Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: treu und glauben, vergabeverfahren, allgemeine geschäftsbedingungen, stahl, vertragsinhalt, anpassung, ausführung, zustandekommen, vollstreckung, vertragsannahme

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Gericht:
KG Berlin 21.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21 U 52/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 97 Abs 7 GWB, § 115 Abs 1
GWB, § 242 BGB, § 313 BGB, § 2
Nr 5 VOB B
Bauvertrag: Preisanpassung wegen veränderter Materialkosten,
die auf Verzögerungen im Rahmen eines
Vergabenachprüfungsverfahrens zurückzuführen sind
Leitsatz
Der Bauherr muss einer Preisanpassung wegen veränderter Materialkosten zustimmen, wenn
diese auf Verzögerungen im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens gemäß § 97 Abs. 7 GWB
nach Ablauf der ursprünglichen Bindefrist zurückzuführen sind.
Diese Verpflichtung folgt aus den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage und
der die Bauparteien verbindende Pflicht zur Kooperation.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 15. November 2006 verkündete
Zwischenurteil der Zivilkammer 23 des Landgerichts Berlin – 23 O 148/06 – wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe des
jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin macht im Zusammenhang mit dem Abschluß eines Bauwerkvertrags
Ansprüche wegen erhöhter Stahl- und Zementkosten geltend.
Die Klägerin erhielt in einem Vergabeverfahren auf ihr Vertragsangebot vom
Februar/März 2003 von der Beklagten im Juli 2004 den Zuschlag für Los 4 A und 4 B der
Bundesautobahn A 113 (Autobahnzubringer Dresden), 23. Bauabschnitt. Die
Angebotssumme lautete auf 4.639.587,70 EUR.
Die ursprünglich zum 11. Juli 2003 laufende Bindefrist für das Vertragsangebot der
Klägerin war von beiden Seiten einvernehmlich und kommentarlos zunächst im Hinblick
auf die „umfangreiche Prüfung und Wertung der Angebote“ bis zum 12. September
2003 (Anlage K 3) verlängert worden. Im Anschluß daran war sie wegen eines im August
2003 durch einen Konkurrenten eingeleiteten Vergabenachprüfungsverfahrens mehrfach
weiter verlängert worden, zuletzt bis zum 30. Juli 2004 (Anlage K 5). Die Stahlpreise
waren ab November/Dezember 2003 und weiter bis Juli 2004 massiv gestiegen. Das galt
nach der Behauptung der Klägerin auch für die Zementpreise zum 1. September 2003
und 1. Februar 2004.
Der Zuschlag erfolgte mit Schreiben vom 20. Juli 2004 ohne weitere Spezifizierung zu
den Modalitäten des Vertrags. Die Beklagte erklärte gegenüber der Klägerin insoweit
unter Bezugnahme auf das Angebot vom 6. März 2003, das Verzeichnis der
Nachunternehmer und Bieterangaben vom 15. April 2003 und das Schreiben
Bindefristverlängerung vom 19. Juni 2004:
„Nach Ablauf der Informationsfrist … erhalten Sie im Namen und für Rechnung der
Bundesrepublik Deutschland aufgrund Ihres vorbezeichneten Angebotes den Zuschlag.
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Die vorläufige Auftragssumme beträgt 4.639.364,92 €. …“
Mit Schreiben der Klägerin vom 2. September 2004 und der Beklagten vom 20.
September 2004 tauschten sich die Parteien über die Höhe der Auftragssumme aus. Die
Beklagte wies abschließend darauf hin, daß ihre Zahl sich ergebe bei Berücksichtigung
der Nachweispositionen.
Die Klägerin unterbreitete der Beklagten mit Schreiben vom 5. November 2004 ein
Angebot zur Anpassung der Einheitspreise wegen der Veränderung der Stahl- und
Betonpreise auf dem Weltmarkt. Die Beklagte lehnte das unter Hinweis auf das ohne
Vorbehalte erklärte Einverständnis der Klägerin mit der Bindefristverlängerung ab.
Über einen Terminplan fanden die Parteien keine Einigung. Das Bauvorhaben wurde
durchgeführt.
Die Parteien streiten der Höhe nach im einzelnen darüber, ob bzw. in welchem Umfang
Materialpreiserhöhungen eine Erhöhung der Vertragspreise rechtfertigen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 466.445,41 EUR nebst
Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz aus 442.139,35 ERU seit dem 18. Mai
2006 und aus 36.001,74 EUR seit dem 1. November 2006 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat in einem Teilurteil die Klage auf der Grundlage einer analogen
Anwendung von § 2 Nr. 5 VOB/B für dem Grunde nach für berechtigt erklärt. Dagegen
wendet sich die Beklagte mit der Berufung.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug
genommen.
Die Beklagte beantragt,
das Zwischenurteil des Landgerichts Berlin vom 15. November 2006 – 23 O 148/06 –
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird Bezug genommen auf die
gewechselten Schriftsätze nebst dazu eingereichten Anlagen.
II.
Die Berufung ist statthaft und auch im übrigen zulässig, insbesondere form- und
fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).
