Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: schiedsrichter, unparteilichkeit, rechtliches gehör, beratung, unbefangenheit, schiedsverfahren, unabhängigkeit, voreingenommenheit, medizinrecht, neutralität

1
2
3
4
5
6
Gericht:
KG Berlin 20.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 SchH 2/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 41 ZPO, § 42 ZPO, § 1037 Abs
3 ZPO, § 1062 Abs 1 Nr 1 ZPO
Befangenheit des Schiedsrichters: Beachtung der für Richter
geltenden Gebote und berufliches Näheverhältnis zu einem
Verfahrensbevollmächtigten als Ablehnungsgrund
Leitsatz
1. Der Schiedsrichter ist verpflichtet, die für einen Richter geltenden Gebote, insbesondere
der Neutralität, Objektivität und der Wahrung der Parteirechte zu beachten.
2. Grundsätzlich maßgebend für die Frage der Befangenheit ist das Verhältnis zwischen
Schiedsrichter und Partei.
3. Ein gemeinsam mit einem Verfahrensbevollmächtigten absolvierter Fachanwaltslehrgang,
die gemeinsame Teilnahme an einem "Medizinrechtsstammtisch" und ein Duz-Verhältnis
begründen noch keine Befangenheit.
Tenor
Der Antrag des Antragstellers, die von ihm erklärte Ablehnung des Vorsitzenden des
Schiedsgerichts, Herrn Rechtsanwalt L. J., für begründet zu erklären, wird auf seine
Kosten bei einem Verfahrenswert von 125.630,82 EUR zurückgewiesen.
Gründe
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Ablehnung des Vorsitzenden des
Schiedsgerichts ist zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt
worden (§§ 1037 Abs.3, 1062 Abs.1 Nr.1 ZPO), jedoch unbegründet.
Der Antragsteller hat keine Gründe dargelegt, die geeignet sind, berechtigte Zweifel an
der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Schiedsrichters aufkommen zu lassen (§
1036 Abs.2 ZPO).
In den Vorschriften der ZPO über das schiedsrichterliche Verfahren sind zwar die
Ablehnungsgründe eines Schiedsrichters nicht ausdrücklich geregelt; es ist aber
anerkannt, dass ein Ablehnungsgrund im Sinne der §§ 41, 42 ZPO, der zur Ablehnung
eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit berechtigt, auch Zweifel an der
Unparteilichkeit des Schiedsrichters bietet, wenn die Parteien das betreffende
Näheverhältnis nicht gekannt haben bzw. nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart
haben (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.12.2001 –10
SCHH 3/01-, SchiedsVZ 2003, 134; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4.10.2007 –26 SCH
8/07-, SchiedsVZ 2008, 96; Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 1036 Rn. 10).
Der Schiedsrichter ist dementsprechend verpflichtet, die für einen Richter geltenden
Gebote, insbesondere der Neutralität, Objektivität und der Wahrung der Ausübung der
Parteirechte zu beachten. Dabei rechtfertigen allerdings nur objektive Gründe, die vom
Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken
können, der Schiedsrichter stehe dem Schiedsverfahren nicht unvoreingenommen und
damit nicht unparteiisch gegenüber, eine Ablehnung, wobei nicht erforderlich ist, dass
der Schiedsrichter tatsächlich befangen ist. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen
des Ablehnenden berechtigen hingegen nicht zur Ablehnung.
Unter Zugrundelegung der vorgenannten Kriterien hat der Antragsteller keine objektiven
Gründe vorgetragen, die nach Meinung einer „ruhig und vernünftig denkenden Partei
Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln
(Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 42 Rn.9 m.w.N.).
