Urteil des KG Berlin vom 08.10.2008

KG Berlin: urkunde, aushändigung, anschrift, form, urschrift, auflage, gebühr, ermächtigung, zustellung, schriftstück

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Gericht:
KG Berlin 9. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 W 161/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 16 KostO, § 133 KostO, § 141
KostO, § 156 Abs 1 S 3 KostO
Notargebühren: Weitere Ausfertigung einer vollstreckbaren
Urkunde nach Verlust der Erstausfertigung auf dem Postweg
Leitsatz
Zum Gebührenanspruch des Notars für die Zweitausfertigung einer vollstreckbaren Urkunde
nach Verlust der Erstausfertigung auf dem Postweg.
Tenor
1. Die weitere Beschwerde des Kostengläubigers vom 21.11.2008 gegen den Beschluss
des Landgerichts Berlin vom 08.10.2008 (82 T 505/06 und 82 T 746/08) wird
zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kostengläubiger.
3. Der Wert der weiteren Beschwerde wird auf 2.082,20 € festgesetzt
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens der weiteren Beschwerde sind die Kostenberechnungen
des Kostengläubigers und Beschwerdeführers (im Folgenden als Notar bezeichnet) vom
30.08.2006 betreffend die weiteren vollstreckbaren Ausfertigungen der Urkunden des
Notars zu den UR-Nr. 337/06 und UR-Nr. 432/06.
Der Notar beurkundete am 18.05.2006 zu seiner UR-Nr. 337/06 eine Grundschuld in
Höhe von 1.150.000.- € zugunsten der in den genannten Berechnungen bezeichneten
Kostenschuldnerin und Beschwerdegegnerin. Am 14.06.2006 erfolgte eine
Ergänzungsverhandlung, in der die persönliche Vollstreckungsunterwerfung der
Kreditnehmerin beurkundet wurde. Mit einem versehentlich an die Anschrift „L. Platz …“
(statt richtigerweise: „L. Platz … “) adressierten Schreiben vom 30.06.2006 veranlasste
der Notar die Übermittlung der vollstreckbaren Ausfertigungen der Grundschuld (UR-Nr.
337/06) und der Zwangsvollstreckungsunterverwerfung (UR-Nr. 432/06) an die
Beschwerdegegnerin, und zwar durch Übergabe an die PIN AG. Die Beschwerdegegnerin
macht geltend, dass das Schreiben bei ihr nicht eingegangen sei, wohingegen der Notar
vorträgt, das Schreiben sei im Machtbereich der Beschwerdegegnerin abhanden
gekommen. Weil der Verbleib des Schreibens letztlich nicht zu ermitteln war, beantragte
die Beschwerdegegnerin beim Notar mit Schreiben vom 10.07.2006 jeweils eine „neue“
Ausfertigung der beiden vollstreckbaren Ausfertigungen. Mit Beschluss vom 21.08.2006
erteilte das Amtsgericht Charlottenburg dem Notar eine Ermächtigung zur Erteilung
weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen der beiden Urkunden. Mit Schreiben vom
30.08.2006 übermittelte der Notar der Beschwerdegegnerin zwei „weitere“
vollstreckbare Ausfertigungen. Ebenfalls mit Schreiben vom 30.08.2006 stellte er der
Beschwerdegegnerin für jede der „weiteren“ Ausfertigungen einen Betrag von 1.041,10
€ in Rechnung.
Die Beschwerdegegnerin hat gegen die beiden Kostenrechnungen über insgesamt
2.082,20 € Einwendungen erhoben und geltend gemacht, dass sie angesichts des
Verlusts der (ersten) vollstreckbaren Ausfertigungen auf dem Postwege keine
Veranlassung zur Zahlung der Kosten sehe. Daraufhin hat der Notar gemäß § 156 Abs.
1 S. 3 KostO die Entscheidung über die Einwendungen der Beschwerdegegnerin
beantragt und seine Kostenberechnungen vom 30.08.2006 verteidigt. Er hat ausgeführt,
die Kostentragungspflicht ergebe sich aus § 2 Nr. 1 KostO, da die Beschwerdegegnerin
die Erteilung der weiteren vollstreckbaren Ausfertigungen beantragt habe; eine
Niederschlagung komme nicht in Betracht, weil keine falsche Sachbehandlung vorliege,
insbesondere sei die versehentliche falsche Adressierung angesichts der exponierten
Lage des Zustellorts nicht vorwerfbar.
Das Landgericht hat die Kostenrechnungen mit Beschluss vom 08.10.2008 aufgehoben
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Das Landgericht hat die Kostenrechnungen mit Beschluss vom 08.10.2008 aufgehoben
und die weitere Beschwerde zugelassen. Der Beschluss ist ausweislich eines
entsprechenden Aktenvermerks am 27.10.2008 an den Notar versandt worden.
Mit seiner weiteren Beschwerde vom 21.11.2008 - beim Kammergericht eingegangen
am 26.11.2008 - wendet sich der Notar gegen den Beschluss des Landgerichts. Er
beantragt, den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 08.10.2008 dahingehend
abzuändern, dass die Kostenberechnungen vom 30.08.2006 betreffend die Urkunden
UR-Nr. 337/06 und 432/06 in Höhe von jeweils 1.041,10 € aufrecht erhalten werden.
