen Tatbestandskongruenz (vgl. Schmidt in
Taeger/Gabel, BSDG, Rdn. 33 zu § 1) mit dem BDSG kann bei den durch das
Amtsgericht zitierten §§ 43a Abs. 2, 56 Abs. 1, 73 Abs. 2 Nr. 4, 74, 113 ff. BRAO keine
Rede sein. Sie bestimmen die anwaltlichen Pflichten im Umgang mit Daten, die Kontroll-
und Aufsichtspflichten sowie die Sanktionsmöglichkeiten (der Rechtsanwaltskammer) nur
rudimentär, haben keinen mit dem Schutzzweck des BDSG vollständig
übereinstimmenden Regelungsgehalt und schließen somit die Anwendbarkeit des BDSG
nicht aus.
Hingegen ist hier § 1 Abs. 3 Satz 2 BDSG einschlägig. Nach dieser Bestimmung bleibt
unter anderem die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten
„unberührt“. Danach schließen andere gesetzliche Vorschriften die Anwendung des
BDSG aus, wenn sie derartige Geheimhaltungspflichten zum Gegenstand haben und den
davon betroffenen Personenkreis weitergehend als im BDSG schützen (vgl.
Gola/Schomerus aaO, Rdn. 25 zu § 1). Eine solche Verschwiegenheitsverpflichtung des
Rechtsanwalts, die sich auf alles bezieht, was ihm in Ausübung seines Berufes bekannt
geworden ist, ergibt sich aus § 43a Abs. 2 Satz 1 und 2 BRAO. Sie gehört, wie die
Gesetzesüberschrift zeigt, zu den anwaltlichen Grundpflichten, die nicht nur den
individuellen Belangen des Rechtsanwalts und seines Mandanten dienen, sondern auch
dem öffentlichen Interesse einer wirksamen und geordneten Rechtspflege Rechnung
tragen (vgl. BVerfGE 110, 226, 252). Die Institution Strafverteidigung genießt durch Art.
19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlichen Schutz. Das steht im Einklang mit der
Rechtsprechung des EGMR, wonach der Schutz der Vertraulichkeit der zwischen
Rechtsanwalt und Mandant ausgetauschten Informationen eine wesentliche Garantie des
Rechts auf Verteidigung darstellt (vgl. EGMR NJW 2007, 3409 (3411); EuGRZ 2003, 472
(478); König in: Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag, S. 325 (335)). Danach
ist der Strafverteidiger weder berechtigt noch verpflichtet, die im Rahmen des
Mandatsverhältnisses erhaltenen Informationen an Dritte weiterzugeben.
Die Verschwiegenheitspflicht wird nicht durch § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BDSG außer Kraft
gesetzt. Die Vorschrift stellt zwar klar, daß der in § 1 Abs. 3 BDSG festgeschriebene
Vorrang von Spezialvorschriften nicht eingreift und auch alle personenbezogenen Daten,
die einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegen, der Kontrolle des
Datenschutzbeauftragten zugänglich sind. Die Regelung betrifft aber nur den Bereich der
öffentlichen Stellen (§ 24 Abs. 1 BDSG).
Für private Stellen gelten die §§ 27 bis 38a BDSG, allerdings nicht, wie § 27 Abs. 1 BDSG
und im Umkehrschluß auch § 27 Abs. 2 BDSG zeigen, beim Umgang mit
personenbezogenen Daten außerhalb von nicht automatisierten Dateien (§ 2 Abs. 2
Satz 2 BDSG), soweit sie nicht aus einer automatisierten Datei entnommen worden sind.
Dazu hat das Amtsgericht, aus seiner Sicht folgerichtig, keine näheren Feststellungen
getroffen. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft es in ihrer Zuschrift als „naheliegend“
bezeichnet, daß die verfahrensgegenständlichen Briefe beim Adressaten (der
Hausverwaltung) jedenfalls in einer strukturierten Akte (vgl. Simitis in Simitis aaO Rdn.
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Hausverwaltung) jedenfalls in einer strukturierten Akte (vgl. Simitis in Simitis aaO Rdn.
