Urteil des KG Berlin vom 27.01.2004
KG Berlin: anfechtung, verdacht, zwangsvollstreckung, genehmigung, aufgabenbereich, ausnahme, sammlung, quelle, widerrufsrecht, link
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Gericht:
KG Berlin 7. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 U 73/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 22 Abs 1 Nr 1 InsO
Insolvenzeröffnungsverfahren: Vermögenssicherungs- und –
erhaltungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters
Leitsatz
Der vorläufige Insolvenzverwalter hat nur das Vermögen des Schuldners zu Gunsten aller
Gläubiger zu sichern und nicht einzelne Gläubiger vorab zu befriedigen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. Januar 2004 verkündete Urteil der
Zivilkammer 19 des Landgerichts Berlin - 19 O 398/03 - wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der
Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit Höhe des beizutreibenden
Betrages leistet.
Gründe
A.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort
gestellten Anträge, des Urteilstenors und der Entscheidungsgründe wird auf das
angefochtene Urteil der Zivilkammer 19 des Landgerichts Berlin Bezug genommen, das
der Klägerin am 26. Februar 2004 zugestellt worden ist. Die Klägerin hat dagegen am 24.
März 2004 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 26. Mai 2004 an diesem Tag begründet.
Die Klägerin hält an ihrem erstinstanzlichen Vortrag zu der allein streitigen Rechtsfrage
fest, dass der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter nicht berechtigt war
Lastschriften auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin ohne weitere Prüfung zu
widerrufen. Sie ist der Ansicht, der Beklagte habe keinen anerkennenswerten Grund
gehabt, am 2. Mai 2003 die Lastschriften, die in der Zeit vom 10. Februar bis zum 6.
April 2003 zu ihren Gunsten erfolgt waren, zu widerrufen. Ein anerkennenswerter Grund
ergebe sich nicht aus der Insolvenzordnung. Der vorläufige Insolvenzverwalter sei zur
Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen im Vorfeld der Insolvenzeröffnung nicht
befugt. Außerdem liege den Lastschriften ein unanfechtbares Bargeschäft zugrunde.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an
sie 108.862,69 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
hilfsweise,
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr den Schaden zu ersetzen, der
ihr durch den vollständigen oder teilweisen Ausfall mit der Forderung in Höhe von
108.862,69 Euro in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. GmbH mit dem
Sitz in ... entstehen wird.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung - auch hinsichtlich des Hilfsantrags - zurückzuweisen.
Der Beklagte wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und vertritt weiterhin
die Ansicht, dass er weder objektiv noch subjektiv gegen seine Pflichten als vorläufiger
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die Ansicht, dass er weder objektiv noch subjektiv gegen seine Pflichten als vorläufiger
Insolvenzverwalter verstoßen habe.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
Die Berufung form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet.
I.
Ein mit dem Hauptantrag geltend gemachter Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von
108.862,69 EUR gegen den Beklagten steht der Klägerin nicht zu. Es steht noch nicht
fest, in welcher Höhe der Klägerin ein Schaden entstanden ist. Es kann nicht
ausgeschlossen werden, dass sie ihren - unstreitig bestehenden - Anspruch gegen die
L... GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) aus der Insolvenzmasse jedenfalls
teilweise befriedigen wird.
II.
1. Der Hilfsantrag der Klägerin ist gemäß §§ 531 Abs. 2 Nr. 1, 525 S. 1, 260, 264 Nr. 2
ZPO zulässig. Im Übrigen kann dahin gestellt bleiben, ob die Beklagte ein rechtliches
Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der baldigen Feststellung hat, dass der
gegen den Beklagten geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach besteht. Auf das
besondere Feststellungsinteresse kommt es dann nicht an, wenn sich der geltend
gemachte Anspruch materiell-rechtlich als unbegründet erweist (Zöller/Greger, ZPO, 23.
Aufl., § 256 Rdnr. 7).
2. Der Hilfsantrag ist unbegründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf
Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr den Schaden zu ersetzen, der ihr
durch den vollständigen oder teilweisen Ausfall der Forderung in Höhe von 108.862,69
Euro gegen die Insolvenzschuldnerin in dem Insolvenzverfahren über deren Vermögen
entstehen wird.
Ein Anspruch auf Schadensersatz steht der Klägerin dem Grunde nach aus §§ 21 Abs. 2
Nr. 1, 60 Abs. 1 InsO nicht zu. Danach ist der vorläufige Insolvenzverwalter allen
Beteiligten nur dann zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten
verletzt, die ihm nach der Insolvenzordnung obliegen. Das ist hier nicht der Fall. Der
Beklagte hat als vorläufiger Insolvenzverwalter seine gegenüber der Klägerin
bestehenden Sorgfaltspflichten nicht verletzt, indem er den von der Klägerin im
Einzugsermächtigungsverfahren eingereichten und auf dem Konto der
Insolvenzschuldnerin bei der C. eingelösten Lastschriften wirksam widersprochen hat.
a) Ein Recht zum Widerruf einer Lastschrift im Einzugsermächtigungsverfahren besteht
immer dann, wenn dafür ein anerkennenswerter Grund vorliegt. Dies gilt nach ständiger
Rechtsprechung im Verhältnis des Kontoinhabers zum Empfänger der Lastschrift (vgl.
