Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: beweiswürdigung, ampel, kreuzung, unfall, prozess, selbstbehalt, reparatur, vollkaskoversicherung, sammlung, quelle

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 184/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 141 ZPO, § 286 ZPO, § 448
ZPO
Verkehrsunfallprozess: Tatrichterliche Überzeugungsbildung
aufgrund des Akteninhalts und der mündlichen Verhandlung
einschließlich der persönlichen Anhörung des Klägers bei
Abwesenheit des Beklagten
Leitsatz
Ist das Gericht nach Akteninhalt und der Verhandlung einschließlich der persönlichen
Anhörung des Klägers (der ebenfalls geladene Beklagte war nicht erschienen) von der
Richtigkeit dessen bestrittener Behauptung zum Unfallhergang überzeugt, so bedarf es nicht
dessen zusätzlicher Parteivernehmung nach § 448 ZPO, die im Übrigen u. a. auch
voraussetzt, dass das Gericht noch nicht überzeugt ist.
(Berufung zurückgewiesen durch Beschluss vom 22. Juni 2009)
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen
Beschluss zurückzuweisen.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche
Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz
1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die
angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder die
nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung
rechtfertigen.
Beides ist nicht der Fall.
1. Das Landgericht hat die Klage mit zutreffender, rechtlich nicht zu beanstandender
Begründung abgewiesen, da die Klägerin den Unfall durch das Überfahren der für sie
bereits Rotlicht abstrahlenden Ampel selbst verursacht hat.
Das Landgericht hat zu dem Hergang des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls den
Beklagten zu 1) im Termin zur mündlichen Verhandlung gemäß § 141 ZPO persönlich
angehört und dies in der angegriffenen Entscheidung auf den Seiten 7 - 8 gewürdigt.
Die hiergegen von der Berufung vorgebrachten Angriffe versprechen keine Aussicht auf
Erfolg.
a. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom
Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit
nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der
Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO
gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der
Beweiswürdigung abzuweichen (siehe Senat, Urteil vom 11. März 2004 – 12 U 285/02 –
DAR 2004, 387; NZV 2004, 632; Urteil vom 8. Januar 2004 – 12 U 184/02 – KGR 2004,
269, vgl. auch BGH, Urteil vom 9. März 2005 – VIII ZR 266/03 – NJW 2005, 1583).
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§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das
bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und
gegebenenfalls Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen
Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. Dabei darf er
insbesondere auch einer Partei mehr glauben, als einem Zeugen, auch wenn der Zeuge
beeidet wurde, oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil der
Beweisbehauptung feststellen, sofern dies nach der aus den übrigen Beweismitteln bzw.
dem Akteninhalt gewonnenen Erkenntnisse seiner Überzeugung entspricht (vgl.
Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 286 Rn 13).
Auch kann der Richter im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlung
einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung
erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen geben (vgl. BGH, Urteil vom
16. Juli 1998 - I ZR 32/96 - NJW 1999, 363).
Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine
Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es
nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und alle Beweismittel ausführlich
einzugehen, es genügt, wenn nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende
Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 286 Rn 3; Senat, Urteil
vom 12. Januar 2004 – 12 U 211/02 – DAR 2004, 223 = KGR 2004, 291).
b. An diese Grundsätze der freien Beweiswürdigung hat sich das Landgericht in dem
angefochtenen Urteil gehalten.
Es hat im Einzelnen begründet, warum es zu der Überzeugung gelangt ist, dass der
Beklagte zu 1) von der Mitte der Kreuzung aus erst wieder angefahren ist, nachdem der
grüne Abbiegepfeil aufgeleuchtet hatte. Im Hinblick auf den vom Landgericht ebenfalls
zutreffend ausgewerteten Signalschaltplan strahlte die für die Klägerin relevante Ampel
zum Zeitpunkt des Aufleuchtens des Grünpfeils bereits seit drei Sekunden rotes Licht
ab, was das Landgericht ebenfalls berücksichtigt hat.