73 zu § 1; Art. 2c EG-Datenschutzrichtlinie vom 25. Oktober 1995) gesammelt und damit
einer (automatisierten) Datei entnommen und durch die Aufnahme in die Handakten
des Betroffenen und Verwendung im Strafprozeß verarbeitet und genutzt worden seien,
handelt es sich um reine Mutmaßungen, die weder im Bußgeldbescheid noch im Urteil
eine Stütze finden. Der Senat kann aber offen lassen, ob die Voraussetzungen des § 27
Abs. 2 BDSG hier vorliegen. Denn nach § 38 Abs. 3 Satz 1 BDSG, auf den sich die
Bußgeldbehörde beruft, haben die der Aufsicht unterliegenden Stellen dem
Datenschutzbeauftragten zwar auf Verlangen die zur Erfüllung seiner Aufgaben
erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann der
Auskunftspflichtige jedoch die Beantwortung solcher Fragen verweigern, mit der er sich
der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzt. Das ist hier der Fall.
Denn § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt für den Rechtsanwalt die Verletzung von
Privatgeheimnissen seines Mandanten unter Strafe. Er handelt bei der Weitergabe von
derartigen Informationen „unbefugt“ im Sinne des § 203 StGB, also rechtswidrig.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 2002 (BGHSt 48, 126) keine Offenbarungspflicht
des Rechtsanwalts. Die Entscheidung verhält sich dazu nicht. Sie betraf einen
Datenschutzbeauftragten, bei dem der Bundesgerichtshof zur Befugnis der Preisgabe
von (Amts-)Geheimnissen keine Aussage getroffen und eine Strafbarkeit nach § 353b
StGB deshalb ausgeschlossen hatte, weil das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung
wichtiger öffentlicher Interessen nicht vorgelegen habe. Aus der Kontrollpflicht der
Datenschutzbehörde ergibt sich keine gesetzliche Befugnis (oder gar Verpflichtung) des
Rechtsanwalts zur Weitergabe mandatsbezogener Informationen an den
Datenschutzbeauftragten (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl., Rdn. 37 zu § 203; Lenckner/Eisele,
in: Schönke/Schröder, StGB 28. Aufl., Rdn. 29 zu § 203). Die Vorschrift des § 38 Abs. 3
Satz 1 BDSG, deren Verletzung § 43 Abs. 1 Nr. 10 BDSG sanktioniert, enthält keine dem
§ 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BDSG entsprechende Bestimmung, nach der sich auch bei
nicht-öffentlichen Stellen die Kontrolle des Datenschutzbeauftragten auf diejenigen
personenbezogenen Daten erstreckt, die der beruflichen Geheimhaltung unterliegen
(vgl. Redeker NJW 2009, 554; König, a.a.O. S. 333). Die Beschwerdeführerin beruft sich
hier, wie auch Weichert (NJW 2009, 550), zu Unrecht auf § 38 Abs. 4 Satz 3 BDSG. Nach
dieser Vorschrift findet zwar (über § 24 Abs. 6 BDSG) die Regelung des § 24 Abs. 2 Satz
1 Nr. 2 BDSG Anwendung. Sie ist aber schon nach der Gesetzessystematik auf § 38 Abs.
4 BDSG beschränkt und betrifft nicht die Auskunftspflicht des Betroffenen, sondern seine
Pflicht zur Duldung der in § 38 Abs. 4 Satz 1 BDSG bestimmten Maßnahmen, um die es
hier nicht geht. Abgesehen davon bestehen auch die Duldungs- und daraus abgeleiteten
Mitwirkungspflichten des § 38 Abs. 4 nur in den Grenzen, in denen der Betroffene zur
Auskunft nach § 38 Abs. 3 BDSG verpflichtet ist (vgl. Petri in Simitis aaO, Rdn. 59 zu §
38). Hinzu kommt, daß eine Verletzung des mit der Auskunftspflicht korrespondierenden
Einsichtsrechts des Datenschutzbeauftragten (§ 38 Abs. 4 Satz 2 BDSG) nicht
bußgeldbewehrt ist, da § 43 Abs. 1 Nr. 10 BDSG insoweit nur auf § 38 Abs. 4 Satz 1
BDSG verweist.
Der Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft muß danach der Erfolg versagt bleiben.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf den §§ 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz
1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.
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