Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: verbot unmenschlicher und erniedrigender behandlung, garantie der menschenwürde, unterbringung, toilette, soft law, verfügung, luftraum, resozialisierung, aufenthalt, rechtsverordnung

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Gericht:
KG Berlin 2.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2/5 Ws 189/05 Vollz
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 1 Abs 1 GG, Art 3 MRK, § 144
Abs 1 StVollzG
Strafvollzug: Verletzung von Grund- und Menschenrechten
wegen eines zu kleinen Haftraumes
Leitsatz
1. Aus den die Erfordernisse eines Haftraums beschreibenden Normen des StVollzG kann der
Gefangene keinen subjektiven Anspruch ableiten. § 144 Abs. 1 StVollzG richtet sich
ausschließlich an die Vollzugsbehörden und verschafft dem Gefangenen unmittelbar keinen
Anspruch.
2. Eine etwa dreimonatige Unterbringung eines Gefangenen in einem 5,3 qm großen
Haftraum verstößt für sich genommen noch nicht gegen die Menschenwürde oder das Verbot
unmenschlicher und erniedrigender Behandlung.
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des ehemaligen Gefangenen gegen den Beschluß des
Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 7. März 2005 wird verworfen.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 2.000 Euro festgesetzt.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Der Antragsteller verbüßte eine mehrjährige Gesamtfreiheitsstrafe wegen Betruges in
den Justizvollzugsanstalten Moabit, Tegel und Charlottenburg. Im August 2007 wurde er
nach Verbüßung der Strafe in die Freiheit entlassen.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG) vom 10. August
2004, den er am 31. August 2004 ergänzte, begehrte er festzustellen, daß in den Jahren
1997 bis 2004 seine Unterbringung in einer Reihe von Hafträumen der Vollzugsanstalten
Tegel und Moabit menschenunwürdig gewesen sei. Ferner verlangte er die Leistung von
Schadensersatz. Teils seien die Hafträume zu klein, teils sei der Toiletten- und
Waschbereich nicht baulich abgetrennt gewesen. Nach teilweiser Antragsrücknahme
hatte die Strafvollstreckungskammer noch über folgende Anträge zu entscheiden:
1a) Feststellung, daß die gemeinschaftliche Unterbringung in einem „zu kleinen
Haftraum mit nicht baulich abgetrennter Toilette“ in der Justizvollzugsanstalt Moabit vom
28. Januar bis 11. März 2003 rechtswidrig war,
1b) Gewährung von 2.700 Euro Schadensersatz für die Unterbringung zu 1a,
2a) Feststellung, daß die Einzelunterbringung (mit nicht baulich abgetrennter
Toilette) in dem etwa 5,3 qm großen Haftraum A 3/85 in der Teilanstalt (TA) I der
Justizvollzugsanstalt Tegel vom 5. Februar bis 3. Mai 2004 rechtswidrig war,
2b) Gewährung von 5.400 Euro Schadensersatz für die Unterbringung zu 2a.
Die Strafvollstreckungskammer hat die Anträge mit dem angefochtenen Beschluß vom
7. März 2005 als unzulässig zurückgewiesen, den Antrag zu 1a wegen Verwirkung,
diejenigen zu 1b und 2b, weil im Verfahren nach § 109 Abs. 1 StVollzG keine
Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können. Zu 2a hat sie entschieden,
dieser sei kein Fortsetzungsfeststellungsantrag, sondern ein allgemeiner
Feststellungsantrag, weil sich die Maßnahme lange vor der Antragstellung erledigt habe.
Dafür fehle das Feststellungsinteresse. Im folgenden hat sie zu ihm inhaltlich dahin
Stellung genommen, die Grundfläche von „5,3 qm oder auch 5 qm“ verstoße nicht
gegen die Menschenwürde und sei „gerade noch hinnehmbar“. Eine Mindestgrundfläche
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gegen die Menschenwürde und sei „gerade noch hinnehmbar“. Eine Mindestgrundfläche
von 7 qm, wie der Beschwerdeführer meint, habe die Rechtsprechung nicht verlangt.
Gegen diesen Beschluß hat der ehemalige Gefangene die Rechtsbeschwerde erhoben
und mit der Sachrüge begründet. Nachdem der Senat die Prozeßkostenhilfe nur für den
Antrag zu 2a gewährt hatte, der sich auf den mit einer Grundfläche von etwa 5,3 qm und
einem Rauminhalt von etwa 14,3 Kubikmeter einschließlich nicht baulich abgetrennter
Toilette ausgestatteten Haftraum in der Teilanstalt (TA) I Justizvollzugsanstalt Tegel
bezog, wo der ehemalige Gefangene vom 5. Februar bis zum 3. Mai 2004 während der
Eingangsuntersuchung untergebracht war, hat er die Rechtsbeschwerde auf dieses
Begehren beschränkt und die Sachrüge weiter ausgeführt.
Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.
