Urteil des KG Berlin vom 23.09.2003

KG Berlin: verfahrenskosten, anfechtungsfrist, anfechtungswille, rechtsmittelbelehrung, link, sammlung, quelle, strafverfahren, beschwerdefrist, körperverletzung

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Gericht:
KG Berlin 5.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 Ws 696/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 300 StPO, § 464 Abs 3 StPO, §
473 Abs 3 StPO
Strafverfahren: Umdeutung eines Kostenfestsetzungsantrages
in eine sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Freigesprochenen gegen den Kostenbeschluß des
Landgerichts Berlin vom 23. September 2003 wird als unzulässig verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das erweiterte Schöffengericht Tiergarten hat die Beschwerdeführerin am 16. Mai 2002
vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt freigesprochen und die auf sie entfallenden
Kosten des Verfahrens sowie ihre notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt. Die
Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt, die sie in der Berufungshauptverhandlung
am 23. September 2003 zurückgenommen hat. Daraufhin hat die Strafkammer
beschlossen und in der Hauptverhandlung verkündet, daß die Kosten der Berufung der
Landeskasse zur Last fallen. Eine Entscheidung über die notwendigen Auslagen der
Beschwerdeführerin im Berufungsrechtszug hat sie nicht getroffen.
Mit einem am 24. September 2003 eingegangenen Kostenfestsetzungsantrag ihres
Verteidigers hat die Beschwerdeführerin für die Berufungsverhandlung eine
Anwaltsgebühr in Höhe von 700,00 Euro geltend gemacht. Die Rechtspflegerin des
Amtsgerichts Tiergarten hat in ihrem Kostenfestsetzungsbeschluß vom 22. Oktober
2003 eine Zuerkennung dieser Gebühr unter Hinweis darauf abgelehnt, daß der
Beschluß des Landgerichts vom 23. September 2003 keine Auslagenentscheidung
enthalte. Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2003 hat der Verteidiger gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluß sofortige Beschwerde eingelegt und im übrigen beantragt,
die offenbar versehentlich unterbliebene Entscheidung hinsichtlich der Auslagen der
Beschwerdeführerin im Berufungsrechtszug nachzuholen. Hilfsweise hat er die
Berichtigung des Beschlusses des Landgerichts vom 23. September 2003 beantragt und
höchst vorsorglich gegen den Beschluß Beschwerde eingelegt.
Die von dem Landgericht zu treffende Entscheidung über die sofortige Beschwerde der
Freigesprochenen gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß vom 22. Oktober 2003 hängt
davon ab, ob der Kostenbeschluß der Strafkammer vom 23. September 2003 dahin
ausgelegt werden kann, daß in ihm auch die der Freigesprochenen im
Berufungsrechtszug entstandenen notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt
worden sind oder ob der Beschluß insoweit ergänzt bzw. berichtigt oder auf die
Beschwerde der Freigesprochenen abgeändert werden kann. Das ist zu verneinen.
1. Nach inzwischen fast einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum setzt
die Erstattung der notwendigen Auslagen eines freigesprochenen Angeklagten eine
ausdrückliche Entscheidung in dem das Verfahren abschließenden Urteil oder Beschluß
voraus. Da § 464 Abs. 1 und 2 StPO zwischen den Verfahrenskosten einerseits und den
Auslagen andererseits unterscheidet, kann die Überbürdung der Verfahrenskosten auf
die Landeskasse nicht dahin ausgelegt werden, daß damit auch die notwendigen
Auslagen der Landeskasse angelastet werden (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO 25.
Aufl., § 464 Rdn. 24, 25; Franke in KK, StPO 5. Aufl., § 464 Rdnrn. 4 und 6; Meyer-Goßner,
StPO 46. Aufl., § 464 Rdn. 12, alle m. Rsprnachw.; a.A. OLG Naumburg NStZ-RR 2001,
189). Das Gericht, das eine unvollständige Kostenentscheidung getroffen hat, darf sie
selbst weder ergänzen noch berichtigen. Eine Korrektur ist allein auf eine nach § 464
Abs. 3 Satz 1 StPO ordnungsgemäß erhobene sofortige Beschwerde hin möglich (vgl.
Hilger aaO., § 464 Rdn. 29; Franke aaO., § 464 Rdn. 4).
Die von der Strafkammer in dem Beschluß vom 23. September 2003 getroffene
Entscheidung bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut allein auf die
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Entscheidung bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut allein auf die
Verfahrenskosten, so daß Abhilfe hinsichtlich der Auslagen der Freigesprochenen nur auf
eine sofortige Beschwerde hin erfolgen kann.
2. Da der Beschluß vom 23. September 2003 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin
verkündet worden ist, lief die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde am 30.
September 2003 ab (§§ 35 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO). Innerhalb dieser Frist ist bei
Gericht nur der von dem Verteidiger gestellte Kostenfestsetzungsantrag eingegangen.
Er kann nicht als sofortige Beschwerde gegen das Fehlen der Auslagenentscheidung in
dem Beschluß vom 23. September 2003 behandelt werden.
