Urteil des KG Berlin vom 27.02.2003

KG Berlin: nebenkosten, minderung, vermieter, mietrecht, mietsache, mangel, mietzins, kündigung, entwässerung, rechtfertigung

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 104/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 536 Abs 1 S 2 BGB
Wohnraummiete: Berechnung der Mietminderung
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. Februar 2003 verkündete Urteil des
Landgerichts Berlin – 32 O 441/02 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
(aus Wohnungswirtschaft und Mietrecht WuM)
B. I. 2) c) Das Landgericht (Berlin) hat seiner Minderungsberechnung zutreffend die
vereinbarte Bruttomiete zugrundegelegt. Der Senat vermag der zur
Berufungsbegründung vorgetragenen Ansicht der Klägerin nicht zu folgen, es käme
hierfür auf die Netto-Miete an, sondern schließt sich der Auffassung an, dass es für die
Minderung des Mietzinses nach §536 Abs. 1 Satz 2BGB grundsätzlich auf die
Bruttomiete ankommt, also auf die Summe aus Nettomiete und Nebenkosten (ebenso -
zum alten Mietrecht - OLG Hamm NJWE-MietR 1996, 80; OLG Düsseldorf WM 1994, 324;
OLG Frankfurt WM 1986, 19; vgl. zur bisherigen, nach neuem Recht nicht weiterverfolgten
Rechtsprechung des Senats GE 2001, 1670 (= GuT 2002, 77)).
(1) Auf welcher Grundlage eine Mietminderung zu berechnen ist, ist umstritten. Als
Ausgangspunkt für die Herabsetzung der Miete kommen die Nettomiete (Mietzins ohne
Nebenkosten), die Bruttomiete (Mietzins mit allen Nebenkosten) oder die
Bruttokaltmiete (Mietzins mit allen Nebenkosten ohne Heizkosten) in Betracht; sofern
Nebenkosten in eine Mietminderung einbezogen werden, ergibt sich das weitere
Problem, ob dies gleichmäßig geschehen soll oder ob eine Berücksichtigung nur der
Nebenkosten geboten ist, die vom minderungsbegründenden Mangel betroffen sind. In
Rechtsprechung und Literatur werden hierzu vielfältige Ansichten vertreten (vgl. die
Übersicht mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen bei v. Staudinger/Emmerich,
BGB, Neubearbeitung 2003, §536 BGB, Rn.55).
(2) Dem Wortlaut des Gesetzes ist zu der Frage, auf welcher Grundlage eine
Mietminderung zu berechnen ist, nichts zu entnehmen. In §536 Abs. 1 Satz 2BGB ist
lediglich von "Miete" die Rede. Diese Formulierung besagt für die Frage nichts, ob bei der
Minderung die Nettokaltmiete (Miete ohne Nebenkosten), die Bruttomiete (Miete
einschließlich Nebenkosten) oder eine andere Berechnungsgrundlage heranzuziehen ist.
(3) Gleichfalls unergiebig ist insoweit die Gesetzgebungsgeschichte zu §536 Abs. 1 BGB
in der hier geltenden Fassung. Der Rechtsausschuss des Bundestages, der der Norm die
jetzt geltende Fassung gegeben hat, hat entgegen ersten Plänen ausdrücklich von einer
Legaldefinition der Miete abgesehen und damit die Lösung des Problems der
Rechtspraxis überlassen (vgl. Sternel, WM 2002, 244, 246 m.w.N.).
(4) Entscheidend für eine Berechnung der Mietminderung auf Basis der Bruttomiete,
also unter Einbeziehung sämtlicher Nebenkosten, sprechen jedoch die
Gesetzessystematik, der Zweck der Norm sowie Aspekte der Praktikabilität.
Aus §536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich, dass der Mieter von der Entrichtung der Miete
vollständig befreit ist, solange die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen
Gebrauch infolge eines Mangels aufgehoben ist. Dies ist eindeutig: In diesem Fall muss
der Mieter solange nichts zahlen, wie die Gebrauchstauglichkeit fehlt; auch Nebenkosten
schuldet er nicht (vgl. Blank/ Börstinghaus, Neues Mietrecht, §536 BGB, Rn.5). Im
Hinblick darauf lässt sich nicht überzeugend begründen, dass bei einer Minderung der
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Hinblick darauf lässt sich nicht überzeugend begründen, dass bei einer Minderung der
Tauglichkeit, also bei ihrer nur teilweisen Aufhebung, die Nebenkosten entweder ganz
oder teilweise unverändert weiter zu zahlen sein sollen. Gegenüber dem vollständigen
Wegfall der Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch handelt es sich nicht um ein
aliud, sondern nur um ein wesensgleiches minus. Beide Fälle sind in derselben Norm in
unmittelbarem Zusammenhang geregelt (§536 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB); in beiden
Fällen hat der Gesetzgeber das Wort "Miete" gewählt. Das spricht dafür, sie auch
einheitlich zu interpretieren, und zwar im Sinne der Bruttomiete.
Dasselbe Wort "Miete" findet sich ferner unter demselben amtlichen "Untertitel 1.
Allgemeine Vorschriften für Mietverhältnisse" in §543 Abs.2 Nr.3 BGB, der das Recht des
Vermieters zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses wegen
Zahlungsverzuges des Mieters regelt. Nach zutreffender Ansicht (als h.M. bezeichnet bei
Palandt/Weidenkaff, BGB, 63. Aufl. 2003, §543 BGB, Rn.23 m.w.N.) können Rückstände
der Mietzahlung mit Einschluss der laufenden Nebenkosten und Vorauszahlungen für
Heiz- und Warmwasserkosten eine derartige Kündigung rechtfertigen. Es spricht - auch
unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung - nichts dafür, die Nebenkosten
unterschiedlich zu berücksichtigen, je nachdem, ob Mieter oder Vermieter ihren
Leistungspflichten unzureichend nachkommen (vgl. auch Gellwitzki, WM 1999, 10, 15 zur
Rechtslage nach altem Mietrecht). Auch dieses rechtfertigt es, bei der Mietminderung
auf die Bruttomiete abzustellen.
