Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017
KG Berlin: treu und glauben, betriebsferien, schutzwürdiges interesse, fristlose kündigung, auflage, geschäftsbedingung, mietvertrag, einkaufszentrum, geschäftsraummiete, vermieter
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Gericht:
KG Berlin 8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 U 177/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 307 Abs 1 BGB, § 307 Abs 2 Nr
2 BGB
Gewerbemietvertrag: Wirksamkeit einer die Betriebspflicht
betreffenden Klausel
Leitsatz
Eine in einem Mietvertrag über ein in einem Einkaufszentrum belegenes Ladengeschäft
enthaltene Klausel mit dem Inhalt
"Zeitweise Schließungen (z.B. aus Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen, Betriebsferien,
Inventuren) sind nicht zulässig"
ist wegen unangemessener Benachteiligung gemäß § 307 Abs.1, Abs.2 Ziffer 2 BGB
jedenfalls dann unwirksam, wenn der Mieter hierdurch an der Durchführung der ihm
vertraglich auferlegten Schönheitsreparaturen gehindert wird.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23. Juli 2008 verkündete Urteil der Kammer für
Handelssachen 105 des Landgerichts Berlin abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die unter 10.2 Satz 6 der Allgemeinen Bedingungen des
Mietvertrages über ein Ladengeschäft, 119 qm, im S... in ... B... enthaltene Regelung mit
folgendem Inhalt:
„Zeitweise Schließungen (z.B. aus Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen,
Betriebsferien, Inventuren) sind nicht zulässig.“
unwirksam ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Kosten der ersten und zweiten Instanz tragen die Klägerin zu 90 % und die Beklagte
zu 10 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages zuzüglich
10% abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Gründe
I.
Die Berufung der Klägerin richtet sich gegen das am 23. Juli 2008 verkündete Urteil der
Kammer für Handelssachen 105 des Landgerichts Berlin, auf dessen Tatbestand und
Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.
Die Klägerin trägt zur Begründung der Berufung vor:
Das Landgericht habe sich mit der Frage der Wirksamkeit der konkreten Betriebspflicht
im Einzelfall nicht auseinandergesetzt. Es habe in der angefochtenen Entscheidung
ausgeführt, dass der Umstand, dass die Regelung auch Schließungen aus Anlass von
Betriebsferien, Inventuren u.s.w. nicht zulasse, keine unangemessene Benachteiligung
bedeute, ohne aber diese Bewertung zu erörtern.
Das Landgericht verkenne, dass es in der Rechtsprechung und Literatur sehr wohl
andere Auffassungen gebe, die anders als die Auffassung des Landgerichts auch
begründet seien.
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Die Klägerin beantragt,
das am 23. Juli 2008 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 105 des
Landgerichts Berlin abzuändern und festzustellen, dass § 10.1 und 10.2 der allgemeinen
Bedingungen des die Parteien verbindenden Mietvertrages über ein Ladengeschäft, 119
qm, im S ... in ... B... unwirksam ist,
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor:
§ 10.1 und § 10.2 der Allgemeinen Bedingungen des Mietvertrages seien wirksam.