I.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
1. Der Senat hat von Amts wegen zu überprüfen, ob der Antrag auf gerichtliche
Entscheidung zulässig war (vgl. OLG Celle NStZ 1989, 295; OLG Stuttgart NStZ 1986,
480; Kamann/Volckart in AK-StVollzG 5. Aufl., § 116 Rdn. 4). Denn dies stellt eine
Verfahrensvoraussetzung dar. Fehlte sie, wären die Rechtsbeschwerde und der Antrag
des ehemaligen Gefangenen ohne weiteres als unzulässig zurückzuweisen (vgl. OLG
Stuttgart aaO).
a) Die Prüfung ergibt, daß der ehemalige Gefangene entgegen der Auffassung der
Strafvollstreckungskammer einen zulässigen Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt
hat, mit dem er seine während der beanstandeten Haftsituation angebrachten
Beschwerden gegenüber der Vollzugsbehörde fortgeführt hat.
aa) Als allgemeiner Feststellungsantrag – ohne vorheriges Herantreten an die
Vollzugbehörde - wäre das Begehren des Gefangenen nicht zulässig gewesen. Im
Hinblick auf die in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Rechtsschutzgarantie ist zwar anerkannt,
daß ein derartiger Antrag zur Füllung eventueller Rechtsschutzlücken zulässig sein muß,
obwohl das Strafvollzugsgesetz diese Antragsart nicht regelt (vgl. OLG Frankfurt am
Main NStZ-RR 2004, 29 = ZfStrVO 2004, 106; NJW 2003, 2843, 2844 jew. mit weit.
Nachw.). Ganz überwiegend, so auch vom beschließenden Senat, wird aber
angenommen, daß ein solcher Antrag neben einer Anfechtungs- bzw.
Verpflichtungsklage subsidiär ist (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO; Senat, Beschluß vom
28. Juli 2006 – 5 Ws 426/06 Vollz -; Kamann/Volckart § 109 StVollzG Rdn. 32; a.A: OLG
Karlsruhe ZfStrVO 2005, 299). Nur dann, wenn dem Gefangenen weder die Anfechtungs-
, noch die Verpflichtungsklage zur Verfügung steht, ist ein Feststellungsantrag zulässig,
dem kein vorheriges Herantreten an die Vollzugsbehörde vorausgegangen ist, das nach
seiner Erledigung mit einem Fortsetzungsfeststellungsantrag fortgeführt werden könnte
(vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2004, 29 = ZfStrVO 2004, 106; Senat, Beschluß
vom 27. August 2007 – 2/5 Ws 376/06 Vollz – mit weit. Nachw.).
Bei der Unterbringung in einem für die konkrete Vollzugssituation unangemessenen
Haftraum handelt es sich um eine den Gefangenen belastende Maßnahme, gegen die er
sich mit einer Anfechtungsklage wehren kann. Lehnt die Vollzugsbehörde sein Begehren
auf Verlegung ab, so kann er dem mit einem Verpflichtungsantrag begegnen. Der
Antrag ist demnach nur dann zulässig, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine
Anfechtungs- oder eine Verpflichtungsklage vorgelegen haben (vgl. OLG Frankfurt am
Main NStZ 2003, 266 –Ls; OLG Hamm NStZ 1983, 240; Senat, Beschluß vom 16. Juni
2004 – 5 Ws 212/04 Vollz -; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 115 Rdn. 14). Dazu
gehört, daß sich der (ehemalige) Gefangene zuvor mit seinem Begehren an die Anstalt
gewendet hat (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO; Senat, Beschluß vom 14. März 2007 –
2/5 Ws 325/05 Vollz – sowie zur Untersuchungshaft: KG, Beschlüsse vom 24. Mai 2006 –
4 VAs 78/05 -; 25. Mai 2005 – 4 VAs 16/05 – und 21. Mai 2003 – 4 VAs 17/03 -).
bb) Im Streitfall ist diese Voraussetzung erfüllt. Der Gefangene hat sich mehrfach über
den ihm zugewiesenen Haftraum beschwert und seine Verlegung in einen größeren
verlangt. Seiner diesbezüglichen Behauptung ist die Vollzugsbehörde nicht nur nicht
entgegengetreten, sondern sie hat sie durch die Bezeichnung seines Antrages als
Fortsetzungsfeststellungsantrag (in ihrer Stellungnahme vom 15. November 2004) noch
indirekt bestätigt. Die Strafvollstreckungskammer hat keine entgegenstehenden
Feststellungen getroffen, die den Senat binden könnten. Die Behandlung des Antrags als
reiner Feststellungsantrag ist Rechtsanwendung und keine Feststellung einer Tatsache.
Demnach liegt ein Fortsetzungsfeststellungsantrag vor, der gemäß § 115 Abs. 3
StVollzG statthaft und auch dann zulässig ist, wenn sich die im Wege des Anfechtungs-
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StVollzG statthaft und auch dann zulässig ist, wenn sich die im Wege des Anfechtungs-
oder Verpflichtungsantrags zu behandelnde Maßnahme bereits vor Antragstellung
erledigt hatte (vgl. OLG Frankfurt am Main NJW 2003, 2843, 2844 mit weit. Nachw.; NStZ
2003, 266 -Ls).
b) Auch die erforderlichen übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Antrag auf
gerichtliche Entscheidung auf Anfechtung einer Maßnahme oder der Verpflichtung hierzu
(vgl. OLG Frankfurt am Main aaO; Calliess/Müller-Dietz, § 115 StVollzG Rdn. 14;
Kamann/Volckart aaO) liegen vor. Der Antrag ist rechtzeitig gestellt, und der
Beschwerdeführer hatte das erforderliche Feststellungsinteresse.
aa) Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG muß der Antrag auf gerichtliche Entscheidung
binnen zwei Wochen nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme
oder ihrer Ablehnung gestellt werden. Die Zuweisung eines Haftraums geschieht in der
Regel – so auch hier – mündlich, so daß diese Frist mangels schriftlicher Bekanntgabe
nicht zu laufen beginnt.