II. Die weitere Beschwerde ist zulässig, nachdem das Rechtsmittel gemäß § 156 Abs. 1
S. 2 KostO in der angefochtenen Entscheidung zugelassen worden ist. An diese
Entscheidung ist der Senat gebunden (Müller-Magdeburg, Rechtsschutz gegen
notarielles Handeln, 2005, Rz 891). Im Übrigen hat der Notar das Rechtsmittel form- und
fristgerecht eingelegt (§ 156 Abs. 2 S. 1 KostO). Es hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Notar hat vorliegend zwei „weitere“ vollstreckbare Ausfertigungen i.S.d. §§ 141,
133 KostO erteilt, für die grundsätzlich die geltend gemachten Gebühren in Rechnung
gestellt werden durften.
Gemäß §§ 141, 133 KostO wird für die Erteilung vollstreckbarer Ausfertigungen notarieller
Urkunden die Hälfte der vollen Gebühr u.a. dann erhoben, wenn es sich um die Erteilung
einer „weiteren“ vollstreckbaren Ausfertigung handelt. Die Erteilung einer „ersten“
vollstreckbaren Ausfertigung ist hingegen kostenfrei (Hartmann, KostG, 39. Auflage
2009, zu § 133 KostO Rz 1).
Nach dem Akteninhalt hat der Notar im Juni 2006 „erste“ vollstreckbare Ausfertigungen
der beiden in Rede stehenden Urkunden dadurch erteilt, dass er sie mit einer
Vollstreckungsklausel versehen hat:
Vollstreckbare Ausfertigungen notarieller Urkunden i.S.d. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, deren
Urschrift der Notar selbst verwahrt, werden gemäß § 52 BeurkG nach den dafür
bestehenden Vorschriften der §§ 724 ff ZPO erteilt. Eine vollstreckbare Ausfertigung wird
gemäß §§ 52 BeurkG, 724f. ZPO erteilt, indem die einfache Ausfertigung einer Urkunde
mit einer Vollstreckungsklausel versehen wird (Winkler, Beurkundungsgesetz, 16. Auflage
2008, zu § 52 BeurkG Rz 32). Da in §§ 52 BeurkG, 734 ZPO geregelt ist, dass vor der
Aushändigung einer vollstreckbaren Ausfertigung auf der Urschrift der Urkunde zu
vermerken ist, für welche Partei und zu welcher Zeit die Ausfertigung erteilt wurde, ist die
vollstreckbare Ausfertigung als solche bereits erteilt, wenn die mittels Vermerk
dokumentierte Vollstreckungsklausel aufgebracht wurde, ohne dass es dabei auf den
Zugang der vollstreckbaren Ausfertigung beim Gläubiger ankäme (vgl. insoweit für
vollstreckbare Urteilsausfertigungen: KG, Beschluss vom 20.07.2007 – 14 W 18/07; KG,
Beschluss vom 5.05.2009 – 1 W 373/07; jeweils unter Hinweis auf OLG Schleswig,
Beschluss vom 19.03.1981 – 8 WF 65/81, SchlHA 1981, 81).
Da die ersten vollstreckbaren Ausfertigungen der Beschwerdegegnerin nach dem
Akteninhalt nicht nachweislich zugegangen sind und der Verbleib der Schriftstücke unklar
ist, handelt es sich bei den - nach entsprechender Ermächtigung durch das Amtsgericht
Charlottenburg vom 21.08.2006 - unter dem 30.08.2006 übermittelten Unterlagen um
„weitere“ vollstreckbare Ausfertigungen der Urkunden mit den UR-Nrn. 337/06 und
432/06 i.S.d. §§ 141, 133 KostO. Die Beschwerdegegnerin hat die „weiteren“
vollstreckbaren Ausfertigungen mit Schreiben vom 10.07.2006 auch zumindest
sinngemäß beantragt, so dass sie gemäß §§ 141, 2 Nr. 1 KostO als Kostenschuldnerin zu
behandeln ist. Zwar hat sie gebeten, „neue“ Ausfertigungen der in Verlust geratenen
vollstreckbaren Ausfertigungen zu übersenden, da aus Rechtsgründen wegen des
unbekannten Verbleibs der „ersten“ Ausfertigungen jedoch nur „weitere“
Ausfertigungen erteilt werden durften, war dieser Antrag dahingehend aufzufassen, dass
„weitere“ Ausfertigungen beantragt werden.