In der Sache hat sie keinen Erfolg.
Der Anspruch auf Bezahlung von Mehrkosten für gegenüber dem schriftlichen Vertrag
erhöhte Preise für Stahl- und Betonmaterial besteht dem Grunde nach. Die Klägerin
kann den Anspruch auch im Wege der unmittelbar auf Leistung gerichteten Klage
durchsetzen und muß nicht erst auf Vertragsumgestaltung klagen (vgl. MünchKomm-
BGB-Roth, 4. Aufl. 2003, § 313 Rn. 87 f., 90 m.N.; Grüneberg in Palandt, BGB, 66. Aufl.
2007, § 313 Rn. 41).
1. Aus dem besonderen Verhältnis zwischen Bauherrn und Bauunternehmer folgt die
Pflicht der Beklagten, einer Preisanpassung zuzustimmen, soweit diese durch Änderung
der Materialkosten verursacht ist, die auf die Verzögerungen durch das
Nachprüfungsverfahren nach Ablauf der ursprünglichen Bindefrist des Angebots der
Klägerin bis zum 11. Juli 2003 zurückzuführen ist. Es kann im Ergebnis offenbleiben, ob
sich der Anspruch ergibt aus einer Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der
Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) oder unmittelbar aus § 242 BGB im Hinblick auf die die
Bauvertragsparteien verbindende Pflicht zur Kooperation.
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Das ist in den Besonderheiten des Vergabeverfahrens nach der VOB/A im
Zusammenhang mit dem Nachprüfungsverfahren nach §§ 97 ff. GWB begründet.
a. Das Vergabeverfahren ist insoweit in groben Zügen dadurch gekennzeichnet, daß
(nur) bis zum Ablauf der sog. Angebotsfrist (§ 18 VOB/A) Angebote abgegeben werden
können. Die eingegangen Angebote werden in einem Eröffnungstermin verlesen (§ 22
VOB/A), sodann geprüft und gewertet. Berücksichtigung finden können nur Angebote,
die bis zum Ablauf der Angebotsfrist abgegeben worden sind (§ 25 Nr. 1 Abs. 1 VOB/A).
Nachverhandlungen über Angebote und Preise u.ä. sind ausgeschlossen (§ 24 Nr. 3
VOB/A). Der Wertung sind grundsätzlich nur solche Angebote zugrundezulegen, die bei
Eröffnung vorlagen (§ 25 Ziff. 1 Abs. 1 VOB/A), die Ausnahmen sind für die vorliegende
Fallproblematik nicht einschlägig. Der Zuschlag soll innerhalb einer festzusetzenden Frist
erteilt werden (Zuschlagsfrist, § 19 Abs. 1, 2 VOB/A). Für dieselbe Zeit soll der Bieter an
sein Angebot gebunden sein (Bindefrist (§ 19 Abs. 3 VOB/A). So war es auch hier
vorgesehen.
In diesen Verfahrensablauf ist durch das Vergaberechtsänderungsgesetz, das 1999 in
Kraft getreten ist, eine Änderung eingefügt worden. Bei Verfahren mit einem
Auftragswert von mehr als 5 Millionen EUR (sog. Schwellenwert) haben die Bieter
nunmehr ohne weiteres die Möglichkeit, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten mit der
Begründung, die Bestimmungen über das Vergabeverfahren seien nicht eingehalten
worden (§ 97 Abs. 7 GWB). Bis zum Abschluß des Verfahrens darf ein Zuschlag nicht
erteilt werden (§ 115 Abs. 1 GWB). Diese Verfahren sollen zwar nach den gesetzlichen
Vorgaben sehr kurz gehalten werden (5 Wochen, § 113 Abs. 1 GWB), erfahrungsgemäß
können sie sich jedoch bis zu abschließenden gerichtlichen Entscheidungen über Monate
hinziehen. So ist auch für das hier zu behandelnde Bauvorhaben das
Nachprüfungsverfahren im August 2003 eingeleitet worden, die abschließende
Entscheidung des Bundesgerichtshofs erging erst am 18. Mai 2004 (GeschZ X ZB 7/04,
Anlage K 4 zur Klageschrift), der Zuschlag erfolgte im Juli 2004.
Um das Problem zu lösen, das sich daraus ergibt, daß aufgrund des
Nachprüfungsverfahrens die Bindefrist ablaufen würde und das Verfahren gänzlich neu
durchgeführt werden müßte – mit allen Problemen der Neuausschreibung –, wird
üblicherweise so vorgegangen, daß die Bindefrist einvernehmlich und formularmäßig
durch einfache Ja/Nein-Erklärung verlängert wird. So geschah dies auch hier. Das wird im
allgemeinen für zulässig angesehen; eine andere sinnvolle Vorgehensweise bei
Einhaltung der übrigen Vorschriften ist auch nicht denkbar, will man eine endlose
Fortsetzung solcher Verfahren durch Neuausschreibung und erneutes
Nachprüfungsverfahren vermeiden.
b. Die Gesetzesänderung hat jedoch keine Regelungen zu dem Interessenkonflikt
getroffen, der entsteht, wenn aufgrund derartiger Verzögerungen die
Kalkulationsgrundlagen von Bieterangeboten wegen steigender (oder fallender) Preise
sich gravierend ändern. Eine langfristige Preisplanung ist angesichts schwankender
Verhältnisse am Markt auf allen Bereichen – Rohstoffe, Industrieerzeugnisse,
Arbeitskosten – nicht möglich. Diese Problematik ist offenkundig.