Gleichwohl kann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht unbegrenzt angebracht
werden. Für die Geltendmachung eines Anspruchs auf die Vornahme einer Maßnahme
der Vollzugsbehörde ordnet § 113 Abs. 3 StVollzG ausdrücklich eine Jahresfrist an. Da
die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen nicht unbegrenzt in der Schwebe bleiben darf, wird
diese Vorschrift entsprechend auch auf Anfechtungsbegehren angewendet (vgl. BVerfG
NStZ-RR 2004, 59 = ZfStrVO 2003, 375; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2004, 29, 30;
OLG Nürnberg, Beschluß vom 2. Juni 1986 – Ws 297/86; Kamann/Volckart, § 112 StVollzG
Rdn. 3; Calliess/Müller-Dietz, § 112 StVollzG Rdn. 1; Arloth/Lückemann, § 112 Rdn. 2;
ebenso für Verfahren nach § 23 EGGVG unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung:
BVerfGE 32, 305, 309; OLG Karlsruhe ZfStrVO 2005, 314; ThürOLG Jena ZfStrVO 2003,
306, 308). Die Jahresfrist ist eingehalten; der Gefangene hat sich vom 5. Februar 2004
bis zum 3. Mai 2004 in dem Haftraum befunden. Am 10. August 2004 hat er den Antrag
auf gerichtliche Entscheidung gestellt.
bb) Der Gefangene hat auch ein Feststellungsinteresse. Es ist dann gegeben, wenn er
eine tiefgreifende Grundrechtsverletzung oder eine Verletzung der Menschenwürde
schlüssig geltend macht (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456; NJW 2002, 2699; NJW 2002, 2700;
BVerfGK 6, 344; OLG Karlsruhe StV 2006, 706; ZfStrVO 2005, 299; OLG Hamm StV
2006, 152 = ZfStrVO 2005, 301; OLG Frankfurt am Main NJW 2003, 2843; NStZ-RR 2004,
29; Senat, Beschluß vom 14. März 2007 – 2/5 Ws 325/05 Vollz -). Das schützenswerte
Interesse für die nachträgliche Feststellung, der Antragsteller sei in einem ungeeigneten
Haftraum untergebracht worden, setzt nicht voraus, daß die Menschenwürde im
Ergebnis verletzt sein muß. Es genügt, wenn ihre Verletzung oder eine tiefgreifende
Beeinträchtigung eines Grundrechts ernstlich in Betracht kommt. Zwar sollen die
Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG und das Verbot unmenschlicher und
erniedrigender Behandlung in Art. 3 EMRK nicht übertriebenen Empfindlichkeiten
Rechnung tragen, sondern vor extremen Belastungen schützen, die den Kern des
Menschseins angreifen (vgl. Senat, Beschluß vom 4. Mai 2004 – 5 Ws 140/04 Vollz – zur
nur zweiwöchigen Unterbringung in einem 5,25 qm großen Einzelhaftraum; Starck in von
Mangoldt/Klein/Starck, GG 5. Aufl., Art. 1 Rdn. 15). Dieser Gedanke darf aber nicht in der
Weise auf die Zulässigkeitsebene durchgreifen, daß eine Beeinträchtigung, welche die
Menschenwürde zu berühren geeignet ist, im Ergebnis aber nicht die erforderliche Stärke
aufweist, um diese Verbürgung zu verletzen, den Antragsteller vom Rechtsschutz
abschneidet. Denn forderte man das Vorliegen einer Menschenrechtsverletzung als
Voraussetzung für das Feststellungsinteresse, so vermischte man das sachlich-
rechtliche Ergebnis mit der Frage der Zulässigkeit. Das wäre mit einer Rechtsgewährung,
die zu den aufgeworfenen Rechtsproblemen inhaltlich vordringen soll, nicht vereinbar.
Bei der Auslegung und Anwendung von Verfahrensvorschriften ist dem
verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 in Verb. mit Art. 20 Abs. 3 GG verankerten
Fairnessgebot (vgl. allgemein: Jarass/Pieroth, GG 7. Aufl., Art. 20 Rdn. 94 mit weit.
Nachw.) verstärkt Rechnung zu tragen. Das Verfahrensrecht ist so anzuwenden, daß die
eigentlichen materiellen Rechtsfragen entschieden werden und ihnen nicht durch
übertriebene Anforderungen an das formelle Recht ausgewichen wird (vgl. BVerfG NJW
2005, 814; Senat NStZ-RR 2005, 356). Soweit der Senat in dem vorbezeichneten
Beschluß vom 4. Mai 2004 – 5 Ws 140/04 Vollz – prozessual eine andere Ansicht
vertreten hat, hält er insoweit daran nicht mehr fest.
cc) Das Rechtsmittel erfüllt die besonderen Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG.
Es ist zur Fortbildung des Rechts zulässig. Denn zur Unterbringung in einem
Einzelhaftraum hat sich die obergerichtliche Rechtsprechung bislang noch nicht
eingehend geäußert.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1. Das Rechtsmittel hat nicht schon deswegen Erfolg, weil die
Strafvollstreckungskammer den Antrag zu Unrecht als unzulässig angesehen hat. Die
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache wird
zwar bei dieser Konstellation häufig unausweichlich sein (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluß
vom 9. September 2003 – 1 Ws 45/03 – juris; Senat, Beschluß vom 27. August 2007 –
2/5 Ws 376/06 Vollz -), weil dann in dem angefochtenen Beschluß keine ausreichenden
Feststellungen getroffen sind, um dem Senat die Gelegenheit zu geben nachzuprüfen,
ob das sachliche Recht zutreffend angewendet worden ist. So liegt es hier aber nicht. Die
Strafvollstreckungskammer hat trotz ihrer Einschätzung, dem Antrag fehle das
erforderliche Feststellungsinteresse, die zur Nachprüfung der materiellen Rechtslage
nötigen Feststellungen getroffen und auch ihre rechtliche Ansicht, die konkrete
Unterbringung sei hinnehmbar, - wenn auch knapp – begründet.