2. Die Beschwerdegegnerin kann den Kostenforderungen aber den Einwand unrichtiger
Sachbehandlung gemäß §§ 141, 16 KostO entgegenhalten, weil der Notar bei der
Versendung der ersten vollstreckbaren Ausfertigungen unstreitig eine unzutreffende
Anschrift angegeben hat („L. Platz …“ statt „L. Platz …“) und dies nach dem Beweis des
ersten Anscheins dafür spricht, dass die Sendung wegen der falschen Adressierung auf
dem Postweg abhanden gekommen ist.
a. Zwar rechtfertigt entgegen der Ansicht des Landgerichts allein der Verlust der ersten
vollstreckbaren Ausfertigung einer notariellen Urkunde auf dem Postweg nicht, dass
Kosten gemäß § 16 KostO wegen unrichtiger Sachbehandlung nicht erhoben werden. Es
gelten hier die Grundsätze, wie sie für den Verlust von Urteilsausfertigungen entwickelt
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gelten hier die Grundsätze, wie sie für den Verlust von Urteilsausfertigungen entwickelt
worden sind: Eine unrichtige Sachbehandlung i.S.d. § 21 Abs. 1 S. 1 GKG wird nur bei
einem (offensichtlichen) Fehler von Angehörigen staatlicher Rechtspflege angenommen
(KG, Beschluss vom 5.09.2009 – 1 W 373/07 unter Hinweis auf KG, Beschluss vom
10.07.2007 – 1 W 193/07, AGS 2007, 639 = KGR 2007, 928). Das Verhalten des mit der
Beförderung beauftragten Postdienstleisters ist dem Gericht nicht zuzurechnen, da
einerseits der Anspruch des Gläubigers auf Aushändigung einer vollstreckbaren
Ausfertigung nicht auf einem Vertrag beruht, auf den § 278 BGB Anwendung finden
würde, und andererseits dem Gläubiger nach dem Grundsatz des § 734 ZPO die
vollstreckbare Ausfertigung an Gerichtsstelle „auszuhändigen“ ist; beantragt der
Gläubiger stattdessen ausdrücklich oder konkludent die Übersendung der
vollstreckbaren Ausfertigung, trägt er das Übermittlungsrisiko in Form der Gebühr für die
Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung gemäß Nr. 2110 KV GKG i.V.m. §
22 Abs. 1 S. 1 GKG, sofern keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die
erste vollstreckbare Ausfertigung im Verantwortungsbereich des Gerichts abhanden
gekommen ist; die bloße Möglichkeit, dass der Verlust auf einem sorgfaltswidrigen
Verhalten von Justizbediensteten beruht, wird nicht für ausreichend erachtet, da für eine
Nichterhebung der Kosten die unrichtige Sachbehandlung feststehen muss (KG,
Beschluss vom 5.05.2009 – 1 W 373/07 unter Hinweis auf KG, Beschluss vom 20.07.2007
– 14 W 18/07). Wenn § 734 ZPO lediglich von der „Aushändigung“ der vollstreckbaren
Ausfertigung spricht, ist es de lege lata gerechtfertigt, die Aushändigung der
vollstreckbaren Ausfertigung durch persönliche Übergabe an Gerichtsstelle als
gesetzlichen Regelfall anzusehen, was zur Folge hat, dass eine postalische Übermittlung
– jedenfalls wenn sie auf Bitten des Antragstellers erfolgt – in seinen Risikobereich fällt
und er die Kosten nach Nr. 2110 KV GKG zu tragen hat. Da über § 52 BeurkG die
Vorschrift des § 734 ZPO auch für die von einem Notar zu erteilenden vollstreckbaren
Ausfertigungen gilt, besteht kein Anlass, von dieser gesetzlichen Risikoverteilung
abzugehen, soweit es um die Frage des Übermittlungsrisikos für die erste vollstreckbare
Ausfertigung nach §§ 52 BeurkG, 724 f. ZPO geht.
b. Jedoch hat der Notar vorliegend die an die Beschwerdegegnerin gerichtete Sendung
unstreitig mit einer unzutreffenden Anschrift versehen. Eine fehlerhafte Adressierung
stellt einen Fehler i.S.d. § 16 KostO dar. Geht eine Postsendung bei falscher
Anschriftenangabe dem Adressaten nicht nachweislich zu, spricht der Beweis des ersten
Anscheins dafür, dass ihm das Schriftstück aufgrund des Fehlers nicht zugegangen ist.
Die vom Notar geschilderten Umstände sind nicht geeignet, diesen Anschein zu
erschüttern. Frühere falsch adressierte Schreiben mag die Gläubigerin zwar erhalten
haben; auch mag die von der Beschwerdegegnerin betriebene Bank auf dem L. Platz gut
sichtbar sein, so dass es nicht ausgeschlossen ist, dass eine Zustellung trotz falscher
Adressierung hätte erfolgen können. Allerdings ist der Notar nicht in der Lage, einen
konkreten Bediensteten der PIN AG, insbesondere den Zusteller der Sendung vom
30.06.2006, für die Gegebenheiten vor Ort und die Zustellgepflogenheiten zu benennen.
Demgegenüber erscheint es mehr als unwahrscheinlich, dass im Hause der
Beschwerdegegnerin just in dem Moment Urkunden abhanden gekommen sein sollen,
als ihr diese unter einer falschen Anschrift übermittelt wurden. Der Notar hat aus
Unachtsamkeit eine Ungewissheit geschaffen, für die er in Form des Verlusts seines
Gebührenanspruches haftet.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG
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