1. Gemeinsam mit dem Verfahrensbevollmächtigten des Schiedsbeklagten absolvierter
Fachanwaltslehrgang für Medizinrecht und gemeinsame Teilnahme am
7
8
9
10
11
12
13
14
Fachanwaltslehrgang für Medizinrecht und gemeinsame Teilnahme am
„Medizinrechtsstammtisch“, „Duz-Verhältnis“
Grundsätzlich ist maßgebend das Verhältnis zwischen Schiedsrichter und Partei. Eine
Freundschaft oder sonstige nahe Beziehung zu einem Bevollmächtigten einer Partei ist
kein Ablehnungsgrund (Zöller/Geimer, a. a. O., § 1036 Rn. 11; OLG Frankfurt, Beschluss
vom 10.1.2008 – 26 SCH 21/07-NJW 2008, 1325; a. A. Lachmann, Schiedsgerichtspraxis,
3. Aufl., Kap. 11 Rn. 1003). Der Antragsteller hat hier schon nicht dargetan, dass
zwischen dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts und dem Bevollmächtigten des
Schiedsbeklagten eine Freundschaft oder sonstige nahe Beziehung besteht. Eine solche
ergibt sich nicht schon aus der gemeinsamen Teilnahme an dem berufsbezogenen
Fachanwaltslehrgang und der vier- bis fünfmal jährlich stattfindenden gemeinsamen
Teilnahme am „Medizinrechtsstammtisch". Es ist zwangsläufig, dass Juristen, die sich auf
Medizinrecht spezialisiert haben, sich kennen und gemeinsam in Fachgremien oder
fachspezifischen Treffen auftreten (vgl. Zöller/Geimer, a. a. O., § 1036 Rn.11 zur
Schiedsgerichtsbarkeit). Insbesondere kann der Umstand, dass sich der Schiedsrichter
und der Bevollmächtigte des Schiedsbeklagten außerhalb der Verhandlung duzen, nicht
die Besorgnis rechtfertigen, zwischen den Beteiligten bestünde eine nahe persönliche
Beziehung (BGH, Beschluss vom 21.12.2006 –IX ZB 60/06- NJW-RR 2007, 776). Dazu hat
der Vorsitzende des Schiedsgerichts in seiner Stellungnahme vom 5.3.2010
unwidersprochen ausgeführt, dass es sich lediglich um ein kollegiales Duzverhältnis
handele, dass zwischen allen Teilnehmern des „Medizinrechtsstammtisches“ gepflegt
werde. Außerhalb der fachbezogenen „Stammtischrunde“ fänden auch keine privaten
Treffen statt.
Soweit sich der Antragsteller zur Begründung seiner Auffassung eines hier vorliegenden
Näheverhältnisses auf den Beschluss des OLG Frankfurt vom 10.1.2008 beruft, lag dort -
im Gegensatz zum hiesigen Fall - sowohl ein Mietverhältnis als auch ein „nicht nur
oberflächliches persönliches Verhältnis“ zwischen dem Schiedsrichter und dem
Bevollmächtigten der Partei vor. Abweichend vom hiesigen Verfahren bestand auch im
Fall des Thüringer Oberlandesgerichts (Beschluss vom 3.9.2009 -4 W 373/09-) ein - wenn
auch vergangenes - Abhängigkeitsverhältnis im Sinne einer Ausbildung und eines
Sachverständigen
Auch die mögliche Diskussion über fachspezifische Themen im Rahmen des
Medizinrechtsstammtisches, die Berührungspunkte zu dem streitgegenständlichen
Schiedsverfahren haben, wie die Frage der Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit von
Sitzbindungs-, Abfindungs- und Wettbewerbsklauseln, ist kein Umstand, der auf eine
Voreingenommenheit des Schiedsrichters schließen lässt. So ist ein Schiedsrichter, der
sich schon zu einer im Schiedsgerichtsverfahren relevanten Rechtsfrage - meist in einer
Fachzeitschrift - geäußert hat, bei Zugrundelegung der für Richter geltenden Maßstäbe
nicht als befangen anzusehen, wenn nicht besondere Umstände, z. B. Sturheit und
Unbelehrbarkeit, hinzukommen (Lachmann, a. a. O., Kap. 11 Rn.1011 und
Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 42 Rn. 33 mit Rechtsprechungshinweisen).
2. Verhandlungsführung des Vorsitzenden
Das Vorbringen des Antragstellers, der Vorsitzende des Schiedsgerichts habe „kritische
Fragen“ nahezu ausschließlich an ihn gerichtet, z. B. bezüglich der Folgen des Verlustes
der orthopädischen Zulassung für seine Praxis, vermögen ebenfalls nicht Zweifel an der
Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden des Schiedsgerichts zu begründen. Ein im
Rahmen der richterlichen Aufklärungspflicht gebotenes richterliches Verhalten begründet
niemals einen Ablehnungsgrund. Dass die Fragen aus sachfremden Erwägungen
erfolgten und nicht der gebotenen Substantiierung des Vortrags des Schiedsklägers
dienten, ist nicht ersichtlich.