Ob ein innerhalb der Beschwerdefrist eingegangener Kostenfestsetzungsantrag als
sofortige Beschwerde gegen eine unterbliebene Auslagenentscheidung auszulegen ist,
ist umstritten. Die Rechtsprechung bejaht die Frage zum Teil (vgl. OLG Düsseldorf GA
1990, 267, 268; OLG Stuttgart StV 1993, 651; KG, 4. Strafsenat, Beschlüsse vom 25.
September 1995 – 4 Ws 190/95 – und 27. März 2002 – 4 Ws 56/02 –). Zur Begründung
wird in den Entscheidungen darauf hingewiesen, daß der Freigesprochene mit seinem
Kostenfestsetzungsantrag das Ziel verfolge, die ihm nach dem Kostenrecht
zustehenden Auslagen zu erhalten. Da er sein Begehren erfolgreich nur mit dem
Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die unterlassene Auslagenentscheidung
durchsetzen könne, sei der Antrag gemäß § 300 StPO als sofortige Beschwerde gegen
den Kostenfestsetzungsbeschluß auszulegen.
Der Senat ist dieser Auffassung bereits in seinem Beschluß vom 13. Juni 2000 – 5 Ws
408/00 – nicht gefolgt. Sie überzeugt ihn auch weiterhin nicht. Richtig ist, daß § 300 StPO
über seinen Wortlaut hinaus für alle in einem Strafverfahren gestellten Anträge und
Erklärungen gilt. Als Rechtsmittel kann eine Erklärung aber nur dann ausgelegt werden,
wenn aus ihr ein Anfechtungswille hervorgeht, also deutlich wird, daß sich der Erklärende
mit einer ihn beschwerenden gerichtlichen Entscheidung nicht abfinden will. Maßgebend
für die Auslegung ist der Sinngehalt, der sich aus der Gesamtheit der innerhalb der
Anfechtungsfrist eingehenden Erklärungen ergibt (vgl. Ruß in KK, StPO 5. Aufl., § 300
Rdnrn. 1 und 2; Meyer-Goßner, § 300 Rdn. 3). Für die Auslegung des Anfechtungswillens
ist im übrigen die Person des Erklärenden von Bedeutung. Bei Rechtskundigen ist eher
als bei Rechtsunkundigen auf den gewählten Wortlaut abzuheben (vgl. Ruß aaO., § 300
Rdn. 2). Einem Rechtsanwalt, der in Strafsachen tätig wird, ist aber regelmäßig bekannt,
daß das Festsetzungsverfahren nach § 464b StPO allein die Aufgabe hat, die Höhe der
notwendigen Auslagen zu bestimmen, bezüglich deren eine rechtskräftige gerichtliche
Grundentscheidung vorliegt, und daß dieses Verfahren nicht dem Zweck dient,
unvollständige Grundentscheidungen des erkennenden Gerichts zu korrigieren (vgl.
Hilger aaO., § 464 Rdn. 29).
Nach diesen Grundsätzen erscheint es nicht gerechtfertigt, ohne Hinzutreten weiterer
Umstände einen Kostenfestsetzungsantrag als sofortige Beschwerde gegen die
unvollständige oder sonst fehlerhafte Kostengrundentscheidung zu behandeln. § 300
StPO bietet keine Handhabe dafür, einen Rechtsanwalt, der übersehen oder verkannt
hat, daß die Einlegung eines Rechtsmittels geboten war, aus Billigkeitsgründen von den
Folgen dieses Versäumnisses freizustellen. Eine sofortige Beschwerde kann in dem
Kostenfestsetzungsantrag mithin nur dann gesehen werden, wenn der Antragsteller in
irgend einer Weise zugleich die Kostengrundentscheidung beanstandet hat, so etwa mit
dem Antrag, die notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen (vgl. OLG Hamm
NStE Nr. 6 zu § 300 StPO; im Ergebnis so auch OLG Düsseldorf NStE Nr. 4 zu § 300
StPO; Franke a.a.O., § 464 Rdn. 10; Meyer-Goßner, § 300 Rdn. 2 und § 464 Rdn. 12).
In der vorliegenden Sache fehlt es an jedem Anhaltspunkt dafür, daß der Verteidiger der
Beschwerdeführerin das Fehlen der Auslagenentscheidung in dem Kostenbeschluß vom
23. September 2003 bemerkt hat, bevor er in dem Kostenfestsetzungsbeschluß vom 22.
Oktober 2003 darauf hingewiesen worden ist. Sein Kostenfestsetzungsantrag kann daher
mangels Anfechtungswillens nicht als sofortige Beschwerde behandelt werden. Ob die
Beschwerdeführerin wegen der Versäumung der Frist für die Einlegung der sofortigen
Beschwerde gegen den Beschluß vom 23. September 2003 Wiedereinsetzung hätte
beantragen können, weil der Beschluß ohne Rechtsmittelbelehrung ergangen ist (vgl.
hierzu OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 157), kann dahinstehen, da die Frist für die
Einreichung eines derartigen Antrags jedenfalls längst abgelaufen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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