2. Die Unterbringung eines einzelnen Gefangenen in einem 5,3 qm großen Haftraum
verstößt nicht gegen Gesetze, welche die erforderliche Bodenfläche oder den nötigen
Mindestluftraum eines Haftraums in Zahlen ausdrücklich und bindend festlegen.
a) Gemäß § 144 Abs. 2 StVollzG ist das Bundesministerium der Justiz ermächtigt, durch
Rechtsverordnung Näheres über die Bodenfläche, den Luftinhalt und weitere ähnliche
Mindestmaße zu bestimmen. Eine solche Verordnung ist seit dem Inkrafttreten des
Strafvollzugsgesetzes am 1. Januar 1977 durch den Bundesgesetzgeber nicht erlassen
worden. Durch Art. 1 Nr. 7 Buchstabe a) Doppelbuchstabe aa) des Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes (BGBl. I S. 2034, 2035) ging die
Gesetzgebungszuständigkeit mit Wirkung vom 1. September 2006 (Art. 2 dieses
Gesetzes, BGBl. I S. 2038) auf den Landesgesetzgeber über; das Strafvollzugsgesetz gilt
gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG fort. Auch der Landesgesetzgeber hat die
Rechtsverordnung nicht geschaffen. Dieser Rechtszustand kontrastiert auffällig zu der
oft minutiösen Regelung, die der Gesetzgeber denjenigen Raum- und Flächenmaßen hat
angedeihen lassen, deren Beachtung, Herstellung und Finanzierung überwiegend
Privaten obliegt – wie Wohnräumen in Wohnheimen, Arbeitsräumen, Tiergehegen (vgl.
etwa § 6 Tierschutz-Hundeverordnung), Krankenzimmern etc. -, worauf der Verteidiger
zutreffend hingewiesen hat. Das ändert aber nichts daran, daß es eine gesetzlich
festgelegte Mindestgröße nicht gibt. Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten lassen
sich nicht – auch nicht in entsprechender Anwendung - auf Hafträume übertragen.
b) § 144 Abs. 1 StVollzG beschreibt (nur) allgemein, welche Eigenschaften ein Haftraum
besitzen soll, um in baulicher Hinsicht dem Anliegen des Gesetzes gerecht zu werden,
die Resozialisierung des Gefangenen nach Kräften zu fördern. Die gesetzliche
Festlegung, die Räume zweckentsprechend, wohnlich und für eine gesunde
Lebensführung ausreichend auszustatten, hat indes zur Aufstellung von
Verwaltungsanordnungen geführt. Obwohl diese ebenso wie § 144 Abs. 1 StVollzG keinen
individuellen Anspruch verschaffen, können ihnen Anhaltspunkte dafür entnommen
werden, welche Mindestgröße die Landesjustizverwaltungen für erforderlich halten, um
dem Gebot einer an den gesetzlichen Haftzwecken ausgerichteten Unterbringung
zweifelsohne zu entsprechen (vgl. Senat ZfStrVO 1980, 191; Beschluß vom 18. Juli 1969
– 2 VAs 2/69 -).
Unter Übernahme der bereits vor dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes
geltenden Richtlinien zu Nr. 106 der Dienst- und Vollzugsordnung (DVollzO) vom 1.
Dezember 1961 – in Kraft seit dem 1. Juli 1962 - ordnete der Senator für Justiz mit seiner
Allgemeinen Verfügung vom 15. Dezember 1976 – 5310 – V/3 - zu § 144 Abs. 1 StVollzG
(ABl. 1977 S. 917) an:
Nr. 2 Satz 1: Hafträume, die zum Aufenthalt bei Tage und bei Nacht dienen, sollen
mindestens 22 Kubikmeter Luftraum haben.
Nr. 3 Satz 1: Hafträume, die zum Aufenthalt bei Nacht und ausnahmsweise zum
Aufenthalt in der arbeitsfreien Zeit dienen (Schlafräume), sollen mindestens elf
Kubikmeter Luftraum haben.
Nr. 4: In gemeinsamen Räumen, die zum Aufenthalt bei Tage und bei Nacht benutzt
werden, sollen auf jeden Gefangenen mindestens 16 Kubikmeter Luftraum entfallen.
Nr. 6: Diese Regelung gilt mit Wirkung vom 1. Januar 1977 bis zum Inkrafttreten der
Rechtsverordnung nach § 144 Abs. 2 StVollzG.
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Diese Allgemeine Verfügung galt nicht nur zur Beschreibung der erforderlichen Flächen-
und Raummaße bei Neubauten (vgl. Senat ZfStrVO 1980, 191, 192); eine
Übergangsregelung für bestehende Anstalten (wie § 201 Nr. 3 StVollzG) existiert dafür
nicht.