BGH WM 1979, 689, 690; 1985, 82, 83; 1987, 895, 896). Das Vorliegen eines
anerkennenswerten Grundes bestimmt sich dabei nach dem Zweck, dem ein
Widerspruch im Einzugsermächtigungsverfahren zukommt. Das Widerspruchsrecht dient
in erster Linie dem Schutz des Kontoinhabers, dessen Konto von seiner Bank wegen der
Lastschrift belastet wurde, vor einem Missbrauch des Verfahrens durch den
Auftraggeber (BGH WM 1985, 82, 83). Durch sein Widerspruchsrecht ist es dem
Schuldner möglich, die Einziehung zu verhindern, sofern diese unberechtigt ist. Das ist
dann der Fall, wenn er überhaupt keine Ermächtigung erteilt hat, den Lastschriftbetrag
gar nicht schuldet oder sonstige anerkennenswerte Gründe hat, insbesondere ein
Leistungsverweigerungs-, Zurückbehaltungs- oder Aufrechnungsrecht gegenüber dem
an sich begründeten Anspruch des Gläubigers (BGH WM 1987, 895, 896). Kann sich der
Schuldner hingegen auf einen solchen anerkennenswerten Grund nicht stützen, so übt
er den Widerspruch zweckfremd aus und macht sich gegenüber seinem Gläubiger
schadenersatzpflichtig.
b) Vorliegend stand zwar der Insolvenzschuldnerin kein anerkennenswerter Grund zu. Die
von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsansprüche sind von der
Insolvenzschuldnerin und dem Beklagten nicht bestritten. Unerheblich ist, dass der
Klägerin ausdrücklich keine Einziehungsermächtigung erteilt worden ist; denn die
Insolvenzschuldnerin hat ihrer Bank einen Abbuchungsauftrag für Lastschriften der
Klägerin gegeben und die Klägerin davon gleichzeitig in Kenntnis gesetzt. Wenn die
Insolvenzschuldnerin also Lastschriften im Abbuchungsverfahren zuließ, in dessen
Rahmen dem Kontoinhaber überhaupt kein Widerspruchsrecht zusteht, so schließt der
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Rahmen dem Kontoinhaber überhaupt kein Widerspruchsrecht zusteht, so schließt der
Abbuchungsauftrag eine Einziehungsermächtigung mit ein.
c) Das bedeutet jedoch noch nicht, dass dem Beklagten als vorläufigem
Insolvenzverwalter ein solcher anerkennenswerter Grund zur Ausübung des
Widerspruchsrechts nicht beiseite stand. Der Senat schließt sich den insoweit
zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung an. Er folgt der gegenteiligen
Auffassung nicht, die einem (vorläufigen) Insolvenzverwalter die Widerspruchsmöglichkeit
nur in dem Maße einräumt, wie sie auch dem Insolvenzschuldner zusteht (vgl. OLG
Hamm, NJW 1985, 865, 866 und Urteil vom 11. Dezember 2003 - Aktenzeichen 27 U
130/03; LG Erfurt, NJW-RR 2003, 49; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl., Rn. 661, 666;
Rottnauer, WM 1995, 272, 279; Schimansky/Bunte/Lwowski-van Gelder, Bankrechts-
Handbuch, Bd. 1, 2. Aufl., Rn. 11; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl.,
Rn. 3.452f.; Brandes in Münchener Kommentar, InsO, 2001, §§ 60, 61 Rn. 41 m.w.N.;
Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, 2002, Rn. 247 m.w.N. A.A. Rattunde/Berner,
DZWIR 2003, 185ff.).
Der vorläufige Insolvenzverwalter hat das Vermögen des Insolvenzschuldners zu sichern
und zu erhalten (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Es ist daher nicht seine Sache, eine vor dem
Insolvenzantrag unvollständig erfüllte Verbindlichkeit endgültig zu vollziehen oder einer
schwebend unwirksamen Erfüllungshandlung des Schuldners durch Genehmigung zur
Wirksamkeit zu verhelfen. Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalter ist es, das
Vermögen des Schuldners zu Gunsten aller Gläubiger zu sichern und nicht einzelne
Gläubiger vorab zu befriedigen (BGH, Urteil vom 4. November 2004 - IX ZR 22/03 -).
d) Daran ändert nichts der Umstand, dass die Insolvenzschuldnerin ihrer Bank den
Abbuchungsauftrag zu Gunsten der Klägerin erteilt hat. Die Klägerin hat davon unstreitig
keinen Gebrauch gemacht, sondern das Einziehungsermächtigungsverfahren gewählt,
das dem Schuldner grundsätzlich ein Widerrufsrecht gewährt. Eine infolge des
Abbuchungsauftrags denkbare Ausnahme von diesem Grundsatz kommt im
vorliegenden Fall deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte mit seinem Widerspruch
dem Insolvenzzweck, das Vermögen der Schuldnerin für alle Gläubiger zu erhalten,
entsprochen hat; denn der Beklagte musste den Verdacht haben, dass die Klägerin die
streitgegenständlichen Gutschriften in anfechtbarer Weise erlangt hat.
aa) Dem vorläufigen Insolvenzverwalter steht zwar kein Anfechtungsrecht nach Maßgabe
der § 129 ff InsO zu. Das schließt aber nicht aus, dass sich aus diesen Vorschriften auch
ein anerkennenswerter Grund für die Ausübung des Widerrufsrechts ergeben kann.