Dabei hat das Landgericht sowohl die Angaben, als auch die Stellung des Beklagten zu
1) im Prozess gewürdigt sowie zutreffend darauf abgestellt, dass der Beklagte zu 1)
bereits unmittelbar nach dem Unfall gegenüber den aufnehmenden Polizeibeamten das
Aufleuchten des Grünpfeils angegeben hatte; die Anhörung der gleichfalls nach § 141
ZPO zum Termin geladenen Klägerin war nicht möglich, weil diese nicht erschienen ist
und die Parteien rügelos (§ 295 ZPO) im Ergebnis der Parteianhörung verhandelt haben.
c. Soweit die Berufung die Auffassung vertritt, dass die Angaben des Beklagten zu 1)
deshalb keine Berücksichtigung hätten finden dürfen, weil es sich nicht um eine
Zeugenaussage, sondern eine Anhörung nach § 141 ZPO gehandelt hat, kann dem nicht
gefolgt werden.
Wie bereits ausgeführt, hat der Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach §
286 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des
Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden.
Erkenntnisquellen der Beweiswürdigung sind dabei neben Sachvortrag und
Prozessverhalten der Parteien und somit deren Schriftsätze insbesondere auch
Äußerungen bei Anhörungen gemäß § 141 ZPO (vgl. Zöller-Greger, 27. Aufl., § 286 ZPO,
Rn. 14).
Zwar ist gemäß § 448 ZPO bei Vorliegen der dortigen Voraussetzungen die Möglichkeit
einer Parteivernehmung vorgesehen, die im Ermessen des Gerichts steht. Ist das
Gericht jedoch, wie vorliegend, bereits auf Grund des Inhalts der Akten und der
Verhandlung, zu der auch die Anhörung nach § 141 ZPO gehört, von der Richtigkeit einer
bestrittenen Behauptung überzeugt, so bedarf es der zusätzlichen Anordnung einer
Parteivernehmung nicht, zumal dieser kein notwendig höherer Beweiswert zukommt, als
der Anhörung nach § 141 ZPO (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. Juli 1998, aaO.; OLG
Koblenz, Urteil vom 7. März 2002 - 5 U 1591/01 - NJW-RR 2002, 630).
Ist das Gericht bereits ohne Parteivernehmung von der Richtigkeit des Vorbringens
überzeugt, liegen zudem die Voraussetzungen von § 448 ZPO nicht vor, da die
Anordnung der Parteivernehmung voraussetzt, dass die Würdigung des
Verhandlungsergebnisses noch keine Überzeugung des Gerichts zu begründen
vermochte. Ist dies jedoch, wie hier, der Fall, bedarf es der Anordnung einer
(zusätzlichen) Parteivernehmung nicht mehr.
2. Da das Landgericht mithin nach nicht angreifbarer Würdigung, der der Senat aus
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2. Da das Landgericht mithin nach nicht angreifbarer Würdigung, der der Senat aus
eigener Überzeugung folgt, zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Klägerin bei für sie
Rotlicht abstrahlender Ampel in die Kreuzung eingefahren ist, haben die Beklagten,
entgegen den Ausführungen in der Berufung, auch nicht 50 % der geltend gemachten
Forderung per se zu tragen.
Eine 50 %-tige Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn keine der Parteien dem
Gegner ungünstige Tatsachen beweisen kann, mithin die Gefährdungshaftung für beide
eingreift. Dies ist aber vorliegend gerade nicht der Fall.
3. Unabhängig von den obigen Ausführungen ist noch darauf hinzuweisen, dass die
Klage im überwiegenden Umfang auch bereits deshalb keine Aussicht auf Erfolg hätte,
wenn von einer ungeklärten Ampelschaltung zum Zeitpunkt des Unfalls ausgegangen
würde.
Unstreitig hat die Klägerin von ihrer Vollkaskoversicherung die Kosten der Reparatur
ersetzt erhalten, so dass die Klageforderung in Höhe von 4.421,03 EUR abzüglich
Selbstbehalt unbegründet wäre, da die Klägerin nicht mehr aktiv legitimiert ist, weil der
Schadensersatzanspruch, so er bestünde, gemäß § 67 VVG auf die Kaskoversicherung
übergegangen wäre.
Hierauf hatte das Landgericht in der mündlichen Verhandlung bereits hingewiesen. Die
Berufung verhält sich hierzu nicht.
4. Es wird deshalb anheim gestellt, die weitere Durchführung der Berufung zu
überdenken.
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