Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017
KG Berlin: persönliches erscheinen, reisekosten, beschränkung, vertreter, niedergelassener, unterhalt, scheidungsverfahren, ausschluss, bevollmächtigung, link
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Gericht:
KG Berlin Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 WF 193/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 121 Abs 4 ZPO
Leitsatz
Bei der Prüfung, ob "besondere Umstände" die Beiordnung eines Verkehrsanwalts erfordern
(§ 121 Abs. 4 ZPO) und deshalb die uneingeschränkte Beiordnung eines auswärtigen
Rechtsanwalts zulässig ist, ist im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Angleichung
der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes
auch die Rechtsprechung des BGH zur grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit der Reisekosten
eines am Wohnort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts zu beachten.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-
Kreuzberg vom 8. Januar 2007 geändert:
Der Antragstellerin wird im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe Rechtsanwalt S.
K., …straße H. uneingeschränkt beigeordnet.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Gründe
A.
Der in einem Vorort von Hannover wohnenden Antragstellerin ist mit dem
angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts Prozesskostenhilfe für das
Scheidungsverfahren unter Beiordnung des in Hannover ansässigen Rechtsanwalts K.
bewilligt worden, und zwar "gemäß § 121 Abs. 3 ZPO zu den Bedingungen eines bei dem
Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts". Die dem Prozessbevollmächtigten am 10.
Januar 2007 formlos übersandte Ausfertigung dieses Beschlusses war jedoch fehlerhaft;
der beschränkende Zusatz fehlte.
Zu dem auf den 4. Oktober 2007 anberaumten Scheidungstermin ordnete das
Amtsgericht das persönliche Erscheinen der Antragstellerin an. In der mündlichen
Verhandlung erschien allein ihr Prozessbevollmächtigter. Die Antragstellerin hatte in
dem zur selben Zeit terminierten Parallelverfahren (Auskunft zur Geltendmachung von
Unterhalt) darauf hingewiesen, dass ihr Anwalt umfassend informiert sei und damit in
jenem Rechtsstreit einen Verzicht des Gerichts auf ihr persönliches Erscheinen erreicht.
Nach Abschluss des Scheidungsverfahrens beantragte der Prozessbevollmächtigte der
Antragstellerin die Festsetzung seiner Vergütung einschließlich seiner Auslagen für
Fahrtkosten nach Berlin (VV Nr. 7003) in Höhe von 146,50 € sowie Abwesenheitsgeld (VV
Nr. 7005) von 35 €. Im Streit um die Absetzung dieser Kosten ist der Antragstellerin mit
Schreiben des Amtsgerichts vom 11. Juni 2008 eine zutreffende Ausfertigung des
angefochtenen Beschlusses formlos mit der Bitte übersandt worden, die falsche
Ausfertigung zu vernichten und das Versehen zu entschuldigen. Mit dem am 18. Juni
2008 bei Gericht eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz vom 17. Juni 2008 hat die
Antragstellerin gerügt, ihr Anwalt sei zur Frage einer Beiordnung zu den Konditionen
eines ortsansässigen Anwalts nicht gehört worden und hat hinsichtlich der
Doppelausfertigung des Beschlusses Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben. Mit Schreiben
vom 12. August 2008 hat die Antragstellerin auf Anfrage mitgeteilt, der Schriftsatz vom
17. Juni 2008 solle als Beschwerde gegen den die Beiordnung nur eingeschränkt
aussprechenden Beschluss angesehen werden. Dieser Beschwerde hat das Amtsgericht
mit Beschluss vom 27. November 2008 nicht abgeholfen.
B.
I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Beschränkung der Beiordnung
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I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Beschränkung der Beiordnung
ihres Prozessbevollmächtigten im angefochtenen Beschluss ist nach § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO zulässig. Trotz der Bezeichnung als Dienstaufsichtsbeschwerde kann die Eingabe
vom 17. Juni 2008 auch als Rechtsmittel gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 8.