Insbesondere hielten diese Bestimmungen einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand,
da diese Bestimmungen die Klägerin nicht entgegen den Grundsätzen von Treu und
Glauben unangemessen benachteiligten. Die Mieter eines Einkaufszentrums bildeten
untereinander eine „Schicksalsgemeinschaft“. Zum Wesen eines Einkaufszentrums
gehöre es, dass alle Mieter ihre Läden während derselben Öffnungszeiten
ununterbrochen geöffnet hätten. Hieran habe nicht nur der Vermieter, sondern auch die
Gesamtheit der Mieter ein schutzwürdiges Interesse. Das Interesse des einzelnen
Mieters, sein Ladengeschäft in einem Einkaufszentrum zwecks Betriebsferien,
branchenüblichen Ruhetagen, Inventur oder Durchführung erforderlicher
Schönheitsreparaturen etc. vorübergehend zu schließen, müsse hinter die Interessen
der Gesamtheit der Mieter und den Interessen des Vermieters zurücktreten. Zudem sei
die Betriebspflicht keine höchstpersönliche Pflicht.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen
Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
1. Zulässigkeit der Feststellungsklage
Die Feststellungsklage ist zulässig. Insbesondere liegt ein rechtliches Interesse im Sinne
von § 256 ZPO vor.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihres rechtlichen Interesses vor, dass sie eine fristlose
Kündigung riskiere, wenn sie der Betriebspflicht nicht folge. Sie trägt auch vor, dass sie
sich für berechtigt halte, die Einstellung des Betriebes als zulässige unternehmerische
Option für sich offen zu halten, bis die Beklagte Vollbetrieb hergestellt habe. Das heißt,
die Klägerin will geklärt wissen, ob sie an die in § 10 des Vertrages geregelte
Betriebspflicht gebunden ist, obgleich sie gar nicht die konkrete Absicht hat, sich über
die Betriebspflicht hinwegzusetzen. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2008, 2499;
NJW 1992, 436), der sich der Senat anschließt, ist von einem rechtlichen Interesse
auszugehen, wenn der Gegner sich auf die Wirksamkeit einer Vertragsbedingung beruft
und sich damit eines Anspruchs gegen die klagende Partei berühmt. Darauf, ob der
Gegner einen bereits durchsetzbaren Anspruch geltend macht, soll es nicht ankommen.
Vorliegend hat sich die Beklagte spätestens mit der Klageerwiderung auf die Wirksamkeit
der in § 10 des Vertrages geregelten Betriebspflicht berufen, so dass vom Vorliegen
eines Feststellungsinteresses auszugehen ist.
2. Begründetheit der Feststellungsklage
Die Feststellungsklage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die unter 10.2 Satz 6 der Allgemeinen Bedingungen des Mietvertrages enthaltene
Regelung mit dem Inhalt „Zeitweise Schließungen (z.B. aus Anlass von Mittagspausen,
Ruhetagen, Betriebsferien, Inventuren) sind nicht zulässig“ ist gemäß § 307 Abs.1,
Abs.2, Ziffer 2 BGB unwirksam, da sie eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben
unangemessene Benachteiligung der Klägerin beinhaltet.
Die Parteien haben vorliegend einen Mietvertrag geschlossen, der in der als „Allgemeine
Bedingungen des Mietvertrages“ bezeichneten Anlage I zum Mietvertrag unter § 10
(Betriebspflicht, Werbegemeinschaft) unter anderem folgende Regelungen enthält:
„10.1 Der Mieter ist verpflichtet, den Mietgegenstand während der gesamten
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„10.1 Der Mieter ist verpflichtet, den Mietgegenstand während der gesamten
Mietzeit seiner Zweckbestimmung entsprechend ununterbrochen zu nutzen; er wird den
Mietgegenstand weder ganz noch teilweise ungenutzt oder leer stehen lassen.
10.2 Das Geschäft des Mieters ist im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen
über die Ladenschlusszeiten an allen Verkaufstagen so lange offen zu halten, wie die
überwiegende Anzahl aller Mieter ihr Geschäft offenhält. Die Öffnungszeiten können nach
Abstimmung mit den Mietern von mehr als 50 % der Gesamtladenflächen des
Einkaufszentrums durch den Vermieter verbindlich für alle Mieter festgelegt oder
geändert werden. Dies gilt auch in den Fällen einer etwaigen „Langen Nacht des
Shoppens“ oder ähnlicher gesetzlich zulässige Sonderöffnungszeiten.