Drängt sich der Verdacht auf, dass der spätere (endgültige) Insolvenzverwalter vom
Anfechtungsrecht Gebrauch machen könnte, besteht für den vorläufigen
Insolvenzverwalter unter dem Gesichtspunkt der Vermögenssicherung sogar die Pflicht,
dafür zu sorgen, dass die möglicherweise anfechtbar erlangte Rechtsposition eines
Gläubigers nicht durch Übertragung von Vermögenswerten aus der Insolvenzmasse zum
Nachteil der übrigen Gläubiger gestärkt wird. Im Anfechtungsprozess trägt der
Insolvenzverwalter stets das Risiko, dass der anfechtbar erlangte Vermögenswert der
Masse im Wege der Zwangsvollstreckung gegen den Gläubiger nicht wieder zugeführt
werden kann, weil dieser inzwischen selbst zahlungsunfähig geworden ist oder
Vollstreckungsschutz genießt.
bb) Vorliegend bestand ein Anfechtungsgrund aus § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die Klägerin
hat die Rechtshandlung nach dem Eröffnungsantrag und in Kenntnis des Antrags
vorgenommen.
Maßgeblich für die Anfechtung ist gemäß § 140 Abs. 1 InsO nicht der Tag, an dem die
Klägerin die jeweilige Forderung eingezogen hat, sondern der Zeitpunkt, in dem die
rechtliche Wirkung der Forderungseinziehung eingetreten wäre. Das gilt auch für die
privatrechtliche Genehmigung (vgl. Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl., § 140 Rdnr. 3).
Wirksam werden konnte die Lastschrift erst mit Ablauf der Widerrufsfrist; bis dahin war
die Belastung des Kontos der Insolvenzschuldnerin schwebend unwirksam und
demzufolge noch nicht endgültig vollzogen, weil keine Erfüllung der der Lastschrift
zugrunde liegenden Forderung eingetreten war. Vor Ablauf der Widerrufsfrist und vor
dem Widerruf am 2. Mai 2003 ist die Klägerin aber schon vom Beklagten mit Schreiben
vom 30. April 2003 über die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung und damit
über einen Umstand im Sinne des § 130 Abs. 2 InsO informiert worden, der zwingend auf
den Eröffnungsantrag schließen lässt. Hätte der Beklagte die Lastschrift daher nicht
rückgängig gemacht, müsste sich die Klägerin die Kenntnis vom Insolvenzantrag mithin
vorhalten lassen, der nach Maßgabe des § 140 Abs. 1 InsO vor Vornahme der
Rechtshandlung lag, was dem (endgültigen) Insolvenzverwalter einen Anfechtungsgrund
nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO gegeben hätte.
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cc) Ob die Anfechtung durch § 142 InsO ausgeschlossen ist, weil ein unanfechtbares
Bargeschäft vorliegt, musste der Beklagte jedenfalls im vorliegenden Fall nicht prüfen.
Die Klägerin hat dazu keine konkreten Tatsachen vorgetragen, die ohne weiteres den
Schluss auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Lastschriften und der
Gegenleistung zulassen. Solange sich der Bargeschäftscharakter nicht aufdrängt, muss
der vorläufige Insolvenzverwalter dazu auch keine Recherchen anstellen, die nicht zu
seinem Aufgabenbereich gehören. Es geht hier nicht um die Ausübung und
Durchsetzung des Anfechtungsrechts, das erst dem endgültigen Insolvenzverwalter
zusteht, sondern allein um die Frage, ob der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter
sich einer Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, die seinen Aufgabenbereich betrifft.
Da auf die Pflicht zur Sicherung des Vermögens der Insolvenzschuldnerin abzustellen ist,
kann dem Beklagten jedenfalls kein Vorwurf des pflichtwidrigen Handelns gemacht
werden, wenn er trotz des bestehenden Abbuchungsauftrags, von dem die Klägerin
keinen Gebrauch gemacht hat, die Lastschriften rückgängig machen lässt, weil der
Anfechtungsgrund aus § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegt. Schon darin liegt ein
anerkennenswerter Grund für den Widerspruch gegen die Lastschriften, der stets die
Belange aller Gläubiger im Auge behalten muss und nicht einzelne Gläubiger bevorzugt
behandeln darf.
III.
Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil die Sache angesichts des bereits
zitierten Urteils des Bundesgerichtshofs vom 4. November 2004 weder eine
grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543
Abs. 2 S. 1 ZPO).
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