Urteil des KG Berlin vom 07.11.2002

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Gericht:
KG Berlin Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 UF 402/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 256 ZPO, § 91 BSHG
Unterhaltsrecht: Unzulässige Klage auf Feststellung des
Nichtbestehens des Unterhaltsanspruchs bei dessen Überleitung
auf den Sozialhilfeträger
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-
Kreuzberg vom 7. November 2002 – 142 F 6872/02 – geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die 39-jährige Beklagte ist die Tochter des Klägers. Sie bezieht seit Mai 1999
Sozialhilfe. Mit Bescheid vom 20. März 2002 forderte das Bezirksamt T den Kläger auf,
für die Zeit vom 9. November 2001 bis 28. Februar 2002 1.357,91 EUR und ab
01.03.2002 monatlich 364,24 EUR aus übergegangenem Recht zu zahlen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm auf Grund der Inanspruchnahme durch das
Bezirksamt die Möglichkeit eröffnet sein müsse, im Wege der negativen
Feststellungsklage gegen die Beklagte Einwendungen gegen Grund und Höhe der
Unterhaltsverpflichtung geltend zu machen. Dies müsse zumindest dann gelten, wenn
der Träger der Sozialhilfe öffentlich-rechtlich gegen ihn vorgehe, da dann Einwendungen
gegen den Unterhaltsanspruch im Widerspruchsverfahren nicht geltend gemacht werden
könnten.
Er meint weiter, dass die Beklagte nicht unterhaltsberechtigt sei, da sie aus eigenem
Verschulden bedürftig sei.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass er der Beklagten nicht zu Unterhalt verpflichtet ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, sie sei nicht passivlegitimiert, da der Unterhaltsanspruch auf den
Träger der Sozialhilfe übergegangen sei.
Das Amtsgericht – Familiengericht – hat die Klage für zulässig erachtet, denn
Voraussetzung für eine rechtmäßige Überleitungsanzeige sei die Rechtmäßigkeit der
Sozialhilfegewährung, die aber davon abhängig sei, dass der Beklagten ein
Unterhaltsanspruch gemäß §§ 1601 ff BGB überhaupt zustehe. Daher sei auch die
Beklagte passivlegitimiert. Es hat die Klage aber nur für den Zeitraum der
übergegangenen Unterhaltsansprüche für begründet erachtet, weil die Beklagte ihre
Bedürftigkeit nicht nachgewiesen habe. Im Übrigen fehle es an einer
Anspruchsgrundlage für die begehrte generelle Feststellung des Nichtbestehens der
Unterhaltspflicht für die Zukunft.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
II. Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist abzuweisen, denn sie ist mangels
Feststellungsinteresses bereits unzulässig.
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1. Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder
Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist gegeben, wenn dem Recht oder der
Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Ungewissheit droht und das Urteil
geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Diese Ungewissheit besteht regelmäßig aus
einer von dem Beklagten aufgestellten Bestandsbehauptung der vom Kläger verneinten
Rechtsposition. Der Beklagte muss sich mithin eines Anspruchs gegen den Kläger
rühmen (vgl. BGH FamRZ 1995, 727, 726 m. w. N.). Dies ist hier nicht der Fall. Zwar ist
die Beklagte durch den Übergang des Unterhaltsanspruchs gemäß § 91 Abs. 1 S. 1
BSHG grundsätzlich nicht gehindert, Unterhaltsansprüche noch geltend zu machen.
Denn trotz des Übergangs des Unterhaltsanspruchs bleibt der Unterhaltsberechtigte
Inhaber des Stammrechts und kann daraus Ansprüche herleiten. So kann er Unterhalt
für die Zukunft verlangen oder auch weitergehende Unterhaltsansprüche für Zeiträume
geltend machen, für die Sozialhilfe geleistet wurde, da der Unterhaltsanspruch nur bis
zur geleisteten Höhe übergeht. Die Beklagte hat sich jedoch keines Unterhaltsanspruchs
gegen den Kläger berühmt. Sie hat zwar – zum Teil auch mit anwaltlicher Hilfe –
außergerichtlich gegenüber dem Kläger ihre finanzielle Misere geschildert, aber immer
ausdrücklich klargestellt, dass sie keine Forderungen erhebe. Auch im Laufe des
Rechtsstreits hat sie ausdrücklich erklärt, dass sie nicht beabsichtige,
Unterhaltsforderungen an den Kläger zu stellen. Die Geltendmachung der
übergegangenen Unterhaltsansprüche durch den Sozialhilfeträger kann der Beklagten
nicht zugerechnet werden (vgl. auch OLG Köln FamRZ 2001, 836, 837 = NJW-RR 2001,
867).
2. Das rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens von
Unterhaltsansprüchen der Beklagten gegen den Kläger kann auch nicht damit begründet
werden, dass die rechtmäßige Überleitung von einer Rechtmäßigkeit der
Sozialhilfegewährung abhängig sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob dem so ist (vgl.
Darstellung des Streitstandes bei Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker BSHG § 90 Rdnr. 39;
im Gegensatz dazu: Schulze-Werner/Bischoff, NJW 1986, 696, 698; Fichtner BSHG § 90
Rdnr. 9). Denn der Kläger ist nicht gehindert, im Rahmen einer Klage gegen den
Sozialhilfeträger das Nichtbestehen von Unterhaltsansprüchen der Beklagten gegen ihn
feststellen zu lassen. Soweit der Kläger darauf abgestellt hat, dass er Einwendungen
gegen Grund und Höhe des Unterhaltsanspruchs dann nicht geltend machen könne,
wenn er durch den Träger der Sozialhilfe öffentlich-rechtlich in Anspruch genommen
werde, verkennt dies die Rechtslage. Gemäß § 91 Abs. 4 S. 3 BSHG ist nur der
Zivilrechtsweg für übergeleitete Unterhaltsansprüche eröffnet. Der Übergang eines
bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs wird auch nicht durch eine
Überleitungsanzeige bewirkt. Eine derartige Anzeige ist nur Voraussetzung für einen
Übergang von Ansprüchen gemäß § 90 Abs. 1 S. 1 BSHG. Den Übergang zivilrechtlicher
Unterhaltsansprüche des Hilfeempfängers gegen einen Unterhaltspflichtigen auf den
Sozialhilfeträger regelt aber ausschließlich § 91 BSHG. Das Gesetz bestimmt einen
Forderungsübergang kraft Gesetzes, der mit dem gleichzeitigen Nebeneinander von
Einsetzen der Hilfe und Unterhaltsanspruch eintritt, es sei denn die Fälle des
Ausschlusses sind gegeben, § 91 Abs. 1 S. 2 und 3 und Abs. 3 BSHG. Damit entfällt
auch die frühere Anfechtungsmöglichkeit für Hilfeempfänger und Unterhaltspflichtigen
hinsichtlich der Überleitungsanzeige. Mangels Zweiteilung des Rechtswegs ist nunmehr
auch in dem Verfahren, welches zwischen Sozialhilfeträger und Unterhaltspflichtige
geführt wird, immer zu prüfen, ob ein bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsanspruch dem
Grund und der Höhe nach besteht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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