Für diesen Interessenkonflikt wegen geänderter Kalkulationsgrundlagen des Bieters bei
langer Dauer des Nachprüfungsverfahren werden mehrere Lösungen diskutiert (vgl. aus
der Rechtsprechung OLG Jena BauR 2000, 1611; BayObLG NZBau 2002, 689, OLG Jena
NZBau 2005, 341; OLG Hamm NZBau 2007, 312; aus der Literatur beispielsweise Diehr
ZfBR 2002, 316; Kapellmann NZBau 2003, 1; Putzier/Goede VergabeR 2003, 391;
Schlösser ZfBR 2005, 733; Würfele BauR 2005, 1253; Thomas Ax, Vergütungsanpassung
trotz vorbehaltsloser Bindefristverlängerung? ibr-online; Bitterich NZBau 2007, 354;
Kapellmann NZBau 2007, 401; Weise NJW-Spezial 2007, 261; Behrendt BauR 2007, 784;
Kniffka, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht § 631 Rn. 32 ff.; Keldungs in
Ingenstau/Korbion VOB, Kommentar, 16. Aufl. 2007, § 2 Nr. 5 Rn. 55 ff.; Planker in
Kapellmann/Messerschmidt, VOB, Kommentar, 2. Aufl. 2007, § 19 VOB/A Rn. 21 ff.; zum
Rechtstatsächlichen s. Wanninger, Stolze, Kratzenberg: NZBau 2006, 481).
Einig ist man sich weitgehend darüber, daß die Folgen gravierender Veränderungen
während des Nachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht den Bieter treffen dürfen
(Kapellmann NZBau 2007, 354; zu den Anschauungen in der Praxis vgl. die Ergebnisse
einer auf 137 Fällen basierenden Erhebung bei Wanninger, Stolze, Kratzenberg:
Auswirkungen von Vergabenachprüfungsverfahren auf die Kosten öffentlicher
Baumaßnahmen, NZBau aaO S. 484).
Für eine Lösung zugunsten des Bieters spricht, daß grundsätzlich der Ausschreibende
die Risiken aus dem Vergabeverfahren trägt (OLG Jena NZBau 2005, 341; Behrendt aaO
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die Risiken aus dem Vergabeverfahren trägt (OLG Jena NZBau 2005, 341; Behrendt aaO
S. 795; Planker aaO Rn. 23), was beispielsweise darin Ausdruck findet, daß nach § 9 Abs.
2 VOB/A der Auftraggeber dem Bieter keine ungerechtfertigen Wagnisse aufbürden darf
und daß nach § 16 Ziff. 1 VOB/A der Auftraggeber erst dann ausschreiben soll, wenn alle
Verdingungsunterlagen fertiggestellt sind und wenn innerhalb der angegebenen Fristen
mit der Ausführung begonnen werden kann. Genau das geschieht aber, wenn der Ablauf
des Vergabeverfahrens und damit der Bindung des Bieters an sein Angebot erheblich
verlängert wird, ohne daß dieser wegen der Eigenheiten des Vergabeverfahrens sein
Angebot an geänderte Kalkulationsgrundlagen anpassen darf. Ferner wird zurecht
angeführt, daß das Vergabeverfahren den Bieter schützen und ihn nicht benachteiligen
soll (Gröning BauR 2004, 199, 207 f.).
Andererseits muß eine Lösung das berechtigte Interesse des Auftraggebers
berücksichtigen können, keine überteuerte Lösung aufgedrängt zu bekommen.
aa. Die Beklagte geht unter Berufung auf das OLG Jena (BauR 2000, 1611) davon aus,
eine Lösung hänge davon ab, ob der Bieter im Zusammenhang mit der
Bindefristverlängerung sich eine Preisänderung vorbehalten habe. Die Auffassung wird
zurecht im Hinblick auf die Eigenheiten des Vergabeverfahrens abgelehnt (vgl. zu einem
Mißverständnis der Entscheidung des OLG Jena aaO Behrendt aaO S. 794 r.Sp.). Ein
Vorbehalt würde dazu führen, daß das Angebot wegen Veränderung nicht mehr gezählt
werden dürfte, § 25 Nr. 1 VOB/A. Er stellt daher keinen sinnvoll zu unterstellenden
Erklärungsgehalt dar, somit kann auch aus dem Unterlassen einer solchen Erklärung
nichts abgeleitet werden.
bb. Der 8. Zivilsenat des OLG Jena hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 2005
(NZBau 2005 aaO) darauf abgestellt, daß wegen § 271 BGB die Nichteinhaltung der
ausgeschriebenen Leistungszeit keinen Einfluß auf das Zustandekommen des Vertrags
habe. Der Unternehmer habe in analoger Anwendung von § 2 Nr. 5 VOB/B einen
Anspruch auf Vertragsanpassung. Dem hat sich das angefochtene Urteil angeschlossen.
cc. Teilweise (Putzier/Goede VergabeR 2003, 391 ff.) wird darauf rekurriert, daß mit dem
Ablauf von Vertragsfristen die vereinbarte Leistung objektiv unmöglich geworden sei.