Januar 2007 verstanden werden. Denn die Antragstellerin wendet sich in diesem
Schriftsatz ausdrücklich gegen die Beschränkung der Beiordnung ihres
Prozessbevollmächtigten. Zudem entspricht die Auslegung als Rechtsmittel dem
erklärten Willen der Antragstellerin. Die sofortige Beschwerde ist auch rechtzeitig
eingelegt. Die Notfrist von einem Monat gemäß § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO war bei Eingang
der Beschwerde am 18. Juni 2008 nicht verstrichen. Denn der im Jahr 2007 übersandten
Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses fehlte der die Antragstellerin
beschwerende Zusatz, dieser wurde ihr erst mit – formlos übersandtem - Schreiben vom
11. Juni 2008 zusammen mit der berichtigten Ausfertigung des Beschlusses zur Kenntnis
gebracht. Frühestens mit dem Zugang dieses Schreibens begann damit der Lauf der
Monatsfrist zur Einlegung der Beschwerde gegen die beschränkte Beiordnung.
II. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des
Amtsgerichts durfte es im vorliegenden Fall nicht bei der Beiordnung des
Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin nur zu den Bedingungen eines
ortsansässigen Rechtsanwalts bleiben.
Die Beschwerde ist allerdings nicht bereits deswegen begründet, weil das Amtsgericht
die beschränkte Beiordnung ohne vorherige Nachfrage bei dem
Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin angeordnet hat (BGH, NJW 2006, 1783).
Denn die Kenntnis vom Mehrkostenverbot des § 121 Abs. 3 ZPO wird bei einem Anwalt
vorausgesetzt. Stellt ein auswärtiger Anwalt einen Beiordnungsantrag, kann sein
Einverständnis mit einer beschränkten Beiordnung vermutet werden. Sollte der
betroffene Anwalt indes meinen, er sei in dem konkreten Fall trotz des
Mehrkostenverbots ohne Einschränkung beizuordnen, steht ihm ein eigenes
Beschwerderecht zu (BGH, ebenda).
Das Amtsgericht geht im Ausgangspunkt auch zutreffend davon aus, dass im Rahmen
der bewilligten Prozesskostenhilfe nach § 121 Abs. 1 und 3 ZPO in der Regel ein bei dem
Prozessgericht niedergelassener Rechtsanwalt beizuordnen ist (BGH, FamRZ 2004,1362;
NJW 2006, 3783). Nach § 121 Abs. 3 ZPO kann ein nicht bei dem Prozessgericht
niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten
nicht entstehen. Bei der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht am
Prozessgericht niedergelassenen Anwalts hat das Gericht aber immer auch zu prüfen,
ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen und die betroffene Partei
Anspruch auf die Beiordnung eines Verkehrsanwalts hätte. Ist dies der Fall, darf das
Gericht die Beiordnung des auswärtigen Anwalts nicht auf die Bedingungen eines
ortsansässigen Anwalts einschränken (BGH, FamRZ 2004,1362; vgl. auch OLG
Schleswig, OLG Report 2007, 576; OLG Saarbrücken, JurBüro 2006, 96; OLG Karlsruhe
NJW 2005, 2718; OLG Hamm NJW 2005, 1724 und MDR 2005,530; Musielak, ZPO, 6. Aufl.
2008, Rn. 18 ff.). Diese - vom Amtsgericht nicht vorgenommene - Prüfung führt dazu,
dass der Antragstellerin der in der Nähe ihres Wohnorts niedergelassene Anwalt ohne
Einschränkung beigeordnet werden kann.