Ebensowenig begründet ein die Entschließungsfreiheit nicht beeinträchtigender
rechtlicher Hinweis an eine Partei die Ablehnung eines Schiedsrichters, insbesondere
dann, wenn der Schiedsrichter - wie im vorliegenden Fall - auf die geäußerte
Rechtsansicht des Bevollmächtigten des Antragstellers hin die Entscheidung
ausdrücklich mit der Bemerkung, dass „man dies werde sehen müssen“, offenhält.
Aus welchen Gründen die Bemerkung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts, dies sei
das „allgemeine Lebensrisiko“ des Schiedsklägers auf dessen Vortrag hin, dass dann,
wenn dieser seine operative Tätigkeit im Krankenhaus bei einem Unfall oder bei
Krankheit einstellen müsse, er ausschließlich auf Einnahmen aus der Praxistätigkeit
angewiesen sei, auf eine Voreingenommenheit des Vorsitzenden des Schiedsgerichts
schließen lässt, vermag der Senat nicht zu erkennen.
Auch ist aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht ersichtlich, warum die im
14
15
16
17
18
19
20
Auch ist aus dem Vorbringen des Antragstellers nicht ersichtlich, warum die im
Schiedsgericht unterlassene Thematisierung der rechtlichen Möglichkeit der hälftigen
Teilung der orthopädischen Zulassung/des orthopädischen Vertragsarztsitzes vor dem
Vergleichsvorschlag des Schiedsklägers Zweifel an der Unabhängigkeit oder
Unparteilichkeit des Vorsitzenden Schiedsrichters wecken könne, denn eine
entsprechende Antragstellung des Schiedsklägers im Schiedsverfahren ist nicht
ersichtlich. Daher musste diese Frage auch nicht im Schiedsgericht erörtert werden.
3. Telefonische Mitteilung über das Ergebnis der Beratung des Schiedsgerichts am
24.2.2010
Auch in der telefonischen Mitteilung des Beratungsergebnisses des Schiedsgerichts vom
22.2.2010 ist keine unzulässige Vorfestlegung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts zu
sehen.
Nach den unwidersprochenen Ausführungen des Vorsitzenden Schiedsrichters in seiner
Stellungnahme und den Ausführungen des Schiedsgerichts in seinem Beschluss vom
12.3.2010 kam das Schiedsgericht am 22.2.2010 nach dreistündiger Beratung zu einem
Ergebnis, wobei der Tenor des Schiedsspruches noch nicht ausformuliert war. Da damit
zu rechnen war, dass die Parteivertreter am Abend dieses Tages telefonisch bei dem
Vorsitzenden nach dem Ergebnis der Beratung fragen würden, ermächtigte das
Schiedsgericht den Vorsitzenden, über die zu erwartende Entscheidung Auskunft zu
geben. Dabei war allen Schiedsrichtern klar, dass damit der Schiedsspruch nicht existent
war und jeder Schiedsrichter vor der Unterzeichnung des Schiedsspruchs einen erneuten
Eintritt in die Beratung verlangen konnte. Die im Einvernehmen mit den anderen
Schiedsrichtern und auf ausdrücklichen Wunsch des Antragstellers erfolgte Mitteilung
des Beratungsergebnisses konnte keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit des
Vorsitzenden Richters wecken, weil allen Beteiligten bewusst war, dass es sich nur um
das Ergebnis der Beratung und damit um eine beabsichtigte Entscheidung handelte, die
von jedem Schiedsrichter noch in Frage gestellt werden konnte. Daher war es auch nicht
notwendig, dass der Vorsitzende Schiedsrichter darauf hinwies, dass es sich um eine
vorläufige Entscheidung vorbehaltlich des endgültigen, von allen Schiedsrichtern
unterzeichneten Schiedsspruchs handelte und er ausdrücklich nur einen „rechtlichen
Hinweis“ erteilte. Denn die Unparteilichkeit gebietet dem Richter nicht, dass er sich über
den von ihm nach Prüfung der Sach- und Rechtslage erwartenden Ausgang nicht klar
äußert, sondern ausschließlich in der Möglichkeitsform formuliert (OLG Naumburg,
Beschluss vom 30.11.2006 -10 W 86/06-, MDR 2007, 794; Zöller/Vollkommer, a. a.O., §
42 Rn. 26). Es bestand auch nicht die Besorgnis, der Vorsitzende Schiedsrichter werde
auf Grund einer Vorfestlegung noch möglichen Vortrag des Antragstellers
unberücksichtigt lassen. Denn den Parteien war nicht mehr rechtliches Gehör zu
gewähren, weil die mündliche Verhandlung bereits geschlossen und ein
Schriftsatznachlass nicht gewährt war.
