Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: geschwindigkeitsüberschreitung, höchstgeschwindigkeit, ausnahmefall, link, quelle, sammlung, fahrverbot, gleichbehandlung, beurteilungsspielraum, rechtssicherheit

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Gericht:
KG Berlin 3. Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ss 241/04 - 3 Ws
(B) 584/04, 3 Ws (B)
584/04, 2 Ss 241/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 2 S 2 BKatV, § 41 Abs 2
Nr 7 Zeichen 274 StVO, § 49
Abs 3 Nr 4 StVO
Verkehrsordnungswidrigkeit "fahrlässige
Geschwindigkeitsüberschreitung": Behandlung von
Geschwindigkeitsverstößen auf der Berliner Stadtautobahn;
Regelfahrverbot bei einer Überschreitung von 31 km/h
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts
Tiergarten in Berlin vom 23. August 2004 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde
liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung -
auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 41
Abs. 2 Nr. 7 (zu ergänzen: Z 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO nach § 24 StVG zu einer
Geldbuße von 180,-- Euro verurteilt. Die - wie die Gesamtheit der erfolgten Begründung
ergibt - wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der
Amtsanwaltschaft Berlin, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, ist
gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG zulässig; sie ist auch begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat in ihrer Stellungnahme zu dem von ihr
vertretenen Rechtsmittel folgendes ausgeführt:
„Zu Recht bemängelt die Beschwerdeführerin, daß das Absehen von der Anordnung des
Regelfahrverbots durch den Tatrichter rechtsfehlerhaft ist. Sofern - wie hier - die
Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV vorliegen, ist nach der zugrunde
liegenden normativen Vorbewertung bei Überschreiten der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NZV 1996, 284)
- regelmäßig von einer groben Pflichtverletzung des Betroffenen als Kraftfahrzeugführer
im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen (vgl. BGHSt 43, 241, 247 f.; KG,
Beschluß vom 22. September 2004 - 3 Ws (B) 418/04 - m.w.N.). Die abstrakte
Gefährlichkeit der von dem Betroffenen begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung
um rund 50% muß hier um so mehr bejaht werden, als sich andere Kraftfahrer
erfahrungsgemäß nicht darauf einstellen, daß die vorgeschriebene
Höchstgeschwindigkeit von einem einzelnen Kraftfahrer in einem derart hohen Maß
überschritten wird. Durch die festgestellte Tatsache, daß der Betroffene sowohl das
Verkehrszeichen, mit dem die zulässige Geschwindigkeit beschränkt worden ist, als auch
das Ortseingangsschild übersehen hat, ist auch in subjektiver Hinsicht eine grobe
Pflichtverletzung indiziert. Nur wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so
erheblich abweicht, daß er als Ausnahme zu werten ist, kann die Anwendung der
Regelbeispielstechnik des Bußgeldkatalogs unangemessen sein. Dem tatrichterlichen
Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit
wegen enge Grenzen gesetzt, und seine Feststellungen müssen die Annahme eines
Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. KG a.a.O.). Das ist hier nicht der
Fall.
Soweit das Amtsgericht darauf abstellt, daß der Verstoß „auf einer Autobahn erfolgte,
wo die besondere Gefahrenlage des innerörtlichen Verkehrs nicht besteht“, stellt dies
keinen den Betroffenen begünstigenden Umstand dar. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Kammergerichts (vgl. KG, Beschluß vom 5. November 2001 - 3 Ws
(B) 416/01 - m.w.N.) sind Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Berliner
Stadtautobahn in der Regel - wie es auch das Amtsgericht zutreffend annimmt - als
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Stadtautobahn in der Regel - wie es auch das Amtsgericht zutreffend annimmt - als
innerörtliche Verstöße zu behandeln; denn die nach der Tatbegehung innerhalb und
außerhalb geschlossener Ortschaften differenzierenden Regelungen des
Bußgeldkatalogs sind auf die im Bereich geschlossener Ortschaften höhere abstrakte
Gefährlichkeit von Geschwindigkeitsüberschreitungen zurückzuführen, ohne daß es dabei
auf die verkehrsrechtliche Klassifizierung der Straße ankommt. Dabei ist nicht
entscheidend, daß auf der Stadtautobahn kein Querverkehr zu erwarten ist und auch
nicht mit Radfahrern und Fußgängern gerechnet werden muß. Vielmehr folgt die erhöhte
abstrakte Gefährlichkeit eben auch auf der Stadtautobahn in der Regel beispielsweise
aus der Vielzahl der Ein- und Ausfahrten, der verhältnismäßig kurvenreichen
Streckenführung, dem überdurchschnittlichen Verkehrsaufkommen auch außerhalb des
Berufsverkehrs sowie daraus, daß jederzeit mit Verkehrsstauungen gerechnet werden
muß (vgl. KG a.a.O.).
Auch die weiteren Urteilsfeststellungen lassen ein fehlerfreies Absehen von der
Anordnung eines Fahrverbots nicht erkennen. Daß der Bußgeldkatalog bei einer
Geschwindigkeitsüberschreitung von - wie hier - 31 km/h außerhalb geschlossener
Ortschaften kein Fahrverbot vorsieht, kann dem Betroffenen nicht zugute gehalten
werden, weil er einen innerörtlichen Verstoß begangen hat. Daß die Regelanordnung bei
einer Überschreitung von 30 km/h beginnt, macht die Überschreitung von 31 km/h nicht
zum Ausnahmefall im oben erörterten Sinn. Der Hinweis auf einen lediglich fahrlässig
begangenen Verstoß rechtfertigt kein Abweichen vom Regelfall; vielmehr geht der
Bußgeldkatalog bei den von ihm vorgesehenen Rechtsfolgen von fahrlässiger Begehung
aus (§ 1 Abs. 2 BKatV). Inwieweit die Tatsache, „daß die Geschwindigkeitsbegrenzung
erst unmittelbar vor dem Ort der Feststellung begann“, sich zugunsten des Betroffenen
auswirken könnte, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht.
Die mitgeteilte einschlägige Vorbelastung des Betroffenen ist dagegen bei der
Entscheidung, von der Anordnung eines Fahrverbots abzusehen, rechtsfehlerhaft
unberücksichtigt geblieben.“
Diese zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat zu eigen. Er hebt daher den
Rechtsfolgenausspruch der angefochtenen Entscheidung auf und verweist die Sache im
Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung
des Amtsgerichts zurück; es bot sich hier nicht an, von dem Regelfall abzuweichen.
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