Im Jahre 1976 hatten die Landesjustizverwaltungen diese Verfügung bundesweit
einheitlich verabschiedet (vgl. S. 28 der Antwort der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland < Bl. 121, 122 der Akten > auf den Bericht des Europäischen Ausschusses
zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung oder Strafe < CPT =
Committee for the Prevention of Torture and inhuman or degrading treatment or
punishment > vom 2. Oktober 1992, EuGRZ 1993, 329).
Die Senatsverwaltung für Justiz druckte diese Verfügung in dem von ihr
herausgegebenen Verzeichnis aller das Strafvollzugsgesetz betreffenden Anordnungen
mehr als zwanzig Jahre lang ab. Daran änderte sich im Land Berlin erst im Zuge der
„Verwaltungsreform“ etwas, und zwar zum Nachteil der Gefangenen an äußerst
versteckter Stelle. Art. I Nr. 3 des Zweiten Gesetzes zur Reform der Berliner Verwaltung
(2. Verwaltungsreformgesetz – 2. VerwRefG) vom 25. Juni 1998 (GVBl. S. 177, 178)
bestimmte:
„Das Allgemeine Zuständigkeitsgesetz in der Fassung vom 22. Juli 1996 (GVBl. S.
302, 472) ... wird wie folgt geändert: 3. Die §§ 6 und 7 erhalten folgende Fassung: „ ... (5)
Verwaltungsvorschriften sollen eine Begrenzung ihrer Geltungsdauer enthalten. Die
Geltungsdauer darf nicht über fünf Jahre, bei Verwaltungsvorschriften des Senats nicht
über zehn Jahre hinaus erstreckt werden. Ist die Geltungsdauer von
Verwaltungsvorschriften nicht begrenzt, so treten sie fünf Jahre, solche des Senats zehn
Jahre nach Ablauf des Jahres außer Kraft, in dem sie erlassen worden sind.“
Damit war die aus dem Jahre 1976 stammende Allgemeine Verfügung im Land Berlin
außer Kraft getreten; denn sie enthielt keine Begrenzung der Geltungsdauer auf einen
im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 2 AZG zeitlich fest bestimmbaren Zeitraum. In der
Folgezeit erneuerte die Senatsverwaltung zahlreiche ihrer auf diese Weise außer Kraft
getretenen Allgemeinen Verfügungen, jedoch nicht die § 144 Abs. 1 StVollzG
betreffende; sie wurde aus der Vorschriftensammlung entfernt und nicht ersetzt. Daher
gelten seitdem im Land Berlin auch auf der Ebene der Verwaltungsanordnungen keine
Festlegungen für Flächen- und Raummaße.
c) In Nr. 14-19 des Anhangs zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen –
Empfehlung R (87) 3 des Ministerkomitees des Europarates vom 12. Februar 1987 (bei
Kerner/Czerner, Die Empfehlungen des Europarates zum Freiheitsentzug, 2004) sind
Mindestmaße ebenso wenig genannt wie in deren Neufassung vom 11. Januar 2006. Das
CPT legt die allgemein gehaltenen Empfehlungen dahin aus, daß die Bodenfläche einer
Einzelzelle sechs qm nicht unterschreiten sollte und bei Mehrfachbelegung jedem
Gefangenen mindestens vier qm zur Verfügung stehen müßten. Festgeschrieben ist die
Haftraumgröße demgemäß nicht.
Internationale Normierungen von Standards (vgl. auch die Aufstellung bei Feest/Lesting
in AK, vor § 1 StVollzG Rdn. 7) verleihen als sogenanntes „soft law“ keinen Anspruch,
weil diese Empfehlungen nicht rechtlich verbindlich sind. Die Vollzugsbehörden sollen die
Empfehlungen bei der Ausübung ihres Ermessens heranziehen; eine generelle Pflicht
dazu trifft sie nicht (vgl. Neubacher ZfStrVO 2001, 212, 213). Freilich sind sie bei der
Überlegung heranzuziehen, von welchem Maß der Verschlechterung der
Haftbedingungen an das Recht des Gefangenen auf die Achtung seiner Menschenwürde
verletzt wird (vgl. Neubacher aaO).
3. Die beanstandete Unterbringung entspricht auf keinen Fall dem Standard, den der
Gesetzgeber entsprechend der in § 144 Abs. 1 StVollzG vorgenommenen Beschreibung
und den das Strafvollzugsgesetz leitenden Prinzipien zur Behandlung und
Resozialisierung der Gefangenen für geboten erachtet hat. Daß die Verheißung des §
144 Abs. 2 StVollzG, durch Rechtsverordnung der Bundesregierung das Nähere zu den
Mindestvoraussetzungen auch zahlenmäßig zu bestimmen, nie erfüllt worden ist, liegt
(auch) daran, daß die Bundesländer, denen die Ausführung des Gesetzes obliegt, mit
der oben zitierten einheitlichen Allgemeinen Verfügung eine angemessene Regelung
gefunden hatten, die den Anforderungen an einen an der Resozialisierung
ausgerichteten Strafvollzug entsprachen und den Meinungsstand der Bundesländer
wiedergaben. Wenn das Land Berlin auf – angesichts des im Thema
„Verwaltungsreform“ versteckten Ortes der gesetzlichen Änderung – fast unerkennbare
Weise diese Vereinbarung aufgekündigt hat, so beruht dies nicht auf einer geänderten
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Weise diese Vereinbarung aufgekündigt hat, so beruht dies nicht auf einer geänderten
Sicht der Erfordernisse des Strafvollzuges und schon gar nicht auf einer Wandelung der
allgemeinen Ansichten hierzu und der Notwendigkeiten der Behandlung der seit 1977
nicht leichter handhabbar gewordenen Gefangenenklientel, sondern auf dem Fehlen des
politischen Willens, dem eigentlich selbstverständlichen Zwang zu folgen, finanzielle
Mittel zu dem durch § 144 Abs. 1 StVollzG gesetzlich jahrzehntelang vorgegebenen
Zweck rechtzeitig zu bewilligen und einzusetzen.