Das führe zu einer analogen Anwendung von § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage
wegen der Fristen), was die Möglichkeit eröffne, den Vertrag entsprechend §§ 6 Nr. 2, Nr.
6, § 5 VOB/B (wegen der Zeit) und § 2 Nr. 5 VOB/B (wegen der Preise) anzupassen.
Dagegen wird angeführt, daß die Vertragszeit Vertragsinhalt sei und daher nicht als
Geschäftsgrundlage des Vertrags angesehen werden könne; zudem sei bei
Vertragsschluß die Grundlage ja bereits verändert, es lasse sich daher nicht sagen, daß
die Parteien bei Kenntnis der Umstände den Vertrag anders geschlossen hätten
(Gröning BauR 2004, 206).
dd. Kapellmann (NZBau 2003, 1) legt die Bindefristverlängerungserklärungen dahin
ergänzend aus, daß für den Fall derartiger Preisänderungen wegen Verzögerung der
Vertrag entsprechend den VOB/B-Regeln zu ändern sei, wofür er anführt, daß die
Klägerin sich erkennbar nicht zu einer im Hinblick auf die Leistungszeit unmöglichen
Leistung verpflichten wolle, andererseits erkennbar nicht das Risiko der Verteuerung auf
sich nehmen wolle, ferner die Auftraggeberseite auch dem Bieter kein überhöhtes
Wagnis aufbürden dürfe (§ 9 Abs. 2 VOB/A) und ihre Erklärungen daher so auszulegen
seien, daß dies nicht gewollt sei. Dagegen wird eingewendet, daß die
Bindefristverlängerungserklärungen einen derartigen Erklärungsgehalt erkennbar nicht
haben, sie beschränken sich auf die Regelung der Bindefrist. Außerdem werde damit §
15 VOB/A umgangen, der dem Ausschreibenden in gebundenes Ermessen stellt, unter
bestimmten Bedingungen eine Preisänderungsklausel für erwartete geänderte
Umstände vorzusehen, dessen Voraussetzungen – so Gröning BauR 2004, 199, 204 f. –
aber nicht vorlägen.
ee. Das OLG Hamm (NZBau 2007, 312) sieht bei Fällen, in denen die ausgeschriebenen
Fristen geändert werden müssen, im Anschluß an die Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 2005 – VII ZR 141/03 (BauR 2005, 857 = NZBau
2005, 387 = NJW 2005, 1653 = MDR 2005, 922 = BGHZ 162, 259) in dem Zuschlag ein
im Hinblick auf die Ausführungsfristen verändertes Angebot des Auftraggebers. Der
Bieter könne dieses dann unverändert annehmen oder seinerseits die Annahme unter
geänderten Preisen erklären, was wiederum ein neues Angebot im Sinne von § 150 Abs.
2 BGB darstelle. An dieser Stelle läßt diese Auffassung dann Treu und Glauben
eingreifen: Der Ausschreibende sei zur Annahme des nach den Grundsätzen von § 2 Nr.
5 VOB/B berechneten Angebots verpflichtet. Diesen Standpunkt vertreten auch Kniffka
(ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, § 631 Rn. 30 – 38), und Keldungs in
Ingenstau/Korbion, VOB, Kommentar, 16. Aufl. 2007 § 2 Nr. 5 VOB/B Rn. 55 f.) als sog.
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Ingenstau/Korbion, VOB, Kommentar, 16. Aufl. 2007 § 2 Nr. 5 VOB/B Rn. 55 f.) als sog.
Lösung nach vertragsrechtlichen Grundsätzen. Für die Lösung wird angeführt, es
handele sich um eine dogmatisch schlüssige Lösung; vor allem aber würden durch die
Forderung an den Auftraggeber, seinerseits vor Beginn der Arbeiten den höheren Preis
geltend zu machen, die Interessen des Ausschreibenden ebenfalls geschützt. Dieser
muß nicht einen nach seinen Vorstellungen zu teuren Vertrag abschließen.
ff. Nicht diskutiert worden ist bislang – soweit ersichtlich – ein denkbarer
Schadensersatzanspruch des Bieters mit Blick darauf, daß der Ausschreibende im
Hinblick auf die Gefahr des Nachprüfungsverfahrens keine Preisänderungsklausel nach §
15 VOB/A aufgenommen hat (einen Schadensersatz wegen Verschuldens bei
Vertragsverhandlungen aus § 311 BGB diskutiert nur Behrendt in BauR 2007, 784, 785 f.
dazu, ob der verspätete Zuschlag Pflichten verletzt, was er für den Regelfall schon
deswegen zurecht verneint, weil die Pflichtverletzung wegen der einvernehmlichen
Fristverlängerung entfalle).