Dasselbe Ergebnis gebietet der Zweck des §536 Abs. 1 Satz 2BGB. Durch die
Mietminderung soll das von den Vertragsparteien festgelegte Äquivalenzverhältnis
zwischen der Leistung des Vermieters - der Bereitstellung einer im Vertragssinn
nutzbaren Mietsache - und der Leistung des Mieters - der Mietzahlung - bei einer
Störung auf Vermieterseite wieder hergestellt werden. Für eine reduzierte
Vermieterleistung soll der Mieter auch nur reduziert leisten müssen.
Bei dieser Äquivalenzbetrachtung lässt sich die Nettomiete für Räume nicht sinnvoll von
den Nebenkosten trennen. Der Mieter von Räumen zahlt Miete, um diese Räume im
Rahmen des vertraglich gestatteten Gebrauchs entsprechend ihrer Ausstattung und
technischen Möglichkeiten zu nutzen. Die an den Vermieter zu zahlenden Nebenkosten
(etwa für Heizung, Wasser, Müllabfuhr, Straßenreinigung) dienen diesem Zweck: Sie
ermöglichen oder erleichtern die Raumnutzung. Ohne die gleichzeitige Bereitstellung der
Räume wäre die Zahlung von Nebenkosten für den Mieter zwecklos (vgl. die bereits
erörterte Vorschrift des §536 Abs. 1 Satz 1 BGB). Damit bewirkt eine beschränkte
Nutzungsmöglichkeit, dass auch die auf volle Funktionsfähigkeit der Räume gerichteten
Nebenkostenzahlungen ihren Zweck nicht voll erreichen können, sondern ihn in dem
Maße verfehlen, wie die Nutzungsfähigkeit der Räume eingeschränkt ist. Entsprechend
sind sie bei der Mietminderung zu berücksichtigen.
Dem lässt sich nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Nebenkosten seien als eine Art
"Durchlaufpositionen" beim Vermieter zu begreifen, die letztlich voll dem Mieter zugute
kämen. Sie kommen nämlich regelmäßig auch dem Vermieter zugute - mit den
Heizkosten etwa werden typischerweise auch Instandhaltungsarbeiten an der
Heizungsanlage finanziert, die dem Vermieter gehört, und die auf die Mieter umgelegten
Reinigungsarbeiten bewirken neben der Gewährleistung des geschuldeten
Mietgebrauchs auch eine Pflege und den Erhalt des Vermietereigentums. Es ist nicht
verständlich, warum der Mieter solche Zahlungen ungeschmälert weiter leisten soll,
wenn der Vermieter nur unvollständig leistet.
Der Senat hält auch eine nach einzelnen Nebenkostenpositionen differenzierende
Sichtweise bei der Minderung nicht für überzeugend.
Zum einen sind - wie bereits dargelegt - immer sämtliche Aufwendungen für die
Raumnutzung im Sinne einer teilweisen Zweckverfehlung von einem Mangel der Räume
betroffen. Zum anderen wäre - wollte man dies anders sehen - eine konsequente
Differenzierung zwischen einzelnen, vom Mangel der Mietsache "betroffenen"
Nebenkostenpositionen hochgradig unpraktikabel, weil es dem Mieter einen kaum zu
leistenden Darlegungs- und Berechnungsaufwand zur Rechtfertigung der begehrten
Minderung auferlegen würde. Er müsste nicht nur erläutern, warum welche
Nebenkostenposition betroffen wäre (im vorliegenden Fall wäre unter Berücksichtigung
der umlegungsfähigen Kostenarten nach §3 Nr.3.3 des Mietvertrages etwa an die von
den Wassereinbrüchen - möglicherweise - betroffenen Positionen Nr.2 (Kanalgebühren,
Entwässerung), Nr.6 (Straßenreinigungsgebühren) oder Nr.19 (Fassadenbeleuchtung,
Fassadenreinigung) zu denken). Es obläge ihm konsequenterweise auch, für jede dieser
Positionen je nach Betroffenheitsgrad eine gesonderte Minderungsquote zu benennen
und daraus unter Einbeziehung der anteilig herabgesetzten Nettokaltmiete eine
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und daraus unter Einbeziehung der anteilig herabgesetzten Nettokaltmiete eine
"Gesamtminderung" zu errechnen. Die mit Auseinandersetzungen der Prozessparteien
über derartige Fragen verbundene Belastung der gerichtlichen Durchsetzung von
Mietminderungen liegt für jeden Mietrechtspraktiker auf der Hand; auch das Gebot des
effektiven Rechtsschutzes hindert den Senat daran, dieser Auffassung zu folgen.
(5) Hiernach hat das Landgericht zutreffend die Bruttomiete in Höhe von 587,99 EUR
zugrundegelegt (486,18 EUR Netto-Kaltmiete+101,81 EUR Betriebskostenvorschuss,
darin enthalten nach §3 Nr.3.3 des Mietvertrages auch Kosten für die Zusatzheizung der
BEWAG für den Gewerbebereich) und hieraus eine 10%ige Minderung in Höhe von 58,80
EUR für die Monate Juni bis August 2001 und Oktober 2001 und eine 20 %ige Minderung
in Höhe von 117,60 EUR von November 2001 bis Juni 2002 errechnet, insgesamt also
einen Betrag in Höhe von 1176,00 EUR (vgl. S.9 der Entscheidungsgründe).
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