Zur Resozialisierung gehört es, im Gefangenen die Erkenntnis zu wecken und zu
festigen, gesetzliche Gebote strikt einzuhalten, und zwar auch dann, wenn seine
beengten finanziellen Verhältnisse oder andere Versuchungen eine Überschreitung der
ihm gesetzten normativen Grenzen nahelegen. Dem Verurteilten soll in diesem
Zusammenhang vermittelt werden, sein Leben planvoll und verantwortungsbewußt in die
Hand zu nehmen und nicht dissozial „von der Hand in den Mund“ zu leben und
strukturlos seinen aus dem Augenblick geborenen scheinbaren Bedürfnissen zu folgen.
Dieses Bemühen wird konterkariert, wenn gesetzliche Vorschriften, die sich an die
Verwaltung richten, aus ebensolchen Gründen nicht umgesetzt werden.
Dementsprechend hat die Senatsverwaltung für Justiz in ihrer Erwiderung zur
Rechtsbeschwerde auch entschuldigend ausgeführt:
„Wiewohl die Unterbringung des Beschwerdeführers rechtlich nicht zu beanstanden
ist, verkenne ich nicht, dass die Unterbringungssituation unbefriedigend ist. Leider wird
aber die auch dem Gericht bekannte Überfüllung der Berliner Justizvollzugsanstalten die
Belegung der Teilanstalt I der Justizvollzugsanstalt Tegel auch auf absehbare Zeit
erfordern. Der Senat von Berlin weiß um die Notwendigkeit der Schaffung weiterer
Haftplatzkapazitäten und wirkt aus diesem Grunde trotz der angespannten
Haushaltssituation gegenüber dem Abgeordnetenhaus auf den Neubau einer
Haftanstalt des geschlossenen Männervollzuges hin.“
Während der Diskussion über die geplante und schließlich mit Wirkung vom 1.
September 2006 beschlossene (siehe oben) Übertragung der
Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet des Strafvollzugs auf die Länder (vgl. Kopp
ZfStrVO 2006, 3) wurde im Schrifttum der Begriff „Wettbewerb der Schäbigkeit“ geprägt,
um die in der Zukunft liegenden Gefahren dieser Übertragung schlagwortartig
darzustellen, wohingegen im politischen Raum eher ein Exzellenzwettbewerb
prognostiziert wurde. Die in der Literatur zusätzlich aufgestellte Behauptung, ein solcher
„Wettbewerb der Schäbigkeit“ sei nicht nur zu erwarten, sondern sogar schon im Gange
(vgl. Dünkel/Schüler-Springorum ZfStrVO 2006, 145), wird jedenfalls durch diesen
Rückfall hinter den Regelungszustand von 1961 bestätigt.
Aus den allgemein die Erfordernisse eines Haftraums beschreibenden Normen kann der
Gefangene jedoch keinen Anspruch für sich ableiten. § 144 Abs. 1 StVollzG richtet sich
ausschließlich an die Vollzugsbehörden und verschafft den Gefangenen unmittelbar
keine subjektiven Ansprüche (vgl. OLG Hamm NStZ 1992, 352; OLG Frankfurt am Main
NStZ 1985, 572 = StV 1986, 27 mit krit. Anm. Lesting; Senat NStZ 1984, 240; OLG
Zweibrücken NStZ 1982, 221; OLG Nürnberg ZfStrVO 1982, 192).
4. Aus dem Vorhergesagten folgt, daß die Rechtsbeschwerde nur dann Erfolg haben
kann, wenn die Unterbringung in dem Haftraum unter den konkret dem Landgericht zur
Entscheidung gestellten Umständen gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) oder
das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK) verstößt.
Dieses Maß des Unwerts ist durch die etwa dreimonatige Unterbringung des
Antragstellers in dem Haftraum der TA I während der Eingangsuntersuchung noch nicht
erreicht.
a) Unberücksichtigt bleiben müssen zunächst alle die Eigenheiten des Haftraums, die
der Beschwerdeführer erst in der Rechtsbeschwerde als belastend vorgetragen hat. Die
Rechtsbeschwerde eröffnet keinen Tatsachenrechtszug, in dem auf tatsächliches
Vorbringen hin Ermittlungen anzustellen und Beweis zu erheben wäre. Was der
Antragsteller vor dem Landgericht an Individuellem nicht vorgetragen hat und was die
Strafvollstreckungskammer folglich nicht feststellen konnte, kann zur
Entscheidungsfindung nichts mehr beitragen.