Eine erweiternde Auslegung des § 15 VOB/A könnte einen angemessenen
Lösungsansatz darstellen, nachdem der Gesetzgeber mit dem
Vergaberechtsänderungsgesetz eine Problematik aufgeworfen hat, für die im Gesetz
eine Lösung sonst nicht vorgesehen ist. Vergabesystematisch erscheint der
Grundansatz des § 15 VOB/A als die beste Lösung, er würde zwanglos sowohl
Preiserhöhungen als auch Preisminderungen während langer Bindefristen erfassen
können. Daß auch Preisminderungen praktisch werden können, zeigt Gröning aaO, der
hierzu auf den Fall von BayObLG NZBau 2002, 689 verweist, in dem ein Bieter meinte,
sein inzwischen wegen Preisminderungen herabgesetztes Angebot müsse noch
berücksichtigt werden.
Ein solcher Schadensersatzanspruch ist jedoch zweifelhaft. Die Voraussetzungen des §
15 VOB/A können nicht ohne weiteres bejaht werden (s. aber Kapellmann/Messerschmidt
aaO § 15 VOB/A Rn. 4). Ob eine durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens
bedingte Anpassungsklausel in § 15 VOB/A eine Grundlage hätte, erscheint ungeklärt.
Hinzu kommt, daß sich der Bieter auf die Verfahrensweise ohne eine solche Klausel
eingelassen hat.
gg. Allen diskutierten Lösungen in den verschiedenen dogmatischen Einkleidungen liegt
die Überlegung zugrunde, daß im Falle erheblicher Preiserhöhungen die Möglichkeit
bestehen muß, die Preise anzupassen und laufen regelmäßig auf einen Rückgriff auf die
Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B hinaus. Der Unterschied besteht unabhängig von der
rechtlichen Konstruktion in der Sache im wesentlichen in der Frage, ob der Unternehmer
im Zuge des Vertragsschlusses verpflichtet sein solle, das Verlangen nach
Preiserhöhung ausdrücklich geltend zu machen, oder dies auch ohne eine solche
Geltendmachung möglich sein soll.
2. Nach Auffassung des Senats ergibt sich der Anspruch auf die Zahlung erhöhter Preise
jedenfalls nicht ausdrücklich oder im Wege der Auslegung aus dem Vertrag.
a. Der Vertrag ist mit dem Zuschlagsschreiben der Beklagten vom 20. Juli 2004 nach
allgemeinen Vertragsgrundsätzen (§§ 145 ff. BGB) zustandegekommen, § 28 Ziff. 2 Abs.
1 VOB/A. Die Beklagte hat die Annahme nicht unter Änderungen erklärt, weder
deswegen, weil die Ausführungsfristen erkennbar unmöglich einzuhalten waren, (der
Beginn-Termin für Los 4 A sowie der dort „zwingend“ einzuhaltende Zwischentermin für
den Aushub und Abtransport der Erdmengen (Anlage K 2) waren bereits abgelaufen)
noch deswegen, weil geringfügige Differenzen in der Bezifferung des Auftragspreises
bestanden.
Der vorgelegte Schriftwechsel zu der Frage, zu welchem Preis der Vertrag zustande
gekommen ist (Schreiben der Klägerin vom 2. Sept. 2004, Schreiben der Beklagten vom
20. Sept. 2004), beinhaltet keine Verhandlungen über eine Änderung des Vertrags.
Gegenstand des Schriftwechsels war die Auffassung der Beklagten, daß unter
Berücksichtigung der Nachweispositionen der Angebotspreis geringfügig um 222,78 EUR
niedriger angesetzt werden müsse als im Angebot beziffert. Es handelt sich demzufolge
um eine Meinungsverschiedenheit bei der Auslegung der feststehenden Vereinbarung,
nicht um eine inhaltliche Änderung. Das ergibt sich schon aus der flexiblen Natur von
Nachweispositionen. Es ist nicht zu erkennen, daß die Parteien einen darüberhinaus
gehenden Rechtsgestaltungswillen verfolgten.
Der Senat hält es nicht für überzeugend, den Erklärungen zur Bindefristverlängerung
oder zum Vertragsschluß im Wege der (ergänzenden) Auslegung einen Aussagewert
zuzuweisen, den sie ihrer objektiven Bedeutung nach aus maßgeblicher Sicht des
jeweiligen Erklärungsempfängers erkennbar nicht haben.