Vorbehaltlich einer abweichenden Regelung nach Maßgabe von vorstehendem
Absatz 1 vereinbaren die Vertragsparteien, dass ab dem Tag der Eröffnung des
Einkaufszentrums folgende Mindestladenöffnungszeiten gelten:
Aus einer bloßen Duldung abweichender Öffnungszeiten durch den Vermieter
kann der Mieter keine Rechte herleiten. Zeitweise Schließungen (z.B. aus Anlass von
Mittagspausen, Ruhetagen, Betriebsferien, Inventuren) sind nicht zulässig.“
Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung offen gelassen, ob es sich bei
dieser Regelung um eine Individualvereinbarung handelt oder um eine Allgemeine
Geschäftsbedingung. Da aber beide Parteien davon ausgehen, dass es sich bei der
streitigen Regelung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt und weder
vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass es sich bei der Regelung um eine
ausgehandelte Individualvereinbarung handeln könnte, ist davon auszugehen, dass es
sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 BGB handelt. Allein der
Umstand, dass die Klägerin vorträgt, sie sei davon ausgegangen, dass die Regelung
dazu beitrage, eine Vollvermietung des Einkaufszentrums sicherzustellen, deutet
entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht darauf hin, dass es sich bei der
Regelung um eine Individualvereinbarung handeln könnte.
Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass
eine Betriebspflicht grundsätzlich auch durch Formularvertrag vereinbart werden kann.
Das gilt selbst dann, wenn das Betreiben des Geschäfts unrentabel ist, da die
Rentabilität eines in gemieteten Räumen betriebenen Geschäftes bzw. Unternehmens
grundsätzlich in die wirtschaftliche Risikosphäre des Mieters fällt und die formularmäßige
Vereinbarung einer Betriebspflicht insoweit im Regelfall nicht als unangemessene
Benachteiligung des Mieters zu werten ist (Schmidt/ Futterer/ Eisenschmidt, Mietrecht, 9.
Auflage, § 535, Rdnr.222; Hamann, Die Betriebspflicht des Mieters bei
Geschäftsraummietverhältnissen, ZMR, 2001, 581; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des
gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 9. Auflage, Rdnr.609; Bub/Treier, Kramer,
Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Auflage, III.A, Rdnr.938; Lindner-
Figura/Oprée/Stellmann, Geschäftsraummiete, 2. Auflage, Kap.23, Rdnr.17; Gather,
Konkurrenzschutz und Betriebspflicht bei der Geschäftsraummiete, DWW 2007, 94; BGH,
Urteil vom 19.7.2000, XII ZR 252/98; BGH, NJW RR 1992, 1032; KG KGR 2003, 315).
Dass dem so ist, stellt die Klägerin in der Berufungsinstanz auch gar nicht mehr in
Abrede und verfolgt den noch in erster Instanz geltend gemachten Hilfsantrag nicht
mehr weiter.
Die Klägerin meint aber, dass die in 10.1 und 10.2 enthaltenen Klauseln insgesamt
unwirksam seien, weil ausweislich des letzten Satzes von 10.2 auch zeitweise
Schließungen nicht zulässig sind. Der Klägerin ist zuzustimmen, dass die im letzten Satz
von 10.2 enthaltene Regelung eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben
unangemessene Benachteiligung der Klägerin gemäß § 307 Abs.1, Abs.2, Ziffer 2 BGB
beinhaltet. Unangemessen ist eine Benachteiligung, wenn der Verwender durch
einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des
Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange
hinreichend zu berücksichtigen (BGHZ 90, 280; NJW 2000, 1110; NJW 2005, 1774). Bei
der vorzunehmenden Prüfung bedarf es einer umfassenden Würdigung, in die die
Interessen beider Parteien und die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise
einzubeziehen sind (Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Auflage, § 307, Rdnr.8). Soweit die
Klausel beispielhaft eine zeitweise Schließung aus Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen
und Betriebsferien ausschließt, ist eine unangemessene Benachteiligung nicht
ersichtlich. Die Klägerin betreibt in dem Einkaufszentrum der Beklagten ein
Einzelhandelsgeschäft mit dem Hauptsortiment „Junge Mode“ und verkauft im
wesentlichen Produkte der Marke „S... “. Sie ist – bekanntermaßen - darüber hinaus
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wesentlichen Produkte der Marke „S... “. Sie ist – bekanntermaßen - darüber hinaus
auch überregional tätig. Die zeitweilige Schließung eines derartigen Geschäftes aus
Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen oder Betriebsferien ist branchenuntypisch; es ist
weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Klägerin ein berechtigtes Interesse an einer
derartigen vorübergehenden Schließung haben könnte (vgl. insoweit Bub/Treier, a.a.O.,
III.A. Rdnr.938; Neuhaus, Handbuch der Geschäftsraummiete, 2. Auflage, Rdnr.228; OLG
Naumburg, NZM 2008, 772). Branchenuntypisch ist auch eine vorübergehende
Schließung wegen Inventur, so dass auch insoweit keine unangemessene
Benachteiligung vorliegt. Da Mittagspausen, Ruhetage, Betriebsferien und Inventuren
nur beispielhaft als Gründe für eine zeitweise Schließung aufgeführt sind, ist davon
auszugehen, dass auch eine zeitweise Schließung zum Zwecke der Durchführung von
Schönheitsreparaturen, die die Klägerin gemäß § 11 Ziffer 11.1 des Vertrages
vorzunehmen hat, nach dem Vertrag nicht zulässig ist. Da die Klägerin durch diese
vertragliche Regelung an der Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten gehindert wird, wird
sie durch sie im Sinne von § 307 Abs.1, Abs.2 Ziffer 2 BGB unangemessen benachteiligt
(Hamann, a.a.O.; Lindner-Figura, a.a.O., Kap.23, Rdnr.21).
Die Klausel kann auch – anders als in dem vom OLG Naumburg entschiedenen Fall –
nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend ausgelegt werden,
dass zeitweilige Schließungen zur Durchführung vertraglich auf die Klägerin übertragener
Schönheitsreparaturarbeiten zulässig sind. In dem vom OLG Naumburg entschiedenen
Fall stand eine Klausel zur Beurteilung, die zeitweise Schließungen nicht generell
ausschloss, sondern Inventuren und Betriebs-versammlungen hiervon ausnahm. Die
vorliegende Klausel sieht keinerlei Ausnahmen von dem Verbot der zeitweisen
Schließung vor. Reduzierte man die Klausel gleichwohl auf ihren wirksamen Inhalt, läge
ein Verstoß gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion vor.
Der Umstand, dass der letzte Satz (Satz 6) der in 10.2 enthaltenen Regelung wegen
unangemessener Benachteiligung unwirksam ist, hat aber entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht die Unwirksamkeit der gesamten übrigen in 10.1 und 10.2 enthaltenen
Regelung zur Folge. Satz 6 ist sowohl sprachlich als auch inhaltlich von 10.1 und 10.2
Satz 1 bis Satz 5 abtrennbar, so dass kein Fall der unzulässigen geltungserhaltenden
Reduktion vorliegt, wenn von der Wirksamkeit der in 10.1 und 10.2 Satz 1 bis Satz 5
enthaltenen Regelung ausgegangen wird (Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10.
Auflage, Vorb. Vor § 307, Rdnr.99). 10.1 und 10.2 Satz 1 bis Satz 5 regeln die
Betriebspflicht im Allgemeinen sowie die generellen Öffnungszeiten im Einzelnen. 10.2
Satz 6 regelt den Fall der vorübergehenden, außerplanmäßigen und nur zeitweisen
Schließung und hat damit einen vollständig eigenen Regelungsgehalt (so auch im
Ergebnis OLG Naumburg, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO. Die weiteren prozessualen
Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision zum Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen, da weder die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543
Absatz 2 Satz 1 ZPO.
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