Der ehemalige Gefangene hat in seiner Zuschrift vom 31. August 2004 pauschal die
„Zustände“ in dem verfahrensgegenständlichen Haftraum kritisiert und dabei konkret
nur die geringe Größe und die fehlende Abtrennung seiner Toilette genannt. Hygienische
Beschwerden finden sich nur hinsichtlich der außerhalb des Haftraums gelegenen
Duschräume. Neben umfänglichen Zitaten aus der Rechtsprechung zur
Mehrfachbelegung hat er konkret noch vorgetragen, sein gesundheitlicher Zustand sei
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Mehrfachbelegung hat er konkret noch vorgetragen, sein gesundheitlicher Zustand sei
schlecht, weil die Hafträume „den gesetzlichen Vorgaben“ nicht entsprächen, er sich
„wegen menschenunwürdiger Unterbringung“ beschwert habe und beantrage, ein
Sachverständigengutachten über „die Zustände“ der Hafträume zu erstellen.
Erst mit der Rechtsbeschwerde hat er mitgeteilt, die Zelle sei „von den häufig
wechselnden Vorgängern verdreckt“ gewesen und „stank eigentlich immer von der
Toilette her“, „da die Schüssel alt, verkalkt und vergammelt war“. Die Senatsverwaltung
für Justiz hat dieses Vorbringen bestritten.
Folglich kann der Senat die konkreten Beanstandungen der hygienischen Verhältnisse in
dem Haftraum nicht seiner Entscheidung zugrunde legen. Denn er ist an die
Feststellungen des angefochtenen Beschlusses gebunden, und das Antragsvorbringen
hatte der Strafvollstreckungskammer keinen Anlaß zur Ermittlung und Schilderung der
konkreten hygienischen Verhältnisse gegeben. Festgestellt und damit in tatsächlicher
Hinsicht zugrundezulegen sind die Bodenfläche und der Luftraum der Zelle und der
Umstand, daß die Toilette nicht baulich abgetrennt war.
b) Daß die Unterbringung zweier oder mehrerer Gefangener in einem Haftraum ohne
baulich abgetrennte Toilette gegen die Menschenwürde verstößt, ist anerkannten
Rechts. Diese Beurteilung haben die Gerichte kontinuierlich ausgesprochen (vgl.
erstmals: OLG Hamm NJW 1967, 2024 mit Anm. Eb. Schmidt; sodann: BVerfG NJW 2002,
2699; NJW 2002, 2700; BGH NStZ 2006, 57, 58; OLG Hamm StV 2006, 706; OLG
Karlsruhe StV 2006, 706; NJW-RR 2005, 1267-1269; OLGR Naumburg 2006, 973 -Ls; OLG
Naumburg NJW 2005, 514, 515; OLGR Hamburg 2005, 306; OLG Frankfurt am Main
NStZ-RR 2005, 155; NJW 2003, 2843, 2844; NStZ 1985, 572 = StV 1986, 27 mit Anm.
Lesting; OLG Dresden, Beschluß vom 25. Januar 2000 – 2 Ws 565/99 –; Senat,
Beschlüsse vom 14. März 2007 – 2/5 Ws 325/05 Vollz – und 16. Juni 2004 – 5 Ws 212/04
und vom 18. Juli 1969 – 2 VAs 2/69 -).
Maßgeblich für diese Beurteilung ist es, daß die erzwungene Nähe mehrerer Menschen
bei der Verrichtung höchstpersönlicher Bedürfnisse elementar die Würde des Einzelnen
verletzt. Denn der Gefangene kann seine Intimität nicht wahren, weil er der Beobachtung
durch die Mitgefangenen ausgesetzt ist (vgl. OLG Hamm NJW 1967, 2024, 2026). Das gilt
auch bei Vorhandensein einer Schamwand (vgl. für alle: OLG Frankfurt NStZ 1985, 572 =
StV 1986, 27 mit Anm. Lesting).
Die Größe der bei diesen Entscheidungen verfahrensgegenständlichen Hafträume lag
regelmäßig unter fünf qm pro Gefangenem. In einem Fall, in dem die Toilette abgetrennt
war, hat das Oberlandesgericht Celle die Unterbringung zweier Gefangener in einem 9,82
qm großen Haftraum nicht beanstandet; es sei nur einfaches Recht verletzt (NStZ-RR
2003, 316, 317 = StV 2003, 567), ebenso entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe
(ZfStrVO 2005, 113) für eine Bodenfläche von 9,13 qm, weil den Gefangenen noch ein
ausreichender Rest an Subjektivität und Intimität verbleibe.
c) Weit seltener waren die Obergerichte aufgerufen, die Rechtmäßigkeit der
Unterbringung nur eines Gefangenen in einem Einzelhaftraum zu überprüfen.
Die Lage stellt sich dort anders dar. Daß andere Gefangene dem Antragsteller
gezwungenermaßen bei seinen Verrichtungen zusehen müssen, ist dort nicht zu
besorgen. Zwar muß der Gefangene Geruchsbelästigungen erdulden, doch besteht der
wesentliche Unterschied, daß sie allein von ihm selbst herrühren und durch
Reinigungsmaßnahmen und Lüften – im Rahmen des technischen Zustandes der
Einrichtungen – weitgehend rasch behoben werden können. Der Umstand allein, daß in
einem einzeln belegten Haftraum die Toilette nicht abgetrennt ist, verstößt mithin nicht
gegen die Menschenwürde.