Nach § 121 Abs. 4 ZPO kann der Partei ein Verkehrsanwalt als weiterer Anwalt
beigeordnet werden, wenn “besondere Umstände” dies erfordern. Bei der Prüfung dieser
Voraussetzung ist grundsätzlich auf die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten
des Rechtsstreits und die subjektiven Fähigkeiten der Partei abzustellen (Zöller/Philippi,
ZPO, 27. Aufl., § 121, Rn. 18). Bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ist
im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Angleichung der Situation von
Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes (BVerfG, NJW
2004, 1789) aber auch die Rechtsprechung des BGH zur grundsätzlichen
Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines am Wohnort der auswärtigen Partei
ansässigen Rechtsanwalts zu beachten (BGH, FamRZ 2004,1362 unter Hinweis auf die
seit BGH, FamRZ 2003, 441 ständige Rechtsprechung des BGH). Nach jener
Rechtsprechung darf eine ihre Belange vernünftig und kostenbewusst wahrnehmende
Partei für das zur Verfolgung ihrer Interessen notwendige persönliche
Beratungsgespräch mit einem Rechtsanwalt den für sie einfacheren und nahe liegenden
Weg wählen und einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als
Bevollmächtigten beauftragen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz greift nur dann
ein, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des Prozessbevollmächtigten
feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Rechtsverfolgung nicht
erforderlich sein wird (BGH, FamRZ 2003, 441). Dem BGH zufolge ist deshalb im Falle
der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts am Sitz des Gerichts auch die Zuziehung
eines am Wohnsitz der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig als
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eines am Wohnsitz der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig als
zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen (BGH, FamRZ
2004,1362).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze beanstandet die Antragstellerin die
eingeschränkte Beiordnung ihres Anwalts zu Recht. Angesichts ihrer beengten
Einkommensverhältnisse, die das Amtsgericht zu einer ratenfreien Bewilligung von
Prozesskostenhilfe veranlasst haben, ist der Antragstellerin eine (kostenträchtige)
Informationsreise zu einem Bevollmächtigten in Berlin nicht ohne weiteres möglich. Bei
der Beauftragung eines Anwalts mit der Durchführung eines Scheidungsverfahrens kann
angesichts der Bedeutung der Sache auch nicht von vornherein angenommen werden,
dass die erforderlichen Informationen dem Bevollmächtigten ausschließlich schriftlich
erteilt werden können und im Laufe des Verfahrens ein persönliches
Mandantengespräch nicht erforderlich sein wird (OLG Hamm, NJW 2005, 1724; Musielak,
a. a. O., Rn. 18 a.; Zöller, a.a.O., § 121 Rn. 20). Dies trifft auch für das vorliegende
Scheidungsverbundverfahren zu. Es war nicht so einfach gelagert, wie es nach dem
tatsächlichen Verlauf zunächst scheint. Das angestrebte Scheidungsverfahren sollte
zwar einverständlich durchgeführt werden, doch strebte die Antragstellerin den
Ausschluss des Versorgungsausgleichs an. Überdies war sie - wie aus dem
Parallelverfahren ersichtlich - im Vorfeld der Scheidung anwaltlich zu
Unterhaltszahlungen an ihren Ehemann aufgefordert worden und machte selbst im Lauf
des Scheidungsverfahrens einen Anspruch auf Zahlung von Unterhalt gegen ihren
Ehemann geltend.
Die uneingeschränkte Beiordnung des Hannoveraner Prozessbevollmächtigen der
Antragstellerin scheitert auch nicht an der Höhe der geltend gemachten Reisekosten.
Denn diese sind geringer als die Kosten eines Verkehrsanwalts.
Unter diesen Umständen erübrigt sich die weitere Prüfung, ob zum gegenwärtigen
Zeitpunkt eine uneingeschränkte Beiordnung auch deshalb gerechtfertigt sein könnte,
weil die Tätigkeit des in Hannover ansässigen Anwalts Reisekosten erspart hat, die der
Antragstellerin als notwendige Terminsreisekosten der Partei aus der Justizkasse zu
erstatten gewesen wären (Zöller/Philippi, a.a.O., § 122, Rn. 26). Denn die zum Termin
vom 4. Oktober 2007 geladene Antragstellerin ist ersichtlich deshalb nicht persönlich
erschienen, weil sie nach dem Verhalten des Gerichts im parallel terminierten
Unterhaltsverfahren davon ausgegangen ist, dass sie mit ihrem Anwalt einen
geeigneten Vertreter zum Termin entsenden konnte. Entsendet die persönlich zum
Termin geladene Partei jedoch zulässigerweise einen geeigneten Vertreter, so sind
dessen Reisekosten grundsätzlich wie eigene Reisekosten der Partei zu behandeln und
erstattungsfähig (KG, MDR 1985,148).
III. Die Entscheidung über die Nichterstattung von Auslagen beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
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