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Soweit dabei auf die Interessenlage abgestellt wird, werden Motive und Einschätzungen
der Parteien mit dem objektiven Erklärungswert vermischt. So ist den Parteien durchaus
bewußt, daß vereinbarte Fristen obsolet sind, wenn sie durch die Verlängerung der
Bindefristen überholt sind. Allein daraus den objektiven Erklärungen der Parteien über
den Weg einer (ergänzenden) Vertragsauslegung einen anderen Inhalt beizumessen,
hält der Senat für verfehlt. Nichts anderes gilt für die Auslegung des Zuschlags. Diese
Erklärung nimmt den Antrag auf Vertragsschluß des obsiegenden Bieters so an, wie er
gestellt ist. Die Notwendigkeit, andere Ausführungsfristen zu vereinbaren ist eine Folge
in einem für den Vertragsschluß als solchen nicht wesentlichen Punkt, sie ist nicht Inhalt
der Annahmeerklärung. Im Gegenteil: Der Annehmende wird nicht wegen eines
technischen Nebenpunktes die Gefahr heraufbeschwören wollen, das ganze
Vertragswerk aufs Spiel zu setzen, weil der Bieter auf das geänderte Vertragsangebot
aus welchen Gründen auch immer nicht mehr eingeht, sondern er will den Bieter mit
dem Zuschlag an seinem Vertragsangebot festhalten. Damit hat der Zuschlag auf den
Inhalt des Vertrags keinen Einfluß.
Die Entscheidung des BGH vom 24. Februar 2005 – VII ZR 141/03 (BauR 2005, 857 =
NZBau 2005, 387 = NJW 2005, 1653 = MDR 2005, 922 = BGHZ 162, 259) zwingt nicht
zu der vom OLG Hamm angenommenen Interpretation. Sie ist nicht unter den
besonderen Bedingungen des Vergabeverfahrens nach VOB/A ergangen und kann
deswegen zur Lösung der geschilderten Problemlage nicht ohne weiteres herangezogen
werden. Außerdem war die Fallgestaltung eine andere. Die Parteien haben ausdrücklich
vor Vertragsschluß über die Fristen verhandelt (vgl. auch krit. Kapellmann NZBau 2007,
401, 404 bei Fn. 10).
Hinzu kommt, daß die Vertragsschluß-Lösung auch sonst keine durchgängige Lösung
des anerkannten Interessenkonflikts für alle Fallgestaltungen anbieten kann. Wenn keine
Fristen festgelegt worden waren oder der Fristbeginn variabel war (zB „eine Woche nach
Zuschlag“), der Zuschlag demzufolge unverändert erfolgt, muß diese Auffassung eine
andere Lösung des Interessenkonflikts suchen oder ihn ignorieren.
Daneben bestehen vergaberechtliche Bedenken, wenn der Bieter noch vor
Vertragsschluß die Anpassung des Vertrags verlangen kann (vgl. Behrendt aaO S. 796).
b. Der somit unverändert geschlossene Vertrag enthält keine ausdrückliche Regelung
über eine Preisanpassung bei Verzögerung der Vertragsannahme. Sie ergibt sich
insbesondere nicht aus der dem Vertrag zugrundegelegten VOB/B bzw. ihrer analogen
Anwendung. Der in dem Zusammenhang in Rechtsprechung und Literatur
herangezogene analog angewendete § 2 Nr. 5 VOB/B (OLG Jena NZBau 2005, 341;
BayObLG, NZBau 2002, 689; Diehr ZfBR 2002, 314, 320 f.) regelt einen anderen Fall.
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind auch keine Gesetzesnormen, die analoger
Anwendung zugänglich wären (BGH NJW-RR 1998, 235, Behrendt BauR 2007, 784, 792).
c. Nach Auffassung des Senats ist der Anspruch auf Vertragsanpassung auf die
Grundsätze über den Wegfall und die Änderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu
stützen. Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform hat in § 313 BGB die Grundsätze über
den Wegfall der Geschäftsgrundlage (weitgehend) kodifiziert, die in der Rechtsprechung
entwickelt worden sind.
aa. Die Ausführungsfrist für die vorgesehene Leistung stellt sich als Geschäftsgrundlage
dar. Der Willenserklärung des Bieters (Vertragsangebot) lagen bestimmte Annahmen
über die Grundlagen des Geschäfts zugrunde. Dazu gehörte, daß die Ausführungszeit
innerhalb der Bindefrist liege. Dabei wird nicht verkannt, daß die Ausführungsfrist Teil des
Vertragsinhalts ist und deswegen vordergründig nicht Geschäftsgrundlage zu sein
scheint. Das ist aber eine undifferenzierte Betrachtung. Die Ausführungsfristen haben
einen doppelten Charakter.
Vertragsinhalt ist, was Regeln für die Vertragsabwicklung enthält (Palandt/Grünberg,
BGB, 67. Aufl. 2007, § 313 Rn. 10). Die vereinbarten Ausführungsfristen enthalten Regeln
für die Leistungserbringung, insoweit sind sie Vertragsinhalt und nicht Grundlage des
Vertragsschlusses.
Soweit es hingegen die Kalkulation des Bieters angeht, sind sie zugleich Grundlage von
Erwartungen über die Vertragsabwicklung, d.s. Grundlagen des Geschäfts. Der
Ausführungszeit kommt somit eine Doppelfunktion zu, die üblicherweise nicht zutage
tritt. Sie ist einerseits Vereinbarungsinhalt für die Ausführung. Sie ist andererseits aber
unzweifelhaft Grundlage der Kalkulation, denn der Bieter kann nicht anders, als
bestimmte Preise als eigene Kosten für das Angebot zugrundezulegen und diese gelten
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bestimmte Preise als eigene Kosten für das Angebot zugrundezulegen und diese gelten
nur für eine bestimmte Zeit (vgl. Behrendt BauR 2007, 784, 790 unter Hinweis auf
Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 3. Aufl. 2004, S. 191 f.).
Legt man zugrunde, daß Geschäftsgrundlage des Vertragsangebots die Ausführung
innerhalb der ersten Bindefrist ist, so ist sie mit dem Angebot auch Geschäftsgrundlage
des Vertrages, wie er durch die Vertragsannahme zustande kommt.
bb. § 313 Abs. 1 BGB setzt voraus, daß „nach Vertragsschluß“ sich die Grundlagen des
Vertrags geändert haben. Bei der Beurteilung, ob sich Änderungen nach Vertragsschluß
ergeben, ist zu berücksichtigen, daß es sich in der im Streit stehenden Konstellation um
einen unüblich gestreckten Vertragsentstehungsvorgang handelt. Das Angebot mit dem
den Vertragsinhalt bestimmenden Inhalt ist im April 2003 abgegeben worden.
Angenommen worden ist es erst im Juli 2004. Die Ursache liegt nach dem 12.
September 2003 ausschließlich im Nachprüfungsverfahren. Während der Zeit bis zum
Abschluß des Vertrags hatte die Klägerin im Prinzip keinen normativ zu
berücksichtigenden Einfluß auf das Zustandekommen des Vertrags. Zwar hätte sie die
Bindefristverlängerung ablehnen können. Rechtsprechung und Literatur stimmen aber
im wesentlichen darin überein, daß das Vergabeverfahren, das dem Schutz der Bieter
dient, nicht dazu führen kann, daß die Risiken aus der Veränderung der Preisgrundlagen
in dieser Form auf den Bieter überwälzt werden (vgl. auch § 9 Nr. 2 VOB/A).
Im Falle derart gestreckten Vertragszustandekommens unter den besonderen
Bedingungen des Vergabeverfahren kann deswegen bereits der Zeitpunkt nach Beginn
des Vorgangs des Vertragsschlusses als Zeitpunkt nach dem Vertragsschluß angesehen
werden. Die gut eineinvierteljährige Dauer des Vertragsschluß-Vorgangs weist bildhaft
aus, daß das Verständnis des § 313 BGB auf den Gesamtvorgang des Vertragsschlusses
Rücksicht zu nehmen hat.
Wegen der Besonderheiten des gestreckten Vertragsschlusses tritt der Wegfall einer
Geschäftsgrundlage zwar schon vor dem Zeitpunkt der Beendigung im Sinne einer
Komplettierung des Vorgangs des Vertragsschlusses ein, aber er tritt bereits nach
Beginn dieses Vorgangs, nämlich nach Angebotsabgabe bzw. mit der ersten
Bindefristverlängerung im Vergabeverfahren ein. Das kann man für § 313 Abs. 1 BGB
beim Sonderfall des Nachprüfungsverfahrens im Vergabeverfahren nach VOB/A genügen
lassen.
Maßgebend ist dann für die Beurteilung, ob die Grundlage des Geschäfts nach
Vertragsschluß eintritt, die erste Bindefristverlängerung, die auf dem
Nachprüfungsverfahren beruht, d.h. die vom September 2003.
Die Zustimmung der Klägerin zur Bindefristverlängerung ändert an dieser Wertung
nichts. Denn diese sind Teil der sachgemäßen Abwicklung des Nachprüfungsverfahrens.
Die Klägerin kann keinen Einfluß auf den Vertragsinhalt mehr nehmen, außer daß sie auf
ihn entgegen den Schutzintentionen des Vergabeverfahrens verzichtete.
Das von der Beklagten zitierte Urteil des OLG Hamburg vom 28. Dez. 2005 – 14 U
124/05 – (IBR 2006, 80) steht dieser Auffassung nicht entgegen. Das OLG Hamburg hat
entschieden, daß ein Unternehmen sich nicht auf den Fortfall der Geschäftsgrundlage
berufen kann, wenn seine – seinem Risikobereich unterfallende – Erwartung auf stabile
Stahlpreise für die Bauzeit sich nicht erfülle und der Unternehmer sich vor
Vertragsschluß nicht umfassend um einen verläßlichen Stahlpreis bemüht hat, sondern
lediglich ein Angebot hierzu eingeholt habe. Es ist nach dem dort mitgeteilten
Sachverhalt nicht erkennbar, daß es sich um einen Fall einer langfristigen Verzögerung
des Vertragszustandekommens durch ein Nachprüfungsverfahren handelte.
cc. Wenn man die so entwickelte Auffassung nicht teilt und mit den vorstehenden
Erwägungen die juristische Konstruktion bei § 313 BGB als überdehnt ansieht, ist der
Anspruch auf Vertragsanpassung jedenfalls damit zu begründen, daß die Grundsätze
von Treu und Glauben unter besonderer Berücksichtigung der Kooperationspflicht der
Bauvertragsparteien (vgl. dazu BGH NJW 2000, 807; BGH, NJW 2003, 2678 = NZBau
2003, 497 = ZfBR 2003, 567 = BauR 2003, 1207) es gebieten, die Grundsätze des § 313
BGB entsprechend heranzuziehen.
Daß bei erheblichen Preissteigerungen, die durch die Eigenheiten des
Vergabeverfahrens Eingang in die Vertragssituation finden, der Werklohn angepaßt
werden muß, versteht sich nach Treu und Glauben in den deutlichen Fällen, die hier in
Rede stehen, von selbst, der Besteller wird hierdurch nicht überrascht. Daß andererseits
die genaue Feststellung der geänderten Kalkulationsgrundlagen – gerade bei einer ARGE
in einem Großprojekt – komplizierter, Zeit in Anspruch nehmender Prüfungen bedarf, ist
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in einem Großprojekt – komplizierter, Zeit in Anspruch nehmender Prüfungen bedarf, ist
nachvollziehbar und verbietet das Erfordernis, im unmittelbaren Zusammenhang mit
dem Vertragsschluß eine geänderte Kalkulation zu verlangen.
Der Sache nach handelt es sich zumindest um eine Situation des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage für das Angebot des Bieters. Die Grundsätze des § 313 BGB stellen
eine angemessen Lösung für die dargestellte, durch die gesetzliche Ausgestaltung des
Nachprüfungsverfahrens hervorgerufene, durch den Gesetzgeber aber nicht gelöste
Interessenkollision dar. Sie ermöglicht einerseits die Berücksichtigung des Bieter-
Interesses, bei schwerwiegenden Veränderungen der Preiskalkulation durch die
Verfahrensverzögerung die Preisgrundlagen ändern zu können, ohne in jedem Falle
hierauf zwingend verwiesen zu sein. Sie ist insbesondere auch geeignet, das Interesse
des Bestellers nicht hintanzustellen, einen Bauvertrag dann nicht durchführen zu
müssen, wenn er aufgrund der Kostensteigerungen nicht die Kostenvorstellungen
übersteigt. Schließlich ist das dogmatische Gebäude des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage ausgereift genug, um eine sichere Lösung des Interessenkonflikts
zu gewährleisten. Daß diese Lösung zugleich dafür offen ist, für die Frage der Höhe auf
die Regeln der VOB/B zurückzugreifen, insbesondere auf die Prinzipien des § 2 Nr. 5
VOB/B, spricht gleichfalls für diesen Ansatz.
dd. Nach § 313 BGB begründet nicht jede Enttäuschung der dem Vertragsschluß
zugrundegelegten Erwartungen einen Anspruch auf Vertragsanpassung, sondern nur
eine solche, die die unveränderte Hinnahme des Vertrags für eine Seite unzumutbar
macht. Nicht jede Erhöhung von Preisen macht es daher für den Bieter im Falle eines
Nachprüfungsverfahrens im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB unzumutbar, an den Preisen
festgehalten zu werden, so etwa bei sich im Rahmen des üblichen haltenden
Tariferhöhungen oder dem allgemeinen Preisanstieg.
Anders ist es aber bei einschneidenden Veränderungen, wie den hier unstreitigen bzw.
behaupteten massiven Erhöhungen der Beschaffungskosten bei Stahl bzw. Zement.
Unstreitig ist hier die Erhöhung der Stahlpreise, die einen nicht unerheblichen Anteil der
Herstellungskosten ausmachen, und die am Weltmarkt von 330,00 EUR je Tonne Mitte
2003 auf 468,00 EUR je Tonne 2004, d.h. um ca. 40 %. Derartige Preissteigerungen in
den Beschaffungsgrundlagen sind – gerade angesichts knapper Margen im Baubereich –
bei einem auf Stahl angewiesenen Bau erheblich und müssen eine Anpassung des
Vertrags auslösen. Die Beklagte behauptet nicht, daß ihr bei Kenntnis der höheren
Preise die Durchführung des Bauvorhabens nicht zumutbar gewesen wäre und sie von
dem Bau der Autobahn Abstand genommen hätte. Dafür gibt es auch keinen Anhalt.
Das entsprechende gilt für die – streitige – Erhöhung der Zementpreise, über die ggf.
Beweis zu erheben sein wird.
ee. Die Anpassung des vertraglichen Vergütungsanspruchs hat in Anlehnung an die
Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B für die Veränderungen nach dem 13. September 2003
zu erfolgen. Das ergibt sich aus dem Sinn des Ausschreibungsverfahren nach der
VOB/A, daß die einmal abgegebenen Gebote in ihrer Ausgangskalkulation erhalten
bleiben. Gleichermaßen spricht dafür der Umstand, daß die VOB/B auch sonst die
angemessenen Regeln bei Preisänderungsbedarf stellt.
Es ist erkennbar, daß nach den vorliegenden Maßstäben der Klägerin in jedem Falle ein
Anspruch zustehen wird. Das genügt für den Erlaß eines Zwischenurteils zum Grund.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Der Senat läßt die Revision im Hinblick auf
die ungeklärten grundsätzlichen Rechtsfragen zu.
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