Zur erforderlichen Raumgröße hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit
einstimmigem Beschluß vom 28. Oktober 2003 – 3 Ws 957/03 (StVollz) – ohne nähere
Begründung einen Luftraum von 19,25 Kubikmeter und eine Bodenfläche von 6,11 qm
als „gerade noch hinnehmbar“ bezeichnet (NStZ-RR 2004, 29 –Ls). Für die (im
Verhältnis zur Strafhaft kürzere) Untersuchungshaft hat das Bundesverfassungsgericht
eine Bodenfläche von 6-7 qm aus menschenrechtlicher Sicht unbeanstandet gelassen
(ZfStrVO 1994, 377). Der Senat hat in seinem Beschluß vom 31. Januar 1994 – 5 Ws
446/93 Vollz – einen Luftraum von 16,16 Kubikmeter bei einer Bodenfläche von 6,24 qm
gebilligt. Mit Beschluß vom 4. Mai 2004 – 5 Ws 140/04 Vollz – schließlich hat der Senat
die Unterbringung eines Gefangenen für eine zweiwöchige Übergangszeit in einem 5,25
qm großen Haftraum als keinesfalls so bedeutend bewertet, daß seine Menschenwürde
verletzt sei. Angesichts der nur kurzen Dauer dieser Unterbringung hat er auch die
Resozialisierung nicht für beeinträchtigt angesehen, weil diese im wesentlichen von der
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Resozialisierung nicht für beeinträchtigt angesehen, weil diese im wesentlichen von der
Auseinandersetzung des Gefangenen mit seinen Taten als von der kurzfristigen Größe
seines Haftraums beeinflußt werde.
d) Die Garantie der Menschenwürde hat einen hohen Rang, der es verbietet, sie
unkritisch oder inflationär anzuwenden und dadurch zu entwerten (vgl. Starck in v.
Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 GG Rdn. 14; Dreier, GG 2. Aufl., Art. 1 Rdnrn. 46, 47). Jeweils
in Ansehung des konkreten Falles (vgl. BVerfG 30, 1, 25) muß bewertet werden, ob der
Mensch einer Behandlung ausgesetzt wird oder worden ist, die seine Subjektqualität
prinzipiell in Frage stellt. Die Behandlung des Menschen durch die öffentliche Hand muß
die Verachtung oder Mißachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines
Personseins zukommt, ausdrücken (vgl. Starck aaO). Auf bedrückende Haftbedingungen
trifft dieses Unwerturteil noch nicht zu, wenn sie sich lediglich als gesetzwidrig,
unzweckmäßig oder „schäbig“ darstellen. Dabei ist die personale Würde um ein
Vielfaches eher einer Gefahr ausgesetzt, wenn sich der Gefangene aufgrund der
Überbelegung in einem gemeinsamen Haftraum der erzwungenen Nähe anderer
Personen ausgesetzt sieht, als wenn er in einer zu kleinen Einzelzelle lebt. Denn sich
gegen den Willen der Mitgefangenen zu entfalten und auch rein körperlich „aneinander
vorbei“ zu kommen, begrenzt ihn in seiner personalen Identität mehr als die geringe
Bodenfläche in der Einsamkeit.
Die Menschenwürde ist durch die Zuweisung eines deutlich zu kleinen Einzelhaftraums
erst dann verletzt, wenn der Gefangene keine Möglichkeit zum Ausschreiten mehr hat
oder er sich in ihm aufhalten muß, ohne je sich außerhalb der Freistunde „die Beine
vertreten“ zu können, also wenn er dort 23 Stunden unter Verschluß ist. Ferner ist in
zeitlicher Hinsicht zu beachten, daß die Unterbringung unter den beanstandeten
außergewöhnlichen Umständen über eine sehr lange Zeit, etwa mehr als ein Jahr,
aufrechterhalten wird, vor allem wenn sie dem Gefangenen unabsehbar erscheinen muß.
Denn das bewirkt die Gefahr, daß sich eine die Persönlichkeit zerstörende
Hoffnungslosigkeit in dem Menschen einnistet.
Im Streitfall hat sich der Beschwerdeführer tagsüber etwa sieben Stunden außerhalb des
beanstandeten Haftraums bewegen können. Er war ihm etwa drei Monate lang
zugewiesen worden. Daß der Beschwerdeführer dort nicht verbleiben würde, war – auch
für ihn - absehbar, da er sich in der TA I nur während der Eingangsuntersuchung befand.
Daß die konkreten Haftbedingungen zwar unzweckmäßig sind, die Garantie der
Menschenwürde aber noch nicht verletzen, wird auch durch Nrn. 104, 105 des Berichts
des CPT vom 2. Oktober 1992 (EuGRZ 1993, 329, 341) belegt. Dort heißt es hinsichtlich
vergleichbar kleiner Hafträume, es handele sich für Insassen dieses Blocks um „ein
ausgesprochen schlechtes Haftsystem verglichen mit den Bedingungen im übrigen
Gefängnis“. In betont zurückhaltender Wortwahl, fährt der Ausschuß dann fort, er
„empfehle“ (nicht: fordere) Maßnahmen zur Verbesserung des Haftsystems. „Überaus
wünschenswert“ wäre die Unterbringung in Zellen normaler Größe.
5. Den Streitwert hat der Senat auf 2.000 Euro festgesetzt. Er hat dabei gegenüber dem
im ersten Rechtszug auf 9.000 Euro bemessenen Streitwert berücksichtigt, daß die
Anträge auf die Leistung von Schadensersatz und die Beanstandung des Haftraums in
der Justizvollzugsanstalt Moabit entfallen sind, so daß der Wert sinken mußte.
Andererseits ist der verbleibende begehrte Feststellungsausspruch von erhöhter
rechtlicher Bedeutung. Er soll seinerseits eine Klage auf Schadensersatz in Höhe von
5.400 Euro vorbereiten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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