4. Verletzung der Offenbarungspflicht hinsichtlich eines möglichen Näheverhältnisses
Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegt auch in der mangelnden Offenbarung
der –gemeinsam mit dem Bevollmächtigten des Schiedsbeklagten – erfolgten Teilnahme
an dem „Medizinrechtsstammtisch“ und des „Duz-Verhältnisses“ kein Grund für Zweifel
an der Unvorgenommenheit des Vorsitzenden Schiedsrichters.
Zwar zeigt schon die Formulierung des § 1036 Abs.1 Satz 1 ZPO, wonach alle Umstände
offen zu legen sind, die Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des
Schiedsrichters wecken können, dass der Kreis der offenbarungspflichtigen Tatsachen
sehr weit, weiter als der der Ablehnungsgründe gezogen ist. Diese Rechtslage führt aber
nicht dazu, dass der Schiedsrichter auf „alles Mögliche“, sondern nur auf Umstände
hinzuweisen hat, von denen er annehmen muss, sie könnten bei vernünftiger
Betrachtung Zweifel an seiner Unbefangenheit und Unparteilichkeit erwecken (OLG
Naumburg, Beschluss vom 19.12.2001 – 10 SCHH 3/01-, SchiedsVZ 2003, 134;
Lachmann, a. a. O., Kap. 11 Rn. 1038). Unterlässt der Schiedsrichter wie hier den
Hinweis auf Umstände, die eindeutig und klar ungeeignet waren, die Besorgnis seiner
Befangenheit zu begründen (gemeinsame Teilnahme an einem Fachanwaltslehrgang,
allein berufsbezogenes Treffen mit dem Bevollmächtigten des Schiedsbeklagten im
Rahmen des „Medizinrechtsstammtisches“ und darauf bezogenes kollegiales Duz-
Verhältnis) und die damit bei einer Partei bei vernünftiger Betrachtung auch keine
Zweifel an seiner Unbefangenheit und Unparteilichkeit wecken konnten, so liegt darin
weder ein Pflichtverstoß noch ein gesonderter Ablehnungsgrund. Zwar sind die
Anforderungen an die vom Schiedsrichter zu offenbarenden Umstände nicht mit denen
gleichzusetzen, die bei der Prüfung der Besorgnis der Befangenheit wegen dieser
Umstände gelten. Sie sind geringer und können auch Umstände erfassen, die die
21
Umstände gelten. Sie sind geringer und können auch Umstände erfassen, die die
Ablehnung des Schiedsrichters wegen Befangenheit in den Augen des später darüber
befindenden Gerichtes an sich noch nicht rechtfertigen. Solche Umstände können
nämlich trotzdem Zweifel an der Unparteilichkeit und Unbefangenheit des
Schiedsrichters wecken. Hierfür müssen jedoch ausreichende Anhaltspunkte vorliegen,
die eine solche Möglichkeit nahe legen. Allein die - nicht auf hinreichende Anhaltspunkte
- gestützte Behauptung einer Partei, bei ihr hätten die verschwiegenen Umstände
Zweifel an der Unbefangenheit und Unparteilichkeit des Schiedsrichters geweckt oder
wecken können, würde die Aushöhlung der Anforderungen an die Ablehnung wegen
Besorgnis der Befangenheit bewirken. Denn ein Umstand, der schon an sich die
Ablehnung des Schiedsrichters wegen Befangenheit eindeutig nicht begründet, darf nicht
auf dem Umweg über die Ablehnung wegen unterlassener Offenbarung dieses
Umstandes doch noch zur Ablehnung des Schiedsrichters führen (vgl. OLG Naumburg,
a. a. O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO. Der Verfahrenswert ist
entsprechend § 3 ZPO auf 1/3 des Hauptsachewerts zu schätzen.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum